Tobias Armbrüster: Am Telefon ist Joachim Herrmann von der CSU, Innenminister in Bayern. Schönen guten Morgen, Herr Herrmann.
Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott.
Armbrüster: Herr Herrmann, wir haben es gehört: Die britische Regierung hat die höchste Terror-Warnstufe ausgerufen. Was heißt das für uns in Deutschland?
Herrmann: Wir wissen, dass wir seit Jahren schon und insbesondere jetzt in den letzten ein, zwei Jahren natürlich auch im Blickfeld islamistischer Terroristen stehen. Das können Terroristen sein, die aus dem Nahen Osten eingereist sind zum Zwecke von Anschlägen; das können, wie jetzt offenbar in Manchester, Leute sein, die im eigenen Land sich radikalisiert haben. Und dass wir auch eine solche Terrorgefahr haben in unserem Land, dass theoretisch so etwas jeden Tag auch bei uns passieren kann, das wissen wir.
"Wir können nicht jede Veranstaltung perfekt kontrollieren"
Armbrüster: Jetzt ist Großbritannien nur eine kurze, sehr kurze Flugreise entfernt, möglicherweise auch nur eine kurze Schifffahrt über den Kanal. Wenn da jetzt die Terror-Warnstufe angehoben wird, müssten dann wir in Deutschland nicht eigentlich auch automatisch stärker alarmiert sein?
Herrmann: Wir haben diese Terrorgefahr. Wir haben aktuell jetzt nach meiner Kenntnis keine unmittelbar bestehende Terrorerkenntnis, dass jetzt konkrete Planungen vorliegen würden. Wir haben in Deutschland ja insgesamt sehr gute Vorbereitungen auch auf mögliche Terroranschläge. Wir haben schon im vergangenen Jahr die Kontrollen intensiviert bei Großveranstaltungen. Wir haben vor einem Champions-League-Spiel im Fußball schärfere Personenkontrollen vor den Stadien. Wir haben beispielsweise in Bayern die Kontrollen beim Oktoberfest weiter verstärkt. Aber klar ist natürlich auch: Wir haben auch im vergangenen Jahr den Anschlag zum Beispiel in Ansbach bei einer vergleichsweise sehr kleinen Musikveranstaltung erleben müssen. Wir werden nie es erreichen können, dass wir jede Veranstaltung in Deutschland, und sei sie noch so klein, perfekt kontrollieren könnten. Das würde auch letztendlich unser Leben völlig verändern.
Armbrüster: Das heißt, wir müssen uns mit der Terrorgefahr abfinden?
Herrmann: Wir müssen uns nicht damit abfinden. Wir müssen Terrorgefahren intensiv bekämpfen. Wir müssen versuchen, rechtzeitig zu erkennen, wo Leute sich radikalisieren, so wie man das ja in London, In Großbritannien auch tut. Aber wir werden nicht letztendlich diese Gefahren allein durch noch mehr Militärpräsenz auf der Straße entsprechend bekämpfen können. Wir haben uns in Deutschland jetzt auch darauf eingerichtet, was es bisher nicht gab, dass wir es jedenfalls vorbereiten und üben, dass wir eventuell auch die Unterstützung der Bundeswehr entsprechend brauchen. Das ist aber bei uns nur der Fall, wenn wirklich eine unmittelbar bevorstehende Gefahr zu beobachten ist. In der Situation sind wir nicht, aber immerhin haben wir das jetzt in diesem Jahr im März erstmals auch geprobt, wenn ein solcher Anschlag unmittelbar bevorstehen würde oder gar begonnen hätte, dass wir dann auch in Deutschland auf die Unterstützung der Bundeswehr zurückgreifen können.
Kein Abstumpfen angesichts permanenter Terrorgefahr
Armbrüster: Herr Herrmann, es gibt inzwischen fast jeden Monat einen Terroranschlag mit Toten, irgendwo in Europa. Registrieren Sie da so eine Reaktion nach dem Motto, wir stumpfen langsam ab, wir gewöhnen uns daran?
Herrmann: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube weder, dass das die Behörden tun, noch, dass das in der Bevölkerung der Fall ist. Da findet kein Abstumpfen statt. Aber es ist auf der anderen Seite auch richtig, dass deswegen jetzt nicht ein ganzes Volk in Panik ausbricht, und so wie man auch in Großbritannien, denke ich, sehr vernünftig reagiert – es ist tragisch, es ist fürchterlich -, aber auf der anderen Seite ist es auch wichtig, auch nach dem Anschlag vor dem Parlament in London vor einigen Wochen und jetzt wieder der schreckliche Anschlag. Deswegen sind wir trotzdem davon überzeugt, dass unsere freiheitliche Demokratie die richtige Rechtsform ist und dass man darauf letztendlich auch besonnen reagieren muss. Klar ist aber auch: Wir werden unsere Anstrengungen weiter hochhalten, wo immer es geht noch weiter verstärken. Wir werden auch in Deutschland darüber reden müssen, wir werden unsere Sicherheitskräfte weiter verstärken. Wir brauchen nicht nur wegen des Terrors, sondern wegen auch der Kriminalität insgesamt, wir werden uns darauf verständigen müssen, dass wir noch mehr Polizei brauchen. Wir müssen über die rechtlichen Instrumente entsprechend nachdenken. Wir brauchen starke Nachrichtendienste beispielsweise.
Armbrüster: Diese Forderungen registriere ich alle. Aber könnte man nicht sagen, mit solchen Debatten, mit solchen Forderungen, möglicherweise auch mit diesen vielen Sondersendungen, die bei solchen Terroranschlägen laufen, da tun wir eigentlich alle den Terroristen nur einen Gefallen: Wir gehen auf sie ein.
"Unsere Sicherheitsmaßnahmen wirken"
Herrmann: Klar ist jedenfalls, dass wir unser Leben uns nicht von diesen Terroristen diktieren lassen und dass wir unser Leben weiterleben. Klar ist auch, wenn hier über 20 Menschen ums Leben kommen, dass da eine große Betroffenheit da ist und dass man darüber dann nicht einfach hinweggehen kann. Aber ich glaube, es ist doch jetzt nicht übertrieben, auch wenn heute zum Beispiel jetzt Trauerbeflaggung in Deutschland ist, dass wir unsere Solidarität mit dem britischen Volk damit auch bekunden, dass wir mitfühlen. Das gehört ja zu Europa auch mit dazu. Das scheint mir alles sehr vernünftig und angemessen zu sein. Wir lassen uns nicht verrückt machen von diesen Terroristen, aber wir handeln konsequent und gehen konsequent vor. Wir haben eine Reihe von Anschlägen in Deutschland auch schon verhindern können. Es werden auch ständig Terrorverdächtige festgenommen, aus dem Verkehr gezogen. Das heißt, unsere Sicherheitsmaßnahmen wirken ja auch da.
Armbrüster: Vielleicht können wir kurz über einen Aspekt dieser Sicherheitsmaßnahmen sprechen. Großbritannien ist ja bekannt als das Land der Sicherheitskameras. Da gibt es überall an jeder Straßenecke eine Art Videoüberwachung mit solchen Kameras. Das alles scheint ja, wenn wir uns da mal die vergangenen Monate in Großbritannien angucken, wenig zu nutzen. Das muss Innenpolitikern wie Ihnen doch zu denken geben?
Keine Videoüberwachung wie in Großbritannien
Herrmann: Eine solche Videoüberwachung sämtlicher Straßen, wie wir das in britischen Städten erleben, wollen wir in Deutschland jedenfalls nicht. Das habe ich immer wieder betont. Dass es sinnvoll ist, an bestimmten Stellen wie zum Beispiel großen Bahnhöfen, in U-Bahnhöfen, in S-Bahnhöfen die Videoüberwachung zu installieren, das ist richtig. Das ist wichtig auch zur Bekämpfung von allgemeiner Gewaltkriminalität. Einen zum Selbstmord entschlossenen Terroristen werden wir durch eine Videoüberwachung nicht einschüchtern können und in dem konkreten Fall, wenn es keinen vorherigen Hinweis darauf gab, dass dieser Mann einen Terroranschlag verüben könnte, dann nützt einem die Videoüberwachung ja nichts, weil mir das nichts sagt, wenn ich ihn über die Straße laufen sehe. Hier muss man natürlich die Grenzen sehen. Aber deswegen macht das Videoüberwachung nicht unsinnig. Wir haben die allgemeine Gewaltkriminalität zum Beispiel im Münchener U- und S-Bahn-Bereich, seitdem die Videoüberwachung dort ausgebaut worden ist, deutlich reduzieren können, das heißt weniger Schlägereien, weniger Raubüberfälle. Deswegen ist Videoüberwachung in bestimmten Bereichen trotzdem sinnvoll.
Armbrüster: Hat aber im Anti-Terror-Kampf keine besondere Bedeutung, können wir so festhalten?
Herrmann: Videoüberwachung nützt mir nur etwas, wenn ich jemand ganz konkret suche, nach jemand fahnde. In dem Moment, wo uns die Person von Amri bekannt war und dann klar war, nach dem wird gefahndet, der flüchtet jetzt quer durch Europa, da kann Videoüberwachung einen Sinn machen, wenn ich konkret nach einer Person suche. Aber insgesamt ist eine Videoüberwachung keine Garantie gegen einen Selbstmordattentäter.
Armbrüster: Jetzt hat Großbritannien in den vergangenen Monaten einige Anschläge und einige bedrohliche Situationen erlebt, auch im Zusammenhang mit militantem Islamismus. Immer wieder wird da beschworen, dass die europäischen Geheimdienste in solchen Angelegenheiten sehr eng zusammenarbeiten, um so etwas zu verhindern. Da stellen sich natürlich viele Menschen jetzt auch in diesem britischen Wahlkampf die Frage, wird der Brexit diese Zusammenarbeit der Geheimdienste künftig schwerer machen.
Herrmann: Leichter wird es dadurch sicherlich nicht. Wir sind mit Großbritannien auch weiterhin mit der NATO verbunden und wir werden natürlich unsererseits alles tun, gut zusammenzuarbeiten. Wir arbeiten ja auch mit den Amerikanern gut zusammen und es gibt viel Informationsaustausch beispielsweise auch mit israelischen Nachrichtendiensten. Das ist nicht nur an die EU gebunden. Trotzdem waren wir natürlich gerade in der EU dabei, sind dabei, innerhalb der EU die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden noch weiter zu verstärken. Wir haben Europol und insofern ist es sicherlich nicht unbedingt eine Stärkung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, wenn Großbritannien ausscheidet. Aber das ist deren Entscheidung. Wir werden jedenfalls von Europa aus alles dafür tun, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auch mit Großbritannien weiter auf einem hohen Niveau zu halten, wenn es geht vielleicht sogar weiter auszubauen.
Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Joachim Herrmann von der CSU, der Innenminister von Bayern. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Herrmann.
Herrmann: Ich danke Ihnen auch und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Armbrüster: Danke schön!
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