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Bayern
Brauen und Beten rund um den Kirchsee

Auf dem Weg zum Tegernsee fahren die meisten an einem kaum bekannten Ort vorbei: dem Kirchsee. Die dortige Landschaft ist ganz anders als auf oberbayerischen Kitsch-Postkarten. Hier stehen keine Villen und Hotels, nur ein jahrhundertealtes Kloster mit eigener Brauerei.

Von Burkhard Schäfers |
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    Am Kirchsee befindet sich ein Franziskaner-Kloster aus dem 17. Jahrhundert mit eigener Brauerei. (Burkhard Schäfers)
    So ein bisschen scheint die Zeit stehen geblieben auf diesem uralten Holzspeicher. Es riecht nach Getreide. Das Mahlwerk ist noch aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, vermutet Florian Auracher, zweiter Braumeister der Klosterbrauerei Reutberg. Hier ist sein Arbeitsplatz, auch wenn er eher aussieht wie ein Museum.
    "Dann hab i do meine Silos, da wär jetzt des helle Malz drin zum Beispiel was man für a helles Bier braucht. Hinten wär a dunkles Malz und da wär a Weizenmalz no."
    Ob Kloster Hell, Aegidius-Trunk oder Josefi Bock - elf verschiedene Biersorten brauen Auracher und seine Kollegen. Nichts passiert hochmodern und voll automatisiert, nein. In der Klosterbrauerei schwören sie auf echtes Handwerk.
    "Des läuft dann praktisch über die Förderschnecken lauft des vor. Und immer wenn fünf Kilo drin san, schüttet die Waage aus. Die geht rein mechanisch. Des lauft über die zwei Walzen runter und wird dann geschrotet."
    20.000 Hektoliter produziert die Klosterbrauerei Reutberg pro Jahr
    Wir klettern die schmale Holztreppe vom Speicher wieder runter ins Sudhaus, gebaut im Jahr 1937 und türkisgrün gekachelt. Der Braumeister zeigt die riesigen Messingbottiche, dann geht’s in den Gärkeller. Sofort steigt der säuerliche Geruch von Hefe in die Nase. Nebeneinander stehen mehrere Becken, fast wie im Wellnessbad, nur dass hier drin Bier gärt.
    "Was uns wichtig ist: Dass ma’s Bier no sieht. Mitm ersten Blick sieh i scho, ob alles passt, ob die Gährung gut geht. Des ist fast wie a Schlagsahne, kamma sagen."
    "Kräusen" nennt der Braumeister die dicke, braunweiße Schaumkrone, die sich oben auf dem Bier absetzt. 20.000 Hektoliter produziert die Klosterbrauerei Reutberg mit ihren 15 Mitarbeitern jedes Jahr. Das meiste davon verkaufen sie in der Region, aber auch an einige Fans in Berlin, Köln und Norderstedt. Die würden es eben schätzen - das noch von Hand gebraute Bier, sagt Geschäftsführer Stephan Hoepfl:
    "So wie’s bei uns no handwerklich hergestellt wird, san do imma kleine Unterschiede dabei. Das ist das gewisse Etwas, dass net alles einheitlich schmeckt. Und zum andern merkt ma’s holt au an der Farb, vom Schaum her, dass nit oans wie’s andere is."
    "Anno 1677" steht auf der Flasche, so lange gibt es die Brauerei schon. Natürlich prangt das weiß-blaue Bayernwappen auf dem Etikett und ein Bild vom Kloster, im Hintergrund das Alpenpanorama.
    "Des is oanfach a ländliche Gegend. Da kennt fast jeder jeden. Das Schöne do, der Biergarten do bei uns am Bräustüberl, des is traumhaft. Bei dem Wetter jetza, die Bergkulisse so nah, das is scho einmalig. Der schönste Biergarten samma mia in ganz Bayern."
    Wenn auch wenig bekannt, so sind sie doch zumindest selbstbewusst am Reutberg. Aber bevor der Spaziergänger sich davon überzeugt, ob Stephan Hoepfl recht hat, muss er sich Bier und Brotzeit erst verdienen.
    Hotels, Ausflugsrestaurants und protzige Villen sind tabu
    Denn das Franziskanerinnen-Kloster liegt in einer besonderen Landschaft, auf einer kleinen Anhöhe nicht weit vom Kirchsee. Der flache Moorsee, circa ein Kilometer lang und 300 Meter breit, ist als Ausflugsziel fast nur in der Umgebung bekannt. Hierher kommen die Leute, um die Ruhe zu genießen, zu wandern und zu radeln. 1940, vor einem Dreiviertel-Jahrhundert also, wurde der Kirchsee zum Naturschutzgebiet erklärt. Hotels, Ausflugsrestaurants und protzige Villen sind tabu, auch wenn es wohl immer wieder Pläne dafür gab.
    Am Nordufer stehen nur ein paar einfache Häuser. In einem lebt ein pensionierter Tierarzt. Seinen Namen will er nicht im Radio hören. Aber er gewährt immerhin einen Blick in den vergilbten Leitzordner, in dem er seit Jahrzehnten Geschichten rund um den Kirchsee sammelt. Natürlich auch, wie dieser vor vielen tausend Jahren entstand:
    "Erdgeschichtlich betrachtet ist der Kirchsee ein Relikt der Urisar. Die floss vor circa 20.000 Jahren zur Mangfall und bei Rosenheim in den Inn. Vor 15.000 Jahren grub sich die Isar ein neues Bett. Das Urisarbett verlandete und zurückblieb der heutige Kirchsee mit der dazugehörigen Moorlandschaft."
    Wenn man heute tief genug gräbt, stößt man auf große Kieselsteine aus dem alten Flussbett, erzählt der ältere Herr. Der Seegrund aber ist moorig.
    "Der Kirchsee ist ein reiner Badesee. Der friert im Winter schnell zu. Er ist ja nicht tief, er hat ja nur 17 Meter Tiefe. Und er ist schnell wieder warm."
    Schon ein besonderer Altersruhesitz: Das Anwesen steht etwas erhöht am Hang, zum Ufer geht es über eine große Wiese. Der Tierarzt hat das Haus in den 70er Jahren gekauft - für 100.000 Mark. Die Aussicht aus dem Wohnzimmerfenster ist im Lauf der Zeit Alltag geworden, deshalb muss er über die verzückten Blicke des Gastes etwas lachen:
    "Man sieht halt da endlose Moorlandschaft, kein Haus und gar nix wenn man rausschaut. Und hinten sieht man halt das Gebirge: Benediktenwand und wie’s halt alle heißen."
    An der Wand hängt eine Skizze der Umgebung. Fein säuberlich hat der See-Anwohner die verschiedenen Grundstücke und ihre Eigentümer eingezeichnet. Auch eine Badestelle. Diese hatte die hiesige Gemeinde Sachsenkam 1965 gekauft, um sie öffentlich zugänglich zu machen.
    "Der damalige Bürgermeister ließ sogleich zwei Stege für die Leute herrichten. Aber den zweiten Steg, den hat er auf ein falsches Grundstück gebaut. Das gehörte einem Herrn Sigi Sommer alias Blasius der Spaziergänger und Kolumnist der Münchner Abendzeitung. Der hat sich recht bedankt, aber er wollte, dass ihn die Gemeinde schützt vor den Anstürmen der Badelustigen. Und der Bürgermeister hatte ein sehr leidiges Problem."
    Der mit Steuergeldern gebaute Badesteg auf dem Privatgrundstück des Zeitungs-Kolumnisten - das war natürlich eine Steilvorlage für Hohn und Spott. Aber offenbar verfügte Sigi Sommer über eine große Portion Humor und Großzügigkeit: Er habe sein Grundstück der Gemeinde schließlich zum symbolischen Preis verkauft, erzählt der Tierarzt.
    Zum Glück für Jana und Michi. Das junge Paar hat es sich auf dem Steg an der öffentlichen Badestelle bequem gemacht, mit Blick auf See und Alpen.
    "Wir hatten Hunger, haben überlegt was machen wir, gehen wir in den Biergarten. Und dann hamma überlegt, jetzt machma Picknick. Und da ist der Kirchsee super, weil er halt diese schönen Stege hier hat, wo man gut sitzen kann. Wir haben Vollkornbrot dabei, Käse, Gurke, Tomate-Mozarella. Eigentlich haben wir einfach alles eingepackt, was wir daheim hatten. Es ist wirklich sehr sehr idyllisch."
    Kloster mit gutem Bier und toller Aussicht
    Gegenüber spiegelt sich der Wald im Wasser, Tannen und Birken wechseln sich ab mit flachen Mooswiesen. Das Licht ist so weich, dass wohl kaum jemand diesen Ort im Voralpenland vermuten würde - wären nicht im Hintergrund die noch schneebedeckten Gipfel. Und damit denen, die hier auf dem Steg sitzen, auf Bänken oder mitgebrachten Klappstühlen, nicht langweilig wird, gibt es freie Sicht aufs Kloster Reutberg. Da wollen Jana und Michi nachher noch hin.
    "Für uns ist das Kloster scho was Besonderes. Vor allem der Biergarten außen dran. Man sitzt da etwas erhaben, hat den Blick auf die Berge. Es gibt gutes Bier - echt wunderschön dort."
    Hochspiritueller Ort
    Zurück am Kloster treffen wir vor dem Kräutergartl der Franziskanerinnen Josef Beheim. Der Priester im Ruhestand ist Spiritual, also geistlicher Begleiter der Ordensschwestern, die hinter den gelb getünchten Klostermauern leben.
    "Das ist ein hochspiritueller Ort, wo tausende Menschen das Jahr über herkommen mit ihren Sorgen und Nöten, wo sie Hilfe suchen. Wir haben ja so Gebets-, Fürbittbücher. Und es war für mich ganz neu, dass da genauso viel Danksagungen in diesen Büchern stehen, dass also Bitten erhört wurden."
    Reutberg ist ein Marienwallfahrtsort. Gegründet wurde das Kloster Anfang des 17. Jahrhunderts durch Gräfin Anna von Pienzenau. Sie ließ auf dem damals noch nicht erschlossenen Hügel am Rande des Kirchseemoors einen Nachbau des vermeintlichen Wohnhauses der Gottesmutter Maria errichten - Vorbild war die sogenannte Santa Casa im italienischen Loretto. Allerdings war das Kloster schon bald baufällig, sodass im 18. Jahrhundert ein Neubau der Anlage entstand. Öffentlich zugänglich ist heute nur die Barockkirche, denn die Franziskanerinnen führen ein zurückgezogenes, streng kontemplatives Leben.
    Trotz dicker Mauern ist ja auch ein Teil ihres Auftrags nach außen gewandt. Menschen können ihre Anliegen in einen Gebetskasten einwerfen. Und die Schwestern beten jeden Tag für diese Anliegen. Beziehungskisten, Krankheiten, auch Kinder kritzeln da rein: Hilf mir, dass ich in Mathe keine fünf schreibe. Also ganz konkrete Nöte, die uns Tag für Tag zu schaffen machen."
    Die sind aber ein paar Meter weiter schnell vergessen. Im Biergarten der Klosterschenke sitzen die Menschen unter zwei hohen Kastanien. Hier treffen wir auch Florian Auracher wieder, den zweiten Braumeister. Endlich ist Gelegenheit anzustoßen.
    "Prost"