Roger Waters, Mitbegründer der Rocklegende Pink Floyd, tourt derzeit durch Deutschland. Ob in München, in Köln oder vor knapp zwei Wochen in Berlin – bei vielen Konzerten baut er politische Wutreden ein gegen Israels Politik. So attackierte er in der Hauptstadt auch das anstehende Berliner Pop-Kultur Festival.
"Ich rufe alle Künstler der Welt auf, das Pop-Kultur Festival in Berlin zu boykottieren. Weil es Geld annimmt von der israelischen Regierung!"
BDS steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen
Waters, prominentes Gesicht der weltweiten BDS-Bewegung, hatte sich bereits zuvor über eine "mächtige jüdische Lobby" erregt und Parallelen gezogen zwischen Israels Politik und dem Holocaust. Nun wendet er sich dagegen, dass im August - beim Pop-Event an der Spree - drei israelische Künstler auftreten, die von ihrer Botschaft in Berlin eine "Unterkunfts- und Reisekostenbeteiligung" in Höhe von 1.200 Euro erhalten. Fünf Sänger beziehungsweise Bands aus England und den USA haben deshalb bereits ihre Teilnahme am Festival abgesagt. Die israelische Botschaft kritisiert - in einem Pressestatement - den Boykottaufruf:
"Die Bewegung BDS ist durch Hass motiviert und hetzt gegen Dialog, anstatt diesen zu fördern. Die Kampagne will einschüchtern und die Entscheidungsfreiheit der Menschen einschränken."
Berlin, im Foyer einer großen Universität. Brauner Marmorboden, weiße Säulen. Eine kleine Frau kommt herein, die – als Halsschmuck – einen goldenen Korananhänger trägt: Nadine Taufik – Palästinenserin und Berliner BDS-Aktivistin. Der Name Taufik ist allerdings ein Pseudonym. Die Wissenschaftlerin erklärt, sie habe Angst, sich mit ihrem tatsächlichen Namen öffentlich zur Boykottkampagne gegen Israel zu äußern.
"Wir alle wissen, dass israelische Geheimdienste recht erfolgreich sind, in dem, was sie da machen an menschenverachtenden Dingen – dann hat man natürlich einen Grund, zurückhaltend zu sein."
Taufik schreibt nach eigener Aussage Musikgruppen in aller Welt an und fordert sie auf, dem Popkultur-Festival fernzubleiben – weil Israel Geld dazugebe, und weil das Logo des Staates auf der Festivalwebsite erscheint.
"Hier versuchen wir dafür zu sensibilisieren, dass es nicht sein kann, dass man sich willentlich oder jedenfalls billigend vor den Karren spannen lässt, eines Staates, der gerade massive Menschenrechtsverletzungen begeht und versucht, sich mit kulturpolitischen Beiträgen reinzuwaschen."
Kampagnen gegen Israel
Laut Taufik sind bei der Berliner BDS-Gruppe 40 bis 50 Deutsche, Palästinenser, Franzosen, Briten, Amerikaner und auch kritische Israelis aktiv - zumeist Akademiker und Kulturschaffende. Der BDS-Boykott richte sich gegen Okkupation, illegale Siedlungen und den israelischen Mauerbau. Vorbild sei die einstige, internationale Ächtung Südafrikas.
"In Südafrika begann man sich über Apartheid in der Öffentlichkeit immer kritischer auseinanderzusetzen, als internationale Stars anfingen zu sagen: Wir können es einfach nicht mehr mit unserem Gewissen vereinbaren, in Südafrika unter der Sonne zu spielen und gleichzeitig die Apartheid zu ignorieren. Und wir erhoffen, dass es in Israel eben ähnlich funktionieren könnte."
Berlin-Mitte, am Potsdamer Platz. Im sechsten Stock eines sandfarbenen Gebäudes: eine schwere Tür mit mehreren Kameras. Kein Schild weist darauf hin, dass hier das American Jewish Committee ein Büro hat – eine Sicherheitsmaßnahme aus Furcht vor möglichen Anschlägen. Die jüdische Organisation, die sich weltweit gegen Antisemitismus einsetzt, sieht auch bei der BDS-Kampagne judenfeindliche Motive. AJC-Pressesprecher Fabian Weißbarth klagt:
"Natürlich erinnern die BDS-Aktionen gerade in Deutschland an die Nazivergangenheit, wo jüdische Geschäfte boykottiert worden sind und darüber hinaus verwüstet worden sind. Viele in der jüdischen Gemeinschaft fühlen sich an diese Zeit erinnert."
Das AJC hat zahlreiche Belege gesammelt von BDS-Akteuren, die das Existenzrecht Israels infrage stellen. Zudem, so der Pressesprecher, gebe es Beweise, dass auch extremistische Gruppen bei der weltweiten BDS-Kampagne mitwirkten - wie die Hamas und die Volksfront zur Befreiung Palästinas.
"Bei BDS gibt es eine strukturelle Verbindung zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und terroristischen Akteuren."
Nadine Taufik von der Berliner BDS-Gruppe dementiert: Man distanziere sich von jeglichem Antisemitismus, betont sie. Unklar bleibt allerdings ihre Antwort auf die Frage, ob auch Terrororganisationen Teil der BDS-Kampagne sein könnten.
"Es geht bei BDS um eine internationale, dezentrale Bewegung, um Netzwerke. Da geht es eben gerade darum bei Netzwerken, dass man keine Mitglieder hat. Ich weiß nicht, wer wie wo BDS gut findet. Ich möchte mich … also … deswegen ist es … das bringt uns nicht weiter."
Deutsche Politik distanziert sich
Und zum Existenzrecht Israels möchte sich Taufik überhaupt nicht äußern. Kein Wunder, dass sich die deutsche Politik, die das Existenzrecht Israels als Staatsräson betrachtet, von der Boykottkampagne distanziert. So beschloss der Bundestag Ende April, BDS-Aktionen abzulehnen. Ähnlich entschied vor zwei Wochen das Berliner Abgeordnetenhaus. Susanne Kitschun, die Vizefraktionschefin der mitregierenden SPD, kündigte Konsequenzen an.
"Solche antisemitischen, den Staat Israel als Ganzes dämonisierenden Organisationen sollen in Berlin keine Räume, Zuwendungen oder Zuschüsse des Landes erhalten."
Auch die Städte München und Frankfurt am Main wollen der BDS-Kampagne jegliche Unterstützung verweigern. Das Berliner Pop-Kultur Festival bezieht ebenfalls – klar - Position: Man werde sich vom neuen Boykottaufruf keinesfalls einschüchtern lassen, so die Event-Organisatoren.