Steinmeier hatte in Berlin-Karlshorst an das schwere Leid der dortigen Bevölkerung erinnert. Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion sei eine "mörderische Barbarei" gewesen, sagte der Bundespräsident im Deutsch-Russischen Museum.
Frank-Walter Steinmeier selbst hatte die Kritik zurückgewiesen, dass mit der Ortswahl andere Länder wie Belarus, die Ukraine oder die Baltischen Staaten an den Rand gedrängt würden, die als Teil der Sowjetunion genauso betroffen waren wie Russland.
Sie fühle sich dennoch ungemütlich bei dieser Wahl, sagte Marieluise Beck, viele Jahre Bundestagsabgeordnete der Grünen und danach Mitbegründerin des Zentrums Liberale Moderne, das sich zum Ziel setzt, die liberale und die offene Gesellschaft zu verteidigen.
Es säßen zwar auch Ukrainer und Belarussen in dem Museumsverein, aber der wissenschaftliche Beirat bestehe aus fünf deutschen und fünf russischen Vertretern. "Insofern würde ich doch denken, ich hätte mir gewünscht für diese gute, ehrliche, wichtige Rede des Bundespräsidenten, dass es einen anderen Ort gegeben hätte", sagte Marieluise Beck im Dlf.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Barenberg: Frau Beck, Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident hat in seiner Rede die Monstrosität der Verbrechen damals ein ums andere Mal mit sehr deutlichen Worten benannt und immer wieder in den Mittelpunkt seiner Gedenkrede gestellt. War das wichtig, war das richtig?
Beck: Das war wichtig und das ist richtig. Ich finde auch diese Formulierungen, die Sie eingespielt haben, alle treffend, überzeugend. Sie sind mit seiner Person und mit seiner Glaubwürdigkeit verbunden. Daran gibt es keinen Zweifel.
Das Entscheidende ist – und das habe ich auch von ihm nicht anders erwartet . dass er erinnert an den Überfall auf die Sowjetunion und nicht auf Russland, und dabei sind wir bei dem schwierigen Punkt, weil bei uns in Deutschland sehr weit verbreitet die Formulierung ist, der 22. Juni war der Überfall auf Russland. Und dann wird gesagt, und kein Volk hat so gelitten unter den Deutschen wie Russland und wir sind verantwortlich für den Tod von 27 Millionen Russen. Das trifft einen hoch sensiblen Teil der Länder und der Völker, die zwischen Russland und Deutschland von diesem Krieg ganz besonders betroffen worden sind, die heute nicht mehr Sowjetunion sind, die auch nicht Russland sind, sondern die heute heißen Belarus, Ukraine, die baltischen Staaten mit Hauptstädten wie Minsk, Kiew, Riga, Vilnius.
Der Kreml arbeitet aber systematisch an diesem Ausspruch, an dieser Formulierung, es war ein Krieg gegenüber Russland, so wie auch die Alliierten und deren Beteiligung ausgeblendet werden an der Befreiung von Deutschland und von Europa. Deswegen ist der Ort so problematisch, denn noch mal ganz kurz: Es ist das Deutsch-Russische Museum von Karlshorst.
"Es kann nicht um Relativierung gehen"
Barenberg: Nun hat Frank-Walter Steinmeier ja zu dem Konflikt, zu der Kontroverse unter anderem mit dem ukrainischen Botschafter gar nichts gesagt, hat unser Korrespondent berichtet. Er hat aber die Bemerkung gemacht, dass diese Verbrechen im kollektiven Gedächtnis nicht so verankert seien, wie er das für nötig halten würde. Muss man an diesem Punkt konstatieren, was Sie auch angedeutet haben, es gibt in der Erinnerungskultur eine Schieflage, die Russland in den Vordergrund stellt und die anderen Staaten, die anderen Bevölkerungen, Ukraine, Belarus, die baltischen Staaten, eher an den Rand drängt?
Beck: Ja, das erlebe ich so. Ich bin ja nun seit dem Maidan viel unterwegs für die Ukraine und mir wird häufig entgegengehalten, dass ich doch bitte beachten solle, das wir als Deutsche uns zurückzuhalten hätten in der Bewertung der Lage vor Ort, denn keiner habe so viel Verantwortung und so viele Opfer in der russischen Bevölkerung zu verantworten wie wir, und dann kommt diese Zahl von 27 Millionen, die Bundespräsident Steinmeier heute genannt hat.
Und es gibt etwas zweites. Ich sage hier Polen. Der Zweite Weltkrieg hat ja nicht am 22. Juni begonnen, sondern er hat begonnen am 1. September 1939 mit einem koordinierten Überfall auf Polen zwischen der Wehrmacht und der Roten Armee. Insofern gibt es da ein weiteres Kapitel, das ist für uns in Deutschland schwierig. Wir wollen nicht unsere Verantwortung relativieren und sagen, ach ja, die sowjetische Armee war ja genauso beteiligt an den Verbrechen wie wir. Es kann nicht um Relativierung gehen. Aber es gab eine Phase, in der Hitler und Stalin gemeinsame Sache gemacht haben, und das gehört zum großen historischen Bild mit hinzu.
"Ich fühle mich trotzdem sehr ungemütlich"
Barenberg: Was die Kontroverse selbst angeht, da stören sich der ukrainische Botschafter und auch die baltischen Staaten, die auch nicht teilgenommen haben, an der Ortswahl, weil sie sagen, das Deutsch-Russische Museum, das sogenannte Deutsch-Russische Museum ist dafür nicht der geeignete Platz. Nun hat Frank-Walter Steinmeier, hat das Bundespräsidialamt diese Kritik zurückgewiesen und gesagt, in diesem Museum, an diesem Museum sind auch Museen aus der Ukraine, aus den baltischen Staaten beteiligt. Würden Sie trotzdem sagen, dass das Bundespräsidialamt da einen Fehler gemacht hat?
Beck: Ich fühle mich trotzdem sehr ungemütlich. Ich habe mir noch mal sehr genau angeschaut, wie dieses Museum, was es für eine Geschichte hat und wie es jetzt zusammengesetzt ist. Es ist entstanden als Außenstelle des Zentralmuseums der Streitkräfte der UDSSR in Moskau 1967. Es ist dann wiedereröffnet worden 1995 als Deutsch-Russisches Museum Karlshorst. Es ist ein Verein, es sitzen Ukrainer und Belarussen in dem Verein, aber der wissenschaftliche Beirat besteht aus fünf deutschen und fünf russischen Vertretern. Insofern würde ich doch denken, ich hätte mir gewünscht für diese gute, ehrliche, wichtige Rede des Bundespräsidenten, dass es einen anderen Ort gegeben hätte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.