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Bedrohte Spezies
Ungarns letzte freie Theatermacher

Vor drei Jahren haben sie in Ungarn noch über eine Theaterfigur, die Ministerpräsident Viktor Orban gleicht, gelacht. Heute bleibt nicht nur den Zuschauern das Lachen im Halse stecken. Ungarns freie Theatermacher bangen um ihre Existenz.

Von Maximilian Grosser |
    Ihr Bühnenbild hat die Budapester HOPPart Company spartanisch gehalten. Ein Teppichläufer, eine Gefriertruhe, ein paar Stühle und ein Fernseher müssen ausreichen für die international gefeierte „Korijolánusz“-Inszenierung der Budapester Theaterkompanie.
    Mit der Shakespeare-Bearbeitung hält der Regisseur Csaba Polgár ungeniert der ungarischen Gesellschaft den Zerrspiegel vor und hinterfragt frech die postsozialistische Demokratie seines Landes. Das von Polgár entstaubte Antikendrama kommt als höchstaktuelle Kritik an der Korruption und dem linientreuen Pressewesen im heutigen Ungarn daher. Wie die Theaterfigur Coriolanus hat sich der konservative Viktor Orban seit Machtantritt 2010 die Verfassung genehm gemacht. Gedacht war diese Anspielung ursprünglich nicht, sagt Ildiko Gáspár.
    "Wir haben das 2010 aufgeführt. Bei den ersten Vorstellungen war alles sehr fiktiv. Am Anfang hat man sehr viel gelacht und dann später immer weniger und dann wurden sie ganz ernst."
    Viele Klassikerinszenierungen wurden inzwischen von der Wirklichkeit eingeholt, sagt die Dramaturgin des Budapester Theaters Örkeny. Längst hat die unabhängige Szene wieder die Rolle einer letzten kritischen Bastion gegenüber der Regierung wie in der Ära vor 1989 eingenommen und das Zwischen-den-Zeilen-lesen ist erneut in Mode. Denn seitdem der ungarische Alltag von den schrillen, auch antisemitischen Tönen im Umfeld der nationalistischen Fidesz-Regierung beherrscht wird, sind Theater auch so etwas wie neue Fluchtstätten. Ildiko Gáspár.
    Politik ist überall im Theater
    "Im Allgemeinen kann man jetzt sagen, dass die Ungarn jetzt viel mehr ins Theater gehen als vor zehn Jahren, in die Stadttheater als auch in die freie Szene. Die Politik ist überall im Theater thematisiert worden. Auch in den Boulevardtheatern. Das ist auch eine Art Entspannung, wo man die politischen Ängste loswerden kann."
    4,6 Millionen Theatertickets werden jährlich in der 10-Millionen-Nation Ungarn verkauft. Die auf dem Berliner ungarischen Theaterfestival vertretenen Künstler wie Kornél Mundruczó oder Béla Pintér spielen in Budapest vor ausverkauften Häusern. Doch für jene freien Theatermacher, die unbekannter sind, ist die Luft dünn geworden. Viele unabhängige Tanztruppen sind gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Verantwortlich dafür macht die Theaterkritikerin Andrea Tompa die ideologischen Grabenkämpfe um ungarische Kulturinstitutionen.
    "Nach den Wahlen 2010 begann etwas, das wir Kulturkampf nennen. Der ist jetzt vorbei und die neue politische rechtskonservative Elite hat viele entscheidende Kulturinstitutionen besetzt. Zudem hat sie einen neuen ästhetischen Kanon etabliert, der die unabhängige Kunstszene für unnötig hält. Junge Künstler fühlen sich deswegen nutzlos."
    Denn die zuständige Akademie vergibt staatliche Subventionen vorrangig an jene Künstler, die sich zur 'Pflege der nationalen Kultur' Ungarns bereit erklären. Wäre vor diesem Hintergrund die Flucht doch eine Alternative, so wie es das Berliner ungarische Theaterfestival in seinem Titel "Leaving ist not an option" fragt? Theaterkünstler wie Péter Kárpáti verneinen – und machen das Exil dennoch zum Thema ihrer Arbeiten.
    "Das Nachdenken über das Exil hat sich niedergeschlagen in zwei meiner aktuellen Stücke. Mich interessiert das Phänomen des Gehens und des Bleibens. In meinem Stück 'Hunguri' setze ich diesen Schwerpunkt. Was passiert wenn man ohne Halt ins Exil geht? Selbst wenn es gut verläuft, bleibt man psychologisch labil. Wenn man ins Ausland kommt, weiß man selbst nicht, wer man ist. Das ist der größte Konflikt, der sich dort herausbildet."
    Inzwischen sind Stücke über das Exil wie 'Hunguri', das in Berlin zu sehen ist, ein neues Genre auf Ungarns Bühnen. Doch eine überzeugende Option ist es nur für jene ungarischen Theatermacher, die längst international vernetzt sind.