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Bedingungsloses Grundeinkommen
"Wieder paradiesische Zustände herstellen"

Am Sonntag stimmen die Schweizer über ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. In Deutschland gehört der dm-Gründer Götz Werner zu den Befürwortern, weil das Modell seiner Meinung nach gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Im DLF sagte er, es sei ein falsches Menschenbild, dass man Menschen zur Arbeit zwingen müsse - sie würden arbeiten, weil sie arbeiten wollen.

Götz Werner im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Götz Werner, deutscher Manager, Gründer und bis 2008 Chef der Drogeriemarkt-Kette dm
    Götz Werner, deutscher Manager, Gründer und bis 2008 Chef der Drogeriemarkt-Kette dm. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    Wenn alle im Bekanntenkreis nur noch täten, was sie tun wollten - "das wäre der Himmel auf Erden", sagte der Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm. Diese paradiesischen Zustände wieder herzustellen, sei Aufgabe der Wirtschaft.
    Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde nach Werners Meinung nicht unbedingt bedeuten, dass niemand mehr arbeiten ginge oder manche Jobs wie die des Müllmanns nicht mehr besetzt werden würden. Arbeit sei schön, wenn sie wertgeschätzt werde, sagte Werner. Wenn man manche Jobs nicht wertschätze, müsse man sie eben selbst erledigen.
    Kassiererinnen laufen davon? "Gott sei Dank!"
    Dem Einwand, dass der dm-Kette bei einem bedingungslosen Grundeinkommen die Kassiererinnen davonlaufen würden, begegnete Werner mit den Worten: "Gott sei Dank! Dann arbeiten nur noch diejenigen bei uns, die kassieren wollen - und nicht diejenigen, die müssen."
    Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde es laut Werner möglich machen, dass ein Mensch leben und an der Gesellschaft teilhaben kann. Es gebe keinen Grund zu sagen, "wir können das nicht finanzieren". Eine Volkswirtschaft lebe nicht von Geld, sondern von ihren erzeugten Gütern. Das Grundeinkommen müsste nach Werners Auffassung aus einer Konsumsteuer finanziert werden. Er bezeichnete es als Fehler im System, dass stattdessen bisher Leistung besteuert werde. Eine Konsumsteuer würde seines Erachtens nicht unbedingt dazu führen, dass Produkte teurer würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Behutsam geglättet
    Jürgen Zurheide: Morgen stimmen die Schweizer ab, unter anderem über das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee ist ganz einfach: Einfache Arbeiten wird es weniger und weniger geben, sagen zumindest viele, und Sozialleistungen auf der anderen Seite nehmen überhand. Also bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Damit sind allerdings dann einige Fragen verbunden. Kann so was funktionieren? Da wird länger schon diskutiert, vor allen Dingen mit einem, der aus der deutschen Unternehmerschaft, aus der Händlerschaft ganz stark dafür wirbt, dass es gehen kann: Götz Werner, Gründer der DM-Märkte. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Ich sage guten Morgen, Herr Werner!
    Götz Werner: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Werner, beginnen wir mit der Frage, was erwarten Sie in der Schweiz? Die Umfragen sagen ja, es wird schwierig für jene, die so ähnlich denken wie Sie. Haben Sie eine Erwartung an die Schweiz?
    Werner: Na ja, das ist ja ein revolutionärer Gedanke, und Volksabstimmungen enden immer vorsichtig. Sie sind immer eher an das Historische gebunden.
    Zurheide: Und insofern erwarten Sie nicht, dass da eine Mehrheit kommen wird. Aber es wird mindestens diskutiert.
    Werner: Ja, genau. Das ist das, was mich so glücklich macht, dass die Schweizer – und damit auch Ihr Sender – daran interessiert sind, und dass dieses Thema in den gesellschaftlichen Diskurs kommt.
    "Wer leben kann, hat Teilhabe"
    Zurheide: Warum sind Sie eigentlich – wie sind Sie auf die Spur gekommen? Warum sind Sie dafür und Anhänger dieses bedingungslosen Grundeinkommens.
    Werner: Erstens mal, ich habe ja als Unternehmer Erfolg gehabt, und wenn Sie Erfolg haben, müssen Sie viele Menschen einstellen. Und wenn Sie Menschen einstellen, dann machen Sie irgendwann einmal, früher oder später, die Erfahrung, dass der Mitarbeiter nur bei Ihnen arbeiten kann, wenn er ein Einkommen bekommt. Also dass das Einkommen nicht die Bezahlung der Arbeit ist, sondern die Ermöglichung der Arbeit. Das ist das, was wir umdenken müssen. Einkommen – Arbeit ist unbezahlbar, aber was Sie bezahlen müssen, ist, dass der Mensch ein Einkommen hat. Dass wir jetzt ein Interview führen können, liegt daran, Herr Zurheide, dass Sie ein Einkommen haben. Unser Interview ist unbezahlbar. Das lässt sich leicht –
    Zurheide: Das wollen wir hoffen!
    Werner: Das ist tatsächlich so. Das ist fast wie eine kopernikanische Wende in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein, dass man sagt, das Einkommen ermöglicht, dass der Mensch leben kann. Wenn er dann leben kann, dann hat er eine Teilhabe. Und wenn er die Teilhabe hat, dann kann er auch teilnehmen. Also Teilnehmen setzt immer Teilhabe voraus. Und das gewährleistet durch das Grundeinkommen. Und deswegen ist das so wichtig. Und wenn uns immer mehr die Arbeit abhandenkommt, dann werden wir immer mehr dafür sorgen müssen, dass die Menschen aber das Einkommen behalten, sonst würde ja mit der Arbeit auch das Einkommen abhandenkommen.
    Zurheide: Sie kennen nun – ich bin nicht der Erste, der Sie das jetzt fragt – all die Gegeneinwände. Lassen Sie uns beginnen damit: Warum sollen die Leute dann noch Tätigkeiten machen, die schmutzig sind, die stinken und so weiter, und so weiter. Wir gehen ja immer noch davon aus, dass wir die Leute quasi zwingen, weil wir sie für den Broterwerb zwingen müssen. Das ist die Philosophie heute. Warum ist das aus Ihrer Sicht so falsch?
    Werner: Weil es ein falsches Menschenbild ist. Und ich kann Ihnen das nur sagen aus meiner Erfahrung im Unternehmen. Die Menschen arbeiten, weil sie arbeiten wollen, nicht, weil sie arbeiten müssen.
    "Arbeit ist schön, wenn sie wertgeschätzt wird"
    Zurheide: Auch Tätigkeiten, die nicht schön sind?
    Werner: Die Frage, ob eine Tätigkeit schön ist, ist die Frage, ob sie von der Gemeinschaft drumherum wertgeschätzt wird. Es ist eine Frage der Wertschätzung, ob die Arbeit schön ist. Die Arbeit ist dann schön, wenn sie wertgeschätzt ist. Das ist eine soziale Aufgabe. Wir müssen schon sehen, dass die Menschen, die für uns tätig werden, dass wir das auch wertschätzen. Und dann machen das die Menschen auch. Wenn uns das nicht gelingt, dann müssen wir es selbst machen.
    Zurheide: Also ich sage mal, Müll wegtragen, schwere Arbeiten machen – oder sagen Sie, na ja, das wird es im Laufe der industriellen Revolution, der Digitalisierung – diese Themen werden allenthalben besprochen –, dass diese Arbeiten ohnehin aussterben. Es gibt ja Ökonomen, wie Straubhaar, die sagen genau das.
    Werner: Ja. Zumindest sind die rückläufig. Müll zu beseitigen, hat heute nicht mehr diesen haut gout wie früher, und es gibt viele Tätigkeiten – aber das Entscheidende ist die Wertschätzung. Wenn ich eine Arbeit nicht wertschätze, dann will sie auch keiner machen.
    Zurheide: Und wie rechnet sich das? Das ist die andere ganz spannende Frage. Es gibt Menschen, die Ihnen entgegenhalten, das rechnet sich doch alles nicht, Herr Werner, Sie können es in Ihrem Unternehmen – dass Sie rechnen können, das wissen wir alle –, aber da würde das nicht funktionieren. Wie ist Ihr Gegenargument?
    Werner: Stellen Sie sich mal vor: Die sagen immer, Herr Werner, dann laufen Ihnen doch die ganzen Kassiererinnen weg. Und dann sage ich immer, Gott sei Dank. Dann arbeiten nur noch die Kassiererinnen, die kassieren wollen, und nicht mehr die, die müssen. Also, dieses gesamte gesellschaftliche Klima wendet sich vom Sollen zum Wollen. Und stellen Sie sich mal vor, wenn alle Menschen, mit denen Sie zu tun haben, die Sachen nur noch machen, die Sie wollen – das wäre der Himmel auf Erden. Und noch mal zu der ganzen Frage der Bezahlung, der Honorierung:
    Die meiste Arbeit wird ja unentgeltlich, ehrenamtlich gemacht. Denken Sie an die Familienarbeit, an die Mütterarbeit und so weiter. Warum machen die Mütter das? Weil Sie einen Sinn in der Arbeit sehen. Nicht, weil es toll bezahlt wird.
    "Wir waren noch nie so reich wie heute"
    Zurheide: Und volkswirtschaftlich funktioniert das? Ein entwickeltes Land wie Deutschland – ich weiß nicht, Sie haben das durchgerechnet, was das für Deutschland kosten würde. Die spannende Frage ist ja auch, wie hoch ist dieses Grundeinkommen. Schaffen wir das volkswirtschaftlich?
    Werner: Das Grundeinkommen müsste so hoch sein, dass man davon bescheiden, aber menschenwürdig im Sinne es Artikel 1 unserer Verfassung – "Die Würde des Menschen ist unantastbar." – leben kann. Das ist der Punkt. Und das wollen wir doch auch jedem anderen zubilligen. Das ist eine Frage auch der Brüderlichkeit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und die Menschen, die Sinn in ihrer Arbeit finden, die finden auch den Grund in ihrer Arbeit. Und unsere Volkswirtschaft lebt ja von den erzeugten Gütern. Und wir waren noch nie so reich wie heute. Wir haben noch nie so eine Fähigkeit besessen, Güter und Dienstleistungen hervorzubringen wie heute. Es gibt überhaupt keinen Grund zu sagen, wir könnten das nicht finanzieren. "Wir können das nicht finanzieren", ist ein Unsinn, weil Sie leben ja nicht vom Geld, Sie leben von den Gütern. Und dann gehen Sie gerade mal zu dem Drogeriemarkt, dann werden Sie sehen, wir haben so viel, dass wir verkaufen müssen.
    Zurheide: Und auf der anderen Seite, wenn Menschen mehr verdienen, dann verdienen sie das auch mehr. Und wo kommen die Steuern her, um das zu bezahlen, was die dann bekommen, das Einkommen, das Sie ihnen als Grundeinkommen geben?
    Werner: Das Grundeinkommen müsste finanziert werden aus unserer gesellschaftlichen Wertschöpfung. Und dann sind Sie bei der Konsumsteuer. Weil entscheidend ist ja, was wir entnehmen, nicht, was wir beitragen. Das, was wir entnehmen, da müssen wir uns beteiligen.
    Zurheide: Das heißt, die Produkte in Ihrem Laden würden um den Prozentsatz X teurer. Um wie viel?
    Werner: Nicht unbedingt. Die könnten auch billiger werden.
    Zurheide: Aha?
    Werner: Weil, es wird sich alles verändern in dem Fall. Aber was wir heute falsch machen im Steuersystem, dass wir den Leistungsbeitrag besteuern, und nicht die Leistungsentnahme. Das ist der Fehler. Das ist der Fehler in unserem Steuersystem. Wir bestrafen den Leistungsbeitrag durch Steuerabzug, und wir belasten nicht die Leistungsentnahme, also den Konsum. Das ist auch ein Denkfehler. Da versagen die Eliten eigentlich, die Dinge richtigherum zu sehen, tut mir leid.
    Zurheide: Sie haben vorhin einen wichtigen Satz gesagt, den will ich noch mal aufgreifen: Das ist der Himmel auf Erden. Jetzt haben wir gelernt, wir sind vertrieben aus dem Paradies. Sie wollen uns zurückführen ins Paradies, Herr Werner!
    Werner: Ja, das ist doch unsere Aufgabe. Die Wirtschaft hat die Aufgabe, wieder paradiesische Zustände herzustellen. Und das ist uns ganz schön gelungen. Seien Sie froh, dass Sie nicht vor 200 Jahren leben.
    Zurheide: Das war Götz Werner. Ein vehementes Plädoyer, Sie haben es gehört, eines Überzeugungstäters. Wir haben gern mit ihm gesprochen. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.