Musik: Beethoven, 1. Sinfonie, op. 21
Um es klarzustellen: Weder wurde hier das falsche Band abgefahren, noch hat die Moderatorin ernsthafte Probleme, musikalische Genres auseinander zu halten. Der Anfang von Beethovens 1. Sinfonie ist Kammermusik - zumindest in dieser Aufnahme. Denn hier spielen nicht mehr als 13 Musiker. Die Taschenphilharmonie unter ihrem Leiter Peter Stangel hat soeben eine Box mit allen neun Beethoven-Sinfonien vorgelegt - kammermusikalische Sinfonik oder sinfonische Kammermusik, wie man möchte. Ein wagemutiges Experiment, das sich gelohnt hat - auch wenn der Einsatz an einigen Stellen hörbar zu hoch, bzw. am Personal gemessen, zu niedrig war.
Musik: Beethoven, 1. Sinfonie, op. 21
Mehr als nur ein Kuriosum
Fast könnte man meinen, ein Originalklang-Ensemble sei am Werk - so filigran und durchsichtig wie der Anfang von Beethovens sinfonischem Erstling hier erscheint. Aber es sind tatsächlich nicht mehr als 13 Musiker, an modernen Instrumenten. Die minimalistische Version der Taschenphilharmonie ist mittels geschickter Instrumentation und vollem Einsatz der Musiker mehr als nur ein Kuriosum - bestimmte Passagen meint man so beweglich und durchhörbar noch nie wahrgenommen zu haben. Kein Wunder, wenn sich die Holzbläser mal nicht gegen einen massiven Streicherapparat durchsetzen müssen, sondern das Verhältnis 5 zu 6 beträgt - fünf Bläser, sechs Streicher.
Musik: Beethoven, 6. Sinfonie, op. 68, Pastorale, 3. Satz
Man gewöhnt sich schnell an diesen besonderen Klang von nur elf Musikern - und umso wirkungsvoller ist dann der Gast-Auftritt des zwölften. Selten entlädt sich der Gewitterdonner der Pauke in der 6. Sinfonie derart spektakulär wie hier - wenn auch die Energie der anderen Instrumente an ihre Grenzen gerät.
Musik: Beethoven, 6. Sinfonie, op. 68, Pastorale, 4. Satz
Staunen darüber, dass diese Sinfonien auch in der reduzierten Fassung wirken
Mangelnden Einsatz kann man der Taschenphilharmonie an keiner Stelle der neun Beethoven Sinfonien attestieren - dafür umso mehr Temperament, Spielfreude und - wie im Booklet zu lesen - immer noch ein wenig ungläubiges Staunen darüber, wie wenig die Musik an Gehalt verliert, obwohl von der üblichen Besetzung nur ein Bruchteil übrig geblieben ist. Die 6. Sinfonie entfaltet ihren pastoralen Charakter ebenso anmutig wie mühelos, und selbst ihre schwergewichtigere Nachfolgerin, die 7. Sinfonie, ist in der Kleinstbesetzung zu meistern. Es sind die Bläser und da vor allem die durchweg ausgezeichneten Holzbläser, die für die Illusion eines kompletten Orchesterklanges sorgen. Auf klanglichem Parkett, ohne einen dicken Streicherteppich, bewegen sie sich um einiges leichter als gewohnt, zeigen Präsenz ohne jede Mühe.
Musik: Beethoven, 7. Sinfonie, op. 92, 1. Satz
Bis in die Grenze des physisch und klanglich Machbaren sei die Aufnahme der 7. Sinfonie gegangen, das gibt Peter Stangel ganz offen zu - Kunst ist schön und macht in diesem Fall scheinbar umso mehr Arbeit, je weniger daran beteiligt sind. Aber auch hier kann man nur wiederholen: So kräftezehrend die Erfahrung auch gewesen sein mag - der Hörer wird damit nicht behelligt, er erlebt eine lebendige, sehr straffe Interpretation, geschult an den Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis. Dabei ist Peter Stangel alles andere als ein pedantischer "Originalklänger" - bei ihm zählen Ausdruck und spontanes Musizieren, seine Tempi sind bewegt aber nicht gehetzt, und vieles, gerade in Hinblick auf Artikulation, wäre mit einem großen Orchester gar nicht möglich.
Musik: Beethoven, 7. Sinfonie, op. 92, 4. Satz
Konzept geht nicht bei jeder Sinfonie auf
Nun kommt auch das mutigste und ambitionierteste Vorhaben manchmal an seine Grenzen - und diese Grenzen heißen bei der Taschenphilharmonie Sinfonie Nr. 3 und Nr. 5. Auch nach mehrmaligem Hören will die Skepsis nicht weichen, will sich das Ohr nicht auf die veränderten Verhältnisse einstellen. Und auch die Musiker selbst scheinen weniger überzeugend; es klappert, die Intonation wackelt, und man muss nicht einmal die Phrasen von Schicksal, Titan oder Rachengreifer bemühen, um zu dem Schluss zu kommen: Ein solches Werk bezwingt man nicht allein - und auch nicht zu sechzehnt.
Musik: Beethoven, 5. Sinfonie, , op. 67
Das Scheitern an Werken wie diesem macht die Arbeit der Taschenphilharmonie aber nicht kleiner, im Gegenteil: Hier zeigt sich fast schon exemplarisch die Sonderstellung Beethovens. Hier bricht eine neue Zeit an, ein neues Klanguniversum, dem mit den damals durchaus üblichen Mitteln der Bearbeitung, der Kleinstbesetzung nicht beizukommen ist. Man muss die Ketten, die man sprengt, auch tragen können - und diese hier sind für die Taschenphilharmonie einfach zu gewaltig.
Musik: Beethoven, 3. Sinfonie, op. 55, 1. Satz
Fast schon schmerzlich vermisst man an Stellen wie dieser die Klangfülle eines großen Orchesters - was an anderen Stellen problemlos funktioniert, fasert im Kopfsatz der Eroica aus, zerfällt in einzelne Stimmen. Das liegt weniger an den Musikern als am Stück selbst – Napoleon, dem Beethoven im Kopfsatz seiner 3. Sinfonie ein Denkmal setzte, ist eben auch nicht mit nur einem Adjutanten losgezogen. Glücklicherweise schmälern die wenigen nicht vollends überzeugenden Passagen den Wert und das Vergnügen dieses Experiment nicht im Geringsten - hinter jedem Track wartet etwas Neues, Ungehörtes und manchmal auch Unerhörtes. Seit Jahren setzt die Taschenphilharmonie alles daran, die trägen, vom immer Gleichen gesättigten Hörsinneszellen aufzuwecken - mit Fantasie, Leidenschaft, und ein klein wenig Größenwahn, ohne den Abenteuer nicht bestanden werden können. Und trotz einiger Blessuren - dieses hier haben die Taschenphilharmonie und ihr Leiter Peter Stangel grandios gemeistert.
Musik: Beethoven, 8. Sinfonie, op. 93
Beethoven Revisited – Symphonies 1-9
Taschenphilharmonie
Peter Stangel, Leitung
Sony Classical LC 50876, Bestellnr. ETP010
Taschenphilharmonie
Peter Stangel, Leitung
Sony Classical LC 50876, Bestellnr. ETP010