"Gemäß dem biblischen Prinzip, niemandem Asyl zu verweigern, der es wirklich braucht, haben wir Dominikaner während der Diktaturjahre zahlreiche Verfolgte der verschiedensten ideologischen Richtungen aufgenommen und unterstützt."
Sagt Frei Betto im Dominikanerkloster von Sao Paulo und erinnert ebenso wie andere kirchliche Regimegegner daran, dass seinerzeit zum ersten Mal in der brasilianischen Geschichte so viele Christen eingesperrt und fast ausnahmslos gefoltert wurden.
"Wir Ordensbrüder haben damals nicht zu den Waffen gegriffen - das hat auch niemand von uns erwartet. Aber wir stellten Widerstandsorganisationen die nötige Infrastruktur, organisierten an der Grenze zu Argentinien und Uruguay jenen Diktaturgegnern, deren Leben in höchster Gefahr war, die Flucht."
Der Repressionsapparat verfeinerte seine Fahndungsmethoden und überwachte die Kirche als die führende Oppositionskraft immer strenger, so kam man schließlich auch Frei Betto auf die Spur:
"Als mir die Verhaftung drohte, versteckte ich mich in einem südbrasilianischen Kloster, saß abends mit den Ordensschwestern, die nicht wussten, wer ich wirklich war, vor der brasilianischen Tagesschau. Gleich am Beginn hielt der Sprecher mein Fahndungsfoto hoch und beschrieb mich als gefährlichen Terroristen. Die Ordensschwestern ließen vor Schreck ihr Strickzeug fallen, drehten sich nach mir um, verglichen mein Gesicht mit dem in der Tagesschau. Da wusste ich - schnell weg von hier. Bereits am nächsten Tag hatte mich die politische Polizei auf einem Bauernhof gestellt."
Frei Betto wird vier Jahre eingekerkert - verarbeitet das Erlebte, die Gräuel der Militärdiktatur in seinem Roman "Batismo de Sangue", Bluttaufe - der auch sehr erfolgreich verfilmt wurde und jetzt 50 Jahre nach dem Putsch wieder in vielen Kinos zu sehen ist.
"Niemand wurde so sadistisch gefoltert wie mein Ordensbruder Frei Tito. Im Austausch gegen den entführten Schweizer Botschafter Giovanni Bucher kam Tito 1970 zusammen mit 69 anderen politischen Gefangenen frei, verlor jedoch als Folge der Torturen den Verstand, beging 1984 mit 28 Jahren in einem französischen Kloster Selbstmord."
Dominikaner Ivo Lesbaupin, Soziologe und Assessor der brasilianischen Bischofskonferenz, ist ebenfalls noch von den Torturen gezeichnet.
"Die Offiziere wendeten die sadistischsten Techniken an - und hatten als Methode, andere Gefangene aus nächster Nähe zusehen zu lassen - sogar bei Ehepaaren, stets beide nackt. Später, in der Zelle, baten die Gefolterten, darunter auch Atheisten, uns Dominikaner fast immer, als seelische Stärkung das 'Salve Regina' zu singen. Brasiliens nationale Wahrheitskommission zur Aufklärung der Diktaturverbrechen hat ermittelt, dass bereits im Jahr des Putsches über 50.000 Menschen verhaftet, teils in Fußballstadien und Frachtern gefangen gehalten wurden - Folter, Mord und Verschwinden lassen von Anfang an zum Repressionsinstrumentarium gehörten. Das Militärregime währte 21 Jahre".
Ordensschwester Ivone Gebara zählt zur Wahrheitskommission, erinnert sich an den Diktatur-Terror in ihrer Heimatstadt, dem nordöstlichen Recife.
"Sie haben unseren Priester Henrique gefoltert und ermordet, gleich darauf einen katholischen Studentenführer erschossen. Erzbischof Dom Helder Camara führte den Trauerzug an - vor seinem Bischofssitz standen damals rund um die Uhr Schergen der Diktatur. Selbst regimekritische Ordensschwestern hat man damals zu Kommunistinnen erklärt."
1975 ermorden die Militärs in Sao Paulo den jüdischen Fernsehjournalisten Vladimir Herzog - Erzbischof Dom Helder Camara und der deutschstämmige Erzbischof Sao Paulos, Evaristo Arns, zelebrieren in der Kathedrale gemeinsam mit zwei Rabbinern eine ökumenische Trauerfeier. 8000 Menschen waren gekommen und die Kathedrale war von Soldaten umzingelt.
Dass im Nachbarland Argentinien hohe Offiziere und Folterer aus der Zeit der Diktatur dort verurteilt werden und ein Teil von ihnen schon längst hinter Gittern sitzt, bedauern die überlebenden Diktaturgegner in Brasilien, denn in ihrem Land ist weiterhin ein Amnestiegesetz in Kraft, das den Diktaturverbrechern Straffreiheit garantiert.