Dirk-Oliver Heckmann: US-Präsident Trump hatte sie vor Wochen bereits verfügt: Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus dem Ausland. Begründung: Das ungeheure Handelsdefizit zwischen Asien und Europa auf der einen und den USA auf der anderen Seite. Kurz vor Inkrafttreten allerdings setzt er die Zölle noch mal aus, bis heute um Mitternacht Washingtoner Zeit. Dann nämlich läuft diese Ausnahme aus. EU-Handelskommissarin Malmström und Wirtschaftsminister Altmaier, die versuchten zwar auf den letzten Metern die Amerikaner davon noch abzuhalten, doch ohne Erfolg.
Dieter Kempf. Er ist Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Schönen guten Morgen, Herr Kempf!
Dieter Kempf: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann!
"Der Beginn einer weiteren Handelsspirale"
Heckmann: Herr Kempf, was geschieht eher, dass US-Präsident Trump die Zölle noch einmal aussetzt oder dass uns der Himmel auf den Kopf fällt?
Kempf: Nun, ich rechne weder mit dem einen noch mit dem anderen. Ich rechne in der Tat damit, dass der amerikanische Präsident uns mitteilt, dass die bisher gegebene Aussetzung ausläuft und wir mit Zöllen auf Stahl und Aluminium rechnen müssen.
Heckmann: Und das wäre eine Nachricht, was für eine?
Kempf: Das wäre eine Nachricht, die natürlich sehr besorgniserregend ist, weil sie nicht nur unmittelbar die Preise für Stahl und Aluminium, die davon betroffen wären, erhöht. Das könnte durchaus auch sein, und damit rechnen wir, dass dies auch stark die US-Industrie trifft, sondern es ist in Wirklichkeit der Beginn einer weiteren Handelsspirale. Wir müssen damit rechnen, dass der amerikanische Präsident weitere Maßnahmen nachschiebt, und das ist eigentlich das Besorgniserregende.
"Wir raten zur Besonnenheit"
Heckmann: Die EU-Kommission hatte ja ihrerseits Gegenmaßnahmen angekündigt, die relativ moderat ausfallen werden, aber die Abgeordnete und Senatoren der Republikaner treffen sollen, darunter Harley Davidson, Motorräder sollen besteuert werden, Levi's Jeans, Bourbon-Whisky, Erdnussbutter beispielsweise. Aus Ihrer Sicht: Ist das klug, diese Gegenmaßnahmen dann auch direkt in Kraft zu setzen?
Kempf: Die bisher benannten Gegenmaßnahmen sind ja nach WTO-Regeln sogenannte Gegenzölle, die wir dann auf US-Produkte oder auf bestimmte US-Produkte erheben werden. Da raten wir einfach zur Besonnenheit. Kompensationszölle dieser Art müssen sehr sorgfältig abgewogen werden.
Heckmann: Das heißt, Sie raten ab?
Kempf: Wir raten zur Besonnenheit. Das kann man machen, um ebenfalls eine gewisse Form der Stärke zu zeigen. Jetzt lassen wir mal offen, wie viel stärker das ist, wenn wir Bourbon-Whisky mit höheren Zollsätzen belegen. Für uns wäre wichtiger, WTO-konform sogenannte Schutzzölle - das muss man unterscheiden von Gegenzöllen - zu überlegen. Schutzzölle sind solche, die ein Land erheben kann, wenn die eigene Wirtschaft durch die Zollerhebung eines Drittlandes unmittelbar durch sogenannte umgelenkte Bahnströme bedroht wird, und das ist eigentlich die viel wichtigere Thematik.
"Schutzzölle besser als Gegen- oder Kompensationszölle"
Heckmann: Das heißt konkret, was sollte da gemacht werden?
Kempf: Dass möglicherweise Stahl aus anderen Ländern, sagen wir zum Beispiel mal aus China, dann nicht mehr nach USA gebracht wird, sondern Europa überflutet, und dass die Staatengemeinschaft Europas sich dagegen, dass sogenannte Schutzzölle eben, was anderes als Kompensations- oder Gegenzölle, wehren kann.
Heckmann: Das heißt, statt gegen amerikanische Produkte Zölle zu erheben, sollte man die Chinesen dafür bestrafen, dass Trump eben Europa bestraft.
Kempf: Nein, nein, man darf das eine nicht gegen das andere aufrechnen, denn die Überschrift bleibt ja nach wie vor: verhandeln, besonnen bleiben, aber jetzt geht es natürlich in erster Linie mal als Primärmaßnahme um Wirtschaftsschutz, und da sind die Schutzzölle etwas Besseres als Gegen- oder Kompensationszölle.
Kritik an amerikanischer Verhandlungskultur
Heckmann: Verhandeln, Besonnenheit zeigen sagen Sie. Die Europäische Union, die hatte ja auch eigentlich genug Zeit, auf die Drohung aus Washington zu reagieren. Peter Altmaier, wenn man das richtig gehört hat, der wollte ja auch konkrete Gespräche mit den Amerikanern, die Handelskommissarin Malmström, die hat aber gesagt, nein, kommt nicht infrage, wir verhandeln nicht mit der Pistole auf der Brust, erst müssen die Ausnahmen dauerhaft gelten für europäischen Stahl und Aluminium. War das klug?
Kempf: Na ja, es ist sicherlich so, dass die zu spürende Uneinigkeit in Europa - das trifft aber nicht nur die beiden von Ihnen benannten Politiker, Frau Malmström und Herrn Altmaier, sondern einfach die Staatengemeinschaft -, dass diese zu spürende Uneinigkeit natürlich die Position Amerika stärkt. Das ist wie auf dem Schulhof, wenn sie die Schwächeren uneinig sind, hat der Stärkere umso schneller gewonnen. Nur meine Schulhoferfahrung aus früheren Zeiten ist die, der Stärkere, der sich mit unsachgemäßen Mitteln am Schulhof bewährt hat, der hat nicht immer dauerhaft die meisten Freunde, oder wenn Sie es wissenschaftlicher wollen: In der Spieltheorie gewinnt der, der sich nicht an die Regeln, auch nicht dauerhaft, sondern immer nur in der ersten Runde.
Heckmann: Das heißt, wer hat da die Spielregeln verletzt, die Solidarität verletzt, die Europäer?
Kempf: Die USA, ganz deutlich.
"Das ist nicht die in Europa gewohnte Verhandlungskultur"
Heckmann: Na ja, Sie sagten doch gerade, dass die Einigkeit in Nordeuropas nicht da ist.
Kempf: Na ja, aber mit den Spielregeln meine ich schon die USA. Die fehlende Einigkeit macht es natürlich schwerer, jetzt als Phalanx, als starke Weltpartner gegenüber USA aufzutreten. Trotzdem, denke ich, hat Herr Altmaier richtig gehandelt, Kompromisse zu suchen. Ich weiß von ihm, dass er sehr häufig Gespräche mit Wilbur Ross hat. Ich weiß aber auch, dass Herr Ross - auch aus eigener Erfahrung weiß ich das aus meinem Gespräch mit ihm - sehr schwer zu überzeugen ist.
Heckmann: Trotzdem noch mal die Frage: War das klug, konkrete Gespräche mit den Amerikanern abzulehnen, solange nicht diese Ausnahmen dauerhaft gelten?
Kempf: Ich glaube sehr wohl, dass es etwas schwierig ist, mit jemand zu verhandeln, der als erstes Mal den Colt auf den Tisch legt. Das ist zumindest nicht die in Europa gewohnte Verhandlungskultur, und das sollte man unserem amerikanischen Partner - wir sind ja immer noch transatlantische Partner - auch in aller Deutlichkeit sagen.
"USA bleiben weiterhin transatlantischer Partner"
Heckmann: Sind es noch Partner?
Kempf: Daran halte ich fest, das würde ich mir auch durch das Handeln dieses US-Präsidenten nicht nehmen lassen.
Heckmann: US-Präsident Trump, der hat ja schon angekündigt, wenn die EU mit den angekündigten Gegenmaßnahmen kommt, dann würde er Strafzölle gegen deutsche Autobauer und europäische Autobauer erheben, denn bei den Pkw zumindest liegen die US-Zölle deutlich unter denen Europas. Wie wahrscheinlich ist das aus Ihrer Sicht, dass es dazu kommen könnte?
Kempf: Es ist schwer, darüber zu spekulieren, aber wir wissen, dass dieser in einem zumindest sehr konsequent war, wenn er solche Dinge angekündigt hat, dann hat er vielleicht noch mal ein paar Pirouetten gedreht, aber am Ende hat er sich dann mit seiner Meinung durchgesetzt. In Wirklichkeit ist es ja hanebüchen. Er kann dies ja nur dann tun, wenn er es begründet mit Sicherheitsbedenken, ansonsten müsste er damit durch das Parlament, und das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen: Die Pkw-Importe eines befreundeten NATO-Landes gefährden die eigene Sicherheit. Also das muss man in Ruhe mal analysieren, aber dabei sehr ernsthaft bleiben, denn Häme hilft jetzt auch nicht.
"Unsicherheit ist Gift für Investitionen"
Heckmann: Und wenn es dazu käme, welche Folgen hätte das dann für Deutschland, für Europa?
Kempf: Wenn es dazu käme, dann hat es sehr unterschiedliche Auswirkungen. Die wichtigste und schwierigste Auswirkung ist, dass es weiter Unsicherheit streut, und wir wissen, Unsicherheit ist Gift für Investitionen. Das sehen wir allenthalben, das merken wir auch schon jetzt. Das ist das Allerschlimmste. Die einzelnen Unternehmen werden, je nach individueller Betroffenheit, versuchen, Wege zu finden, dies auszugleichen. Nehmen Sie Unternehmen, die große, starke Werke in den USA haben. Die wird es deutlich weniger treffen als solche, die eben nur - in Hochkommata - exportieren können.
Heckmann: Unsicherheit ist Gift haben Sie eben gesagt. Donald Trump argumentiert anders, der sagt, dieses enorme Handelsdefizit zwischen Europa und den USA, das ist Gift, nämlich für die amerikanischen Arbeitsplätze, und das wird jetzt beendet.
US-Wirtschaft: Keine Weiterenwicklung mit Zöllen
Kempf: Da müsste man wirklich tiefer in die Analyse einsteigen. Er vergisst dabei immer, dass es nicht nur die Handelsbilanz aus volkswirtschaftlicher Kenngröße gibt, sondern zum Beispiel auch die Investitionsbilanz. Er vergisst, dass enorm viel Geld zum Beispiel von deutschen Unternehmen in den USA investiert wird, deutsche Unternehmen sind für 678.000 Arbeitsplätze in den USA verantwortlich. Das vergisst er alles. Es macht aber wahrscheinlich auch keinen Sinn, hier zu versuchen, mit einem volkswirtschaftlichen Propädeutik-Seminar zu argumentieren. Die amerikanische Regierung muss sich konkret fragen, was will sie tun. Die eigene Wirtschaft auf dem heutigen schlechten, nicht international wettbewerbsfähigen Stand diesen Teil der US-Wirtschaft konservieren oder diesen Teil der US-Wirtschaft weiterentwickeln. Weiterentwickeln wird nicht gehen mit Zöllen.
Heckmann: Der eine oder andere vermutet eher, dass Donald Trump die Zwischenwahlen in den USA im Blick hat. Die Republikaner, die fürchten ja um ihre Mehrheiten. Das heißt, das Ganze könnte eher wahltaktisch motiviert sein. Sehen Sie das auch so?
Kempf: Also ich glaube in der Tat, dass die Verschärfungen auch in der Tonalität der letzten Tage und Wochen diesen sogenannten "Intermediates", diesen Zwischenwahlen im November geschuldet sind. Ich gehöre aber nicht zu ihnen, die damit beruhigen und sagen, wartet den Dezember, also den Monat danach, ab, dann wird alles besser. Das glaube ich noch nicht. Die amerikanische Verfassung gibt dem amerikanischen Präsidenten sehr viel Freiheiten, sehr viel mehr als wir das in Deutschland, in den meisten europäischen Ländern kennen, sehr viel mehr Freiheiten, um solche Dinge durchzusetzen.
Wird Trump mit Zöllen scheitern wie George W. Bush
Heckmann: Das stimmt, das hat ja auch George W. Bush gemacht vor Jahren. Der hat ja auch schon mal Strafzölle verlangt.
Kempf: Der hat ja auch Schiffbruch erlitten.
Heckmann: Und er hat es ganz schnell wieder zurückgenommen, weil nämlich die USA, die US-Industrie ihm auf das Dach stieg wegen der gestiegenen Stahlpreise, denn die brauchen ja auch günstigen Stahl. Denken Sie, dass Trump genauso handeln wird möglicherweise, dass sich das Problem möglicherweise auch von selbst löst?
Kempf: Es ist schwierig, darüber zu spekulieren, aber volkswirtschaftlich kann und wird kein Zweifel daran bestehen, dass es genauso sein wird wie seinerzeit 2002. Das ist einfach ganz natürlich. Wenn man beim Thema Stahl bleibt, insbesondere, was deutsche Stahlunternehmen nach USA exportieren, ist in weiten Fällen Spezialstahl, auf den die US-Industrie nicht verzichten kann, schon gleich gar nicht kurzfristig. Das wird schlichtweg die Produkte in den USA verteuern. Also volkswirtschaftlich ist ziemlich klar, was passieren wird. Man hat nur das Gefühl, dass das diese Administration in den USA, diesen Präsidenten gegenwärtig nicht kümmert.
"Besorgt, aber gelassen"
Heckmann: Letzte Frage zum Schluss, Herr Kempf: Sie wirken gelassen.
Kempf: Ich wirke besorgt, aber gelassen, weil ich glaube, dass Aufgeregtheit an der Stelle nicht hilft. Als Europäer sollten wir ein bisschen stolz drauf sein, dass wir eben anders als es im Moment so aussieht, nicht mit dem Colt auf dem Tisch verhandeln, sondern das wie vernünftige Menschen machen.
Heckmann: Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, war das hier im Deutschlandfunk-Interview. Herr Kempf, danke Ihnen für Ihre Zeit, und Ihnen einen schönen Tag!
Kempf: Vielen Dank! Gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.