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Befreiung des KZ Bergen-Belsen
Holocaust-Gedenken in Coronazeiten

500 Holocaust-Überlebende, deren Angehörige und Freunde zu einer Gedenkveranstaltung anreisen zu lassen, ist in Zeiten der Coronavirus-Pandemie nicht möglich. Überlebende und die KZ-Gedenkstätte in Bergen-Belsen wollten sie aber nicht ausfallen lassen, deshalb findet sie online statt.

Von Alexander Budde |
15.04.2020, Niedersachsen, Bergen: Ein Mann geht durch die Gedenkstätte Bergen-Belsen. Genau vor 75 Jahren, am 15. April 1945, wurde das Konzentrationslager Bergen-Belsen von britischen Soldaten befreit. Aufgrund der Corona-Pandemie ist es ein sehr stilles Gedenken: Kaum ein Besucher oder gar Zeitzeugen findet den Weg zum ehemaligen KZ-Gelände im Landkreis Celle. Foto: Julian Stratenschulte/dpa | Verwendung weltweit
Großveranstaltungen sind in Zeiten von COVID-19 keine Option (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
Anita Lasker-Wallfisch sitzt in ihrem Garten in London. Die Rede, die sie eigentlich auf der großen Gedenkveranstaltung am Ort des Schreckens halten wollte, spricht die 94-Jährige in eine Kamera. Salmon Wallfisch, ihr Enkel, hat die Videobotschaft aus sicherer Distanz aufgenommen. "Unsere Befreier hatten keine Ahnung, was sie vorfinden würden. So etwas wie Belsen hatte noch niemand gesehen."
Anita Lasker-Wallfisch hatte die Mordfabrik Auschwitz überlebt, als der Exodus vom Osten nach dem Westen begann. 3.000 Menschen, eingepfercht in Viehwaggons, darunter auch die junge Cellistin aus dem Häftlingsorchester von Birkenau. Im November 1944 erreichte der Transport das Konzentrationslager Bergen-Belsen:
"Wir wurden in riesige Zelte getrieben, es goss in Strömen, die Zelte waren dem Wetter nicht gewachsen, und mitten in der Nacht fielen sie zusammen. Es ist unglaublich, was der menschliche Körper alles aushalten kann."
Coronavirus
Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Ziel von Todesmärschen in den letzten Kriegsmonaten
1943 auf dem Gelände eines bereits existierenden Lagers für belgische, französische und sowjetische Kriegsgefangene errichtet, war Bergen-Belsen zunächst als so genanntes "Austauschlager" gedacht. Insgesamt rund 15.000 jüdische Häftlinge hielt die SS dort als Geiseln fest. Erweitert um das Zeltlager für weibliche KZ-Häftlinge und ein Männerlager wurde Belsen in den letzten Kriegsmonaten zum Ziel von Todesmärschen. Folter und Prügelstrafen, Hunger und Seuchen - mit der Evakuierung der frontnahen Lager potenzierte sich das Massensterben.
Aus aller Welt wollten 500 Überlebende, Angehörige, Freunde anreisen – doch Jens-Christian Wagner musste das Besuchsprogramm absagen. Der Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten versucht, aus der Not eine Tugend zu machen: "Wir sagen immer, Gedenken braucht Wissen - und das können wir natürlich mit digitalen Formaten sehr viel besser machen als mit einer Präsenz-Gedenkveranstaltung."
Übertragung ins Internet
Aber auch die gibt es: Verneigung vor den Toten in Belsen - übertragen im Internet. "Es ist eine solche unglaubliche Grausamkeit gewesen, in Verbindung mit ganz viel Sadismus, aber auch mit geradezu industrieller Perfektion, wie Menschen umgebracht werden können. Das macht einen immer wieder sprachlos – und ich verstehe schon, warum viele Menschen einfach davon gar nichts mehr hören wollen. Es ist ja auch so ein Schutzreflex."
15.04.2020, Niedersachsen, Bergen: Ein Infoschild in der Gedenkstätte Bergen-Belsen bittet darum Abstand zu halten. Genau vor 75 Jahren, am 15. April 1945, wurde das Konzentrationslager Bergen-Belsen von britischen Soldaten befreit. Aufgrund der Corona-Pandemie ist es ein sehr stilles Gedenken: Kaum ein Besucher oder gar Zeitzeugen findet den Weg zum ehemaligen KZ-Gelände im Landkreis Celle. Foto: Julian Stratenschulte/dpa | Verwendung weltweit
Abstandsregeln gelten auch auf dem weitläufigen Gelände der Gedenkstätte (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
Einen Schlusspunkt kann es aber nicht geben, sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in einem vorab aufgezeichneten Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Denn im Gedenken vergewissern wir uns dessen, wofür wir heute stehen und was uns wichtig ist, so Weil.
Auf der Website der Stiftung sind nun Filme zu den zentralen Erinnerungsorten abrufbar. Die Geschichte Belsens endete nicht mit der Befreiung - noch fünf weitere Jahre beheimatete das so genannte Displaced Persons (DP-)Camp rund 50.000 Menschen, die kein Zuhause mehr hatten. Es gab einen Bürgermeister, eigene Hospitäler und Schulen – und die Lagerzeitung "Unsere Stimme", daran erinnert der Landesvorsitzende der Jüdischen Gemeinden, Michael Fürst: "Die Zeitung des DP-Camps, 'Unsere Stimme' war das Organ der Juden in Deutschland: Wir haben wieder eine Stimme, unsere jüdische Stimme wird wieder gehört!"
Lasker-Wallfisch: "Sprecht miteinander"
Anita Lasker-Wallfisch hat in den späten 80er-Jahren ihren Eid gebrochen, nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen. Die Mitbegründerin des English Chamber Orchestra sitzt auf Podien, sucht die Begegnung - und spricht Tacheles: "Trotz der beeindruckendsten Gedenkfeiern läuft es parallel mit Überfällen auf Menschen jüdischer Abstammung."
Ihr Rat an die Jugend - für eine Zeit nach der Corona-Pandemie: "Sprecht miteinander, ladet Euch in eure Häuser ein, erklärt Euch Eure verschiedenen Feiertage, und Ihr werdet finden, dass ihr viel mehr gemeinsam habt, als Euch trennt."