„Sein ist wahrgenommen werden," lautet eine Maxime von Samuel Beckett. Im April 1945, nach der Befreiung Frankreichs von den Deutschen, kehrt er nach Paris zurück. Für seine Wahlheimat hat der 39-jährige, streng protestantisch erzogene Ire in der Résistance sein Leben riskiert. Seinen Lehrerberuf reaktiviert Beckett nicht mehr. Seit Langem ein glühender Verehrer von James Joyce, schreibt er wie besessen: vier Romane und zwei Theaterstücke.
Das tragikomische Drama des Wartens
Anfang 1949 beendet Beckett sein auf Französisch geschriebenes Schauspiel „Warten auf Godot“. Inspiriert hat ihn das berühmte Bild von Caspar David Friedrich: „Mann und Frau den Mond betrachtend.“ Es veranschaulicht das tragikomische Drama des Wartens, ohne genau zu wissen, worauf. Wie seine Bühnenfiguren, die beiden Landstreicher Vladimir und Estragon, muss sich Beckett aber gedulden. Erst 1952 wird das Stück gedruckt. Auszüge sollen im Rundfunk gesendet werden auf Nachfrage des zuständigen Redakteurs, erklärt Beckett:
"Ich weiß nicht, in welchem Geiste ich es geschrieben habe. Ich weiß nicht mehr über die Gestalten als das, was sie sagen, was sie tun und was ihnen geschieht. Ich weiß nicht, wer Godot ist. Ich weiß auch nicht, ob er existiert. Und ich weiß nicht, ob die zwei, die ihn erwarten, an ihn glauben oder nicht.“
Bei der Uraufführung lässt sich Beckett vertreten
Nach über 30 Absagen wagt sich das kleine Pariser Théâtre de Babylone an das handlungsarme Kammerspiel. Die Proben verfolgt Samuel Beckett meist schweigsam rauchend im Hintergrund. Immer wieder werden Gäste eingeladen, um ihre Reaktionen zu studieren. Doch zur Uraufführung am 5. Januar 1953 kommt Beckett nicht. Er schickt seine Ehefrau Suzanne zur Premiere ins randvolle Theater und setzt sich in sein kleines Landhaus 50 Kilometer vor Paris ab. Hier ein Auszug aus der Inszenierung 1974 im Berliner Schiller-Theater.
„Er müsste eigentlich hier sein. – Er hat nicht fest zugesagt, dass er käme. – Und wenn er nicht kommt? – Kommen wir morgen wieder. – Und dann übermorgen. – Vielleicht. – Und so weiter. – Das heißt. – Bis er kommt. – Du bist unbarmherzig. - Wir sind gestern schon hier gewesen. – Ach was, da täuschst du dich. - Was haben wir gestern gemacht? – Was wir gestern gemacht haben? – Ja.“
„Er müsste eigentlich hier sein. – Er hat nicht fest zugesagt, dass er käme. – Und wenn er nicht kommt? – Kommen wir morgen wieder. – Und dann übermorgen. – Vielleicht. – Und so weiter. – Das heißt. – Bis er kommt. – Du bist unbarmherzig. - Wir sind gestern schon hier gewesen. – Ach was, da täuschst du dich. - Was haben wir gestern gemacht? – Was wir gestern gemacht haben? – Ja.“
Absurdes Theater in präzisem Französisch
Natürlich haben die beiden gewartet: auf Godot, den Beckett auf keinen Fall mit Gott verwechselt wissen möchte. Trotz der Minimalhandlung wird das Stück ein Erfolg. Viele Zuschauer und Kritiker haben nach sechs Jahren Weltkrieg und Holocaust das Gefühl, in einer sinnentleerten Welt zu leben. Neben Eugène Ionesco erheben sie Samuel Beckett zur Galionsfigur des Absurden Theaters. Endlich nimmt man ihn als Schriftsteller wahr, als Schöpfer tragikomischer, orientierungsloser Figuren. Gerade die Musikalität seines präzisen Französisch wird gelobt. Dazu Elmar Tophoven, der 35 Jahre lang Becketts Werke ins Deutsche übersetzt hat.
„Die Zusammenarbeit war von Anfang an intensiv und für mich äußerst lehrreich. Seitens des Autors keinerlei Unmutsäußerungen über misslungene, ungenaue Interpretationen.“
In den USA als „existentialistisch“ verpönt
Becketts Deutschkenntnisse sind gut. Er hat 1936/37 ein halbes Jahr in Deutschland verbracht und miterlebt, wie Kunst als „entartet“ abgestempelt werden kann. In den USA ist es ähnlich. Dort wird „Warten auf Godot“, von ihm selbst aus dem Französischen ins Englische übersetzt, nach der Erstaufführung in Miami als „kommunistisch, atheistisch und existentialistisch“ heruntergemacht. Das weltoffenere Publikum am New Yorker Broadway sieht das anders. Dort erlebt das Stück über hundert Aufführungen.
„Ich kann nicht mehr so weitermachen. – Das sagt man so. – Sollen wir auseinandergehen? Es wäre vielleicht besser. – Morgen hängen wir uns auf. Es sei denn, dass Godot käme. – Und wenn er kommt? – Sind wir gerettet.“
„Ich kann nicht mehr so weitermachen. – Das sagt man so. – Sollen wir auseinandergehen? Es wäre vielleicht besser. – Morgen hängen wir uns auf. Es sei denn, dass Godot käme. – Und wenn er kommt? – Sind wir gerettet.“
Samuel Beckett will nur über seine Texte wahrgenommen werden. Interviews vor Kameras und Mikrofonen verweigert er - selbst nach seiner Auszeichnung 1969 mit dem Literaturnobelpreis. Auch das gehört zu seiner Komik der Ziel- und Zwecklosigkeit unseres Handelns und Redens. Für ihn ist die Existenz ein Spiel aus Zufällen und Unfällen.