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Befristet, unsicher, unterbezahlt

Im deutschen Arbeitsmarkt ist nicht alles Gold, was glänzt. Das Jobwunder fußt auf Minijobs, Zeitarbeit und Niedriglöhnen. Letztere sind in der Bundesrepublik weit verbreitet. Im Schnitt zählt mehr als jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte zu den Geringverdienern.

Von Tonia Koch |
    "Hallo, einmal zurück bitte, der Schein ist drin, jawohl, danke. Eintragen bitte, Nr. 98, Tor Kesselhaus …"

    Es ist 18 Uhr. An der Pforte eines großen Schokoladenherstellers in Saarlouis wird es allmählich ruhiger. Eine Lkw-Ladung Zucker fährt noch ein und ein weiterer Lkw mit Kakaomasse. Charles Mathis, die gute Seele im Pförtnerhäuschen, veranlasst das Notwendige.

    "Marlies, hallo, Lavs ist da, aber nicht für heute, ob man wenigstens einwiegen würde, an die Waage, alles klar, tschüss."

    Der Mann an der Pforte nähert sich dem Rentenalter. Seit zehn Jahren ist er bei WUI angestellt, einer saarländischen Firma, die Sicherheitsdienstleistungen anbietet. Sein Traumjob ist es sicher nicht. Aber nach einer langen Erkrankung war der Job bei der Sicherheitsfirma für den gelernten Speditionskaufmann eine Chance, wieder Anschluss zu finden.

    "Ich bin eigentlich dankbar, dass ich diesen Job bekommen habe. Weil in der Spedition, da fassen Sie keinen Fuß mehr, wenn Sie zwei Jahre zu Hause waren, krank, dann nimmt sie niemand mehr."

    Einige Kilometer entfernt, im zweiten Werk, läuft Stephan Koers seine Runde. Er wirft einen Blick ins Kesselhaus.

    "Eigentlich das Herzstück von der Firma, weil wenn die ausfallen, steht die ganze Produktion, und das kostet dann viel Geld. Das sind Kessel, die müssen alle zwei Tage überprüft werden, es müssen Wasserproben gezogen werden, die Wasserproben müssen analysiert werden, ob eventuell der PH-Wert zu hoch ist oder zu viel Salz drin ist, dass man dann reagieren kann."

    Jeder, der hier in der Schokoladenfabrik Wachdienst schiebt, braucht einen sogenannten Kesselwärterschein. Der Schein ist nur ein Beispiel für die vielfältigen Aufgaben, die neben der Paket- und Rohstoffannahme, der Lkw-Dokumentation sowie den klassischen Überwachungsaufgaben zu erbringen sind. Rund um die Uhr, 24 Stunden im Schichtdienst und stets ein Auge auf den flimmernden Bildschirmen. Draußen, glaubt Koers, könnten sich die Menschen nicht vorstellen, was die Sicherheitsleute in ihren korrekt sitzenden blauen Uniformen tatsächlich leisten.

    "Für das was wir machen, für die Verantwortung, die wir haben, ist es wirklich einfach zu wenig Geld."

    Für Debatten um den Mindestlohn, die er hin und wieder in den Medien verfolgt, hat er daher nur ein Lachen übrig.

    "Ich hab' nur noch den Untertitel gesehen, Frau arbeitet schon seit mehreren Jahren zum Niedriglohn von 8,50 Euro. Ich hab' gedacht, warum ärgert die sich. Ich wäre froh, wir bekämen die 8,50 Euro. Ist doch so …"

    Stephan Koers und seine Kollegen werden nach Tarif bezahlt. In der Sicherheitsbranche gelten bundesweite Mindestlöhne. Sie liegen in den meisten Bundesländern aktuell bei 7,50 Euro. Lediglich in vier Ländern, in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen wird mehr bezahlt. In Hessen sind es 16 Cent in der Stunde, in Baden-Württemberg immerhin 1,40 Euro. Zurzeit verhandelt die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit dem Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen über eine Anhebung der Mindestlöhne. Seit ein paar Monaten führt Gregor Lehnert den Verband. Er ist Chef der WUI, also der Arbeitgeber der Wachleute der Schokoladenfabrik. Lehnert sieht keine Spielräume, die Löhne bis 2015 schrittweise auf 8,50 Euro anzuheben.

    "Ich muss im Interesse der Unternehmen in unserem Verband sehen, dass das, was verhandelt und unterschrieben wird, nachher im Markt bei unseren Kunden auch umsetzbar ist. Und da haben wir nicht nur Zweifel, wir halten das im Augenblick für nicht möglich und verhandeln mit ver.di dahin gehend, dass man diese Anhebungen von 7,50 Euro auf acht Euro, 8,50 Euro mindern, reduzieren kann. Aber wir sind für eine Anhebung und Fortentwicklung des Vertrages."

    Lehnert weist auf die Lohnsteigerungen hin, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat. Noch im Sommer 2008 sind vor allem in den neuen Bundesländern Löhne gezahlt worden, die unter fünf Euro gelegen haben und auch zahlreiche Westländer lagen nur knapp über der Fünfeuromarke.

    "Wir haben in den kritischen Tarifregionen in diesem Zeitraum in zwei Jahren angehoben um 33,9 Prozent. 33,9 Prozent, man kann diese Anhebung in dieser Größenordnung nicht einfach fortsetzen, sondern man muss geringere Schritte gehen, die aber immer noch über den Anhebungen im Branchenvergleich liegen. Das ist auch der richtige Weg, denn wir müssen noch ein Stück aufholen bei der Entlohnung der Mitarbeiter."

    Gregor Lehnert, der Präsident des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft, hätte nichts dagegen, wenn der Bundestag nach der Bundestagwahl einen allgemein verbindlichen, gesetzlichen Mindestlohn festschreiben würde. Augenblicklich diktierten im Wesentlichen die Kunden über ihre Ansprüche an Qualitäts- und Ausbildungsstandards der Mitarbeiter den Preis. Immer wieder führe er Diskussionen darüber, wie eine sachgerechte Entlohnung auszusehen habe.

    "Deshalb sind wir im jetzigen Stadium auch für gesetzliche Mindestlöhne, weil dort kein Verhandlungsspielraum besteht. Der Gesetzgeber gibt das vor, die Menschen werden danach bezahlt und wer es nicht tut, hat ein Problem."

    Solche Argumente pro Mindestlohn aus der Wirtschaft hört der FDP-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Rainer Brüderle, gar nicht gern.

    "Wenn sie den Mindestlohn zu hoch festlegen, nehmen wir das Beispiel, wenn die Kehrmaschine preiswerter ist als die Reinigungskraft, dann fällt die Reinigungskraft weg, dann gibt es keinen Arbeitsplatz für sie, weil die Kehrmaschine 24 Stunden einsatzfähig ist, keine Grippe bekommen kann und keinen Urlaubsanspruch hat."

    Nur dort, wo keine Tarifvertragsparteien existierten, die Löhne und Gehälter autonom aushandeln könnten, solle der Staat geeignete Maßnahmen ergreifen. Diese Position vertritt auch die Union in ihrem Wahlprogramm. Nicht die Politik soll tätig werden, wie SPD und Grüne es wollen, sondern eine parteiunabhängige Kommission. Diese soll sich jene Bereiche anschauen, in denen es keine Tarifverträge gibt und geeignete Mindestlöhne festlegen. Dabei müssten, da sind sich Union und FDP ebenfalls einig, auch regionale Kaufkraftunterschiede berücksichtigt werden. Rainer Brüderle:

    "Wenn sie ihn festlegen, was jetzt die SPD fordert, 8,50 Euro, die Linken fordern zehn, ist natürlich 8,50 in München etwas ganz anderes als in meiner Heimat in Rheinland-Pfalz, im Hunsrück oder in der Eifel, wo die Lebenshaltungskosten ganz andere sind. An diesem simplen Beispiel zeigt sich, dass diese allgemeine gesetzliche Regelung einfach falsch ist."

    Niedriglöhne sind in Deutschland weit verbreitet. Gleich, welcher Definition man folgt, gleich, welche Daten vom welchem Institut man auch immer zugrunde legt, die Ergebnisse sind im Grundsatz stets die Gleichen: Im Schnitt zählt in Deutschland mehr als jeder Fünfte, der sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist und acht Stunden am Tag arbeitet, zu den Geringverdienern. An dieser Einschätzung lässt kein Forschungsinstitut, das die Entwicklung am Arbeitsmarkt beobachtet, einen Zweifel. Und werden neben den Vollzeitbeschäftigten all jene in die Statistik eingerechnet, die sich in einer Ausbildung befinden, Teilzeit arbeiten oder etwa einer Aushilfstätigkeit im Rahmen eines Minijobs nachgehen, dann wäre es jeder Vierte. Das hat das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, ausgerechnet. Diese Entwicklung ist durch die Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung ausgelöst worden, und sie müsste überall da, wo es in die falsche Richtung laufe, korrigiert werden, fordert SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

    "Wir haben es mit einer Spaltung des Arbeitsmarktes zu tun. Wenn Sie daran denken, dass 7,8 Millionen Menschen unter 8,50 Euro verdienen, wenn sie daran denken, dass 1,4 Millionen Menschen selbst bei Vollzeit nur so wenig, so gering entlohnt werden, dass sie anschließend aufgestockt werden müssen, das kostet im Übrigen zehn Milliarden Euro, und das bezahlen übrigens die Steuerzahler, weil es diverse Unternehmen gibt, die diese Frauen und Männer trotz Vollzeit so schlecht bezahlen, dass sie anschließend die Differenz, das Delta hin zu einem einigermaßen auskömmlichen Lohn, auf die Gemeinschaft der Steuerzahler abwälzen. Das halte ich für skandalös."

    Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland im Hinblick auf die Zahl seiner Geringverdiener einen traurigen Spitzenplatz ein. Lediglich in den drei baltischen Staaten sowie in Polen, Rumänien und Zypern arbeiten noch mehr Menschen zu Niedriglöhnen als in der reichen Bundesrepublik. Der Niedriglohn ist dabei keine feste, sondern eine variable Größe. Die Statistiker schauen auf die Gesamtheit der Löhne, die in einem Land erwirtschaftet werden. Sie bilden daraus ein Mittel, und wer weniger als zwei Drittel dieses mittleren Einkommens verdient, der wird dem Niedriglohnsektor zugerechnet. 2010 lag die Niedriglohnschwelle in Deutschland inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei 1800 Euro brutto. Stephan Koers und Charles Mathis, die Wachleute in der Schokoladenfabrik, die Reinigungskraft im Büro, der Fensterputzer, das Zimmermädchen oder auch der Taxifahrer, sie alle zählen dazu.

    "4,60 Euro habe ich die Stunde, das ist aber viel … Ich wäre froh, wenn ich vier Euro bekomme. Das wäre prima, ich hoffe auf den Mindestlohn. Dann bleiben vermutlich 50 Prozent der Taxen stehen. Es ist unmöglich im Taxigewerbe 8,50 Euro zu bezahlen, das geht gar nicht."

    Für die Taxi-Branche sei ein gesetzlicher Mindestlohn eine echte Hürde, sagt der Vorsitzende des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes, Michael Müller. Denn die insgesamt 55.000 Taxen, die auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, gehören überwiegend Kleinunternehmern, die entweder selbst hinter dem Steuer sitzen oder so sie Fahrerinnen und Fahrer beschäftigen, diese an den Umsätzen beteiligen.

    " Das heißt, der Fahrer bekommt einen Satz von 40 bis 50 Prozent des Umsatzes als Lohn ausgekehrt."

    Reich wird damit niemand, rechnet Müller vor.

    "Im Schnitt kann man davon ausgehen, dass bundesweit ein Lohn zwischen sechs bis 6,50 Euro zurzeit realisiert wird."

    Wenn ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt wird, muss das Taxigewerbe für seine 250- bis 300.000 Fahrerinnen und Fahrer die Lohnlücke irgendwie schließen. Und das geht im Grunde nur mit einer Erhöhung des Beförderungstarifes. Der Verband kalkuliert, dass Taxifahrten um ein Viertel teurer werden müssten, um einen Stundenlohn von 8,50 Euro zu erzielen. Zu solchen Preissprüngen seien aber weder die Städte und Gemeinden bereit, die die Taxi-Tarife festlegen noch die Kunden, glaubt Müller.

    "Am Ende muss es auch noch Kunden geben, die bereit sind, diese Sache mitzumachen. Das heißt, wir können nicht unendlich zuschlagen und sagen, was brauchen wir. Denn wenn am Ende weniger Kunden fahren, dann ist das eventuell ein Nullsummengeschäft oder gar ein rückläufiges Geschäft."

    Der Unternehmer geht deshalb davon aus, dass künftig noch mehr Vollzeitstellen in Teilzeit- oder Minijobs umgewandelt werden. Bereits jetzt, schätzt der Verbandsvorsitzende, sitzen 30 bis 40 Prozent der Fahrer nur stundenweise in den Taxen. Das, was dem Taxi-Gewerbe noch bevorsteht, ist in anderen Branchen längst Praxis. In den vergangenen Jahren haben Erwerbsformen wie Leiharbeit, Minijobs, befristete Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung und Nebenjobs massiv zugenommen, bestätigt das IAB. Gerade im Hinblick auf Minijobs seien deshalb Korrekturen von Nöten, sagt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

    "Ich für mein Teil würde sie nicht abschaffen, weil es einige, insbesondere Frauen gibt, die in Ergänzung zu einem voll verdienenden Mann sagen, ich möchte ganz gern einen Minijob haben. Aber das Ausmaß, in dem es hier eine Ausweitung gegeben hat, das Ausmaß, in dem sozialversicherungspflichtige Jobs inzwischen aufgeteilt worden sind, buchstäblich in zwei, drei oder vier Minijobs, ist ein Problem, dem man sich nicht nur stellen muss, sondern das man wird lösen müssen."

    Die Frage, wie viele der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjobs seit 2005 tatsächlich durch andere Beschäftigungsformen ersetzt worden sind, lässt sich nach Angaben des IAB lediglich für die Zeitarbeit sagen. Die Zeitarbeit kostet etwa die Hälfte der - wenn man so will – guten Jobs. Werden zum Beispiel 100.000 neue Arbeitsplätze in der Zeitarbeit geschaffen, dann fallen dafür 50.000 angestammte Arbeitsplätze, also gute Jobs, weg. Sie werden durch Leiharbeit ersetzt. Am Ende dieses Prozesses gibt es zwar insgesamt mehr neue Arbeitsplätze, aber diese neu geschaffenen Jobs sind eben von einer ganz anderen Qualität. Ob diese Formel auf andere Beschäftigungsformen wie etwa Minijobs übertragbar ist, kann nicht verlässlich nachgewiesen werden. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass im boomenden deutschen Arbeitsmarkt nicht alles Gold ist, was glänzt, sondern dass das Jobwunder in erheblichem Umfang auf umgewandelten Beschäftigungsverhältnissen fußt. Der Spitzenkandidat der Liberalen für die Bundestagswahl, Rainer Brüderle, sieht trotzdem keine Veranlassung, daran etwas zu ändern.

    "Nein, es ist nicht so, dass es pauschal in der Summe dramatisch zunimmt, sondern wir haben damit die Arbeitsmarktstrukturen aufbrechen können. Ich warne davor, weil man jetzt erfolgreich ist, aus ideologischen Gründen eine erfolgreiche Politik infrage zu stellen, weil einige die Zusammenhänge nicht verstehen."

    Was diese Flexibilität am deutschen Arbeitsmarkt bedeutet, das haben 30 Wanderarbeitnehmer aus Litauen, Bulgarien und Rumänien am eigenen Leib erfahren müssen. Alle sind Anfang des Jahres im Auftrag eines deutschen Personaldienstleisters von einem polnischen Subunternehmer in ihren Heimatländern angeworben worden. Sie wurden mit Lohnversprechen nach Deutschland gelockt, die für deutsche Ohren ganz und gar nicht erstrebenswert klingen.

    "Sie sagten, wir könnten 1000 Euro im Monat verdienen, wir sollten 40 Stunden die Woche arbeiten, von Montag bis Freitag, acht Stunden täglich.
    Herr Victor versprach uns: fünf Tage die Woche, fünf Euro die Stunde und ein Jahr Vertrag. Als wir hier ankamen, war alles anders."

    Diana und Elena sollten in einem Saarbrücker Fleisch verarbeitenden Betrieb Waren verpacken. Dass sie einen Werkvertrag unterschrieben hatten, war ihnen nicht klar. Welche Konsequenzen das hatte ebenfalls nicht.

    "Als wir ankamen, sagten sie, es gibt keine fünf Euro die Stunde, sondern täglich haben Sie so und so viel Kilogramm zu verpacken. Und wenn Sie das nicht erreichen, gibt es keine fünf Euro."

    Mit Hilfe von Werkverträgen kaufen Unternehmen von Fremdfirmen eine bestimmte Leistung ein. Beim Fleischwarenverarbeiter bestand der Auftrag darin, eine festgelegte Anzahl beispielsweise von Würstchen oder Sandwiches zu verpacken. Bezahlt werden Wanderarbeitnehmer grundsätzlich erfolgsorientiert. Das heißt zum Beispiel, wenn etwa die Stückzahl erfüllt ist. Die Zeit, die sie zur Erfüllung ihres Auftrages benötigen, spielt dabei keine Rolle, denn eine Vergütung nach der Anzahl der geleisteten Stunden ist in Werkverträgen nicht vorgesehen. Im vorliegenden Fall war der vom Personaldienstleister festgesetzte Akkord jedoch offenbar so hoch, dass die Wanderarbeitnehmer die Vorgaben selbst dann nicht hätten erfüllen können, hätten sie rund um die Uhr gearbeitet. Aber das war noch nicht alles. Der Personaldienstleister speiste die Menschen mit Hungerlöhnen ab, berichtet Elena.

    "Manchmal haben die Leute sechs Tage gearbeitet und 75 oder 85 Euro bekommen."

    Umgerechnet auf die Stunde sind das weniger als 1,80 Euro. Nach Abgaben der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, NGG, sind Werkverträge eine stark wachsende Beschäftigungsform in Deutschland. Sie würde dazu genutzt, tarifvertragliche Bindungen auf mehr oder minder legale Weise zu unterlaufen, sagt der Bundesvorsitzende Franz-Josef Möllenberg.

    "Ich gehe so weit, dass ich sage, hier entwickelt sich ein neues Krebsgeschwür, was den Arbeitsmarkt angeht, was Unordnung am Arbeitsmarkt angeht, und dagegen muss man sich wehren."

    Zu Beginn des Jahres hat die NGG ein Schwarzbuch veröffentlicht, in dem Menschen wie Diana oder Elena ihre Geschichte erzählen. Sie haben in Hotels gearbeitet, in Backfabriken, am Bau oder eben in Fleisch verarbeitenden Betrieben. In deutschen Schlachthöfen sei inzwischen jeder dritte Beschäftigte mit einem Werkvertrag ausgestattet. Sie sind dabei an innerbetriebliche Strukturen nicht angeschlossen, sondern die Fremdfirma übernimmt die Organisation der Arbeit und ist mit eigenem Führungspersonal vor Ort. Die Betriebsräte haben keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitern der Fremdfirmen. Sie müssen zugucken, sagt der Betriebsratsvorsitzende des Fleischverarbeiters Höll, Dirk Naumann.

    "Das Elend der Leute sieht man nicht, weil, man kriegt ja keinen Kontakt mit ihnen, weil sie das von ihrem Arbeitgeber aus nicht dürfen. Und mehrfach kriegt man als Betriebsrat gesagt, das geht dich nichts an."

    Die Gewerkschaften fordern ein generelles Mitspracherecht der Arbeitnehmervertretungen bei Werkverträgen.

    "Genauso wie sie ein Mitspracherecht bei Leiharbeit haben, das haben wir ja schon, brauchen sie auch eines bei Werkverträgen. Ich denke, Zustände, wie länger arbeiten als die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit, das würde dann nicht mehr vorkommen, das wäre schon mal das Mindeste."

    Höll hatte, um konkurrenzfähig zu bleiben, sein Heil in Werkverträgen gesucht. Doch nachdem der Personaldienstleister, den Höll beauftragt hatte, die osteuropäischen Wanderarbeitnehmer anzuheuern, die Löhne großen Teilen schuldig blieb, kündigte das Unternehmen den Vertrag. Künftig will Höll ohne Billiglöhner auskommen.

    "Irgendwann wird sich Qualität durchsetzen."

    Der Saarbrücker Fall ist kein Einzelfall. Das, was ihn von anderen unterscheidet, ist lediglich die Tatsache, dass er öffentlich geworden ist. Die Betroffenen haben ihr Schweigen gebrochen, weil sie die unwürdige Behandlung nicht länger ertrugen. Verteilt über ganz Deutschland sitzen Tausende Menschen aus Ost- und Südeuropa in meist schäbigen Unterkünften und warten auf Arbeitseinsätze. Wie viele, ist nicht bekannt. Für Werkverträge gibt es keine Meldepflicht. Die IG Metall hat ihre Betriebsräte befragt und geht davon aus, dass etwa 25 Prozent der Beschäftigten über Werkverträge für die Unternehmen der Metall-Branche arbeiten. In den Fällen, in denen diese Verträge nur geschlossen wurden, um reguläre Löhne durch Dumpinglöhne zu ersetzen, will nicht nur die SPD, sondern auch die CDU handeln. Im Wahlprogramm der Union heißt es:

    "Werkverträge stellen ein wichtiges Element am Arbeitsmarkt dar. Zusammen mit den Sozialpartnern soll sichergestellt werden, dass sie nicht missbraucht werden, um bestehende Arbeitsregeln und Lohnuntergrenzen zu unterlaufen."


    Vom Arbeitsmarkt bis zum Strompreis - Bundestagswahl 2013: Eine Analyse zentraler Wahlkampfthemen