Die Coronavirus-Inzidenzen in Deutschland sind zuletzt gesunken, der Anteil geimpfter Menschen gestiegen. Aber die Delta-Variante in Großbritannien führt vor, wie schnell dieses Virus zurückkehren kann. Riskieren wir in dieser Situation mit einer Fußball-EM mit hunderttausenden Zuschauern in Stadien unsere Gesundheit?
"Es ist gut, wenn wir uns schrittweise weiter vortasten", sagt Klaus Holetschek (CSU), Gesundheitsminister in Bayern. Die EM sei "ein guter Testlauf" auf dem Weg aus der Pandemie in die Normalität, unter den Maßgaben der Vorsicht und Umsicht, um nicht "zu verspielen, was wir erreicht haben". Holetschek kündigte eine wissenschaftliche Begleitung an.
Nicht mehr als 14.500 Zuschauer
Nach dem ersten Spiel der deutschen Nationalelf am 15. Juni 2021 bewertet Holetschek den Testlauf zuversichtlich. Im Stadion gelten strenge Zugangsregelungen, hinein kommen nur Getestete, zweimal Geimpfte oder Corona-Genesene. Von einem Höher, Schneller, Weiter mit steigenden Zuschauerzahlen wie an anderen EM-Austragungsorten, hält der bayerische Gesundheitsminister nichts. Mit einer Auslastung von maximal 14.500 Zuschauern sei ein Level erreicht, wo sich Infektionsschutzregeln noch einhalten ließen.
Beim Thema Maskenpflicht am Platz im Stadion sei noch Luft nach oben, sagte Holetschek. Da habe man beim Spiel gesehen, "dass das bei einigen nicht geklappt hat".
Das Interview in voller Länge:
Barbara Schmidt-Mattern: Klaus Holetschek, kann es für einen Gesundheitsminister eigentlich eine Freude sein, in Pandemiezeiten ein Fußballtournier abzuhalten?
Klaus Holetschek: Ich denke, es ist ein Abwägungsprozess, den man durchführen muss. Wir haben auf der einen Seite sinkende Inzidenzwerte und einen guten Impffortschritt. Das heißt, in der Abwägung muss man dann natürlich auch schauen, wieviel Normalität ist wieder möglich, wieviel Vorsicht und Umsicht ist aber nach wie vor geboten.
"Weiter vorsichtig und umsichtig" sein
Schmidt-Mattern: Wir haben es um kurz vor acht in der Reportage unseres Bayern-Korrespondenten Michael Watzke aus München gehört: Statt Public Viewing gab es Private Viewing. Es war eher ruhig auch dann in der Nacht in der Leopoldstraße. War das so, wie Sie sich das gewünscht haben, oder waren Sie auf mehr Trubel eingestellt?
Holetschek: Ich habe mir das gewünscht, dass wir weiter vorsichtig und umsichtig sind bei dieser EM, dass wir die Chancen, die wir jetzt machen, auch nutzen, um jetzt nicht zu überziehen und das zu verspielen, was wir gemeinsam jetzt erreicht haben. Ich glaube aber auch, dass das Ergebnis ein Stück weit zu der gedämpften Stimmung natürlich beigetragen hat.
Schmidt-Mattern: Wie sehr hat Ihnen denn das 0:1 gegen Frankreich weh getan?
Holetschek: Ich bin ein Fan unserer Nationalmannschaft. Ich habe da schon mitgelitten, um ehrlich zu sein. Aber ich war natürlich schon froh, dass wir insgesamt im Stadion gesehen haben, dass viele Menschen sich an die Hygieneregeln halten. Beim Thema Maske am Platz ist allerdings noch Bedarf nach oben. Da müssen wir auch noch mal mit UEFA und DFB reden.
Schmidt-Mattern: Was heißt das genau?
Holetschek: Wir haben ja bei den Hygieneregeln auch gesagt, dass man eine FFP2-Maske auch am Platz tragen muss. Da gibt es ja Studien dazu. Da habe ich gestern schon gesehen, dass das bei einigen nicht geklappt hat. Das muss man im nächsten Spiel schon noch mal nachschärfen.
"Ich bin guten Mutes, dass das geklappt hat"
Schmidt-Mattern: Das Problem ist ja, dass wir mögliche Auswirkungen, wenn da gegen die Regeln verstoßen wird, erst in ungefähr zwei Wochen sehen würden. Wir wissen ja alle um die Inkubationszeit des Corona-Virus. Was macht Sie sicher, dass die Menschen da im Stadion gestern Abend wirklich sicher waren?
Holetschek: Na ja. Wir haben ja schon auch das Thema, dass man nur mit einem Test in das Stadion gekommen ist, oder wenn man doppelt geimpft ist oder genesen. Abstandsregeln – es war schon viel darum herum, was wir als Vorsichtsmaßnahmen aufgestellt haben. Deswegen bin ich da guten Mutes, dass das schon geklappt hat. Im Stadion, glaube ich, war es dann schon sehr sicher, weil der Abstand auch eingehalten wurde, soweit das alles im Vorfeld auch besprochen war mit UEFA und DFB. Von daher, glaube ich, war es ein guter Testlauf, den wir auch wissenschaftlich begleiten und wo wir auch eng dran bleiben, weil das für uns ja auch die Frage ist der zukünftigen Entwicklung, vorausgesetzt, dass das Thema dieser Delta-Mutation nicht noch in einer anderen Art und Weise bei uns aufschlägt.
Schmidt-Mattern: Was heißt wissenschaftlich begleiten und überprüfen? Können Sie uns da ein Beispiel geben?
Holetschek: Wir werden unser Landesamt für Gesundheit da mit einschalten, das sich genau ansieht, wie sind die Hygienemaßnahmen eingehalten worden, wo muss nachgebessert werden, was sind für Erfahrungen gemacht worden in den Pausen, wie hat sich die ganze Situation vor Ort dargestellt und was heißt das möglicherweise auch für den Spielbetrieb der Zukunft.
"EM ist für uns ein Testlauf"
Schmidt-Mattern: Was viele Menschen sich fragen, deren Herz vielleicht nicht ganz so sehr für den Fußball brennt, ist, warum bei der Europameisterschaft jetzt so viele Tausende von Menschen in ein Fußballstadion dürfen, warum aber zum Beispiel weiterhin keine Freiluftkonzerte erlaubt sind. Wie erklären Sie das den Menschen?
Holetschek: Wir haben ja gesagt, dieses Thema der EM ist für uns ein Testlauf. Es ist ein Pilot. Wir machen ja auch in Bayern andere Pilotversuche. Wir werden zum Beispiel Ende Juli, vorausgesetzt, dass die Inzidenzen auch so weiterlaufen, ein Konzert am Odeonsplatz haben, ein klassisches Konzert, wo wir genau auch versuchen, mit mehr Zuschauern, aber nicht mit so vielen, wie es im Normalbetrieb möglich wäre, Kultur zu erleben. Ich denke, es ist gut, wenn wir uns schrittweise da weiter vortasten und das genau beobachten, wie sich die Werte entwickeln. So sehen wir auch den richtigen Weg aus dieser Pandemie in die Normalität wieder.
Schmidt-Mattern: Herr Holetschek, ziehen Sie da den Sport der Kultur vor?
Holetschek: Nein. Ich glaube, das tun wir nicht. Wir haben jetzt mit der Fußball-Europameisterschaft ein großes Ereignis, das ja in ganz Europa ausgetragen wird. Das ist ein Thema, das viele Menschen begeistert. Aber Kultur ist für mich ganz wichtig. Das haben wir auch in der Pandemie gesehen. Kultur ist im wahrsten Sinne auch ein Lebensmittel für die Menschen und deswegen müssen wir da auch weitere Schritte gehen. Die ersten sind wir gegangen auch im Freistaat und das muss sich jetzt die nächsten Wochen weiterentwickeln.
"Klare Unterscheidung zwischen drinnen und draußen"
Schmidt-Mattern: Eine andere Tatsache, die viele Menschen, gelinde gesagt, erstaunt, ist, dass in Klassenzimmern weiterhin in vielen Bundesländern Maske getragen werden muss von Lehrerinnen und Schülern. Auch das ist schwer nachvollziehbar, angesichts der Bilder aus dem Fußballstadion gestern Abend.
Holetschek: Wir haben bei der Schule gestern zum Beispiel Gespräche gehabt auch mit Ärzten, mit Virologen über dieses Thema, die uns noch mal klar gesagt haben, auch im Hinblick auf die Frage dieser Delta-Variante, dass es drinnen etwas anderes ist als draußen. Deswegen haben wir auch gestern noch mal im bayerischen Kabinett gesagt, dass draußen die Maske im Pausenhof zum Beispiel nicht mehr sein muss, aber drinnen wollen wir das jetzt erst mal genau beobachten und auch nichts riskieren. Deswegen gehen wir auch da einen vorsichtigen Weg. Aber es ist eine klare Unterscheidung natürlich auch zwischen drinnen und draußen, wenn man die Mediziner und auch die Virologen befragt.
Schmidt-Mattern: Nun lässt sich europaweit geradezu ein Überbietungswettbewerb beobachten. Rom, Bukarest, Kopenhagen – überall gibt es Pläne, die Zahl der Fans im Stadion sogar um mehrere tausend Menschen zu erhöhen. Halten Sie das auch in München für denkbar?
Holetschek: Nein, das halte ich nicht für denkbar im Moment. Ich glaube, wir haben hier mit den 14.500 Zuschauern ein Level erreicht, der tatsächlich gut ist, um Hygienemaßnahmen, Abstand und all die Dinge einzuhalten. Dabei sollten wir jetzt erst mal bleiben. Ich halte nichts von diesem schneller, weiter, höher in dieser Pandemie. Wir müssen jetzt nach wie vor schauen, dass wir die Dinge gut im Griff haben, dass wir die Dinge auch beobachten. Man muss nicht immer Alarm verbreiten und Panik machen, aber man sollte auch die Augen nicht verschließen vor einer neuen Mutation, die 40 Prozent ansteckender ist, die in Großbritannien um sich greift. Ich denke, da muss man wirklich auch genau nach wie vor hinschauen, und das ist jetzt dieser Abwägungsprozess. Wieviel Normalität können wir jetzt in diesem Sommer weiter zulassen und was bedeutet das auch wieder für den Herbst, der irgendwann auch auf uns zukommt.
"Impffortschritt ein ganz entscheidendes Momemtum"
Schmidt-Mattern: Können Sie das konkretisieren? Was bedeutet das denn? Wieviel Normalität können wir weiter zulassen?
Holetschek: Ich denke, wir sind jetzt im Moment auf einem guten Weg, wenn man sich die Inzidenzwerte in Deutschland insgesamt ansieht, auch in Bayern, und der Impffortschritt ist ein ganz entscheidendes Momentum. Je schneller wir beim Impfen vorankommen – wir wissen ja, dass die vollständige Impfung gerade auch gegen die Delta-Variante hilft -, desto besser ist es. Und wenn man beide Komponenten sieht, dann, glaube ich, sind das genau die Parameter für die zukünftige Entwicklung und für die Frage, wieviel Normalität werden wir gemeinsam haben.
Schmidt-Mattern: Ich würde mich noch über eine etwas konkretere Antwort freuen. Sie haben ja eben schon die Delta-Variante in Großbritannien angesprochen, die gerade täglich mehr als 7000 neue Ansteckungen bei den Britinnen und Briten auslöst. Brauchen wir angesichts dessen in Deutschland jetzt strengere Einreisevorschriften?
Holetschek: Wir werden heute auf der Gesundheitsminister-Konferenz über dieses Thema insgesamt sprechen, wie viele Testmöglichkeiten gibt es. Wir haben da auch in den letzten Monaten sehr großen Aufwuchs gehabt, auch an der Chance der Testungen. Ich denke, das wird heute auf der Gesundheitsminister-Konferenz auch ein Thema sein, ob wir da noch mehr brauchen. Wir haben ja Risikogebiete, Inzidenzgebiete. Da gibt es auch Abschichtungen in den einzelnen Bereichen. Von daher glaube ich, dass das eigentlich ganz gut ausgesteuert ist und dass wir auch gemeinsam die Möglichkeit haben müssen der Testungen, um zu vermeiden, dass Neuinfektionen in die Höhe schießen.
Entwicklung der Delta-Variante in Bayern "sehr niedrig"
Schmidt-Mattern: Aus bayerischer Sicht sind strengere Einreisevorschriften, um Deutschland vor der Delta-Variante zu schützen, nicht nötig?
Holetschek: Wir werden uns das genau anschauen. Ich glaube, es ist tatsächlich auch ein Abwägungsprozess. Sollte die Delta-Variante weiter anwachsen – wir haben ja im Moment Gott sei Dank in Bayern, was mir das Landesamt für Gesundheit jeden Tag reingibt, noch eine Entwicklung, die sehr niedrig ist, aber man muss das natürlich genau im Blick haben und dann auch schnell nachentscheiden können, wenn sich eine Entwicklung abzeichnet, die für uns auch signifikant ist. Ich will nichts ausschließen, aber ich will jetzt erst mal natürlich diesen Verlauf sehen, und ich glaube, die Delta-Variante ist eine neue Herausforderung wieder für uns, die wir gemeinsam angehen müssen.
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