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Beate und Serge Klarsfeld
Eine Ohrfeige stand am Beginn der Beziehung

Gerade ist Serge Klarsfeld 80 geworden, er sprüht vor Energie. Seine Frau Beate ist nur wenig jünger und steckt in Reisevorbereitungen. Die Aufdeckung von Naziverbrechen ist ihre Lebensaufgabe - bis heute. In ihrer nun erschienen Biografie "Erinnerungen" steht der Kampf gegen die Nazi-Generation, aber auch die Aufarbeitung der französischen Kollaboration im Vordergrund.

Von Andreas Teska | 09.11.2015
    Serge und Beate Klarsfeld sprechen am 20.07.2015 während der Übergabe der Auszeichnungen mit dem Bundesverdienstkreuz im Hôtel Beauharnais, der Residenz der deutschen Botschafterin in Paris, Frankreich. Foto: Sebastian Kunigkeit/dpa
    Serge und Beate Klarsfeld (dpa picture alliance / Sebastian Kunigkeit)
    Für die Deutschen wird sie immer "Ohrfeigen-Beate" bleiben. Die Frau, die dem Bundeskanzler eine klebte. Beate Klarsfeld verteidigt die Aktion bis heute, Kiesinger habe sich geweigert, seine Vergangenheit einzugestehen:
    "Und dann eben organisiert im Voraus diese Ohrfeige in Berlin beim CDU-Kongress, die eben symbolisch sein sollte. Die Ohrfeige der jungen Generation gegen die Nazi-Generation. Aber wir waren verpflichtet, diese Mittel zu wählen, denn sonst hätte sich niemand darüber aufgeregt in Deutschland, dass derjenige, der die deutsche Politik regiert, ein Nazi-Propagandist war."
    Beate Klarsfeld beschimpft 1968 im Bundestag Kanzler Kiesinger als "Nazi" und Verbrecher"
    Beate Klarsfeld beschimpft 1968 im Bundestag Kanzler Kiesinger als "Nazi" und Verbrecher" (picture alliance / dpa)
    Das Titelblatt einer deutschen Zeitung vom Tag danach hängt eingerahmt an der Wand. Wir sitzen im Büro von Beate und Serge Klarsfeld. Die Vorgeschichte des tätlichen Angriffs auf Bundeskanzler Kiesinger wird in den Erinnerungen ausführlich beschrieben. Und ebenso die Nebenwirkung: Denn auch für das deutsch- französische Paar steht die Ohrfeige am Beginn der Beziehung. Beate fliegt raus beim deutsch-französischen Jugendwerk, Serge beschließt, ihr zu helfen.
    Der junge Historiker arbeitet beim französischen Rundfunk, vor allem aber forscht er nach dem Verbleib von Nazis, die nach dem Krieg untertauchten oder gar in Deutschland unter ihrem eigenen Namen vollkommen unbehelligt leben.
    Der Fall Barbie war besonders wichtig
    Dass es gelingt, 1979 einen Prozess in Köln zu erzwingen, bewertet Serge in der Rückschau als größten Erfolg überhaupt, weil damit endlich der Rechtsstreit zwischen Frankreich und Deutschland über die Verfolgung der Täter entschieden ist:
    "Der wichtigste Fall für uns war Lischka, Hagen, Heinrichsohn, denn das waren die Organisatoren der Deportation der französischen Juden. Aber es ist offenkundig: Für die Medien war der Fall Klaus Barbie wichtiger. Denn der entsprach all den Romanen über kriminelle Nazis, die bis nach Südamerika geflohen waren."
    Der Nazi-Verbrecher Klaus Barbie - hier im Jahr 1982 - wurde am 4. Februar 1983 von Bolivien an Frankreich ausgeliefert.
    Der Nazi-Verbrecher Klaus Barbie - hier im Jahr 1982 - wurde am 4. Februar 1983 von Bolivien an Frankreich ausgeliefert. (picture-alliance / dpa / UPI)
    Mit dem Prozess gegen Klaus Barbie in Lyon beginnt zugleich die Aufarbeitung der französischen Kollaboration, auch sie jahrzehntelang verdrängt, bis zum historischen Schuldeingeständnis von Präsident Chirac 1995. Deutsche waren Täter, Franzosen Komplizen, und Serge und Beate Klarsfeld die beiden, die ihr gesamtes Leben in den Dienst der Aufklärung gestellt haben und dies nun minutiös nachzeichnen:
    "Denn sie sehen, es ist nicht sehr viel Persönliches. Aber zumindest die Familie ist gut beschrieben. Und man weiß, dass hier ein Paar gehandelt hat, Serge, dessen Vater in Auschwitz ums Leben kann, hier eine deutsche Nicht-Jüdin."
    Sie bereuen nichts und würden es wieder tun. Vor allem, weil es ihnen nicht um Rache an den Tätern ging, sondern um Hilfe für die Opfer: Mit ihrer Organisation für die Söhne und Töchter der ermordeten Juden, und mit ihrem Einsatz gegen die Gefahr von rechts in all ihren Spielarten. Marine Le Pen dürfe nicht Frankreichs Präsidentin werden, warnt Serge Klarsfeld.
    Front National wäre eine Katastrophe für Frankreich
    "Entscheidend ist, dass eine extremistische, rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Partei nicht an die Macht kommt. Das wäre eine Katastrophe für Frankreich, für Europa und für die ganze Welt."
    Acht Jahre alt war Serge, versteckt mit seiner Schwester in der elterlichen Wohnung in Nizza, als die Gestapo seinen Vater abholt. 76.000 Juden haben die Deutschen aus Frankreich deportiert. Jeden einzelnen Fall hat der Historiker dokumentiert. Die Regale im Büro reichen bis unter die Decke, sind vollstopft mit Ordnern voller Dokumente. Gerade ist Serge Klarsfeld 80 geworden, er sprüht vor Energie, Beate, nur wenig jünger, bereitet Reisen nach New York und Italien vor. Die beiden haben ihre Erinnerungen verfasst, aber der Kampf geht weiter.