Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 18,3 - 1. Satz
Das Quatuor Ébène mit dem Beginn des Streichquartetts op. 18 Nr. 3 von Ludwig van Beethoven. Es ist das chronologisch früheste Quartett des Komponisten, entstanden zwischen Sommer 1798 und Januar 1799. Der Auftakt zu einer Reihe von epochemachenden Werken: In einem Zeitraum von fast dreißig Jahren hat Beethoven insgesamt sechzehn Streichquartette geschrieben, sie gelten als Höhepunkt der Gattung und werden deshalb gern als "Mount Everest der Kammermusik" bezeichnet.
Live-Moment überzeugt auch auf CD
Das Quatuor Ébène erklimmt diesen Gipfel ohne die Absicherung einer Studioproduktion. Alle Aufnahmen sind, bis auf ein paar Korrekturen, im Konzert entstanden. Ein mutiger Schritt, der sich auszahlt. Denn die besondere Spannung der Live-Situation vermittelt sich auch auf CD. Die raschen Sätze sprühen vor Energie und Lust an der Kommunikation - wie das Scherzo aus dem späten cis-Moll-Quartett, in dem die barsche Geste des Cellos die anderen drei Instrumente aufzuschrecken scheint.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 131 - 5. Satz
Die Echoeffekte, die Beethoven ins Presto seines cis-Moll-Quartetts eingebaut hat, treten beim Quatuor Ébène plastisch zu Tage in dieser Aufnahme vom Mai 2019 aus dem Perelman Theater in Philadelphia. Die Konzerteinspielungen des Quatuor Ébène stammen aus sieben Orten auf sechs Kontinenten, darunter Sao Paulo, Melbourne und Nairobi. Daher auch der Titel des Albums: "Beethoven around the world", "Beethoven rund um die Welt".
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 18,4 - 4. Satz
Während seiner Tournee hat das Ensemble nicht nur in den etablierten Konzertsälen gespielt, sondern auch an Workshops für ein ganz anderes Publikum mitgewirkt. Davon erzählt der Beihefttext der Box anschaulich, der die Stationen der Tour wie in einer Art Tagebuch begleitet. Einer der Workshops führte das Quatuor Ébène in den drittgrößten Slum von Nairobi, nach Korogocho, wo eine afrikanische Sopranistin das musikalische Sozialprojekt "Ghetto Classics" gegründet hat.
Unerwarteter Humor bei Beethoven
Die Jugendlichen dort reagierten in ihrer ganz eigenen Weise auf Beethovens Ideen, etwa bei einem abrupten Fortissimo im Finale aus dem Quartett op. 18 Nr. 4, das laut Booklettext alle zum Lachen brachte.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 18,4 - 4. Satz
Bisher habe kein Publikum der Welt über die Stelle gelacht. Erst die Reaktion der Jugendlichen hätte ihnen die Komik dieses Fortissimo bewusstgemacht, bekennt das Quatuor Ébène. Ob sich diese Begegnung direkt in den Interpretationen niedergeschlagen hat, wissen wir nicht. Aber die Haltung des Quatuor Ébène ist unverkennbar und macht die besondere Qualität der Aufnahme aus: Das Ensemble begreift Beethovens Musik nie als selbstverständlich, sondern spielt jedes Quartett mit dem Staunen des ersten Mals. Als wären die Streicher selbst noch überrascht von den Werken, als würden sie keine längst vertrauten Stücke spielen, sondern brandneue Entdeckungen mit den Hörerinnen und Hörern teilen.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 18,4 - 1. Satz
Der frische Blick auf Beethoven offenbart sich in vielen Details der Aufnahme. Mit feinen Modulationen im Tempo, im Klang oder in der Artikulation sucht und findet das Quatuor Ébène einen ganz eigenen Zugang zu den Werken. Dazu ein paar kurze Beispiele. Im Allegretto aus dem Quartett op. 59,2 wählt das Ensemble zunächst einen eher ruhigen Puls, der dann aber beschleunigt, sobald sich die erste Geige in höhere Lagen aufschwingt. Das steht so nicht in den Noten, aber es wirkt ganz organisch, wie die Musik in mehreren Anläufen immer wieder aus der anfänglichen Ruhe auf einen Zielpunkt zustrebt.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 59,2 - 3. Satz
Faszinierend, wie Beethoven hier unser Rhythmusgefühl irritiert, indem er verschiedene Schichten überlagert, und wie das Quatuor Ébène diese Schichten zu einem Ganzen verzahnt.
Kontrastreiche Details
Im Kopfsatz aus dem so genannten Harfenquartett passiert das Gegenteil. Da scheint der Komponist den musikalischen Fluss mit einem kurzen Hieb zu durchtrennen - in einem Schnitt, den die Streicher mit ihrer scharfen Artikulation überhaupt erst so deutlich hörbar machen.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 74 - 1. Satz
Ein ganz anderes Klima herrscht im langsamen Satz aus dem frühen B-Dur-Quartett op. 18 Nr. 6. Nach einem liedhaften Beginn, mit hellen Farben und in freundlichem Dur, dunkelt Beethoven die Stimmung ab, indem er das Geschehen nach Moll eintrübt und erste Geige und Cello in ein Unisono führt. Das Pianissimo klingt hier nicht einfach leise, sondern gespenstisch und geheimnisvoll geflüstert. So wird der Farbwechsel zu einer kleinen Sensation.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 18,6 - 2. Satz
Die verschiedenen Schattierungen von Piano und Pianissimo sind eine besondere Spezialität des Quatuor Ébène, ebenso wie der Mut, ein Adagio wirklich auszukosten. Damit wendet sich die französische Formation gegen einen Trend der jüngeren Vergangenheit. Viele Ensembles nehmen die langsamen Quartettsätze heute flüssiger als man es früher gewohnt war. Das gilt etwa für das Cuarteto Casals, das ebenfalls kürzlich seine Gesamtaufnahme aller Beethoven-Quartette abgeschlossen hat. Als kurzer Eindruck hier das Cuarteto Casals mit dem Beginn der "Cavatina" aus dem späten B-Dur-Quartett von Beethoven.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 130 - 5. Satz (Cuarteto Casals)
Das Quatuor Ébène hat eine vollkommen andere Vorstellung von der Musik. Die französischen Streicher nehmen sich über zwei Minuten mehr Zeit für den Satz als ihre katalanischen Kollegen, sie spielen mit vollerem Klang und reichern den Ton auch mit mehr Vibrato an, wenn es passt.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 130 - 5. Satz (Quatuor Ébène)
Eine romantische Interpretation der berühmten "Cavatina" aus Beethovens B-Dur-Quartett, mit viel Herzblut und sogar einzelnen geschmackvollen Portamenti, dem angedeuteten Angleiten der Töne. Das klingt fast wie eine Aufnahme aus einer anderen Zeit, aber sie wirkt absolut authentisch, man nimmt dem Quatuor Ébène den innigen Gesang und die selbstvergessene Hingabe in jedem Moment ab. Nicht nur, weil das expressive Atmen des ersten Geigers Pierre Colombet in diesem Satz besonders deutlich zu hören ist.
Spontan, aber sorgfältig
Die Lesart verrät viel über den Charakter des Ensembles, das mit der Bratscherin Marie Chilèmme, seit 2017 dabei, vielleicht noch etwas an Ausdruck und Charisma gewonnen hat. Das Quatuor Ébène vereint einen emotionalen und spontanen Zugang zur Musik mit Sorgfalt und Beweglichkeit. Diese Flexibilität zeigt sich auch im Kontrast zwischen der eben gehörten Cavatina und dem langsamen Satz aus dem a-Moll-Quartett op. 132. Unter dem Titel "Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart" beschwört Beethoven hier die archaische Aura eines Chorals. Anders als in der "Cavatina" reduzieren die Streicher ihr Vibrato auf ein Minimum, manche Passagen klingen fast so gerade und sirrend wie bei einem Gambenkonsort.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 132 - 3. Satz
Der Heilige Dankgesang aus dem a-Moll-Quartett von Beethoven. Einer von vielen langsamen Sätzen, in denen man am liebsten die Zeit anhalten möchte, weil das Quatuor Ébène so hinreißend spielt und uns den unerschöpflichen Reichtum der Musik eröffnet. Dieser Reichtum birgt Visionen von himmlischer Klarheit und tiefe Melancholie, jauchzende Freude und glühenden Zorn.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 95 - 1. Satz
Gesten der Wut und der Verzweiflung gehören oft zum Vokabular des Komponisten, nicht nur in seiner Kammermusik. Doch in kaum einem Werk ist diese schwarze Energie so kompromisslos und rau in Töne gemeißelt wie in der "Großen Fuge" von Beethoven, dem ursprünglichen Finale seines späten B-Dur-Quartetts. Das Quatuor Ébène entfacht die unglaubliche Wucht des Stücks nicht ganz so geräuschhaft wie andere Ensembles, aber mit einer schneidenden Schärfe im Klang.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 130 - 6. Satz
Kein Wunder, dass die Hörerinnen und Hörer zu Beethovens Zeit von dieser Musik verstört waren. Sie bestürmt uns mit einer beißenden Intensität, die noch immer schwer auszuhalten ist. Der Komponist drängt hier an die Grenzen des Schönklangs, der Kammermusik und des überhaupt Machbaren. Man glaubt, dass jeden Moment die Saiten reißen oder die Bögen brechen könnten.
Quartettspitze erreicht
Diese gewaltige und mitunter fast gewalttätige Fuge am Ende eines Konzerts mit so einer Kraft und einer nie nachlassenden Konzentration zu spielen, gelingt nur Ensembles der internationalen Spitzenklasse. Dazu gehört das Quatuor Ébène nun schon einige Zeit. Die Beethoven-Aufnahme bestärkt den Ausnahmerang eindrucksvoll: mit einem zwingenden Gestaltungswillen, der den Charakter der Werke schärft und zugleich eine ganz eigene Handschrift erkennen lässt, mit einer ausgewogenen Balance aus Klarheit und Leidenschaft, und nicht zuletzt mit der kollektiven Virtuosität des Ensembles. Auch in der Live-Situation kann das Quatuor Ébène ins Risiko gehen, weil spieltechnisch alles möglich scheint - so wie im Finale aus dem Quartett op. 59 Nr. 3, in dem die vier Streicher ein atemberaubendes Tempo anschlagen und durchhalten.
Musik: Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 59,3 - 4. Satz
Eigentlich schade, dass gar kein Applaus zu hören ist. Man würde gerne mitjubeln, nach dem furiosen Finale des Quartetts op. 59 Nr. 3 von Ludwig van Beethoven. Hier in einer Konzertaufnahme aus der Suntory Hall in Tokyo vom 16. Juli 2019. Ein Ausschnitt aus der Gesamteinspielung aller Beethoven-Quartette mit dem Quatuor Ébène, die sieben CDs umfasst und unter dem Titel "Beethoven around the world" bei Erato erschienen ist.
Beethoven around the world
Ludwig van Beethoven: sämtliche Streichquartette
Quatuor Ébène
Label: Erato/Warner Classics EAN: 0190295339814 (7 CDs)
Ludwig van Beethoven: sämtliche Streichquartette
Quatuor Ébène
Label: Erato/Warner Classics EAN: 0190295339814 (7 CDs)