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Beat'n Blow
Mit dem Blasorchester zu neuen Ufern

Die Blasinstrumente in den VW-Bus gepackt, Percussions und Schlagzeug auch - und ab nach Italien. So fing es vor 20 Jahren mit der Berliner Brass-Band "Beat'n Blow" an. Von der Straßenmusik hat sich die mittlerweile neunköpfige Gruppe auf die internationalen Bühnen gespielt.

Katie LaVoix und Björn Frank im Gespräch mit Adalbert Siniawski |
    Die Brass-Band Beat 'n Blow gibt am 27.06.2014 in Timmendorfer Strand (Schleswig-Holstein) vor der Eröffnung des Festivals JazzBaltica ein Gratis-Open-Air-Konzert.
    Mitglieder der Band Beat 'n Blow (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Die Gruppe gehört zu den Pionieren der neuen europäischen Blasmusik. Während die Stücke früher zu den Bläsersätzen Jazz mischten, hat "Beat'n Blow" heute ihren Radius um Reggae, Funk und Soul erweitert. Und dann ist da natürlich auch die starke Stimme der Frontfrau Katie LaVoix - von ihr stammen die meisten Songs. Ganze 14 sind es auf dem neuen Album, das am 8. August bei Herzog Records erscheint. "Über die Ufer", so heißt die neue CD.
    - Und welche neuen Ufer die Band nach 20 Jahren ansteuert: dazu Katie LaVoix und der Saxofonisten Björn Frank im Corso-Gespräch.
    Adalbert Siniawski: Katie LaVoix und Björn Frank, Blasmusik und Berlin, wie passt das zusammen?
    Katie LaVoix: Das ist ja lustig! Also, wenn Sie diese Frage vor, ich muss mal ganz kurz nachrechnen, etwa 250 Jahren gestellt hätten, dann hätte sich diese Frage von selbst beantwortet, weil alles voller Militärblaskapellen gewesen wäre hier. Also ich glaube nicht, dass es einen integralen Widerspruch gibt zwischen dem preußischen Berlin und der Blasmusik. Obwohl, spätestens seit München 1972 ... Ich erinnere mich gut, dass meine Mutter die totale Krise bekommen hat, weil sie das Gefühl hatte, Deutschland wird nur noch als Bayern dargestellt im Ausland. Und seitdem war der Niedergang des Norddeutschen vorbestimmt, jedenfalls für eine Weile. Und jetzt ist Norddeutschland wieder gerettet – blasmusiktechnisch.
    Björn Frank: Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen.
    Siniawski: Gruppen wie LaBrassBanda oder Kofelgschroa sind bekannte Blasmusikcombos aus Bayern ...
    LaVoix: ... genau ...
    Siniawski: ... gibt es da einen Wettbewerb zu diesen Bands oder machen die Preußen da ihr eigenes Ding?
    LaVoix: Ehrlich gesagt, glaube ich sehr, dass die Preußen ihr eigenes Ding machen und auch die Bayern ihr sehr eigenes Ding machen, weil die natürlich mit dem Dialekt ganz viel spielen und die wirklich sehr verortet und verankert sind in der Tradition dort.
    Siniawski: Warum sind diese modernen Blasmusikgruppen eigentlich so beliebt geworden, haben Sie da eine Erklärung?
    Frank: Also Blasmusik und singen ist schon nah beieinander, rein von der Tonerzeugung. Es kommt alles direkt aus dem menschlichen Körper heraus und dadurch fühlen sich die Menschen schon mal nahe der Sache. Hinzu kommt, dass viele Menschen vielleicht schon mal ein Blasinstrument in der Hand hatten, gespielt hatten, mit der Blockflöte angefangen haben, dann irgendwann zur Trompete, Posaune, Saxofon, was auch immer gegangen sind. Und die Faszination kommt, dass man eigentlich normalerweise Bands kennt mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier. Und auf einmal passiert ein ähnliches Hörerlebnis durch was ganz anderes, also durch etwas, das viel traditioneller besetzt ist in dem ganzen Denken der Menschen. Und ich glaube, da entsteht schon eine Faszination, wo viele Leute sagen: Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht, das ist ja toll!
    Siniawski: Tradition und Moderne, dieses Verschmelzen der Beats und des Blow sozusagen, wie kam es in der Geschichte – Beat'n Blow ist ja jetzt 20 Jahre alt in diesem Jahr – wie kam es dazu?
    LaVoix: Also es ist natürlich so eine typische Geschichte: Leute, die sich im Studium oder in der Szene kennengelernt haben. Bei uns waren es eben auch zwei Bläser und zwei Schlagzeuger – unsere beiden Schlagzeuger gehören zur Originalbesetzung – die wollten eben gerne Musik machen, die mit Blasmusik zu tun hat. Das geht zurück in die 80er-Jahre. Es gab schon mal so eine Welle. Sie erinnern sich sicherlich an Lester Bowie's Brass Fantasy, lauter solche Sachen, und hatte sehr viel auch mit Jazz zu tun und auch mit der Verjazzung von Pop und der Verpoppung von Jazz. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Also das Wort Fusion stimmt nicht ganz, weil das halt anders besetzt ist, aber im Prinzip ist es einfach eine Fusion, die da stattgefunden hat ...
    Siniawski: ... und Reggae, Funk und Soul, die man ja immer wieder hört auf der Platte ...
    LaVoix: ... ja, das kommt natürlich daher aus unseren eigenen musikalischen Wurzeln und natürlich macht man dann die Musik, die einem selber gefällt mit diesem Instrumentarium.
    Siniawski: Die Gruppe besteht ja aus neun Musikern. Wie kommt man da musikalisch auf eine Linie, also ich stelle mir das ziemlich anstrengend vor.
    LaVoix: Das geht nur mit roher Gewalt.
    Siniawski: Ist das so?
    LaVoix: Ja.
    Siniawski: Die meisten Songs, also die Texte und Kompositionen, kommen ja von Ihnen. Lassen Sie beim Schreiben der Songs auch Basisdemokratie zu oder nicht?
    LaVoix: Ja, insofern, also ich schreibe die Songs, ich mache dann ein Listening Meeting und dann stelle ich meine Kompositionen vor. Da sind dann meistens so Scatches. Meistens habe ich das irgendwie aufgenommen, so, keine Ahnung, vierspurmäßig, so ganz rudimentär. Mit Bass und mit ein paar Bläserlines und der Melodie und ungefähr dem Text, wie er ungefähr sein soll und solche Sachen. Rhythmen, bisschen Schlagzeug programmiert. Und dann gibt es einen Kern von uns – zu viert oder zu fünft – die dann entscheiden: Das Stück möchten wir gerne weiterverfolgen und das Stück finden wir blöd – abgelehnt.
    Frank: Es ist dann so, dass es oft Songs gibt, wo wir finden, das passt nicht zu uns, da ist dann die Demokratie so, dass man Veto hat. Wenn man aber einen Song hat, wo man sich dann darauf einigt, dann setzt sich meistens dann doch der Arrangeur und Katie durch, also ...
    Siniawski: ... und die Frau gibt den Ton an. Sind die männlichen Kollegen da manchmal neidisch ein bisschen?
    Frank: Nee, überhaupt nicht, überhaupt nicht. Wir haben ja eine Buh-Frau dann. Wir können dann ja sagen: Du bist schuld! Was wir natürlich nie tun, aber neidisch sind wir da nicht, nein, weil das bei uns so ist, dass jeder schreiben darf und jeder kann seine Sachen mitbringen. Und es ist so, dass Katie sehr, sehr gut schreibt und außerordentlich tolle Stücke schreibt. Und deswegen sind viele Stücke von ihren Stücken auf der Platte – nicht, weil sie das nicht zulässt, sondern weil ihre Sachen einfach stärker sind. Und eine Platte ist begrenzt von den Stücken, die man draufmachen kann, und ...
    Siniawski: ... 14 sind es ja ...
    Frank: ... da sind die 14 stärksten Stücke bei.
    Siniawski: In den Songs geht es oft um den Wunsch, das Leben zu genießen und Glück zu finden in einer bewegten Zeit voller Unsicherheiten ...
    LaVoix: Ja.
    Siniawski: ... so habe ich das zumindest gehört. Im Stück "Keine Zeit" heißt es zum Beispiel: "Keine Zeit – das Leben läuft weiter. Gib' mir Zeit – die Lola rennt weiter." Inwiefern trifft das Ihr Lebensgefühl?
    LaVoix: Das traf das, als ich das schrieb, ganz superaktuell! Und zwar: Bei diesem Stück ist der musikalische Scatch, der musikalische Unterbau, von unserem Tubisten, und der mich gebeten hat, Text und Melodie zu machen. Mir fiel auch etwas Supertolles ein, aber ich hatte so unheimlich wenig Zeit. Und ich saß in der S-Bahn auf dem Weg zur Probe und dachte: Ich hab' überhaupt keine Zeit jetzt dafür, ich muss das nur kurz fertig machen. Und saß da und habe in sechs Minuten diesen Text geschrieben, und es war einfach nur von diesem schaffe ich es noch bis Hauptbahnhof die letzte Zeile zu Ende fertiggeschrieben zu haben? Ja, genau.
    Siniawski: Und in diesem besagten Lied "Keine Zeit" geht es auch um eine Lola, die da rennt und keine Zeit hat.
    LaVoix: Tja.
    Siniawski: Da denkt man selbstverständlich an Tom Tykwer.
    LaVoix: Na selbstverständlich, ich auch. Genauso habe ich mich gefühlt. Und natürlich ist es auch so: Viele Frauen in meinem Alter definitiv und auch jünger haben genau das. Man hat so wahnsinnig viel Kram zu tun, so unheimlich viele einzelne Termine und Sachen und fühlt sich ständig hintendran. Und das ist so ein defizitäres Lebensgefühl! Das ist eine Hetze! Und deswegen kommt es auch vor mit: Meine Mudder sagt, Du musst! Und mein Ehemann auch! Alles ... man hat immer das Gefühl, alle sagen ... und in Wirklichkeit ist es ja gar nicht wahr, eigentlich könnte man sich hinstellen und sagen: Pff, ihr könnt mir mal im Mondschein begegnen, ja!
    Siniawski: In einem anderen Song geht es um Aljosha. Er ist der "Hellersdorfer Prinz" - ich nehme an, es geht um den Berliner Stadtteil Hellersdorf?
    LaVoix: Ja, genau.
    Siniawski: "Alle sollen ihn preisen, wie einen, der in der höchsten Liga spielt". Was hat es mit diesem Aljosha auf sich?
    LaVoix: Aljosha ist angelehnt an zwei Personen, die ich kenne, und zwar an die eine Person, die konkret in so einem halbbraunen Umfeld sich bewegt. Und die andere Person ist da charakterlich stark eingeflossen. Und das sind beides Personen, die im Grunde genommen gegen die Bedeutungslosigkeit anarbeiten. Ich denke das ist etwas, dass bei vielen Leuten, die sich extrem um Erfolg bemühen – und dazu gehören auch sehr viele Menschen, die sich um persönlichen Erfolg bemühen, die in solche extremen Richtungen, egal, ob in der Arbeit, in der politischen Vorstellung, in persönlichen Beziehungen, abdriften. Dass es ganz stark darum geht, dagegen zu halten gegen das, was man in der Kindheit erlebt hat, dass man nichts bedeutet, dass man keinen Status hat, dass man ein Wichtlein ist, ohne Vater und was weiß ich. Also solche Sachen. Da dagegenzuhalten - und das ist ein großer Motor für viele Menschen auf der Welt auch. Und in Hellersdorf war das gerade aktuell mit diesem Flüchtlingsheim.
    Siniawski: Also Proteste von Neo-Nazis und NPD.
    LaVoix: Genau richtig. Und wenn man dann ... da gab es interessante Berichte und auch interessante Reportagen. Und wenn man dahinter geguckt hat, welche Leute die Klappe so weit aufgerissen haben nach dem Motto 'Die dürfen hier nicht sein' und was weiß ich alles. Und man geguckt hat: Das sind Menschen, die sind so bedürftig in Wirklichkeit, dass sie das kaum ertragen können, lassen sich auch einbinden in solche hierarchischen Strukturen, wo man dann wirklich nur versucht, jemand Tolles zu sein, ohne in Wirklichkeit zu wissen, was das eigentlich ist.
    Siniawski: "Wer braucht die dunklen Straßen, schräge Grimassen in grauen Häuserschluchten. Mach' dich auf zum Himmel!", heißt es in dem Song. Also ein Ansporn, sich aus dieser Enge zu befreien?
    LaVoix: Exakt, genau. Ein Ansporn, sich auf dieser Enge, aus dieser Negativität, zu befreien und das, was man als Paradies empfindet, zu erreichen.
    Siniawski: Was auch immer das ist.
    LaVoix: Richtig!
    Siniawski: Sie feiern ja, wie gesagt, in diesem Jahr 20 Jahre der Band – Was wünschen Sie sich zum Jubiläum und wie geht es weiter mit der Band?
    LaVoix: Dass wir unseren Weg so weitergehen, wie wir den entwickelt haben in den letzten zehn Jahren würde ich mal so sagen. Diese Band hat am Anfang vor allen Dingen funky-jazzige Sachen gespielt, vor allen Dingen sehr viel Cover gespielt. Und ich finde, wir haben extrem zu unserem sehr eigenen Style gefunden.
    Frank: Während die Band vor 20 Jahren noch hauptsächlich Straßenmusik gemacht hat – ich glaube, die erste Tour war eine Italien-Straßentour mit zwei VW-Bussen – und im Moment geht das auch musikalisch eher in Richtung Bühne und auch Songs mehr zum Zuhören und wo man mal nachdenken kann und wo's nicht immer nur ums Feiern geht. Es ist nicht nur eine Band, die ganz toll Musik macht mit Blasinstrumenten, sondern es ist auch tatsächlich auch eine Band, die den Menschen etwas sagen möchte, etwas mitgeben möchte – musikalisch aber auch textlich. Die Richtung haben wir jetzt angefangen und die kann von mir aus auch gerne so noch 20 Jahre weitergehen. Und immer Stück für Stück ein kleines bisschen mehr bei uns selber sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.