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BDS-Bewegung
„Nichts Stichhaltiges gegen Walid Raad gefunden“

Der "Verein der Freunde des Ludwig Forums" will Walid Raad mit dem Aachener Kunstpreis würdigen – auch ohne Beteiligung der Stadt. Der Künstler unterstütze zwar die BDS-Bewegung, das Existenzrecht Israels stelle er aber nicht in Frage, sagte Vorstandssprecher Michael Müller-Vorbrüggen im Dlf.

Michael Müller-Vorbrüggen im Gespräch mit Michael Köhler |
Im Rahmen des internationalen Kunstprojekts "Synagoge Stommeln" hat der im Libanon geborene Künstler Walid Raad 2016 die ehemalige Synagoge in Pulheim-Stommeln für mehrere Monate mit Erde aufgeschüttet und die Fenster mit Holzlatten vernagelt.
Vernagelt: Walid Raads Beitrag zum internationalen Kunstprojekt "Synagoge Stommeln" im Jahr 2016 (Rolf Vennenbernd / dpa )
Michael Köhler: Die Stadt Aachen wird ihren Kunstpreis wegen Antisemitismus-Vorwürfen nicht an den libanesisch-amerikanischen Künstler Walid Raad überreichen. Man ziehe sich aus der Verleihung, die gewöhnlich in Zusammenarbeit mit den Kunstfreunden des Ludwig Forum Aachen erfolgt, zurück.
Der "Verein der Freunde des Ludwig Forums für internationale Kunst e.V." hat in seiner gestrigen Vorstandssitzung mehrheitlich anders entschieden und will den Preis an Walid Raad übergeben.
Iva Haendly, die Interimsvorsitzende, sagte mir am Telefon, sie sei erleichtert, dass die Entscheidung im Sinn der Aachener Kunstfreunde getroffen wurde. In den Augen des Aachener Bürgermeisters ist der designierte Preisträger Anhänger der BDS-Bewegung und war an Maßnahmen zum kulturellen Boykott Israels beteiligt.
Walid Raad soll am 13. Oktober für sein langjähriges Projekt "The Atlas Group" gewürdigt werden. Darin setzt sich der Künstler mit der gewaltsamen Geschichte des Libanon auseinander.
Um BDS-Sympathisanten gibt es immer wieder Diskussionen. Kürzlich zog die Stadt Dortmund ihren Nelly-Sachs-Preis für die Autorin Kamila Shamsie zurück, als bekannt wurde, dass sie die israelkritische Boykottbewegung BDS unterstützt und nicht im Heiligen Land verlegt werden möchte.
Den Vorstandssprecher der Freunde des Ludwig Forums, Michael Müller-Vorbrüggen habe ich gefragt: Sie halten an der Preisvergabe fest. Warum?
Michael Müller-Vorbrüggen: Erstmal muss ich vorwegschicken, dass uns die Entscheidung sehr schwer gefallen ist. Wir sind kein politischer Verein, sondern ein Kunstverein. Nichtsdestotrotz haben wir dann auch sehr intensiv versucht zu recherchieren, was an diesen Antisemitismusvorwürfen gegen Walid Raad dran ist - und haben da aber nichts gefunden, was wirklich stichhaltig ist. Wir unterscheiden zwischen der Kritik am Staat Israel – ich denke, die ist möglich und auch berechtigt zum großen Teil – und zwischen der Kritik an der grundsätzlichen Existenz Israels. Also, an dem Existenzrecht Israels. Das ist ja etwas, wo gerade Deutschland in eine Staatsräson gerufen ist. Aber das konnten wir nicht finden bei Walid Raad. Deshalb haben wir uns entschieden – nach großer Diskussion und auch nicht einstimmig –, den Preis dann trotzdem zu vergeben.
BDS – eine sehr heterogene Organisation
Köhler: Nun hat sowohl die Landesregierung als auch die Bundesregierung, die im Mai einen überfraktionellen Entschluss gefasst hat ohne die AfD, ihre Gründe. Nehmen Sie die BDS-Nähe oder -Tätigkeit billigend in Kauf und gehen damit bewusst in eine Konfrontation zur Bundes- und Landesregierung?
Müller-Vorbrüggen: Ja, die BDS ist ja eine sehr heterogene Organisation, die in Südafrika gegründet wurde, soweit wir das rausfinden konnten. Und die kritisiert unter anderem natürlich die derzeitige Landnahmepolitik der aktuellen israelischen Regierung unter Netanjahu. Insofern haben wir herausbekommen, dass Herr Walid Raad diese Bewegung unterstützt. Darüber hinaus aber verfolgen Einige aus dieser Bewegung auch ein Ziel, zu sagen: Wir wollen dazu beitragen, dass der Staat Israel grundsätzlich abgeschafft wird. Und das ist eben schwer zu trennen. Wir konnten keinen Nachweis finden, dass in diesem letztgenannten Sinne Walid Raad ein Antisemit ist.
"Reputation ist eindeutig"
Köhler: Nun ist eine Diskussion in Deutschland über solche Themen eine andere als in Frankreich, Italien oder Skandinavien. Wie wurde das in Ihren Reihen diskutiert? Denn der Entschluss ist ja schon vor einem Jahr gefallen. Oder ganz konkret gefragt: Sie können also trennen zwischen Person und Werk?
Müller-Vorbrüggen: Nicht ganz. Wir sehen uns schon auch in der Verantwortung zu klären, inwieweit der Künstler in Deutschland von einem solchen Verein einen solchen Preis erhalten kann oder sollte. Nichtsdestotrotz ist der Schwerpunkt unserer Betrachtung natürlich die künstlerische Betrachtung. Und da ist die Reputation also ganz eindeutig.
Köhler: Die stellt niemand in Frage. Ich würde, wenn ich frech wäre, sagen: Gibt es bei Ihnen Privilegien für berühmte Künstler?
Müller-Vorbrüggen: Das würde ich so nicht sagen. Dann wäre die Entscheidungsfindung auch anders verlaufen. Wir haben also ganz intensiv recherchiert. Wir hätten höchstwahrscheinlich die Entscheidung anders getroffen, wenn klar im Raum stehen würde oder wenn wir gefunden hätten einen Nachweis, eine Äußerung oder eine Stellungnahme von Walid Raad, die uns vermuten lassen müsste oder das aufzeigen würde, dass er ein Antisemit in diesem eben genannten Sinne ist. Das haben wir aber nicht. Solange wir das nicht finden konnten und vom Künstler auch keine Stellungnahme bekamen, mussten wir erst mal davon ausgehen, dass wir da keine Handhabe haben, dass wir das nicht einfach tun können.
Autoritär-kritische Haltung des Künstlers
Köhler: Nun ist ja bekannt, das er ein ausdrücklich politischer Künstler ist. Das heißt: Eine nötige Sensibilität war bei Ihnen schon am Werke.
Müller-Vorbrüggen: Ja, das hat damals ja auch die Kunstkommission getan, sich das Werk angeschaut und versucht zu bewerten. Und da ist eigentlich eine autoritär-kritische Haltung beim Künstler immer zu finden gewesen. Also eigentlich eine Grundhaltung, die wir nur begrüßen können. Das Werk des Künstlers ist tatsächlich politisch in einigen Punkten, es ist aber nicht eine parteipolitische oder eine anti-Israel-politische Kampagne zu entdecken.
Köhler: Was mir noch nicht ganz klar ist: Wer zahlt eigentlich das Preisgeld?
Müller-Vorbrüggen: Traditionell gibt es drei Geldgeber: die Stadt Aachen, die fällt nun aus; Wirtschaftsvertreter aus Aachen und unser Kunstverein. Und wir haben die volle Höhe, die vorgesehen ist, die 10.000 Euro zusammen, um auch ohne die Stadt die Dotierung überreichen zu können.
Köhler: Jetzt fehlt nur noch ein geeigneter Ort für die Preisübergabe.
Müller-Vorbrüggen:Da suchen wir gerade. Haben wir noch nicht gefunden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.