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Beck: SPD-Vorstand machte Fehler bei der Vermittlung der Reformpolitik

Dirk Müller: Herr Beck ein Dämpfer für Gerhard Schröder, ein noch größerer Dämpfer für Wolfgang Clement und eine nahezu politische Ohrfeige für Olaf Scholz. Ist der Generalsekretär der falsche Mann für die Partei?

18.11.2003
    Kurt Beck: Nein, ganz sicher nicht, aber er ist natürlich in einer Position und an einer Stelle tätig, wo man in einer so schwierigen Lage der Reformen und der innerparteilichen, der öffentlichen Kritik einiges abkriegt und er hat es abgekriegt.

    Müller: Dass heißt, er hat das abgekriegt, was man eigentlich dem Kanzler geben wollte?

    Beck: Nein, das würde ich so nicht sagen, sondern es geht darum, dass natürlich Kritik da ist, dass sich die oft auch im Personal einen Ausdruck sucht und da er in den letzten Wochen und Monaten sehr deutlich und pointiert formuliert hat, hat sich das auf ihn konzentriert. Das war nicht "den Sack schlagen und den Esel meinen", durchaus nicht. Er war gemeint, aber es wäre für jeden anderen auch schwer gewesen anders hervorzugehen.

    Müller: Hat er es denn verdient?

    Beck: Nein, das will ich auch ausdrücklich verneinen. Ich will ausdrücklich sagen, dass er seine Arbeit gemacht hat und in soweit gibt es überhaupt keinen Grund, jetzt nachzukarten. Er hat eben für die Partei in einer schwierigen Situation seine Aufgabe erfüllt. Er hat dafür Kritik auch in Form dieser Stimmenzahl jetzt hinnehmen müssen und damit ist gut.

    Müller: Herr Beck, warum gehen Sie denn so gelassen damit um, wenn ein SPD-Generalsekretär das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten bekommt?

    Beck: Die SPD macht derzeit einen Weg durch und sie leistet eine Arbeit für Deutschland, die unbedingt geleistet werden muss. In einer Situation wie dieser ist es natürlich nicht so, dass Friede, Freude, Eierkuchen bei einer Partei wie der SPD herrscht, die diskussionsfreudig ist, die natürlich als Volkspartei auch eine Breite darstellen muss, wie sie es auch tut. Da geht so was nicht kritikfrei über die Bühne. Damit muss man einfach leben. Ich glaube, dass für Deutschland das, was derzeit getan wird, nicht nur unbedingt notwendig, sondern auch anerkennenswert ist, dass Gerhard Schröder sich dieser Herausforderung stellt. Andere, insbesondere die Union, tauchen weg und denken mehr parteitaktisch als wirklich in Interessen des Landes.

    Müller: Herr Beck wir haben von Schröder, wir haben von Wolfgang Clement gestern gehört. Wir sind dankbar, denn es ist ein ehrliches Ergebnis. Ein ehrliches Ergebnis heißt, dass die Delegierten ehrlich unzufrieden waren.

    Beck: Die Delegierten waren mit manchem, was in den letzten Jahren und Monaten sich abgespielt hat, auch wie sich die Partie dargestellt hat, unzufrieden. Das spüren wir ja auch. Es gibt ja auch Parteiaustritte. Ich sage nur: zum Inhalt, zur Linie dieser Politik gibt es keine vernünftige Alternative. Ich bin sicher, dass wird am heutigen Tag auch bei den Antragsberatungen deutlich werden.

    Müller: Welche Fehler hat die Parteispitze gemacht?

    Beck: Ich glaube nicht die Parteispitze, ich glaube, wir alle; wir haben uns geleistet, in dieser schwierigen Herausforderung, einer Umorientierung, eines wirklichen Paradigmenwechsels eben durchzusehen, nach innen zu schauen und selber mit den eigenen und den Befindlichkeiten der Partei zu befassen. Vielleicht ist dies unvermeidbar in einer solchen Situation. Aber das war, glaube ich, der Hintergrund. Wir sind dann in der Öffentlichkeit als nicht klar orientiert in allen Bereichen dahergekommen. Und aus dem Grunde ist eben auch in der Öffentlichkeit die Kritik stärker gewesen, als sie bei Einschnitten ohnehin da ist. Ich sage noch einmal: Die Sozialdemokratie leistet derzeit an der Spitze der Bundesregierung einen Dienst für Deutschland der unverzichtbar ist, der nicht einfach ist, der aber, so bin ich ziemlich sicher, in einiger Zeit, wenn das Gesamtgebäude erkennbar wird, auch breite Zustimmung erhalten wird.

    Müller: Herr Beck, wenn wir die Rede von Gerhard Schröder noch einmal in einer Passage kurz Revue passieren lassen, wussten Sie, dass Deutschland unter dem Zeichen des demokratischen Sozialismus regiert wird?

    Beck: Ich wusste, dass die Sozialdemokratie in ihrer Geschichte und auch in der jüngsten Vergangenheit, gerade jetzt auch in der Regierungszeit von Gerhard Schröder vieles getan hat, was zur Gerechtigkeit beiträgt. Beispielsweise sind Familien mit Kindern nie so gefördert worden während der Regierungszeit Kohl, wie dies in den letzten fünf Jahren der Fall gewesen ist. Also, das ist ohne Zweifel Fortsetzung der großen Tradition der SPD.

    Müller: Sie haben mit dem Begriff keine Probleme?

    Beck: Nein, ich habe mit dem Begriff keine Probleme. Das ist eine klare Verortung nach vorne, man würde sicher nicht mehr diese Begrifflichkeit verwenden, wir haben aber überhaupt keine Grund uns davon zu distanzieren, im Gegenteil, wir können stolz auf das sein, was die Sozialdemokratie für Deutschland geleistet hat.

    Müller: Nun ist ja gerade diese soziale Komponente strittig innerhalb der Partei. Da sagt beispielsweise Parteifreund Sigmar Gabriel - immerhin die jüngere, aufgeschlossenere Generation, wenn ich das mal so titulieren darf - die SPD hat den Kontakt zu den Menschen der alten Mitte verloren und der Unterschied zur CDU muss in der sozialpolitischen Frage klarer werden. Hat er Recht?

    Beck: Er hat in soweit recht, dass wir vieles nicht so vermitteln konnten, wie dies wünschenswert gewesen wäre. Aber ich bin sicher, dass das auch damit zusammenhängt, das beispielsweise unsere Freunde in den Gewerkschaften einen ähnlichen Prozess des Fortschreitens ihrer Programmatik vor sich haben, wie die SPD sie gerade vollzieht und insoweit, denke ich, haben wir natürlich da auch Probleme mit unserer Stammklientel, wenn ich das so sagen darf. In Deutschland wird es immer so sein, wie anderswo auch, wenn jemand sagt, es muss eingeschnitten werden, es muss zurückgenommen werden, wenn dies auch konkret bei den Leuten ankommt, dann gibt es auch Kritik. Ich glaube, dass ist zu einem Teil unvermeidbar. Es wäre sicher gut gewesen, wenn wir uns intensiver bemüht hätten, den roten Faden deutlich zu machen, um den es geht: nämlich Gerechtigkeit und Sozialstaat heute, aber eben auch morgen, auch für die nächsten Generationen. Darum haben wir uns zu bemühen.

    Müller: Nun sind sie ja in der Parteispitze allesamt Profis, mit vielen Erfahrungen in der Politik, mit Regierungserfahrung, warum ist das denn passiert, dass diese Vermittlung nicht ausreichend funktioniert hat?

    Beck: Wenn nirgendwo Fehler passieren würden, dann wäre das schön auf der Welt. Ich glaube, dass das auch damit zusammenhängt, dass die große Aufgabe und die Vielfalt der Einzelentscheidungen natürlich auch nicht einfach zu vermitteln war. Vielleicht ist die Größe dieser Aufgabe - die Vermittlungsaufgabe - unterschätzt worden, mag sein. Vor allen Dingen haben wir uns geleistet, ich glaube, dass war auch ein entscheidender Fehler, dass zu viel Kritik, manchmal wie Generalkritik daherkommend, aus den eigenen Reihen kam.

    Müller: Letzte Frage: Wie schwierig wird es sein, der Partei letztendlich die Ergebnisse im Vermittlungsausschuss dann zu vermitteln?

    Beck: Das ist natürlich eine andere Ebene und wer weiß, dass wir in beiden deutschen Kammern, im Bundestag und Bundesrat, unterschiedliche Mehrheiten haben, der muss eben auch akzeptieren, dass Kompromisse dabei herauskommen und Kompromisse können natürlich dann nicht reine sozialdemokratische Politik sein. Insoweit geht es jetzt darum: Wie gehen wir in die Verhandlungen hinein? Wir wissen sehr wohl, wo unsere Orientierungs- und Eckpunkte sind, die eben Kompromissfähigkeit mit sich bringen, aber nicht beliebige.

    Müller: Ministerpräsident Kurt Beck war das, neuer stellvertretender Vorsitzender der SPD, vielen Dank für das Gespräch.