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Beerdigung nach 200 Jahren

Es ging eigentlich nur um die Beisetzung zweier Könige aus dem 18. Jahrhundert. Nach 200 Jahren wollten die Nachfahren Friedrichs des Großen den Willen des preußischen Königs erfüllen, auf der Terrasse des Schlosses Sanssouci beigesetzt zu werden. Doch aus dem privaten Wunsch wurde ein Politikum ersten Ranges.

    "Die Familie folgt dem Sarg, und gerade eben ist auch der Bundeskanzler dazugekommen, und nun setzt sich der Trauerzug, nachdem er für einen Moment gehalten hatte, wieder in Bewegung und nimmt seinen Weg zu der Gruft."

    Es ist kurz vor Mitternacht. Nur der engste Kreis der Hohenzollern begleitet den Sarg Friedrichs des Großen und - als einziges Nicht-Familienmitglied – Bundeskanzler Helmut Kohl. Radio und Fernsehen übertragen live:

    "Nun beginnt der letzte Abschnitt, das Polizeiorchester Potsdam hebt an zu dem Trauermarsch, und zu diesen Klängen wird in diesen Minuten der Sarg in die Gruft abgesenkt."

    Damit endet eine Beisetzungsfeierlichkeit, die für eine der kontroversesten Debatten seit dem Mauerfall gesorgt hat. Dabei sollte lediglich - auf den Tag genau 205 Jahre nach seinem Tod - der letzte Wille des Preußenkönigs erfüllt werden. Friedrich II. hatte in seinem Testament verfügt, in aller Stille nachts in der Gruft von Schloss Sanssouci beerdigt zu werden. Doch sein Nachfolger hatte ihn in der Potsdamer Garnisonkirche beisetzen lassen. Im Zweiten Weltkrieg war der Sarg, ebenso wie der seines Vaters Friedrich Wilhelm I., zum Schutz vor Bombenangriffen in ein Bergwerk und 1952 auf die Hohenzollern-Stammburg nach Süddeutschland gebracht worden. Doch für den Chef des Hauses Hohenzollern und Enkel des letzten deutschen Kaisers, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, war das nur eine provisorische Lösung:

    "Ich habe damals sozusagen ein öffentliches Versprechen abgegeben, dass diese beiden Preußenkönige in ihre brandenburg-preußische Heimat, nach Potsdam, zurückkehren würden, wenn Deutschland in Freiheit und Frieden wiedervereinigt ist."

    Mit der Wiedervereinigung ist es soweit. Das Land Brandenburg ist bereit, die Beisetzung Friedrichs auf Schloss Sanssouci und seines Vaters im Mausoleum der Potsdamer Friedenskirche zu ermöglichen und organisiert Gottesdienst und Gedenkfeier. Und die Bundeswehr sagt zu, die Särge zu eskortieren. Damit geht der Streit los. Es geht nicht nur um die Frage, ob der Wunsch des Hauses Hohenzollern wie eine Staatsangelegenheit zu behandeln sei, sondern vor allem darum, ob das wiedervereinigte Deutschland mit dieser Zeremonie an undemokratische, preußische Traditionen anknüpft. Für den größten Zündstoff sorgt, dass Helmut Kohl die Einladung Louis Ferdinands zur Teilnahme an der Feier annimmt – wenn auch nur als Privatmann. Der Historiker Hans Mommsen warnt:

    "Die Bundesrepublik hat – gerade nach der Vereinigung – das Problem, ihre Identität zu finden. Es ist sicherlich verkehrt, wenn jetzt, an der Spitze der Bundeskanzler, das Haschen nach dem Mantel der Geschichte einsetzt, und man dann versucht etwa, die Umbettung Friedrichs des Großen da als Anlass zu nehmen. Und wenn sowenig republikanische Gesinnung in den Köpfen der führenden Bonner Regierung drin ist, muss dagegen gehalten werden."

    Es gibt massive Kritik, aber auch Zustimmung, etwa von Manfred Stolpe, dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Brandenburgs. Am 17. August 1991 erreicht der Sonderzug mit den königlichen Särgen Potsdam, empfangen von einem Musikkorps der Bundeswehr. Auf der zentralen Gedenkfeier nachmittags erklärt Stolpe:

    "Wir stehen zu Preußen, denn es ist ein Teil brandenburgischer und deutscher und europäischer Geschichte. Wir werden zu widerstehen haben, wo Preußens Schatten uns einholen wollen, aber wir werden Preußens positive Traditionen weiterführen."

    Fernsehteams aus der ganzen Welt berichten von der Zeremonie. Die Befürchtungen, das Ausland werde die Beisetzung als Rückfall in unselige Zeiten bewerten, erweisen sich als unbegründet. Die New York Times etwa wundert sich anlässlich der deutschen Diskussionen über eine wiedererwachte "German Angst". Auch die Proteste am Tag der Beisetzung halten sich in Grenzen, manche Besucher sehen die Veranstaltung eher als Spaß:

    "Wir kommen aus Berlin. Wir sind Schwule und sind hierhergekommen, weil Friedrich ein Bruder von uns war, und da haben wir uns im Stil der Jahre zurecht gemacht."

    Die wochenlang geführte Debatte berührt das Selbstverständnis der Republik und reiht sich ein in die politischen Diskussionen, die nach 1990 um die grundsätzliche Ausrichtung des vereinten Deutschlands geführt werden - entzündet an Fragen, wie der des Regierungssitzes – Bonn oder Berlin – oder dem geplanten Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Entgegen vielen Befürchtungen leitet die Beisetzung Friedrichs keine Preußenrenaissance ein – vielmehr scheint es, als sei Preußen mit dem Alten Fritz endgültig zu Grabe getragen worden.