Katharina Hamberger: Herr Herrmann, schön, dass Sie Zeit für uns haben, für das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Wir sind hier in Ihrem Wahlkreisbüro in Erlangen. Bislang sind Sie ja von hieraus immer nach München gefahren, weil Sie Innenminister sind dort, bei der Staatsregierung. Wird Sie das schmerzen, wenn Sie ab Herbst vielleicht – sollte die Union wieder die Regierung stellen – dann nach Berlin fahren müssen?
Joachim Herrmann: Ich kandidiere jedenfalls als Spitzenkandidat meiner Partei für die Bundestagswahl mit dem Ziel, dass wir da bestmöglich abschneiden. Wir wollen, dass CDU und CSU die dominierende politische Kraft im Bundestag bleiben, dass wir weiter mit Angela Merkel die Bundeskanzlerin stellen und dass die CSU einen möglichst großen Anteil an der CDU/CSU-Fraktion insgesamt hat, um aus unserer Sicht auch die Politik gut beeinflussen zu können. Alles Weitere wird sich dann zeigen.
Hamberger: Das heißt, Sie fangen jetzt noch gar nicht an, Bayern zu vermissen?
Herrmann: Nein, das auf keinen Fall. Ich habe ja auch nicht vor auszuwandern, sondern ich werde auch hier in Bayern wohnen bleiben. Aber ich bin bereit, auch mehr Verantwortung in Berlin zu übernehmen.
Hamberger: Sollte das soweit sein, dann hat Ihnen Ihre Partei ja durchaus auch eine Aufgabe mitgegeben, die sich dann nennt "Obergrenze". Das ist jetzt auch in Ihrem Bayernplan drin, aber nicht mehr als Koalitionsbedingung genannt. Was hat die CSU dazu bewogen, das nicht mehr zur Koalitionsbedingung zu machen?
Herrmann: Entscheidend ist, dass die Flüchtlingszahlen massiv reduziert werden. Das haben wir bereits erreicht. Der Strom über den Balkan ist ziemlich zum Erliegen gekommen. Wir haben nach wie vor die großen Herausforderungen in Italien, wo die vielen Flüchtlinge aus Afrika herüberkommen. Aber das, was in Deutschland ankommt, ist nur noch ein Bruchteil von dem, was 2015 geschah. Es steht im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU, dass sich die Situation von 2015 nicht wiederholen soll und nicht wiederholen darf. Es steht auch gemeinsam von CDU und CSU klar die Ankündigung, dass die Zahlen reduziert werden und auf niedrigerem Niveau gehalten werden müssen. Und ich glaube, darauf können sich nun die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auch wirklich verlassen.
"Eine unbegrenzte Zuwanderung soll es nicht geben"
Hamberger: Das heißt, Sie wollen gar nicht mehr zwingend, dass eine Obergrenze eingeführt wird?
Herrmann: Doch. Es ist ja interessanterweise so, wenn man sich in Berlin umhört, auch wenn man mit Kollegen anderer Parteien spricht – auch der SPD, der Grünen, bei der FDP sowieso –, dann wird einem überall bestätigt: Also, eine unbegrenzte Zuwanderung soll es nicht geben. Die sprachliche Logik eigentlich bei doppelter Verneinung ist, dass man es auch positiv ausdrücken könnte. Und wenn man keine unbegrenzte Zuwanderung will, dann muss man logischerweise eine Begrenzung der Zuwanderung durchführen. Mit dieser einfachen Semantik haben offensichtlich immer noch einige Probleme in unserem Land. Aber es ist eigentlich völlig logisch: Wenn ich keine unbegrenzte mehr haben will, dann muss ich irgendeine Hausnummer nennen, dann muss ich mir selbst bewusst sein, was ist denn für unser Land verträglich. Wir werden darüber nach der Bundestagswahl in Koalitionsgesprächen – wer auch immer daran dann beteiligt ist – sicherlich verhandeln.
"Wir fordern hier überhaupt nichts, was EU-rechtswidrig oder gar verfassungswidrig wäre"
Hamberger: Das große Geheimnis der CSU ist ja nach wie vor noch, wie man so eine Begrenzung denn tatsächlich durchführen will. Will man Flüchtlinge an der Grenze abweisen, wenn eine Hausnummer – wie auch immer, wie hoch sie sein wird – überschritten ist? Oder will man darauf setzen, dass es vielleicht irgendwann mal EU-Quoten gibt?
Herrmann: Wir stehen uneingeschränkt zum eigentlichen Asylrecht – das ist überhaupt keine Frage. Aber die Personen, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Asylberechtigte anerkannt werden, das sind dann allemal etwa zwei Prozent. Die anderen werden nach Genfer Flüchtlingskonvention oder nach dem subsidiären EU-Schutz, wie das im Juristendeutsch heißt, anerkannt. Und da stellt sich schon die Frage: Ist das unbegrenzt? Wir haben ja klare Regelung im Grundgesetz, wo es heißt, dass jemand, der aus einem sicheren Nachbarland kommt, keinen Anspruch auf Aufnahme entsprechend hat.
Wir sind ausschließlich von sicheren Nachbarländern umgeben. Das heißt, das was die deutsche Verfassungsrechtslage ist, ist eindeutig: Wer aus diesen Nachbarländern zu uns kommt, hat keinen Anspruch, hier aufgenommen zu werden. Das heißt, es geht eigentlich dann darum, wen wir über diese gesetzlichen Verpflichtungen hinaus, bereit sind aufzunehmen. Zum Beispiel, wenn wir Italien Flüchtlinge abnehmen würden, wenn die überlastet sind und dergleichen.
Ich denke, wenn man das in Ruhe betrachtet, wird man feststellen: Wir fordern hier überhaupt nichts, was EU-rechtswidrig oder gar verfassungswidrig wäre.
"Zunächst müssen sich auf jeden Fall alle EU-Staaten an geltendes Recht halten"
Hamberger: Das heißt aber, Sie wären für eine Begrenzung, auch abhängig von dem, was andere Länder um Deutschland herum tun und wie die sich verhalten. Wären Sie denn dafür, dass man das auch noch strenger und strikter durchsetzt, dass alle Länder in der Europäischen Union wirklich Flüchtlinge aufnehmen und das auch über eine Quote verteilt?
Herrmann: Zunächst müssen sich auf jeden Fall alle EU-Staaten an geltendes Recht halten. Und der Europäische Gerichtshof hat in erfreulich deutlicher Weise jetzt noch einmal deutlich gemacht, dass das, was im Schengen Abkommen steht und das, was in den Dubliner Abkommen steht, dass das uneingeschränkt einzuhalten ist. Und das heißt eben, dass jeder Flüchtling zunächst in dem EU-Land, das er als Erstes betritt, sein Verfahren zu durchlaufen hat. Das ist auch ein klares Signal jetzt an Italien. Es ist die Aufgabe Italiens, als Erstankunftsland, die Asylverfahren durchzuführen. Und einfach durchwinken, wie das zum Teil zum Beispiel Slowenien vor zwei Jahren gemacht hat, das hat der EuGH klar gesagt, ist unzulässig. Das ist bei diesem Punkt wie bei anderen auch so. Was die CSU fordert, ist nicht irgendwie neues bayrisches Landrecht, sondern wir fordern überall nur, dass das geltende EU-Recht endlich strikt eingehalten wird von allen. Wenn sich alle daran halten, dann hätten wir schon wesentlich weniger Probleme.
"Es braucht die Kontrollen an der Grenze"
Hamberger: Aber ist die Dublin-Regelung nicht eigentlich überholt? Das hat ja 2015 gezeigt, dass einzelne Länder das überhaupt nicht bewerkstelligen können, wenn wirklich viele Menschen kommen.
Müsste man nicht wirklich sagen: Wir verteilen diese Flüchtlinge über Europa und dass nicht ein Land, wie jetzt Italien oder eben Griechenland so stark belastet werden, dass es – es sie wirklich auch finanziell belastet – an Grenzen bringt?
Herrmann: Es ist sicherlich auch Aufgabe der EU und aller EU-Mitgliedstaaten, solche Länder, wenn sie dann stark belastet sind, auch entsprechend zu unterstützen. Was aber auch schon allein aus Sicherheitsgründen – wir haben die vielen Terroranschläge erlebt, die auch von Leuten, die in der Flüchtlingswelle zu uns kamen, verübt worden sind –, es ist schon aus Sicherheitsgründen völlig unvertretbar, dass nur deswegen, weil die unmittelbaren Grenzbehörden überfordert sind, die Menschen einfach durchgewunken werden. Das kann es nicht sein. Und deswegen sage ich klipp und klar: Es braucht die Kontrollen an der Grenze! Und wir müssen sehen, dass unsere Aufnahmefähigkeit nicht überfordert wird. Wir müssen aber vor allen Dingen auch sehen, dass unsere Sicherheitsbedürfnisse nicht verletzt werden.
Hamberger: Nichtsdestotrotz würde ich gerne noch einmal auf diese EU-Quote zurückkommen, weil Sie zwar sagen, an den EU-Außengrenzen sind die Länder dafür verantwortlich, die dort sind und müssen die Asylanträge bearbeiten. Ich würde von Ihnen trotzdem noch gerne wissen, wenn Deutschland zumindest eine gewisse Zahl an Flüchtlingen aufnehmen will, ob dann auch andere Länder aufnehmen müssen, vor allem diejenigen, die jetzt gar nichts tun, unter anderem Ungarn?
Herrmann: Ich bin absolut der Meinung, dass das, was wir dann in der EU gemeinsam verabreden, was aufgenommen werden kann, dass das von allen gerecht mitgetragen werden muss. Aber insgesamt ist es auch ganz wichtig, dass wir uns mehr um die Situation der Herkunftsländer von Flüchtlingen kümmern. Wir sehen jetzt, dass vor allen Dingen viele aus Afrika kommen. Und ich denke, da ist es wichtig, dass wir viel stärker – alle EU-Mitgliedsstaaten – uns um die Situation in Afrika kümmern. Wir müssen die Entwicklungshilfe dort wesentlich verstärken. Wir müssen vor allen Dingen der jungen Generation in diesen Ländern Zukunftsperspektive geben in ihrer Heimat. Wir können die Probleme Afrikas nicht dadurch lösen, dass wir einen nennenswerten Anteil der afrikanischen Bevölkerung in Europa aufnehmen. Das wird nicht funktionieren.
Hamberger: Es ist ja auch immer wieder, wenn wir eben über die vor allem jetzt die Mittelmeerflüchtlinge sprechen, im Gespräch, gewisse Ausreisezentren, die man eventuell in Libyen machen könnte. Ist das für Sie eine Idee, die Sie für sinnvoll halten?
Herrmann: Zunächst ist es in der Tat wichtig, dass wir alles dafür tun, dass niemand im Mittelmeer ertrinkt. Aber schon wenn wir die Menschen gerettet haben, muss es in Zukunft kein Automatismus mehr sein, dass jeder, der aus dem Mittelmeer gefischt wird, automatisch nach Sizilien oder Süditalien gebracht wird.
Wir müssen dazu kommen, natürlich alle vor dem Ertrinken zu retten, aber sie eher wieder an die afrikanische Küste zurückzubringen. Da laufen ja im Moment ja von Italien Verhandlungen mit Libyen, dass die italienischen Marineschiffe oder die Küstenwache Libyen entsprechend unterstützt und entsprechend Menschen, die da in See stechen, unmittelbar wieder ans afrikanische Festland zurückbringen. Ich glaube, das sind wichtige Ansätze.
Und wenn wir hier weiterkommen, dann ist es richtig, dass natürlich auch entsprechende Camps, zum Beispiel in Libyen oder in anderen nordafrikanischen Ländern errichtet werden. Und dann müssen wir die entsprechend sicherlich auch mitunterstützen. Dann geht es darum, dass es dort genügend zu essen und zu trinken gibt, dass es dort Schulbildung für die Kinder gibt. Und damit eben auch eine Perspektive auf afrikanischem Festland geschaffen wird.
Hamberger: Sprechen wir denn über solche Abkommen, wie mit der Türkei es ja jetzt schon gibt? Also, eine gewisse Zahl von Flüchtlingen wird dort untergebracht, im Gegenzug gibt die EU Geld.
Herrmann: Ich glaube, das ist richtig. Es ist ja auch generell vernünftig, dass jemand, der zum Beispiel vor einem Bürgerkrieg flieht, in der Nähe seiner Heimat Zuflucht findet. Das gilt für Syrer, die sinnvollerweise zum Beispiel im türkischen Nachbarland zunächst einmal in Camps untergebracht werden, und das gilt in vielen afrikanischen Ländern auch. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht unbedingt naheliegend, dass jemand, der vor dem Bürgerkrieg im Irak flieht, nach Deutschland kommt.
"Das Abkommen mit der Türkei ist auf jeden Fall richtig"
Hamberger: Kann man denn – um jetzt auch noch einmal auf Libyen speziell zu kommen – mit so einem Land sein Abkommen überhaupt machen? Die Türkei ist auch schwierig, was die Menschenrechte betrifft. Libyen hingegen – hat das Auswärtige Amt Anfang des Jahres gesagt –, dort herrschen ganz schlimme Zustände, was die Menschenrechte betrifft. In den Privatgefängnissen, die es dort gibt, wo Flüchtlinge von Schleppern untergebracht werden, herrschen – Zitat – "KZ-ähnliche Zustände". Also, das klingt ja wirklich sehr, sehr schwierig. Kann man mit so einem Land wirklich so ein Abkommen machen?
Herrmann: Ich glaube, das muss man vom Einzelfall her anschauen. Das Abkommen mit der Türkei ist auf jeden Fall richtig. Es ist richtig, dass die EU auch sich an den Kosten der Unterbringung beteiligt. Es kann einem Land wie der Türkei nicht zugemutet werden, dass es hier auch in der Größenordnung – ja – schon im Millionenbereich Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt und man sagt, das sollen die alles selber bezahlen. Hier muss die EU zweifellos helfen. Und das ist auf der afrikanischen Seite natürlich dann ähnlich. Die Situation in Libyen ist zweifellos schwierig.
Wir haben aber auch noch andere nordafrikanische Länder – Maghreb, ob das jetzt geht von Ägypten über Tunesien und Algerien, Marokko –, überall haben wir diese Situation. Und die Flüchtlinge stammen ja nicht überwiegend aus diesen Ländern, sondern zum Teil aus südlicheren Ländern Afrikas. Insofern müssen wir überall überlegen, wo wir entsprechende Aufnahmecamps schaffen können, wo solche Flüchtlinge erstmal untergebracht werden.
"Die aktuellen Zahlen sind zum Teil irreführend"
Hamberger: Ich würde gerne von den außenpolitischen Themen gerne ins Inland gehen und das auch zum Thema "Flüchtlinge" in letzter Zeit viel diskutiert wurde, das Thema "Abschiebung". Es gibt nach wie vor eine große Zahl an ausreisepflichtigen Menschen hier in Deutschland, auch in Bayern. Woran liegt das? Warum ist es so schwierig, Menschen tatsächlich dort zurückzubringen, wenn sie ausreisepflichtig sind?
Herrmann: Wir haben in den letzten Jahren konsequent eine Vielzahl von Personen, die ausreisepflichtig sind, auch außer Landes gebracht. Viele abgeschoben, noch vielmehr sind freiwillig ausgereist, weil sie wussten, wenn sie nicht freiwillig gehen, dann werden sie eben notfalls auch zwangsweise abgeschoben.
Wenn man die aktuellen Zahlen anschaut, muss man sehen, dass diese zum Teil irreführend sind. Frank-Jürgen Weise hat in den letzten Tagen ja ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Ausländerzentralregister der Bundesregierung hier Fehler aufweist und da eine ganze Reihe als ausreisepflichtig enthalten sind, die gar nicht ausreisepflichtig sind, weil sie längst EU-Bürger sind und hierbleiben dürfen und dergleichen. Solche Dinge müssen geklärt werden. Dazu kommt, dass viele Statistiken Leute als ausreisepflichtig ausweisen in dem Moment, wo das Bundesamt seinen Ablehnungsbescheid erlassen hat. Dann gehen aber ein Großteil dieser Flüchtlinge in das verwaltungsgerichtliche Verfahren – und solange das verwaltungsgerichtliche Verfahren läuft, können sie dann nicht abgeschoben werden. Das sind Dinge, die da auch zu manchen Missverständnissen führen.
Dazu kommt leider, zum Beispiel manche afrikanischen Länder, die nicht kooperativ sind bei der Beschaffung von Ausweispapieren und die zum Teil bestreiten, dass der Betreffende überhaupt aus ihrem Land stammt, die nicht bereit sind, einen Reisepass auszustellen. Und dann ist es extrem schwierig, so jemanden überhaupt außer Landes zu bringen.
Hamberger: Wäre es da aus Ihrer Sicht nicht klüger, dass der Bund noch eine größere Rolle bei der Koordinierung der Abschiebung übernimmt?
Herrmann: Für die Beschaffung von Papieren hat der Bund ja eine eigene Dienststelle bei der Bundespolizei in Potsdam eingerichtet, die dafür da ist, diese Papiere zu beschaffen. Weil es in der Tat keinen Sinn macht, mit irgendeinem Land in Afrika, dass jedes der 16 deutschen Bundesländer eigens hier Kontakte hat, sondern das muss der Bund machen. Und dafür hat er auch den Auftrag.
Ich hätte auch keine Probleme damit, wenn der Bund sich noch stärker in diesem Bereich engagieren würde. Aber wir wollen jetzt auch kein Schwarzer-Peter-Spiel betreiben. Wichtig ist, dass hier alle zuständigen Behörden gut zusammenarbeiten und alles dafür tun, dass Menschen, die kein Recht haben, hier zu bleiben, auch tatsächlich unser Land verlassen.
Hamberger: Sie haben gerade auch die Zahl der freiwilligen Ausreisen genannt, dass es dort auch eine große Zahl gibt. Ist es nicht etwas, was man eigentlich mehr befördern müsste, das kostet ja auch die Länder weniger Geld, eine freiwillige Ausreise.
Herrmann: Ich halte das für absolut richtig und wichtig. Ich könnte mir schon vorstellen, dass wir die freiwillige Ausreise noch stärker auch finanziell fördern. Denn da geht es um Summen bislang, die mit jedem Monat, wo jemand früher ausreist, sehr schnell eigentlich schon wieder aus der Sicht des Steuerzahlers eingespart sind. Es ist absolut sinnvoll, hier noch höhere Prämien für die freiwillige Wiederausreise zur Verfügung zu stellen.
"Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht"
Hamberger: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, mit dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann, auch CSU-Spitzenkandidat.
Herr Herrmann, Sie werden in Ihrer Partei auch "Mr. Sicherheit" genannt. Wie viel Sicherheit können Sie denn tatsächlich garantieren?
Herrmann: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Das sage ich bei jeder Gelegenheit. Das habe ich von Anbeginn meiner nun schon bald zehnjährigen Amtszeit als Innenminister gesagt und das habe ich auch in Zeiten des internationalen Terrors immer wieder wiederholt. Es gibt niemanden, der seriös hundertprozentige Sicherheit versprechen kann. Aber wenn die Kriminalstatistik des Bundes seit etlichen Jahren anschaut, stellt man fest, dass Bayern kontinuierlich das Land mit der niedrigsten Kriminalität ist. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, bei uns gibt es nicht null Kriminalität. Aber die Kriminalität in anderen Bundesländern ist zum Teil doppelt so hoch, dreifach so hoch, vierfach so hoch wie in Bayern. Und das ist meines Erachtens in der Tat nicht okay. Da bin ich der festen Überzeugung, mit einem klaren Kurs ist mehr Sicherheit in allen Teilen Deutschlands erreichbar.
Hamberger: Sie sagen ja auch selber: "Wer maximal CSU unterstützt, bekommt maximal Bayern in Berlin". Was heißt denn das dann in Bezug auf die Sicherheit, wenn Sie sagen, mehr Sicherheit ist in allen Ländern Deutschlands erreichbar?
Herrmann: Das gilt für alle Themenfelder. Wenn Sie die aktuellen Zahlen beispielsweise zum Wohnungseinbruchsdiebstahl betrachten im vergangenen Jahr, dann war die Zahl der Wohnungseinbrüche beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, bezogen auf die Bevölkerungszahlen, etwa viermal so hoch bis fünfmal so hoch wie in Bayern. Das sind Themen, mit denen auch die Wählerinnen und Wähler sich in Nordrhein-Westfalen beschäftigt haben. Und das war mit einer der Gründe, weshalb Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen abgewählt worden ist. Es gibt keinen logischen Grund dafür, außer dem, wie man konsequent mit dem Rechtsstaat umgeht, wie man die Polizei ausstattet, wie man zu dem Thema der Inneren Sicherheit steht, dass die Kriminalität beispielsweise in Nordrhein-Westfalen als Flächenland wesentlich höher ist als in Bayern.
Auch wenn ich Millionenstädte miteinander vergleiche, stelle ich fest, dass die Kriminalitätsrate, zum Beispiel auch in einer Stadt wie Hamburg, fast doppelt so hoch ist wie in München. Auch dafür gibt es jetzt keinen naturwissenschaftlichen Grund, sondern das hat damit zu tun, wie viel Polizei habe ich, wie statte ich sie aus, wie statte ich sie entsprechend gesetzmäßig aus in rechtlichen Befugnissen und wie stark steht die Politik konsequent hinter ihrer Polizei.
Hamberger: Aber da kann ja der Bund eigentlich wenig machen, sondern das ist ja wirklich Ländersache?
Herrmann: Der Bund muss seinen Beitrag natürlich auch leisten. Es ist sehr gut, dass in diesem Jahr jetzt auch die personelle Verstärkung der Bundessicherheitsbehörden deutlich vorangekommen ist. Und entsprechend muss der Bund ja auch konsequent weiter vorgehen, im engem Zusammenwirken mit den Ländern.
"Natürlich müssen wir in der Extremismusprävention auch noch stärker werden"
Hamberger: Was Sie jetzt auch schon betrifft, aber als möglicher Bundesinnenminister auch betreffen könnte, ist das Thema "Extremismusprävention". Wir haben ja viele islamistische Extremisten, wir haben Rechtsextremisten in Deutschland, wir haben Linksextremisten, wir haben auch – was Sie in Bayern auch kennen – Reichsbürger, wo es auch sehr viele Radikale gibt.
Könnten Sie sich vorstellen, dass wenn Sie Bundes Innenminister wären, dass hier die Extremismusprävention auch noch einmal aufgestockt werden muss und dass es Änderungen geben muss, um den Extremismus effektiver zu bekämpfen?
Herrmann: Was ich nach der Bundestagswahl mache, welchen Auftrag ich bekomme, welches Mandat, das haben zunächst die Wähler zu entscheiden und dann sicherlich auch eben gegebenenfalls die Koalitionsspitzen. Es ist nicht mein Thema.
Aber ganz generell sage ich: Ja natürlich müssen wir in der Extremismusprävention auch noch stärker werden. Ich glaube, wir haben da gemeinsam – Bund und Länder – schon viel bewegt. Wir haben unsere eigenen Programme in Bayern, der Bund macht da auch Einiges, aber wir müssen frühzeitig ansetzen. Das gilt für den Salafismus genauso wie für Neonazis, das gilt auch für Linksextremisten. Wir müssen Jugendliche schon frühzeitig erreichen, wenn wir erkennen, dass sie da irgendwelchen wilden Ideologien anhängen, die dann letztendlich gefährlich werden für andere Mitbürger. Das sind Themen, wo wir dranbleiben müssen, bis hin zu Programmen, dass Leute, von denen wir wissen, dass sie im extremistischen Bereich unterwegs sind, aus einer solchen Szene wieder herausgeholt werden. Und dann gibt es Leute, die sich rasend schnell entsprechend fanatisieren.
Hamberger: Haben wir in Hamburg gerade erlebt.
Herrmann: Auch so etwas müssen wir natürlich bestmöglich beobachten. Wir müssen hier noch sensibler werden, wenn es da die ersten Hinweise gibt. Wie wir es an dem – Sie sagen es – Hamburger Fall sehen, kann das auch sehr, sehr schnell gehen. Und deshalb müssen solche Meldungen auch sehr schnell erfolgen und dann muss ihnen auch sehr schnell nachgegangen werden.
Herrmann zum Abgas-Skandal: "Wir werden noch viel mehr Maßnahmen brauchen"
Hamberger: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, mit Joachim Herrmann, der auch bayrischer Verkehrsminister ist. Und wir hatten in dieser Woche ja in Berlin den Dieselgipfel mit Ergebnissen, die weitläufig als etwas mau beschrieben worden sind. Sind Sie denn zufrieden mit dem, was rausgekommen ist?
Herrmann: Ich glaube, es ist wichtig, dass jetzt auf jeden Fall die Software bei solchen Autos Euro 5 und Euro 6 noch nachgerüstet wird. Da kann man offensichtlich sehr schnell eine deutliche Verbesserung der Stickoxidwerte erreichen. Wir setzen darauf, dass insgesamt die Fahrzeuge, die im nächsten Jahr vom Band laufen, dann serienmäßig auch wesentlich weniger Stickoxid-Ausstoß haben als bisher. Da muss die Automobilindustrie kräftig dran arbeiten.
Also, das ist alles richtig und wichtig. Aber klar ist auf der anderen Seite auch: Wir werden noch viel mehr Maßnahmen brauchen. Wir brauchen einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Wir wollen den Radverkehr in unseren Städten steigern. Wir müssen also sehen, dass mehr Menschen insgesamt ohne Auto unterwegs sind, wenn wir die Einhaltung der NOX-Emissionswerte erreichen wollen.
"Wenn es irgend geht, möchten wir möglichst generelle Fahrverbote vermeiden"
Hamberger: Haben Sie denn das Gefühl, dass das, was die Autoindustrie der Politik jetzt geboten hat reicht, um Fahrverbote zu verhindern?
Herrmann: Wir müssen konsequent natürlich beobachten, welche Wirkung das tut. Natürlich werden da auch die Zahlen wichtig sein, wie schnell die Menschen überhaupt ihr Auto dann zur Werkstatt bringen. Wir haben im Moment keine Rechtsgrundlage, die dazu zwingen, ihre Software neu einstellen zu lassen. Das muss jetzt alles überprüft werden, wie schnell das tatsächlich in Gang kommt, wie schnell dass die Automobilfirmen erledigen und wie schnell die Bürger davon Gebrauch machen.
Insofern wäre das rein spekulativ, wenn ich jetzt sagen würde, ob das jetzt reicht oder nicht. Denn das hängt davon ab, wer davon eigentlich Gebrauch macht. Aber wir müssen eben auch die anderen Themen voranbringen. Und ich sage jetzt einfach auch noch einmal, weil ich selbst begeisterter Fahrradfahrer bin: Ja, wenn wir – was nach Einschätzung aller Experten ohne Weiteres möglich wäre –, wenn wir nur zehn Prozent innerstädtischen Verkehrs vom Auto auf das Fahrrad verlegen würden und sich die Menschen eher abgewöhnen ... es geht nicht darum, dass ich sie dazu zwingen will, sondern dass wir dafür werben, dass es klüger ist, wenn der Bäcker nur 300 Meter entfernt ist, dazu nicht das Auto zu benutzen, sondern zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren, dann könnten wir ohne gigantischen technischen Aufwand auf sehr einfache Weise schon mal eine ganze Reihe von Prozent des jetzigen Schadstoffausstoßes reduzieren und hätten weniger Verkehrsprobleme in vielen unserer Innenstädte.
Ich will damit nur deutlich machen, wir brauchen ein großes Bündel von Maßnahmen, mit denen wir da jetzt vorangehen wollen. Wir meinen das ernst: Es geht bei der Luftreinhaltung um die Gesundheit der Menschen. Aber wir müssen auf der anderen Seite bei so drakonischen Maßnahmen wie den Fahrverboten auch sehen: Durch das Fahrverbot werden nicht in erster Linie die Automobilfirmen bestraft, das mag für die dann auch eine negative Auswirkung auf den Absatz haben. Aber in erster Linie bestrafen wir die Autofahrer, die sich völlig legal ein Auto gekauft haben, von dem sie davon ausgegangen sind, dass es alle aktuellen Bestimmungen erfüllt. Und so jemandem, der erst vor drei Jahren vielleicht sich dieses Auto gekauft hat, sagen wir jetzt plötzlich: 'Und mit diesem eigentlich völlig legalen Auto' – ich rede jetzt nicht von den Schummeleien bei Softwares, sondern von den Autos, die wirklich den Vorschriften entsprechen – und von dem sagen wir 'trotzdem darfst du jetzt nicht mehr in die Stadt fahren'. Das empfinden viele Mitbürgerinnen und Mitbürger auch als sehr, sehr ungerecht. Und darum muss man das sich sehr genau überlegen. Und deshalb haben wir zunächst einmal gesagt: Wenn es irgend geht, möchten wir möglichst generelle Fahrverbote vermeiden.
"Das Thema Weiterentwicklung der Elektromobilität ist zweifellos wichtig"
Hamberger: Aber genau in Bezug auf den Autofahrer, auf den Bürger, auf den auch Kunden, hätte die Politik in dieser Woche die Autoindustrie nicht noch stärker verhaften müssen und sagen müssen: 'Ihr müsst noch mehr Geld aufbringen, ihr müsst auch technisch umrüsten, nicht nur eben ein Software-Update machen, ihr müsst auch euch bereit erklären, noch mehr in Elektromobilität oder Ähnliches zu investieren'?
Herrmann: Das Thema Weiterentwicklung der Elektromobilität ist zweifellos wichtig. Ich glaube, dass da die meisten Hersteller ja schon gut unterwegs sind. Hier müssen wir überlegen, dass mit geeigneten Maßnahmen vielleicht Elektroautos einfach vom Preis her noch günstiger werden müssen. Für mich stellt sich die Frage: Wie sieht dann so ein Fond aus, der ja da geschaffen werden soll, um solche Dinge auch voranzubringen? Es ist klar, die Automobilindustrie muss da ihre Beiträge leisten, der Staat muss aber selbst auch konsequent handeln. Da gehört zum Beispiel dann auch die Entwicklung der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge dazu. Das Eine ist, wie teuer ein Elektroauto ist, das Andere ist, wie sicher ich sein kann, wenn ich mit dem unterwegs bin, dass ich auch die entsprechende Stromtankstelle finde.
"Wir wollen, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt"
Hamberger: Ich würde noch zum Schluss gerne mal auf die Partei zu sprechen kommen, Herr Herrmann, weil Sie ja eben als CSU-Spitzenkandidat in den Wahlkampf gehen. Ich habe gesehen, draußen vor Ihrem Wahlkreisbüro hängt Frau Merkel plakatiert – es war ja lange die Frage: Wird Frau Merkel von der CSU überhaupt in Bayern plakatiert werden? Sind die Wogen wieder geglättet oder ist das jetzt einfach nur Wahlkampffriede zwischen CDU und CSU?
Herrmann: Wir sagen klipp und klar – das hat Horst Seehofer mehrfach betont, daran habe ich persönlich auch nie einen Zweifel gelassen: 'Ja, wir wollen, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt!' Und ich begegne eigentlich nur sehr, sehr wenigen Menschen, die ernsthaft der Meinung sind, dass Martin Schulz der bessere wäre. Das ist eine klare Aussage, dafür treten wir an – CDU und CSU –, dass wir beispielsweise bei der Flüchtlingspolitik unsere akzentuierte eigene Position haben. Das ist auch bekannt, aber das darf alles andere nicht überdecken. Und auch in Fragen gerade der Inneren Sicherheit, der Bekämpfung von Kriminalität, da ziehen CDU/CSU absolut gemeinsam an einem Strang.
Hamberger: Herr Herrmann, ich danke Ihnen für das Interview.
Herrmann: Ich danke Ihnen auch. Alles Gute.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.