Wladimir und Estragon ziehen Bündel von alten Kleidern aus einem großen Haufen, der die ganze Breite der vorderen Bühnenrampe einnimmt. Sie schleppen sie nach hinten, als ob sie schwer wären. Die Sinnlosigkeit dieser "Arbeit" zeigt sich schon daran, dass der Kleiderhaufen nicht kleiner wird. Immer, wenn sie etwas abgetragen haben, wächst der kleine Berg vorne nach.
Thomas Dannemann hat den Eingangsdialog und das ganze Stück von der Wort-Ebene auf die des Tuns verlegt, und er hat ein paar folgenschwere Vorannahmen gemacht, die interessante Assoziationsräume eröffnen, die den Charakter von "Warten auf Godot" aber ziemlich umkrempeln. Wladimir und Estragon treten in blassgelben Kitteln und dünnen Hosen auf, wie Krankenhaus- oder Anstaltskleidung. Im Programmheft kommt eine Schauspielerin aus Theresienstadt zu Wort, die von Proben erzählt, die auf einem Dachboden stattgefunden haben - bis kurz vor der Premiere dort Leichenberge abgeladen wurden. Die Premiere hat dann aber doch stattgefunden. So eine Spiel-im-Spiel-Situation würde erklären, warum Didi und Gogo im zweiten Teil Glatzkopf-Perücken aufhaben wie nach einer Chemo-Therapie, die sie aber zwischendurch abnehmen. Lucky und Pozzo treten folgerichtig in gestreifter Häftlingskleidung auf, die variétéartig glitzert. Ab jetzt geht es um feinste Herr-Knecht-Abstufungen, auf allen Seiten. Felix Vörtler spielt den Pozzo mit fast sadistischem Vergnügen.
"Ich weiß, dass ich nicht sehr menschlich bin. Aber angenommen, Sie gingen jetzt. Was würde dann aus Ihrer Verabredung werden, mit diesem Golot, Godot, Gobot, von dem Ihre Zukunft abhängt, jedenfalls Ihre nächste Zukunft ..."
Seit 2008 ist die bereits 2004 veröffentlichte These von Valentine und Pierre Temkine auch in Deutschland bekannt, dass "Warten auf Godot" doch einen konkreten Orts- und Zeitbezug hat. Beckett soll demnach mit Wladimir und Estragon zwei Pariser Juden gezeichnet haben, die 1942/43 ins Roussillon flüchteten und dort auf einen Schlepper warten, der sie nach Savoyen bringt. Alles ist auf dieser Folie lesbar.
"Unsere Rolle? Bittsteller." – "So weit ist es also gekommen. Haben wir keine Rechte mehr? Haben wir sie verloren?" – "Wir haben sie verschleudert!"
Mit der Assoziation "Anstalt" oder "Lager" hat Thomas Dannemann das Stück noch mal extrem existenziell zugespitzt. Es geht um Leben oder Tod, immer wieder auch im Text.
"Darf man fragen, wo der Herr die Nacht verbracht hat?" - "Im Graben." - "Und sie haben dich nicht geschlagen?" - "Nur ein bisschen." – "Wenn ich bedenke, wie lange schon, dann frage ich mich, was wohl aus dir geworden wäre, ohne mich. Du wärst jetzt nur noch ein Häufchen Knochen, das steht fest."
Im zweiten Teil ist Estragon sichtlich traumatisiert, hat Gedächtnislücken und Albträume. Die Anspielung auf Kain und Abel, die Unterwerfungs-Situation zwischen Pozzo und Lucky, das Stellvertreter-Dasein als "Opfer", all das steht ja auch im Text. "Hier und jetzt vertreten wir die ganze Menschheit", heißt es einmal. Oder: "Man sollte mich einfach töten, wie die anderen." - "Welche anderen?" - "Millionen andere."
Der kleine Junge, der Nachrichten von Godot überbringt, ist hier ein kleiner Nazi-Sprössling, der als eine Art Ersatz-Spielleiter fungiert. Die Zeitlosigkeit, die Langeweile, das immer Gleiche: Hier sind es Kennzeichen von Gefangenschaft, einer ausweglosen Situation. Sie erklärt auch den latent daueraggressiven Tonfall zwischen den Protagonisten. Jan-Peter Kampwirth als Estragon ist dabei der scheue, todunglückliche Pragmatiker, Michael Wittenborn wirkt wie ein älterer Mentor, der die Verzweiflung abzumildern versucht. Die Vereindeutigung, die Dannemann herstellt, ist ein Augenöffner. Hier findet kein absurdes Theater statt, wird nicht metaphysische Sinn- und Obdachlosigkeit vorgeführt, sondern ein End-Spiel, ein Spiel mit offenem Ausgang.
"Morgen hängen wir uns auf." - "Es sei denn, dass Godot käme. Dann sind wir gerettet."
Ein schwerer, ein mutiger Abend, der einen länger nicht loslassen wird.
Thomas Dannemann hat den Eingangsdialog und das ganze Stück von der Wort-Ebene auf die des Tuns verlegt, und er hat ein paar folgenschwere Vorannahmen gemacht, die interessante Assoziationsräume eröffnen, die den Charakter von "Warten auf Godot" aber ziemlich umkrempeln. Wladimir und Estragon treten in blassgelben Kitteln und dünnen Hosen auf, wie Krankenhaus- oder Anstaltskleidung. Im Programmheft kommt eine Schauspielerin aus Theresienstadt zu Wort, die von Proben erzählt, die auf einem Dachboden stattgefunden haben - bis kurz vor der Premiere dort Leichenberge abgeladen wurden. Die Premiere hat dann aber doch stattgefunden. So eine Spiel-im-Spiel-Situation würde erklären, warum Didi und Gogo im zweiten Teil Glatzkopf-Perücken aufhaben wie nach einer Chemo-Therapie, die sie aber zwischendurch abnehmen. Lucky und Pozzo treten folgerichtig in gestreifter Häftlingskleidung auf, die variétéartig glitzert. Ab jetzt geht es um feinste Herr-Knecht-Abstufungen, auf allen Seiten. Felix Vörtler spielt den Pozzo mit fast sadistischem Vergnügen.
"Ich weiß, dass ich nicht sehr menschlich bin. Aber angenommen, Sie gingen jetzt. Was würde dann aus Ihrer Verabredung werden, mit diesem Golot, Godot, Gobot, von dem Ihre Zukunft abhängt, jedenfalls Ihre nächste Zukunft ..."
Seit 2008 ist die bereits 2004 veröffentlichte These von Valentine und Pierre Temkine auch in Deutschland bekannt, dass "Warten auf Godot" doch einen konkreten Orts- und Zeitbezug hat. Beckett soll demnach mit Wladimir und Estragon zwei Pariser Juden gezeichnet haben, die 1942/43 ins Roussillon flüchteten und dort auf einen Schlepper warten, der sie nach Savoyen bringt. Alles ist auf dieser Folie lesbar.
"Unsere Rolle? Bittsteller." – "So weit ist es also gekommen. Haben wir keine Rechte mehr? Haben wir sie verloren?" – "Wir haben sie verschleudert!"
Mit der Assoziation "Anstalt" oder "Lager" hat Thomas Dannemann das Stück noch mal extrem existenziell zugespitzt. Es geht um Leben oder Tod, immer wieder auch im Text.
"Darf man fragen, wo der Herr die Nacht verbracht hat?" - "Im Graben." - "Und sie haben dich nicht geschlagen?" - "Nur ein bisschen." – "Wenn ich bedenke, wie lange schon, dann frage ich mich, was wohl aus dir geworden wäre, ohne mich. Du wärst jetzt nur noch ein Häufchen Knochen, das steht fest."
Im zweiten Teil ist Estragon sichtlich traumatisiert, hat Gedächtnislücken und Albträume. Die Anspielung auf Kain und Abel, die Unterwerfungs-Situation zwischen Pozzo und Lucky, das Stellvertreter-Dasein als "Opfer", all das steht ja auch im Text. "Hier und jetzt vertreten wir die ganze Menschheit", heißt es einmal. Oder: "Man sollte mich einfach töten, wie die anderen." - "Welche anderen?" - "Millionen andere."
Der kleine Junge, der Nachrichten von Godot überbringt, ist hier ein kleiner Nazi-Sprössling, der als eine Art Ersatz-Spielleiter fungiert. Die Zeitlosigkeit, die Langeweile, das immer Gleiche: Hier sind es Kennzeichen von Gefangenschaft, einer ausweglosen Situation. Sie erklärt auch den latent daueraggressiven Tonfall zwischen den Protagonisten. Jan-Peter Kampwirth als Estragon ist dabei der scheue, todunglückliche Pragmatiker, Michael Wittenborn wirkt wie ein älterer Mentor, der die Verzweiflung abzumildern versucht. Die Vereindeutigung, die Dannemann herstellt, ist ein Augenöffner. Hier findet kein absurdes Theater statt, wird nicht metaphysische Sinn- und Obdachlosigkeit vorgeführt, sondern ein End-Spiel, ein Spiel mit offenem Ausgang.
"Morgen hängen wir uns auf." - "Es sei denn, dass Godot käme. Dann sind wir gerettet."
Ein schwerer, ein mutiger Abend, der einen länger nicht loslassen wird.