Die Erwartungen an die neue Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur sind hoch. Esther-Marie Ullmann-Goertz, in der DDR als Schülerin politisch verfolgt, formuliert es bei einem Videotelefonat so:
"Dass sie ein ziemlich dickes Fell hat und das Thema, wofür sie da ist in ihrer Position, den Leuten immer wieder unter die Nase zu reiben. Und nicht nur in diesem Sinne, hier sind viele Bedürftige, die auch eine Unterstützung brauchen. Sondern es gab tapfere und mutige Leute in der DDR - im Gegensatz zu denen, die gespitzelt haben oder die sich angepasst haben."
Am 17. Juni tritt Evelyn Zupke ihr Amt als erste Beauftragte der Bundesregierung für die Opfer der SED-Diktatur an. Der Bundestag hat sie in der vergangenen Woche mit großer Mehrheit gewählt. Bis vor kurzem war sie der Öffentlichkeit noch unbekannt.
Vermittlerin zwischen Opfer und Politik
Pünktlich zum symbolträchtigen Termin, dem Tag des Volksaufstandes in der DDR 1953, kann sie ihr Büro beziehen. Es liegt - nicht weit von Parlament und Abgeordnetenbüros - in einem frisch renovierten Ziegelbau der Berliner Dorotheenstraße. Aus dem dritten Stock blickt die 59-Jährige auf eine riesige Baustelle. Fortan vertritt sie die Interessen ehemaliger politischer Gefangener, früherer Heimkinder und von der Stasi Verfolgter und bezeichnet dies als Chance.
"Wir sind da nicht Bittsteller, sondern wir sind ja Bundesbeauftragte für die Opfer und damit sehe ich dieses Amt eben als Vermittlerin und Brücke auch zwischen Opfer und Politik – für beide Seiten Ansprechpartner. Und auch beratend. Also das Amt hat das Recht, auch Gesetzesvorlagen mit einzubringen. Und da haben wir dann natürlich, hoffe ich, ein größeres Gewicht als wenn ein einzelner Verband sich jetzt einsetzt. Darin liegt die Chance."
Nach monatelangem Tauziehen mit der SPD um Kandidaten und Kandidatinnen wie die frühere Ostbeauftragte Iris Gleicke und ehemalige Bürgerrechtler wie Uwe Schwabe oder Stephan Bickhardt hatte die CDU-Fraktion überraschend die ehemalige DDR-Oppositionelle vorgeschlagen. Sie ist parteipolitisch nicht gebunden und verweist auf ihre beruflichen Erfahrungen:
"Meine Arbeit in Hamburg als Sozialarbeiterin ist in der ambulanten Eingliederungshilfe mit Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dadurch bringe ich natürlich sehr viel Erfahrung mit und Eigenschaften wie Empathie und soziale Kompetenz. Und eben auch das Wissen über Psychotraumatologie, weil ich habe auch eine Zusatzausbildung als Fachkraft für Psychotraumatologie. Das kann so einem Amt natürlich zugutekommen, weil man mehr Verständnis für die Opfer erbringen kann und weiß, was das psychisch anrichten kann."
Kritik: Mit Opferarbeit bisher nicht vertraut
Die Besetzung hatte zunächst für Kritik gesorgt: Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk bescheinigte in der Berliner Zeitung der Koalition, dass sie angesichts dieser Entscheidung den Job wohl für bedeutungslos halte. Moderater zeigt sich Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der "Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft", UOKG:
"Kritisch anzumerken ist, dass wir immer gefordert haben, dass es eine Persönlichkeit sein soll, die in der Opferarbeit bereits vertraut und zu Hause ist, weil wir die Sorge hatten und haben, dass eine sozusagen fachfremde Persönlichkeit auch lange Zeit braucht, sich einzuarbeiten, denn die Aufgaben sind komplexer, als es von außen aussieht. Aber nun ist die Entscheidung gefallen, und wir werden natürlich unser Bestes geben, um Frau Zupke in ihrem Amt auch zu unterstützen, und das auch durchaus im eigenen Interesse."
Evelyn Zupke reagiert gelassen. Sie könne sachliche Vorbehalte angesichts der Tatsache, dass sie sich erst einarbeiten müsse, zwar verstehen. Kritikern hält sie jedoch ihre vielfältigen Erfahrungen mit oppositionellem Handeln und Stasi-Repression in der DDR-Zeit entgegen. So war sie Mitglied des Friedenskreises Weißensee und deckte bei der letzten DDR-Kommunalwahl im Mai 1989 den Wahlbetrug mit auf.
Katrin Budde, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende im Kulturausschuss, ist überzeugt, dass Zupke dem neuen Amt eine eigene Note geben wird:
"Weil sie auch eine ganz eigene und besondere Biographie hat, weil sie die Menschen gut verstehen wird, die zu ihr kommen und ihre Opfergeschichten erzählen. Die ein Verständnis dafür hat, weil sie in dem Härtefallfonds sitzt, was es heißt, Opfer gewesen zu sein, die mit Menschen gearbeitet hat, die schwierige Situationen hinter sich haben oder in schwierigen Situationen stecken und die als Zeitzeugin seit vielen Jahren landauf landab im Osten wie im Westen unterwegs ist, die Situation in der DDR erklärt, die Zeit der friedlichen Revolution, aber auch danach."
Zupkes Amtsantritt stellt eine Zäsur dar
Zupkes Amtsantritt stellt eine Zäsur dar. Am 17. Juni endet zugleich die zehnjährige Tätigkeit von Roland Jahn, nach Joachim Gauck und Marianne Birthler der dritte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Und nicht nur das: Auch seine Behörde wird abgewickelt. Die Dokumente der Geheimpolizei werden Teil des Bundesarchivs. Allerdings bleiben die 111 Regalkilometer Akten an ihren Standorten in der Stasi-Zentrale und in den Außenstellen der neuen Länder und werden nach und nach digitalisiert.
Damit wird Realität, was der frühere Bürgerrechtler in den vergangenen Jahren nicht müde wurde zu wiederholen. Jahn, 67 Jahr alt, sitzt vor dem früheren Offizierskasino in der Stasi-Zentrale und blickt auf den Kern des von ihm vielfach beschworenen "Campus der Demokratie": das Stasi-Museum im ehemaligen Mielke-Dienstsitz, das Stasi-Unterlagenarchiv im Querriegel, im Hof die Freiluftausstellung zur Friedlichen Revolution und – so ist es geplant – ein Archivneubau. Seiner Behörde weint er keine Träne nach.
"Nein, im Gegenteil. Wer sich verändert, bleibt sich treu. Wir haben Neues geschaffen, um den Kern des Alten zu bewahren. In den Strukturen des Bundesarchivs wird die Errungenschaft der Friedlichen Revolution, die Nutzung der Stasi-Akten fortgeführt."
Die entscheidende Botschaft an die Gegner dieser Transformation sei: Die Stasi-Akten bleiben offen.
"Es ist beschlossen worden, dass das Stasi-Unterlagen-Gesetz weiter den Zugang zu den Stasi-Unterlagen regelt, und das ist eine wichtige Voraussetzung, dass hier Kontinuität da ist, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen: Die Akten bleiben offen, sie haben Zugang zu den Akten zur persönlichen Akteneinsicht, die öffentlichen Stellen haben Zugang, aber auch Forschung und Medien können diese Akten weiter nutzen zur Aufklärung über die Herrschaftsmechanismen der DDR. "
Umstrittener Weg der Transformation
Der Weg zum Bundestagsbeschluss im November 2020 war langwierig und umstritten. Ging es doch um das Hauptsymbol der so genannten Friedlichen Revolution im November 1989. Oppositionelle und Bürgerrechtler sicherten in den darauffolgenden Monaten die Stasi-Akten vor der Vernichtung.
Dr. Jens Gieseke vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam betont diesen besonderen Moment:
"Das war ja ein Zeitpunkt, zu dem weder sicher war, ob die Stasi-Akten in Zukunft nicht vernichtet werden würden und es war auch nicht sicher, wer das Sagen haben würde in Ostdeutschland und damit auch im gesamten vereinigten Deutschland. Und dafür war diese Stasi-Unterlagen-Behörde einfach eine sehr wichtige Institution, sie war eine ostdeutsche Institution, sie ist durchgesetzt worden insbesondere von den ostdeutschen Abgeordneten der Volkskammer gegen den Willen beider Regierungen damals."
"Das war ja ein Zeitpunkt, zu dem weder sicher war, ob die Stasi-Akten in Zukunft nicht vernichtet werden würden und es war auch nicht sicher, wer das Sagen haben würde in Ostdeutschland und damit auch im gesamten vereinigten Deutschland. Und dafür war diese Stasi-Unterlagen-Behörde einfach eine sehr wichtige Institution, sie war eine ostdeutsche Institution, sie ist durchgesetzt worden insbesondere von den ostdeutschen Abgeordneten der Volkskammer gegen den Willen beider Regierungen damals."
Die Stasi-Unterlagenbehörde habe seitdem als Hybrid, einer Mischung aus Archiv, Überprüfungsbehörde, Forschungs- und Bildungseinrichtung, eine zentrale Botschaft verkörpert, so Jens Gieseke: An die Akten kommt keiner mehr heran, der sie vernichten möchte. Mehr als 3,3 Millionen Anträge auf persönliche Akteneinsicht, mehr als 1,7 Millionen Ersuchen zur Überprüfung von Regierungsmitgliedern, Abgeordneten und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes sind gestellt worden.
Dass die Behörde, international ein Vorbild im Umgang mit den Hinterlassenschaften eines Geheimdienstes, trotzdem als zeitlich begrenzte Einrichtung zur Disposition stand, sah schon das Gedenkstättenkonzept des Bundes von 2008 vor. Eine eigens eingesetzte Expertenkommission legte 2016 Vorschläge vor, die damals noch für Furore sorgten: Eine Ombudsperson solle sich um die Belange der Opfer und die weitere Aufarbeitung kümmern. Und selbst das Stasi-Unterlagen-Gesetz stand zur Disposition. Katrin Budde:
"Ich bin sehr erstaunt gewesen, auf wie viele Fettnäpfe ich getroffen bin und wie tief ich da drin versunken bin. Es hat da wirklich eine große Zerstrittenheit gegeben. Sehr viele haben am Anfang gesagt: Wir wollen das gar nicht. Und es hat einen sehr langen Gesprächsprozess über fast drei Jahre gegeben, wo ich wirklich alle einbezogen habe von den Opferverbänden über die Landesbeauftragten, auch die Stiftung Aufarbeitung, und am Ende haben fast alle unisono gesagt: Okay, das, was jetzt dabei rausgekommen ist, ist gut."
Kritik am Ende der Behörde
Nicht wenige der in der DDR-Zeit politisch Verfolgten sehen das anders. Esther-Marie Ullmann-Goertz zum Beispiel kritisiert die Abschaffung der Stasi-Unterlagenbehörde.
"Ich finde das schlecht. Wie es jetzt ist, sieht es für mich so aus, als ob die Bedeutung etwas runtergeschraubt ist. Und es ist eben keine normale Behörde, sondern es ist was Besonderes. Das sind auch Akten, die zeigen wirklich im Konkreten Zivilcourage, und Dinge, die in der Öffentlichkeit noch nicht so groß besprochen sind."
Die frühere Pfarrerin gehört zu einer jener Opfergruppen, die bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren haben – auch wenn ehemals verfolgte Schüler, die heute finanziell schlecht dastehen, infolge einer Gesetzesänderung seit kurzem eine geringfügige Unterstützung beantragen können.
Esther-Marie Ullmann-Goertz bekommt diese nicht. Obwohl ihr Leben nicht schlecht war, sagt sie beim Videotelefonat, falle es ihr jedes Mal schwer zu erzählen, dass sie trotz bester Noten in Naumburg nicht zur Erweiterten Oberschule und zum Abitur zugelassen wurde. Als Tochter eines Theologen-Ehepaares hatte sie Pioniere, FDJ und Jugendweihe abgelehnt.
"Eigentlich wäre ich sehr gerne Lehrerin geworden. Aber das habe ich ja schon als Kind gemerkt, dass ich dort nicht gelandet wäre in Margot Honeckers System – mit solchen Leuten wie mir und wirklich auch Christen-Leuten wollten sie nichts zu tun haben. Ich war innerlich doch ziemlich sauer und habe mich auch sehr, sehr, sehr einsam und verlassen gefühlt von aller Welt."
Bis zu 30 verschiedene Gruppen von SED-Unrecht betroffen
Verfolgte Schüler und Schülerinnen zählt der Historiker Dr. Christian Sachse zu jenen Opfergruppen, die kaum erforscht seien. Dazu gehörten auch verfolgte Christen oder die unterschiedlichen Jugendmusikkulturen in der gesamten DDR-Zeit.
"Und die weitere Gruppe, die dann gewesen ist, das sind die, die meines Erachtens auch am Härtesten verfolgt worden sind, das waren die Punker, also die waren ja wesentlich politischer als die Punker in der Bundesrepublik oder auch in Großbritannien. Das waren Leute, die gesagt haben: Ich werde mich mit diesem Land, mit dieser Gesellschaft, mit diesem Staat nicht mehr einlassen. Dann haben sie es mit einer schrägen, schrillen Kleidung und eben auch einer sehr lauten und aggressiven Musik deutlich gemacht. Und das ging dem gesamten System gegen den Strich, und die sind schwer misshandelt worden, schwer frustriert und traumatisiert."
Sachse, der als Mitarbeiter der UOKG das zentrale Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft mit vorbereitet, spricht von bis zu 30 verschiedenen Opfergruppen, die sich einzelnen Phasen der DDR-Geschichte zuordnen lassen. Etwa die frühen Opfer von Repression unter der Sowjetischen Besatzungsmacht, der in den 50er Jahren enteignete Mittelstand und kritische Intellektuelle, die in den Westen gingen, die Opfer von Grenze und Mauerbau und – ab den 70er Jahren - die von der Stasi verfolgte Friedens- und Ökologiebewegung.
Immer wieder kämen neue hinzu wie jene Menschen, die in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Psychiatrie Leid erfahren haben und bis Ende Juni bei der Stiftung Anerkennung Hilfe beantragen können. Wie viele Menschen jeweils betroffen waren, lasse sich am genauesten für die rund 500.000 Heimkinder und bis zu 250.000 politischen Gefangenen sagen.
"Aber wer will schätzen, wie viel verfolgte Schüler es gegeben hat. Was ist da der Begriff der Verfolgung? Wer will schätzen, wie viele verfolgte Christen es gegeben hat? Das nennen wir so ein bisschen die weichen Opfergruppen. Wo die Ränder fließend sind, wo man das nicht genau sagen kann."
Opfer-Begriff ist umstritten
Ob Menschen, die in der DDR-Zeit Unrecht erlebt haben, als Opfer bezeichnet werden sollten, ist umstritten. Nicht alle möchten das. Der Historiker verweist auf ehemalige Bürgerrechtler, die teilweise schwere Repressionen aushalten mussten, aber, "die für sich aus dem Stolz heraus: Ihr habt mich nicht kleingekriegt, sagen: 'Nein, ich bin kein Opfer.' Was aber nicht stimmt.
Sondern wenn man in sich hineinhorcht, wenn man älter wird, wie ich, dann merkt man schon ganz deutlich, dass diese über viele Jahre hinweg laufenden Verfolgungen – bei mir waren das glaube ich ich drei Jahre richtige Zersetzungsmaßnahmen, Beobachtungsmaßnahmen, die ich auch wahrgenommen habe, die hinterlassen doch Spuren. Insofern hat der Begriff des Opfers nichts Entwürdigendes, sondern er beschreibt das, was man gegen seinen Willen halt geworden ist."
Viele Betroffene leiden heute noch unter der erlebten Unterdrückung, Verfolgung und Benachteiligung. Das zeigt eine vom Land Brandenburg erstellte Sozialstudie, für die hier lebende Diktaturopfer repräsentativ befragt wurden. Dieter Dombrowski von der UOKG:
"Das Ergebnis ist erschreckend, verblüffend und beschämend. Nämlich erstens, dass die SED-Opfer in Brandenburg doppelt so hoch von chronischen Krankheiten betroffen sind, dass sie doppelt so häufig als der Durchschnitt der Bevölkerung in prekären Verhältnissen leben, aber dass sie - und das ist die dritte Erkenntnis – trotzdem ein viel größeres Zutrauen als der Durchschnitt der Bevölkerung in Brandenburg zu den Institutionen des Staates hat."
Gesundheitliche Folgeschäden erforschen
Die gesundheitlichen Folgeschäden des SED-Unrechts sind bekannt, stellt Birgit Neumann-Becker fest. Die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur berät Menschen, die schwere Hafterfahrungen machen mussten, in Spezialkinderheime eingewiesen oder zwangsausgesiedelt wurden und als Schüler oder im Beruf politisch verfolgt waren.
Trotzdem würden diese Schäden bei Anträgen auf Anerkennung, rehabilitierungsrechtlichen Fragen oder Entschädigungsforderungen immer noch zu wenig anerkannt. Die Beweislast liege nach wie vor bei den Geschädigten. Um diese Prozesse genauer zu erforschen – und zu verändern -, hat die Theologin gemeinsam mit der UOKG und den Universitäten in Magdeburg und Jena, Leipzig und Rostock ein Kompetenzzentrum gegründet, das bald seine Arbeit aufnimmt.
"Das ist ein Zeichen dafür, wie virulent dieses Thema ist, dass auch noch Aufarbeitung nötig ist und dass es insbesondere auch einen Bedarf gibt, daran zu arbeiten, die Betroffenen besser in die medizinische Betreuung sie dort hineinzubekommen und zu verstehen, warum es bisher so schlecht gelungen ist. Wir erleben häufig, dass ehemalige Häftlinge oder Insassen von Jugendwerkhöfen, obwohl sie schwer körperlich krank sind, sich nicht in medizinische Behandlung begeben, weil sie vollständig das Vertrauen verloren haben in jemanden, der mit ihnen etwas macht, an ihnen etwas macht, was sie nicht kontrollieren können und was sie nicht vielleicht eins zu eins verstehen."
Opferverbände wollen Anerkennung für Betroffene
Die Erwartungen an Evelyn Zupke sind tatsächlich hoch. Dieter Dombrowski will der neuen Opferbeauftragten fünf Punkte vorlegen. Einer davon betrifft die in politischer Haft geleistete Zwangsarbeit, wie es die UOKG nennt. Die monatliche Opferrente für Menschen, die mindestens neun Monate inhaftiert waren, reiche nicht. Westliche Unternehmen, die mit der DDR Handel trieben und von der Haftarbeit profitierten, sollen zur Kasse gebeten werden. Ein weiteres Anliegen ist ein bundesweiter Härtefallsfonds. Aber:
"Es geht dabei auch nicht immer nur um Geld. Es geht auch um Respekt, und es geht um Anerkennung, um Empathie, und auch die fehlt an allen Ecken und Enden."
Die Wahrnehmung der Opfer hat sich nach Ansicht von Christian Sachse bereits verändert. Als er vor zehn Jahren in seinem ersten Buch über DDR-Heimkinder die Arrestzellen beschrieb, habe er noch wütende Zuschriften von Erziehern und Lehrern bekommen. Mittlerweile seien die Leiden stärker anerkannt.
"Aber diese systematische Verdrängung feindlicher Ansichten, was die letztlich bedeutet hat für die Biographie, das ist meines Erachtens im öffentlichen Bewusstsein noch nicht angekommen. Da kann man auch keine Entschädigung verlangen, aber zumindest eine Art Mitgefühl oder Verständnis sollte man schon verlangen können. Also ich wäre Mathematiker geworden, Physiker geworden, bin halt Theologe geworden, weil Theologie konnte man in der DDR auch als verfolgter Christ, logisch, studieren. Und da leide ich bis heute drunter."
Die Abschaffung der Stasi-Unterlagen-Behörde sei zwar ein Verlust, sagt Jens Gieseke, der dort in den 90er Jahren selbst geforscht hat. Sie komme aber zum richtigen Zeitpunkt. Die SED-Opferbeauftragte, so hofft er, könne dazu beitragen, die auf die Stasi fixierte Wahrnehmung der DDR auf andere gesellschaftliche und staatliche Akteure zu weiten. Und außerdem trete irgendwann eine neue Generation an.
"Wenn ich das etwas ironisch sagen sollte: Die Bürgerrechtler von gestern agieren heute als Wächter über ihre eigene Vergangenheit. Und das ist einerseits ganz normal und natürlich, man will sein intellektuelles Erbe, sein Leben und die Leistungen die man vollbracht hat, vor despektierlichen Nachfragen schützen. Aber das ist eben auch ein Prozess, der dann irgendwann überholt wird. Es wird eine neue Generation von jungen Leuten geben, die neue Fragen stellen, die auch dieses Erbe und die Symbolik in Frage stellen und vielleicht mit neuen Inhalten füllen."