Anfang Juli 2022 im deutschen Bundestag. Der AfD-Politiker Bernd Baumann kritisiert die Pläne der Ampel-Koalition, die Publizistin Ferda Ataman zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung zu machen. Trotz der erregten Diskussion um ihre Personalie wird Ataman tags darauf mit einer knappen Mehrheit gewählt.
„Ich danke den Abgeordneten, die mir heute ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Diejenigen, die mir ihr Vertrauen nicht schenken konnten, werde ich versuchen, mit meiner Arbeit zu überzeugen.“
Seit ihrer Wahl ist es wieder deutlich ruhiger um Ferda Ataman geworden. Auch viele andere Beauftragte der Bundesregierung stehen vor allem dann im Rampenlicht, wenn sie ernannt werden. Die Ampelkoalition hat bereits mit mehreren neu geschaffenen Beauftragten-Ämtern mediale Aufmerksamkeit erregt. Anfang des Jahres etwa wurde der Grünen-Politiker Sven Lehmann zum ersten „Queer-Beauftragten“ in der Geschichte der Bundesrepublik gemacht. Er soll sich für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt einsetzen.
Bislang 42 Beauftrage der Bundesregierung
„Dabei muss man unterscheiden: Beauftragte der Bundesregierung, also der Ministerien, und Beauftragte des Parlamentes. Das ist, sowohl was die rechtliche Legitimation angeht, wie auch was die Ressourcenausstattung betrifft, noch mal unterschiedlich zu betrachten“, erklärt Wolfgang Schroeder, Politik-Professor an der Uni Kassel.
Meine eigene familiäre Einwanderungsgeschichte ist natürlich ein großer Vorteil in diesem Bereich. Ich kann meine persönliche Perspektive da miteinbringen. Aber letztendlich war der entscheidende Grund, denke ich, vor allem meine berufliche Erfahrung.
Eine dieser Persönlichkeiten ist Reem Alabali-Radovan. Die 32 Jahre alte SPD-Politikerin hat als Einzige sogar gleich zwei Beauftragten-Ämter inne. Seit letztem Dezember ist sie die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und seit Februar außerdem Beauftragte für Antirassismus: „Als Integrationsbeauftragte aber auch als Anti-Rassismus-Beauftragte bin ich vor allem Ansprechpartnerin für Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Meine Aufgabe ist es, die Perspektive dieser Menschen auch in die Regierungsarbeit miteinzubringen. Und natürlich darauf zu achten, dass wir die Vorhaben, die wir im Koalitionsvertrag im Bereich Migration, Integration, aber auch Bekämpfung von Rassismus vereinbart haben, auch umgesetzt werden.“
Möglicherweise etwas weniger bekannt als die Integrationsbeauftragte ist ihr Parteikollege Stefan Schwartze, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten. Der SPD-Politiker wurde von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für das Amt vorgeschlagen und im Januar vom Kabinett berufen: „Mir ist es wichtig, die Patientinnen und Patienten in unserem Land vernünftig hier zu vertreten, ihre Interessen in die Gesetzgebungsprozesse einzubringen, aber auch vor allem denjenigen eine Stimme zu geben, die aufgrund ihrer Erkrankung selbst gar nicht so laut sein können, weil sie die Kraft dafür nicht mehr haben.“
Die finanziellen Mittel unterscheiden sich stark
Der Personalstab und die finanziellen Mittel, die den Beauftragten bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen, unterscheiden sich stark. Der Patientenbeauftragte hat zusammengenommen fünf Vollzeitstellen und einen Gesamtetat von rund 150.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit und wissenschaftliche Gutachten. Reem Alabali-Radovan hingegen ist nicht nur zweifache Beauftragte, sondern vor allem auch Staatsministerin für Migration im Kanzleramt. Dort hat sie einen Arbeitsstab von circa 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: „Als Beauftragte habe ich auch einen eigenen Haushalt. Im jetzigen Regierungsentwurf sind dort circa 40 Millionen Euro abgebildet.“
Mein Problem sind Beauftragte, die nur von der Bundesregierung ernannt werden – ohne Mitwirkung des Bundestags – und nur so angegliedert sind an das Ministerium. Und zwar ist es so, dass sie zwar dem Minister beigegeben werden, also der Minister für sie zuständig ist, aber rechtlich gesehen gibt es keine Einflussnahme-Möglichkeiten.
Rechtsgrundlagen haben unterschiedliche Ursprünge
Möglicher Rollenkonflikt: Beauftragte und zugleich Abgeordnete
„Wenn man also alle Bundesregierungsmitglieder, fast alle parlamentarischen Staatssekretäre und alle Beauftragten zusammenzählt, die gleichzeitig noch Abgeordnete sind, können das schnell mal so zwischen 50 und 60 Personen sein. Und die gesetzliche Mindestzahl von Abgeordneten im Bundestag sind 598. Das wären also um die zehn Prozent. Das ist keine kleine Anzahl, die eigentlich die Bundesregierung kontrollieren sollen.“
Auch Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder hält es für ein Problem, wenn zu viele Abgeordnete auch Beauftragte sind: „Also hier müsste eine bessere Trennung herbeigeführt werden. Andererseits hat man natürlich das Problem, wenn man jetzt nur externe Persönlichkeiten nehmen würde, könnte man voraussetzen, dass deren Professionalität im Sinne des wirkungsvollen Einsatzes im politischen System nicht so hoch einzuschätzen ist. Also auch hier ist eine Güterabwägung notwendig zwischen dieser Rolle, die sie im Parlament haben, und ihrer Rolle, die sie im Sinne der thematischen Unterstützung des politischen Systems wahrnehmen wollen.“
Juristen fordern mehr rechtliche Klarheit
Der Patientenbeauftragte Stefan Schwartze ist als Bundestagsabgeordneter Mitglied im Familienausschuss und stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss: „Ich nehme das so wahr, dass das Mandat auch die Rolle des Patientenbeauftragten durchaus stärken kann, weil er in der Fraktion das Wort ergreifen kann, weil er mit Parlamentariern sprechen kann, weil er in die Ausschüsse reingehen kann.“ Als Patientenbeauftragter sei er außerdem nicht Teil eines Ministeriums. Er nehme sein Amt - vielleicht auch weil es gesetzlich festgeschrieben ist - als sehr unabhängig wahr.
Verfassungsrechtlerin Karoline Haake von der Uni Hannover hält es trotzdem für nötig, mehr rechtliche Klarheit in die Beauftragten-Ämter zu bringen: „Manche wenige Beauftragte wie zum Beispiel die Antidiskriminierungsbeauftragte haben ja eigene gesetzliche Regelungen, die das Rechtsverhältnis, die Befugnisse und so weiter umfassender regeln. Das ist aber der absolute Ausnahmefall. Man könnte das jetzt für jeden Beauftragten natürlich machen. Das ist aber sehr langwierig und schwierig. Und um die rechtlichen Schwierigkeiten erst mal zu klären, könnte man ein allgemeines Bundesbeauftragten-Gesetz verabschieden.“
Auch Wolfgang Schröder von der Uni Kassel hält ein Beauftragtengesetz für sinnvoll, in dem die Berufung, Aufgabenstellung, Arbeitsweise und Alimentierung der Beauftragten grundsätzlich geklärt würde. Aus Sicht des Politikwissenschaftlers wäre eine grundsätzliche Debatte über das Beauftragtenwesen wünschenswert: „Und zwar eine fundierte Debatte, die auch evidenzbasiert ausgestattet ist. Das heißt, man bräuchte schon auch mal ein paar Studien über die Arbeits- und Wirkungsweise der Beauftragten. Weil das würde, glaube ich, auch viel an Kritik möglicherweise aufsaugen. Weil, wenn man nachweisen kann, dass durch diese Position im Sinne der Arbeitsteilung viel Hilfreiches getan wird, könnte man ja auch der Kritik etwas souveräner und gehaltvoller begegnen.“
Zurzeit sei das Beauftragtenwesen intransparent und unklar, warum wann welches Amt geschaffen werde. Was aber auffällt: Es gibt immer mehr Beauftragte. Im Jahr 1952 gab es einen einzigen Beauftragten - heute 42. Neue Regierungen führen zusätzliche Ämter ein, keine schafft die der Vorgängerregierung ab. Gerade in Koalitionsregierungen bleibe am Ende so ein Geschmäckle zurück, dass über die Erfindung neuer Ämter ein gewisses politisches Gleichgewicht hergestellt werden soll, sagt Wolfgang Schroeder. „Die Vergabe von Jobs ist ja nicht nur deshalb interessant, weil man dafür eine Zurzeit sei das Beauftragtenwesen intransparent und unklar, warum wann welches Amt geschaffen werde. direkte Alimentierung bekommt, sondern eben auch politische, öffentliche Aufmerksamkeit. Und das ist die Währung der Politik.“
Untersuchung der Wirksamkeit der Beauftragten wäre sinnvoll
Die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan sieht die Stärke ihres Amtes darin, dass sie als koordinierende Stelle über die verschiedenen Ministerien hinweg den Überblick habe: „Und natürlich ist es auch noch mal wichtig, dem ganzen Thema eine Sichtbarkeit zu geben, und das tut man auch durch Beauftragten-Stellen. Und Beauftragte sind auch in ihrer Handhabe etwas freier als Ministerien. Und das ist gerade für Themen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffen, finde ich doch sehr vorteilhaft und auch wichtig.“
Auch für Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, kommt es beim Amt der Integrationsbeauftragten auf das Engagement der jeweiligen Amtsträgerin an. Auf Anfrage des Deutschlandfunk teilt er mit, wenn sie sich mit Verve und Entschiedenheit in öffentliche Diskurse einbringe und sich auch gegen Widerstände im Kabinett für Flüchtlinge und Integration einsetze, sei sie einflussreich. Auch weil sie im Unterschied zu anderen Beauftragten mit am Kabinettstisch sitze und so einen direkten Zugang zu wichtigen Regierungsmitgliedern habe.
Einen Bedarf, die Ämter zu reformieren, sehen zumindest die beiden Beauftragten Reem Alabali-Radovan und Stefan Schwartze derzeit nicht. Auch die Bundesregierung plant nicht, ein Bundesbeauftragten-Gesetz oder ähnliches auf den Weg zu bringen und so etwaige verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen. Sinnvoll wäre zumindest in einem ersten Schritt die Wirksamkeit der Beauftragten wissenschaftlich zu untersuchen. So ließe sich fundiert überprüfen, ob die Beauftragten unter den gegenwärtigen Voraussetzungen ihre Funktion erfüllen: Eine Brücke zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den politischen Verantwortlichen zu bauen.