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Beck: Reform der Bundeswehr wurde völlig falsch angegangen

Die Eckdaten zur Reform der Bundeswehr legt Verteidigungsminister Thomas de Maizière heute auf den Tisch. Diese seien zwar realistischer als die seines Vorgängers, eine vernünftige Planung müsse aber auf einer Aufgaben- und Risikoanalyse basieren - die immer noch fehle, sagt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck.

Kurt Beck im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Seit zweieinhalb Monaten ist Thomas de Maizière Bundesverteidigungsminister. Seit seinem rasanten Wechsel auf diese Position nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg ist die Hauptaufgabe für den Verwaltungsexperten klar. Es gilt, die Bundeswehr nach dem Ende der Wehrpflicht neu zu organisieren und zugleich zu sparen. Heute legt de Maizière seine Planungen für dieses gewaltige Projekt auf den Tisch.

    Einer, der schon früh die alten Annahmen und Sparziele von Karl-Theodor zu Guttenberg in Sachen Bundeswehrreform als unrealistisch kritisiert hatte, ist Kurt Beck, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz (SPD). Das Thema liegt ihm schon mit Blick auf die 36 Bundeswehrstandorte in Rheinland-Pfalz und die damit verbundenen Arbeitsplätze am Herzen. Guten Morgen, Herr Beck!

    Kurt Beck: Schönen guten Morgen!

    Engels: Wir haben es gerade gehört: erste Eckdaten der Ministerpläne sind nach außen gedrungen. Wird mit Thomas de Maizière jetzt alles besser?

    Beck: Auf jeden Fall wird es realistischer, und das ist schon mal sehr viel. Es ist unglaublich, in welcher Form mit der Bundeswehr umgegangen wurde die ganze Zeit. Man hat ein Einsparvolumen öffentlich genannt und man hat theoretische Angaben genommen und darauf eine Reform aufgebaut, und das hat hinten und vorne nicht gestimmt, wie sich jetzt zeigt. Im Übrigen fehlt immer noch eine Aufgaben- und Risikoanalyse, auf die müsste eigentlich die Truppenstärke und die Organisation der Bundeswehr aufgebaut sein, aber aus dem Scherbenhaufen, den Herr de Maizière da vorgefunden hat, ist wahrscheinlich nicht viel mehr zu machen als das, was er jetzt vorstellt.

    Engels: Einige Zahlen sind herausgedrungen. Danach sollen offenbar die Gesamtzahlen der Berufs- und Zeitsoldaten auf 170.000 reduziert werden. Ist das eine angemessene Zahl, gerade mit Blick auf die Risikoanalyse, die Sie einfordern, um künftig allen Aufgaben gewachsen zu sein?

    Beck: Ich kann es schwer beurteilen, weil es eben diese Risikoanalyse nicht gibt. Aber in jedem Fall ist die Zahl realistischer als das, was ursprünglich da aufgrund reiner Finanzzahlen angepeilt war. Und was noch dramatischer ist: Wenn man jetzt sagt, man geht auf ein Drittel der Freiwilligdienenden zurück, dann zeigt das, wie berechtigt die Kritik gewesen ist, dass man eigentlich zuerst hätte Anreize schaffen sollen und den Leuten auch mit Informationen und Aufklärung dann hätte sagen können, wie attraktiv dieser Dienst ist, stattdessen hat man Zahlen angenommen, die man jetzt bei Weitem verfehlt. Also das wird noch eine ganz, ganz schwierige Phase, die kommenden Jahre bei der Bundeswehr wirklich realistisch dann so zu organisieren, dass das, was jetzt vorgegeben ist, erreicht wird.

    Engels: Bleiben wir gerade bei diesem Punkt. Ich fasse noch mal zusammen: Karl-Theodor zu Guttenberg hatte darauf gesetzt, dass bis zu 15.000 junge Menschen freiwillig Wehrdienst leisten werden; die Bewerberzahlen sind aber sehr gering und de Maizière geht dem Vernehmen nach nunmehr nur noch von 5000 Bewerbern aus. Passt das denn Ihrer Einschätzung nach zur Realität, oder muss man da noch viel mehr werben und auch Geld in die Hand nehmen?

    Beck: Man muss noch viel mehr werben, man muss Geld in die Hand nehmen und vor allen Dingen auch berufliche Chancen aufzeigen. Ich hatte im Bundesrat angeboten, dass wir als Länder mitwirken, denn wir könnten vieles tun: Wartezeiten auf einen Studienplatz verkürzen beispielsweise, wenn man entweder freiwilligen Wehrdienst, oder eben auch im Zivildienstbereich für die Gemeinschaft etwas tut. Wir könnten dort Elemente entwickeln in der beruflichen Bildung, die als Qualifikation nach einer Grundberufsausbildung gelten. Ich sage mal den Automechaniker, der dann später auch eine Hydraulik-, eine Elektronikausbildung hat, was man also braucht auch in der Bundeswehr und was dann später zu gebrauchen wäre, und vieles andere mehr. Dann hätten wir, glaube ich, andere Chancen, auch qualitativ hochwertige ausgebildete Menschen zu gewinnen für diesen freiwilligen Wehrdienst, und wir könnten natürlich daraus dann auch wieder rekrutieren für die Längerdienenden, denn das ist ja ein weiteres Problem. Bisher ist ein nicht unbeachtlicher Teil der länger dienenden aus den Wehrpflichtigen heraus rekrutiert worden, diese Chance entfällt.

    Das alles ist vom Tisch gewischt worden, man hat im Bundesrat nicht einmal als Bundesregierung auf uns geantwortet damals, man hat es einfach wie unwichtig hingenommen, und jetzt haben wir den Schlamassel und ich beneide Herrn de Maizière nicht, muss ich sagen, daraus jetzt noch was einigermaßen Vernünftiges zu machen.

    Engels: Kann denn dieses Konzept des freiwilligen Wehrdienstes angesichts des Fachkräftemangels überhaupt Erfolg haben, denn die Konkurrenz um junge Leute wird ja immer größer?

    Beck: Das ist absolut richtig und auch das war alles im vorigen Jahr schon abzusehen, und ich glaube, es geht durchaus, wenn man entsprechende Anreize setzt. Es ist sicher auf den Idealismus zu setzen. Das gilt für die freiwilligen Zivildienste genauso wie für den freiwilligen Wehrdienst. Und das ist ganz, ganz wichtig. Aber junge Menschen wollen auch, dass diese Zeit für sie einzahlt. Ich meine jetzt gar nicht finanziell, sondern für ihren weiteren Lebensweg. Dazu hatten wir ein geschlossenes Konzept vorgelegt von insgesamt mehr als 20 Punkten, die wir umsetzen könnten, die unterschiedliche Berufsgruppen ansprechen würden.

    Engels: Hätten Sie sie auch bezahlt?

    Beck: Das wäre immer noch aus dem Volumen gut bezahlbar gewesen, das da zur Verfügung stand. Also es ist nicht so, dass wir riesige materielle Aufstockungen verlangt haben. Und wenn jemand Studienwartezeiten verkürzt bekommt, dann kostet das zunächst nichts, und wir könnten dennoch durch Regelungen zwischen Bund und Ländern große Anreize schaffen. Also es geht und es ist keine finanzielle Frage, aber man hat einfach lieber mit viel Chuzpe da in den Tag hinein große Ziele verkündet.

    Engels: Dann schauen wir noch aufs Geld, denn der Spardruck auf die Bundeswehr scheint ja insgesamt nachzulassen. Statt der ursprünglich geplanten 8,3 Milliarden bis 2015, die eigentlich gespart werden sollten, scheint jetzt nur noch ungefähr die Hälfte an Spardruck übrig zu bleiben. Ist das eine realistische Einschätzung und rettet das Ihre Standorte?

    Beck: Also zunächst einmal, ich halte das immer noch für unrealistisch, zumindest in einer Übergangszeit. Ich glaube, dass wir zusätzlich Geld brauchen bei der Umorganisation. Ich habe früher als Arbeitnehmervertreter bei der Bundeswehr mehrere Heeresstrukturreformen mitgemacht und weiß um den Aufwand der Umorganisation bei der Bundeswehr. Also ich glaube die Zahl immer noch nicht, zumindest für die Übergangszeit. Aber ich bin auch hellhörig geworden, als gesagt worden ist, diese Finanzmittel, die jetzt nicht bei der Bundeswehr eingespart werden können, die könne man in anderen politischen Bereichen dann nicht im Verteidigungsetat aufbringen, und ich glaube, das dürfen wir auf keinen Fall. Es muss Klarheit bleiben, was haben wir für die Bundeswehr, für ihre Ausstattung, für Waffen, Gerät, für Sicherheit und Ausbildung der Soldaten, und dann haben wir auch eine Chance, die Dinge einzuschätzen.

    Die Standorte, das weiß ich noch nicht. Ich habe nie zu denen gehört, die zuerst gerufen haben, rettet meine Standorte. Natürlich will ich das, aber zuerst muss eine funktionsfähige Bundeswehrstrukturreform auf den Tisch, dann muss man sehen, was ist vernünftigerweise an Standorten zu sichern und zu erhalten, und auch dort gab es in dem Guttenberg-Konzept ja geradezu hanebüchene Geschichten. Wenn ich daran denke, wie man vorhatte, die Artillerie beispielsweise umzuorganisieren, die neue Artillerieschule in Idar-Oberstein woanders hinzuverlagern, dafür andere Truppenteile dorthin, also es waren abenteuerliche Geschichten und ich hoffe sehr, dass wir auch dort jetzt mit Vernunft, nicht nur mit dem Maßstab "Rettet die Standorte" an die Dinge herangehen können.

    Engels: Aber als Ministerpräsident müssen Sie doch immer die Standorte retten. Sie haben es ja selber angesprochen. Das heißt, Sparen bei der Bundeswehr wird für Sie immer ein Gegenthema sein?

    Beck: Das kennen wir aus der Umorganisation der NATO-Streitkräfte. Wir haben in Rheinland-Pfalz 626 militärische Standorte in zivile Nutzung überführt in den letzten zehn, zwölf Jahren. Also ich weiß da, wovon ich rede. Und dennoch sage ich, zuerst die Funktionsfähigkeit und dann die Standorte. Aber Unfug zu machen bei den Standorten, das verteuert und das wird am Ende auch nichts bringen. Also man kann nicht willkürlich zusammenlegen. Und ich sage auch: Eine Dislozierung, eine über die ganze Bundesrepublik gestreute Aufstellung der Bundeswehr hat für die Akzeptanz gerade auch für die freiwillig Wehrdienenden, die dann nicht in der ganzen Republik herumreisen müssen, eine ganz hohe Bedeutung. Also insoweit mit Vernunft dort herangehen und ich hoffe und erwarte von Herrn de Maizière, dass er mit uns darüber in vernünftiger Weise redet.

    Engels: Herr Beck, noch kurz der Blick auf Ihren Tag, denn heute stellen Sie sich ja zum insgesamt fünften Mal der Wahl zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, erstmals mit einem grünen Koalitionspartner. Was erwarten Sie von dieser neuen Regierungskonstellation?

    Beck: Neue Herausforderungen und ich glaube auch eine neue Chance für unser Land Rheinland-Pfalz, denn wir haben diesen Begriff sozialer und ökologischer Umbau unserer Gesellschaft sehr bewusst gewählt, und ich glaube, dass wir damit einmal die Energiewende schaffen können, dass wir damit Umweltschutz wirklich ganz groß schreiben können, die Voraussetzungen sind gut in Rheinland-Pfalz, und dass wir die soziale Dimension so herausheben können, dass am Ende die Veränderung der Alterszusammensetzung bewältigt wird und wir den Stand von Rheinland-Pfalz – wir haben uns ganz an die Spitze der Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland gearbeitet -, dass wir diesen Stand gut behaupten und ausbauen können, und das schaffen wir miteinander.

    Engels: Ein optimistischer Kurt Beck heute früh im Deutschlandfunk, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Vielen Dank für Ihre Zeit.

    Beck: Ich danke Ihnen!