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Bayerns Islamismus-Prävention
"Junge Muslime vor dem Abdriften bewahren"

Bayern geht voran bei der Islamismus-Prävention: Vier der Landesministerien haben ein gemeinsames Konzept erarbeitet, mit dem den Salafisten und anderen radikal-muslimischen Gruppen der Nachwuchs abgegraben werden soll. Innenminister Joachim Herrmann erklärt das Vorhaben im DLF-Interview.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Hermann kratzt sich am Hinterkopf. Im Hintergrund sieht man Teile einer Fensterfront und eine holzgetäfelten Wand.
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) (picture alliance/dpa/Andreas Gebert)
    Der Staat dürfe nicht erst reagieren, wenn aufgewiegelte junge Muslime gewalttätig geworden seien, sagte Herrmann im DLF. Es müsse rechtzeitig der Zugang zu ihnen in den Schulen, in der Jugendarbeit und in den Gefängnissen gefunden werden. Man wolle diesen Menschen aufzeigen, dass es gut für sie sei, mit den Werten einer freiheitlichen Gesellschaft zu leben.
    Der Minister argumentierte, eine wirksame Prävention spare dem Staat auch viel Geld. Denn eine dauerhafte Beobachtung von potenziellen islamistischen Gewalttätern sei wegen des hohen Personalaufwandes sehr teuer.
    "Von Erfahrungen mit rechtsextremen Aussteigern profitiert"
    Herrmann erläuterte, die bayerische Landesregierung habe mehr als ein Jahr an dem Konzept gearbeitet. Einbezogen gewesen seien das Innen- das Justiz- das Sozial- und das Kultusministerium. Dabei habe man auch von den Erfahrungen profitiiert, die man bei Ausstiegs-Strategien für Rechtsextreme gemacht habe.
    Ungeachtet des bayerischen Konzepts hält Herrmann eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern in diesem Bereich weiterhin für nötig. Die Kenntnisse über die Arbeitsweisen der Salafisten etwa im Internet müssten ständig aktualisiert und ausgetauscht werden.

    Das Interview in kompletter Länge:
    Jasper Barenberg: Auch diese Einsicht haben die Terroranschläge von Paris ins öffentliche Bewusstsein gerückt: Der Kampf gegen die Ideologie des gewalttätigen Islamismus ist nicht nur eine Aufgabe für Polizei und Sicherheitsbehörden. Genauso wichtig, möglicherweise sogar wichtiger auf lange Sicht ist es zu verhindern, dass noch mehr junge Menschen in die Szene der Dschihadisten überhaupt abrutschen, abgleiten.
    Über 700 Jugendliche und junge Erwachsene haben sich bisher auf den Weg nach Syrien oder in den Irak gemacht, um dort an der Seite des IS oder anderer Terrorgruppen zu kämpfen. Über 70 von ihnen stammen aus Bayern. Dort will jetzt der Innenminister Kräfte bündeln, um junge Menschen nach Möglichkeit vor einer solchen Radikalisierung zu bewahren.
    Am Telefon ist der Innenminister von Bayern. Guten Morgen, Joachim Herrmann.
    Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott.
    Barenberg: Von der CSU sind wir ja Forderungen nach schärferen Sicherheitsgesetzen gewohnt, nach härteren Regeln, nach strafrechtlichen Sanktionen, nach Passentzug und nach Vereinsverbot. Haben Sie jetzt die Prävention für sich entdeckt?
    Herrmann: Prävention gehört selbstverständlich auch zu unseren Maßnahmen insgesamt im Rahmen großer Sicherheitspakete. Thema Prävention, Ausstiegsstrategien, das beschäftigt uns beispielsweise auch mit dem Rechtsextremismus.
    Und natürlich müssen wir beim Salafismus jetzt auch entsprechend präventiv unterwegs sein, denn es ist natürlich auch letztendlich für die Sicherheitsbehörden wesentlich besser, wenn wir junge Menschen insbesondere davor bewahren, überhaupt in die Fänge von islamistischen Ideologen zu geraten, als wenn wir erst dann reagieren, wenn sie auffällig werden und gewalttätig sind.
    "Wir müssen unsere demokratische Gesellschaft stabil halten"
    Barenberg: Kann man insofern auch sagen, Prävention ist nicht nur wirkungsvoller, sondern auch sehr viel billiger als die Überwachung?
    Herrmann: Wenn es voll wirksam ist, dann wahrscheinlich schon. Denn der Aufwand, jemanden, den wir für gefährlich halten, für hoch gefährlich halten, dass er Gewalttaten verüben könnte, den zum Beispiel durch den Verfassungsschutz rund um die Uhr überwachen zu lassen, kostet pro Mann mindestens 10 bis 15 Kräfte der Sicherheitsbehörden, und insofern ist es natürlich so: Wenn ich effektiv in der Prävention bin, dann ist das insofern auch günstiger für den Staat.
    Das Entscheidende ist aber insgesamt: Wir müssen unsere demokratische Gesellschaft stabil halten und wir müssen einer jungen Generation insbesondere zeigen, dass es gut ist, mit unseren Werten der Freiheit in unserer Demokratie zu leben, und warum letztendlich diese Botschaften eines radikalen Islam einfach falsch sind.
    Barenberg: Der BKA-Chef Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamtes, der hat schon länger einen nationalen Plan für Prävention gefordert: Jugendarbeit, Beratung, Imame in den Gefängnissen, all das, was ja auch in Ihrem Paket, wenn ich es so nennen darf, mit enthalten ist. Und genau das hat man in Bremen beispielsweise ja auch schon begonnen und im Sommer den versammelten Innenministern da einen Vorschlag unterbreitet. Da hieß es dann, dass es kaum Befürworter gegeben hat. Waren Sie da auch zurückhaltend noch im Sommer in den Verhandlungen mit den anderen Innenministern?
    Herrmann: Nein. Wir arbeiten ja schon lange an diesem Projekt. Das ist ja nicht jetzt über Nacht entstanden, sondern da wurde jetzt schon über ein Jahr drauf hingearbeitet. Es ist ein gemeinsames Projekt in Bayern vom Innenministerium, vom Justizministerium, vom Sozialministerium und vom Kultusministerium. Und was Sie gerade als Stichworte genannt haben, das ist natürlich ganz, ganz wichtig. Wir müssen überall versuchen, den Zugang zu den Menschen, die betroffen sein könnten, zu finden.
    Das ist ein Thema für unsere Schulen, das ist ein Thema für die Jugendarbeit. Das ist, wie der Justizminister vorhin erläutert hat, natürlich auch für Muslime, die aus welchen Gründen auch immer im Gefängnis einsitzen, ein wichtiges Thema, denn wir mussten beobachten, nicht nur in Bayern, sondern in vielen Bundesländern, dass gerade dann auch versucht wird, innerhalb von Gefängnissen zu ideologisieren, dass dort ein Muslim versucht, den anderen zu noch radikaleren Überzeugungen entsprechend zu gewinnen.
    Deshalb müssen wir überall an diesen Punkten ansetzen und ich freue mich, wenn das in anderen Bundesländern auch angegangen wird. Es ist nicht so, dass wir ein Patent in Bayern dafür beanspruchen, sondern da gibt es schon eine ganze Reihe von Ansätzen. Und wie gesagt: Wir haben ja da auch schon ein Stück weit Erfahrung, auch wenn Salafisten etwas völlig anderes sind als beispielsweise Neonazis.
    Aber die Struktur im Prinzip, Präventionsangebote zu machen, Exit-Strategien, damit jemand, der schon radikal geworden ist, einen Weg findet, auch wieder auszusteigen, wenn er merkt, was das für ein Unfug ist, da haben wir Erfahrungen und die müssen wir jetzt entsprechend auch für den Salafismus umsetzen.
    "Informationsaustausch zwischen den Bundesländern ist ganz wichtig"
    Barenberg: Das heißt, wenn im Rahmen der Innenministerkonferenz jetzt demnächst wieder über nationale Anstrengungen und Zusammenarbeit diskutiert wird, dann wären Sie offen, beispielsweise auch mit Bremen und anderen Bundesländern zusammenzuarbeiten?
    Herrmann: Selbstverständlich! Bei uns wird dieses Thema vom Landeskriminalamt ganz wesentlich, was die polizeiliche Seite anbetrifft, koordiniert und das werden wir natürlich auch ständig in engem Kontakt mit den anderen Bundesländern und auch mit dem Bund weiter betreiben, weil wir natürlich auch die Kenntnisse aus der Szene ständig verwerten müssen: Was ist da los, wie arbeiten die Salafisten gerade wieder, wie setzen die an, wo setzt ihre Propaganda an, was ist im Internet los. Da ist der Gedankenaustausch, der Meinungsaustausch, Informationsaustausch zwischen allen Bundesländern und dem Bund ganz wichtig.
    Barenberg: Sie haben ja auch schon darüber gesprochen, wie wichtig es ist, die Wirksamkeit solcher Maßnahmen zu gewährleisten. Nun habe ich in dem Beitrag unseres Landeskorrespondenten gelernt, dass Sie in Augsburg gerade einmal zwei neue Beraterstellen finanzieren wollen. Was lässt sich damit ausrichten?
    Herrmann: Wir müssen hier überall entsprechend vorankommen. Wir haben jetzt im Rahmen unseres Anti-Terror-Paketes in der Staatsregierung vor einer Woche beschlossen, dass wir insgesamt für die Präventionsarbeit bei der Kriminalpolizei und dem Verfassungsschutz 30 neue Stellen zur Verfügung stellen. Entsprechend wird im Bereich des Sozialen und der Jugendarbeit, entsprechend wird im Bereich auch des Kultusministeriums neue Schwerpunkte gesetzt. Das muss jetzt entsprechend aufwachsen.
    Barenberg: Das heißt, da werden Sie noch mehr investieren als das, was bisher sich abzeichnet?
    Herrmann: Ja selbstverständlich!
    "Wir müssen Parallelgesellschaften wie in Frankreich vermeiden"
    Barenberg: Lassen Sie uns noch über einen anderen Aspekt reden: Über die Flüchtlinge, die derzeit zu uns kommen. Das ist ja auch unter diesem Blickwinkel eine große Herausforderung und eine Aufgabe für die kommenden Jahre.
    Nun hören wir vonseiten der CSU, dass Sie viele Vorschläge auf den Tisch legen, wie man das Leben für die Flüchtlinge hier ein bisschen schwieriger machen kann. Wäre nicht gerade da auch eine gute Integration die beste Prävention gegen Radikalisierung?
    Herrmann: Man muss deutlich unterscheiden zwischen denen, die hier anerkannt werden und da bleiben dürfen, und da ist völlig richtig, was Sie sagen: die müssen bestmöglich integriert werden. Wir müssen da gerade Parallelgesellschaften, wie sie zeitweilig in Frankreich entstanden sind in den Vororten von Paris, vermeiden. Diejenigen, die da bleiben dürfen, da müssen wir uns darum kümmern, dass die in den Arbeitsmarkt integriert werden, dass die ordentlich Deutsch lernen, dass die volle Mitglieder unserer Gesellschaft werden. Dazu müssen die ihren eigenen Beitrag leisten und wir müssen da auch drauf bestehen, dass sie sich in unsere Gesellschaft integrieren.
    Umgekehrt ist aber natürlich auch richtig: Diejenigen, die nicht anerkannt werden, die abgelehnt werden mit ihrem Asylantrag, die müssen wir auch konsequent in ihre Heimat wieder zurückführen.
    Und klar ist auch, dass wir beobachten, was zu dem heutigen Thema gehört, dass manche Flüchtlinge bereits kurz nach ihrer allerersten Ankunft von Salafisten angesprochen werden, dass Salafisten versuchen, da ihre Ideologie zu verbreiten, und da muss man natürlich auch sehr aufmerksam sein und dem unmittelbar auch schon in den Asylbewerberunterkünften entgegenwirken.
    "Für Famliennachzug gibt es klare Regeln"
    Barenberg: Und ist es da nicht umso wichtiger, dass man beispielsweise den Familiennachzug ermöglicht und nicht verhindert, wie Sie das gerne wollen, weil das genau die beste Integration wäre, wenn die jungen Männer, sage ich jetzt mal als Beispiel, nicht alleine hier sind, sondern im Kreis ihrer Eltern und Geschwister?
    Herrmann: Auch dafür gibt es klare Regeln und die müssen konsequent angewandt werden. Ich erlaube mir allerdings die persönliche Bemerkung: Früher hatte man unter besonderen Fluchtgesichtspunkten oft die Situation, dass jemand versucht hat, vor allen Dingen Frau und Kinder in Sicherheit zu bringen. Es ist schon eine etwas merkwürdige Entwicklung, dass jetzt neuerdings sich vor allen Dingen die, die am fittesten sind, die jungen Männer zuerst in Sicherheit bringen, Frauen und Kinder im Bürgerkrieg zurücklassen und dann hinterher überlegen, wie sie sie jetzt nachholen können.
    "Wir wollen konsequent diejenigen schützen, die Schutz bedürfen"
    Barenberg: Der Grund ist ja oft, Herr Herrmann, oder wird oft genannt, dass sie die Einzigen sind, die diese lebensgefährliche Reise schaffen können.
    Herrmann: Nun, das würde ja dann bedeuten, dass die Lebensgefahren auf der Flucht größer sind als da, wo sie hergekommen sind. Das muss man sich schon sehr genau überlegen.
    Klar ist: Wir wollen konsequent diejenigen schützen, die Schutz bedürfen, und wer entsprechend Asylrecht hat, der bekommt es hier und der hat dann auch einen Anspruch auf Familiennachzug. Aber wer den Anspruch nicht hat, der muss in seine Heimat zurückkehren. Und ich sage auch: Wer nur aus Sorge um den Bürgerkrieg, ohne persönlich davon betroffen zu sein, in unser Land kommt, dem muss man auch klar sagen, da ist die Perspektive, dass die Menschen zurückkehren sollen, wenn dann der Bürgerkrieg vorbei ist. Das sind feine Unterschiede in unterschiedlichen Schicksalssituationen der Menschen und da muss man entsprechend auch vonseiten des Bundesamtes differenziert entsprechend entscheiden.
    Barenberg: Der Innenminister von Bayern heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Joachim Herrmann, für das Gespräch.
    Herrmann: Danke Ihnen auch! Einen schönen Tag.
    Barenberg: Ihnen auch.
    Herrmann: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.