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Beethovenfest Bonn
Neun auf einen Streich

Beim Bonner Beethovenfest hat sich das Birmingham Symphonie Orchestra unter Andris Nelsons viel vorgenommen: neun Beethoven-Sinfonien an vier Tagen hintereinander. Für Orchester und Dirigent ist das zunächst mal eine Art Konditionstest, eine körperliche Anstrengung an der Grenze zum Leistungssport.

Von Christoph Schmitz |
    Andris Nelsons, Musikalischer Direktor des Birmingham Symphony Orchestras, dirigiert bei einem Auftritt in Prag am 20. August 2010.
    Andris Nelsons, Musikalischer Direktor des Birmingham Symphony Orchestras, bei einem Auftritt in Prag am 20. August 2010 (dpa / picture alliance / Stanislav Zbynek)
    Wie eine bestens geschmierte Supermaschine beginnt das City of Birmingham Symphony Orchestra unter seinem Chef Andris Nelsons das Scherzo der 3. Symphonie. Ein schnurrendes Räderwerk läuft da ab, brillant einstudiert, lebendig musiziert, mühelos virtuos. Die Erwartungen an die chronologische Aufführung aller neun Symphonien an vier Abenden waren hoch. Der heute 36-jährige Dirigent ist spätestens seit seinem Bayreuth-Debüt 2010 mit Wagners "Lohengrin" in aller Munde.
    Nelsons hat das Einst unter Simon Rattle berühmt gewordene Birmingham Orchestra zu weiteren Höhenflügen verholfen. Nun tritt er die Nachfolge von James Levine in Boston an. Welche besondere Handschrift aber würde Andris Nelsons den Beethoven-Symphonien in Bonn verleihen? Wie würde er sich gegenüber der atemberaubend prägnanten Einspielung von Paavo Järvi mit der Deutschen Kammerphilharmonie und der wunderbaren Farbigkeit des Gewandhausorchesters unter Riccardo Chailly positionieren?
    Dass Beethoven mit seiner Dritten einen Aufbruch in seinem Werk und in der Musikgeschichte markiert und mit der Fünften den Durchbruch, arbeitet Nelsons deutlich heraus. Der Trauermarsch des zweiten Satzes in der Dritten etwa klingt nicht nur wie eine Klage, sondern es ist, als hauche hier ein versehrtes Leben seine Seele aus. Kein ergreifender Schmerzensgesang, sondern ein letztes kraftloses Stammeln.
    Nelsons Entwicklung des Komponisten
    Dennoch führt Nelsons seine Birminghamer nicht in Extreme, weder in der Eroica noch in der folgenden vierten Symphonie und auch nicht in den beiden ersten. Er deutet die ersten Vier nicht aus der Perspektive der Fünften, die bekanntlich eine neue musikästhetische Dimension erobert. Nelsons verzichtet darauf, Kontraste allzu scharf herauszustellen, er kultiviert eine Kunst des Übergangs, einen wohlklingenden, tänzerischen, melodischen Beethoven. Das Schroffe, Überhitze und Exzentrische lässt er eher ahnen und zeigt mehr die Entwicklung des Komponisten auf. Erst in der Fünften lässt er die Gefahr offen zu Tage treten, wie eine Explosion.
    Energetisch komprimiert
    Auch wenn Nelsons anders als Paavo Järvi die Instrumente nicht bis an die Grenze des Schönklangs treibt, so ist seine Fünfte doch energetisch derart komprimiert, dass sie wie ein glühender Komet an uns vorbeirauscht. Gleichzeitig zeichnet er sichtbar mit all seinen Bewegungen die Architektur dieses fliegenden Klangkörpers nach und führt uns durch die vertrackten Winkel, geheimen Gassen und prächtigen Säle des Werks. Jetzt hat Nelsons den Weg gewiesen, den er an den folgenden zwei Abenden weiter gehen würde, denkt man.
    Die Sechste, die Pastorale wird nach dem Schicksalsschlag zuerst einmal wirklich zu einer entspannten Landpartie, zu einer superentspannten. Aber dabei bleibt es dann leider auch. Das Orchester scheint sich am Vortag völlig verausgabt zu haben. Die Dialoge der Solobläser sind kaum hörbar, alles bleibt flächig, kein Atmen der Natur, kein Klangzauber. Nicht alle Teile des Zyklus sind sorgfältig erarbeitet. Und so ergeht es auch der Siebten. Die Vitalität des Kopfsatzes springt nicht über.
    Kein großer Wurf, trotz vieler starker Momente
    Das tieftraurige Allegretto wird zum lyrischen Liedchen. Überzeugen kann bei der Achten allenfalls eine seit Beginn des Zyklus ausgefeilte Dynamik. Doch auch der dritte Satz der Neunten, das Allerheiligste für jeden Beethoven-Verehrer, beginnt nicht zu funkeln. Vielleicht fehlt dem Orchester hier jenes Fünkchen Genialität, das auch der beste Dirigent nicht hervorlocken kann. Auch jener Mut, jene Tollkühnheit fehlt den Musikern aus Birmingham, die es ihnen erlauben würde, den ersten Satz der Neunten ins notwendige Chaos stürzen zu lassen. Sie muszieren ihn zu ausgewogen. So bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Ein großer Wurf ist dieser Zyklus nicht, trotz vieler starker Momente. Erst am Ende kann sich das Orchester wieder aufraffen. Der Schlusssatz der Neunten wird fulminant.