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Bedrohung der künstlerischen Freiheit
"Das schnürt einem dann schon die Kehle zu"

Kulturschaffende in ganz Europa machen sich Sorgen um die künstlerische Freiheit. In Deutschland hätten es Künstler noch "sehr, sehr gut", sagte Harald Wolff von der Dramaturgischen Gesellschaft im Dlf, doch das könne schnell kippen. Nicht nur deshalb habe man das "Greifswalder Manifest" verfasst.

Harald Wolff im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Das Opernhaus in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt an einem sonnigen Tag.
    Marc Jongen (AfD) will die "Entsiffung des Kulturbetriebes in Deutschland voranbringen." Seine Partei fordert mehr deutsche Stücke an deutschen Theatern (imago / Michael Nitzschke )
    Maja Ellmenreich: Seit Sonntag gibt es ein "Greifswalder Manifest" – deutlich poetischer formuliert und kreativer gedacht ist es als so manch ein Manifest der Vergangenheit - was nicht verwunderlich ist: Denn im mecklenburg-vorpommerschen Greifswald trafen sich am Wochenende rund 200 Theatermacherinnen und Theatermacher. Aus dem gesamten deutschsprachigen Raum waren sie angereist, zur Jahrestagung der "Dramaturgischen Gesellschaft". Ihr Thema: Die künstlerische Freiheit, die vielerorts bedroht ist – auch in Europa.
    Was uns verbindet ist
    Das Wissen, dass es "die Anderen" nicht gibt,
    dass es kein Inside und kein Outside gibt,
    dass es keine Grenzen gibt, wenn wir sie nicht denken.
    Was wir teilen ist:
    Dem Zweifel zu vertrauen
    Die Krise zu begreifen
    Das Chaos zu verstehen.
    Was uns verbindet, ist, was uns verletzt
    Was uns verbindet ist, dass wir verletzbar sind.
    Ein Ausschnitt aus dem "Greifswalder Manifest". Gelesen von der Verfasserin persönlich: der Theaterautorin und Schriftstellerin Maxi Obexer.
    Das Manifest ist ein Ergebnis der Jahrestagung der "Dramaturgischen Gesellschaft" – ein anderes sind Pläne für eine Vereinigung, die sich – auch international - stark machen will für bedrohte Theaterschaffende.
    Harald Wolff ist freier Dramaturg und Vorsitzender der "Dramaturgischen Gesellschaft". - Berufsverbot, Zensur, die Absage von Theaterpremieren – das sind, Herr Wolff, mit Sicherheit die massivsten Formen der Einschränkung von künstlerischer Freiheit – an so etwas denken die meisten wohl. Wo aber fängt für Sie im Theaterleben die Bedrohung an? Welche subtilen Zeichen der Einschränkung nehmen Sie wahr?
    Harald Wolff: Na ja. Wir sind leider, muss man sagen, in Europa weit jenseits der Subtilität. Wir hatten Künstler da auf der Konferenz aus der Türkei, die erzählen, dass sie jeden Morgen mit der Schwerkraft kämpfen, weil sie ja aufstehen müssen. Und die kurdischen Künstler ergänzen dann, sie leben mit der doppelten Schwerkraft und was sie als Minderheit machten, sei eine Performance des Überlebens. Und das schnürt einem dann schon die Kehle zu.
    Wir haben es hier in Deutschland natürlich noch sehr, sehr gut, aber das kann sehr schnell kippen. Wir beobachten das gerade in Polen und man muss dagegen kämpfen, wenn man das erhalten will. Wir hatten Márton Gulyás auf der Konferenz, ein Theatermacher aus Ungarn, ein bekannter Theatermacher aus Ungarn. Der ist in Ungarn gerade zum Staatsfeind erklärt worden – in einem EU-Mitgliedsland.
    Und hier in Deutschland, wenn Sie fragen, wo fängt es an: Maxi Obexer, die wir ja gerade gehört haben, hatte letztes Jahr in Potsdam ein Stück "Illegale Helfer". Darum gab es einen Theaterskandal, den die AfD angezettelt hat. Die wollte das verbieten lassen, dieses Stück. Und der Skandal besteht darin, dass dieses Stück Humanität fordert, und wenn das Einfordern von Humanität auf deutschen Bühnen schon skandalträchtig ist, dann wissen wir, wo wir stehen.
    Ellmenreich: Wenn Marc Jongen von der AfD zum Beispiel in der vergangenen Woche getwittert hat, es werde ihm eine Freude und eine Ehre sein, die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen, ist das bereits so eine Äußerung, die Sie auch als Bedrohung wahrnehmen und bei der sich die geplante Vereinigung in Zukunft vielleicht auch zu Wort melden wird?
    "Am Ende solcher Hetze sterben immer Menschen"
    Wolff: Unbedingt! Wir hatten den großen Publizisten Adam Michnik, diese Ikone des polnischen Widerstands auf dem Podium, der zu der Generation gehört, die unter großen persönlichen Gefahren die Freiheit für sein Land erkämpft hat. Der hat da bei uns auf dem Podium gesessen und gesagt: "Ich habe eine Frage an meine Nachfolgegeneration. Was habt ihr mit dieser Freiheit gemacht?" – Und das gilt auch für uns. Was tun wir denn mit dieser Freiheit? Schmeißen wir die einfach weg?
    Und wenn da irgendwelche Meute fröhlich-schmissige Sätze für ihr ressentiment-beladenes Publikum selbstverliebt vor sich herkaut und vom angeblich linken Establishment faselt, dann muss man ganz klar sagen, dass am Ende von solcher Hetze, wie Sie sie gerade zitiert haben, immer Menschen sterben.
    "Wir müssen uns international vernetzen"
    Ellmenreich: Jetzt haben Sie gerade schon erzählt, dass aus Polen, Ungarn, Russland und der Türkei am Wochenende Theaterschaffende zu Gast waren. Haben Sie von denen was lernen können? Sie haben gerade vom Tun gesprochen und nicht nur vom Reden. Gibt es so etwas wie kreative Antworten auf Repression im Theateralltag?
    Wolff: Ja, ganz, ganz viele. Márton Gulyás sagt ganz klar, Talking ist not enough anymore, wir müssen uns international vernetzen. Pawel Lysak, Theaterleiter aus Warschau, hat darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Strukturen aufzubauen, und das ist, was wir tun und da gab es einen riesigen Austausch.
    Márton Gulyás ist der Mensch, der mit Mitstreitern in Ungarn die wirkmächtigste Opposition gegen Orbán inzwischen aufgebaut hat, und der Mann ist eigentlich Theatermacher.
    "Manchmal reicht ein einzelner Satz, um einen zu Tränen zu rühren"
    Ellmenreich: Talking ist eine Art und Weise, sich zur Wehr zu setzen. Aber Sie haben gerade gesagt: Talking is not enough als Zitat. Nun wollen Sie sich als Vorbild der neuen Vereinigung auch orientieren an solchen Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, die ja auf Repression im journalistischen Umfeld aufmerksam machen. Was können Sie tun? Werden Sie auch in erster Linie nur Mahner und Ankläger sein können, sich auf das Talken beschränken müssen?
    Wolff: Na ja. Wissen Sie, wir hatten die türkische Autorin Ebru Celkan bei uns auf dem Podium und manchmal reicht ein einziger Satz, um einen zu Tränen zu rühren. Die hat gesagt: "The worst thing about censorship is isolation. Thank you for inviting me." Das Schlimmste an Zensur ist die Isolation. Vielen Dank, dass ihr mich eingeladen habt.
    Demokratie heißt immer, einzelne müssen es aus persönlichem Interesse in die Hand nehmen, und natürlich werden wir das begleiten und unterstützen. Aber man muss auch gucken, was es schon gibt. Es gibt das "Artist at risk"-Programm vom Bühnenverein, vom DT, vom Gorki, mitfinanziert vom Goethe-Institut und dem IFA, dem Institut für Auslandsbeziehungen.
    Das sind ja NGOs. Da ist in den letzten Monaten sehr viel fernab der öffentlichen Wahrnehmung passiert, und es gibt sehr viele Theater, die sich engagieren und auch Stellen schaffen, und wir, die Dramaturgische Gesellschaft, transportieren das über diese Konferenz ja auch zurück in die Theater und machen es wieder stärker.
    Ellmenreich: Harald Wolff von der "Dramaturgischen Gesellschaft", die sich – im Verbund mit anderen – stark macht gegen Bedrohungen, denen sich Theaterschaffende ausgesetzt sehen. Vielen Dank
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.