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Bedrohung oder Paranoia?

Die Hauptdarsteller der TV-Serie "Homeland" bilden das janusartige Anlitz des Westens im Umgang mit der Terrorangst nach 9/11. Die Serie handelt von der großen Müdigkeit am Ende von zehn Jahren Terroristenjagd, vom Burnout des Westens.

Von Rüdiger Suchsland |
    Die Stimme Ronald Reagans ist das erste, was man hört, so beruhigend wie die free Jazz-Klänge aus dem Off. Doch wovon die Ansprache des US-Präsidenten im Fernsehschirm handelt, ist keineswegs beruhigend: Von Terrorismus ist die Rede, von einem amerikanischen Angriff.

    So geht es weiter, schon in diesen knapp 90 Sekunden der Titelsequenz, mit der jede Folge von "Homeland" eröffnet, wird das Terrain vorbereitet und die Serienhandlung eingebettet in den historischen Hauptstrom der letzten 30 Jahre: Angriff und Gegenangriff aus Terrorismus und Staatsgewalt, Präsidentenreden von Reagan über Bush, Clinton bis zu Obama verbinden sich mit Nachrichtentönen und Szenen vom "Krieg gegen den Terror", surrealen Bildern eines Labyrinthes in dem eine junge Frau und ein US-Soldat in verschiedenen Gängen herumirren, Momentaufnahmen eines zunächst kleinen, dann älteren Mädchens vor dem Fernseher - eine Medienkindheit in Zeiten des Terrors.

    "I can't let that happen again."

    Was so dann auch morgen auf deutschen Fernsehschirmen beginnt, ist eine kleine Sensation: "Homeland" heißt diese neue Serie, die ihre Premiere Anfang Oktober 2011 hatte, ziemlich genau zehn Jahre nach den Anschlägen des 11. September, die vielleicht nicht äußerlich, dafür aber in den Köpfen und Herzen Amerikas fast alles verändert haben. Von diesem Trauma handelt die Serie. Inzwischen geht sie in den USA die dritte Staffel und hat von den Emmys bis zu den Golden Globes so ziemlich alles gewonnen, was in Amerika für eine Fernsehserie zu gewinnen gibt.

    Im Zentrum von "Homeland" steht Carrie, gespielt von Claire Danes, die vor 15 Jahren mal im Kino an der Seite von Leonardo Di Carpios Romeo die Julia in der poppigsten Filmversion von Shakespeares Liebesdrama war.

    Carrie ist CIA-Agentin, aber sie ist auch manisch-depressiv und tablettenabhängig. Sie macht sich Vorwürfe, in der Vergangenheit versagt und Anschläge nicht verhindert zu haben. Umgekehrt steht sie in der Behörde unter Verdacht, ihren Aufgaben nicht gewachsen zu sein.

    Carrie ist mal professionell und mutig, dann wieder unsicher und überaus unprofessionell, sie guckt Football, spielt Billard, trinkt wie ein Mann, und dann wieder ist sein ein ungeselliger Nerd.

    Insgesamt wirkt sie wie eine ferne Verwandte jener Clarice Starling, die einst im Kino in "Das Schweigen der Lämmer" einen Serienmörder jagte, unsicher und verbissen, kein Teamplayer, sondern eigensinnig und paranoid, selbst hochneurotisch, aber vielleicht gerade deshalb geeignet, sich in die politischen Neurosen des Terrorismus einzufühlen.

    Dem weiblichen Nerd gegenüber steht die scheinbar perfekte Familie: Nicholas Brody ist ein hochdekorierter US-Marine, der von seinen Vorgesetzten und der Politik hofiert wird, gerade weil er acht Jahre lang von Terroristen im Mittleren Osten gefangen war, und nun als Held und Poster-Boy den "Krieg gegen den Terror" vor einer kriegsmüden Öffentlichkeit schönfärben soll. "Homeland" ist nicht zuletzt auch ein Film über die Funktionsmechanismen des politisch-medialen Systems und die Manipulation der Öffentlichkeit.

    Wir Zuschauer wissen, was hinter dem schönen Bild steckt: Brodys Frau geht fremd, die Tochter nimmt Drogen und der Vater selbst ist von seiner Gefangenschaft nicht nur hochgradig traumatisiert. Er verheimlicht, dass er dort zum Moslem wurde, er belügt die Behörden. Und er trägt mit sich mehr als nur einen schwere Last: Vielleicht wurde er am Ende sogar einer Gehirnwäsche unterworfen und von seinen Wärtern "umgedreht". Zumindest Carrie ist davon überzeugt, das Brody ein "Schläfer" ist, auserkoren, in den USA einen schweren Anschlag durchzuführen.

    Von der Frage, was es mit diesem Brody auf sich hat und von der Spannung zwischen Carrie und Brody lebt "Homeland": Der Kriegsheld und die Agentin, die Tablettensüchtige und der Lügner, die Paranoikerin und der Fanatiker - sie bilden zusammen das janusköpfige Antlitz Amerikas und des ganzen Westens, das die Serie entwirft.

    "Homeland" stammt von den Machern einer anderen Serie, die das Fernsehen veränderte: "Twentyfour", wo auch schon ein Outsider-Agent Terroristen jagte, aber mit Folter und Gewalt. Beides gibt es auch hier, aber nichts mehr wird gerechtfertigt. Insofern ist "Homeland" das Anti-Twentyfour.

    Homeland handelt von der großen Müdigkeit am Ende von zehn Jahren Terroristenjagd, vom Burnout des Westens. Das wird früh klar, erst richtig in Fahrt kommt die Serie dann in der siebten Episode.

    Gut und Böse sind immer schwerer zu unterscheiden, irgendwie sind alle Opfer. Und sogar für den Oberterroristen Abu Nizar hat man mitunter Verständnis.

    In der siebten Folge erklingt dann auch zum ersten Mal ein berühmtes Lied von Leonard Cohen, das von dem langen Krieg handelt, den die Guten verloren haben.

    "Everybody knows the war is over, everybody knows the good guys lost."