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Begabte dringend gesucht

Dank einer kräftigen Finanzspritze des Bundesbildungsministeriums können die Begabtenförderungswerke in Deutschland 6500 zusätzliche Stipendien vergeben. Daher haben die elf Förderwerke derzeit ein Luxusproblem: Sie finden gar nicht genügend qualifizierte Bewerber.

Von Sandra Pfister | 17.07.2008
    "Ich meine, was für ein Klischee von Hochbegabung hat man? Das Klischee von Seitenscheitel und Streberbrille, das war überhaupt nicht da. Das waren alles ziemlich nette und interessante Menschen."

    So wie Simone Schmidt. Die 23-jährige Politikstudentin aus Bonn erzählt, wie sie vor vier Jahren in die Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen wurde, das größte und renommierteste Begabtenförderungswerk der Bundesrepublik. In der Jugendherberge in Köln-Deutz musste sie ein Wochenende lang diskutieren und brillieren.

    "Der Druck war nicht so groß, weil schon am Freitag Abend die ganze Gruppe zusammen in die Kneipe gegangen ist, darf ich das sagen?"

    Simone Schmidt hat in der Nähe von Trier ihr Abitur als Jahrgangsbeste gemacht, von der Studienstiftung hatte sie aber noch nie gehört. Ihr Rektor schlug sie für die Hochbegabtenförderung vor - das ist der übliche Weg bei dem einzigen deutschen Begabtenförderungswerk, das nicht konfessionell oder politisch geprägt ist, sagt Gerhard Teufel, Generalsekretär der Studienstiftung des Deutschen Volkes.

    "Wir sind eine klassische Institution mit Vorschlägen, und sehr zufrieden damit, andere Begabtenförderungswerke beneiden uns um das Vorschlagssystem, weil sie sehr suchen müssen bei den Selbstbewerbungen."

    Damit beschreibt Teufel treffend, wie sehr die Begabtenstiftungen derzeit um Kandidaten ringen. Hunderte von Schulen erhalten in diesen Tagen Post von der Konrad-Adenauer-Stiftung, die noch "unentdeckte Talente" für ihre Studienförderung sucht. Tausende von Schulen hat die Friedrich-Ebert-Stiftung angeschrieben, ihre Vertrauensdozenten alarmiert, sie mögen nach geeigneten Kandidaten verstärkt Ausschau halten, sogar in Zeitungsanzeigen wurden die Hochbegabten aufgefordert: Bewerbt Euch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung! Martin Graefe betreut bei der Stiftung die Stipendiaten aus Bayern und Hessen betreut.

    "Ja, wir sind nach wie vor immer noch auf der Suche, es finden eine Vielzahl an öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen statt."

    Noch nie standen die Chancen so gut wie heute, ein Stipendium von einem der Begabtenförderungswerke zu erhalten. Rund ein Drittel mehr Stipendien haben die Stiftungen derzeit zu vergeben. Das verdanken sie der Bundesbildungsministerin. Die gab ihrem Werben nach und stellte Geld für 6500 zusätzliche Stipendien bereit - ein Prozent aller Studierenden soll dann insgesamt gefördert werden.

    Um den neuen Geldsegen unter die Leute zu bringen, nehmen viele Begabtenförderungswerke gegen alle Traditionen nun auch Studienanfänger auf. Die Ebert-Stiftung sammelt damit schon seit zwei Jahren Erfahrung, ab Herbst vergibt auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung Stipendien an Abiturienten.

    "Es ist ein Potenzial zum Teil da bei jungen Menschen, das ist noch entwicklungsfähig, und auch das ist wichtig, dass man ein solches Potenzial erkennt, von solchen Menschen, die vielleicht jetzt noch keine Überflieger sind, aber sich noch durchaus während des Studiums hervorragend entwickeln können,"

    begründet das Martin Graefe von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Selbst die Studienstiftung bricht mit alten Gepflogenheiten, sagt ihr Generalsekretär ganz offen:

    "Es ist eine alte Tradition der Studienstiftung, dass man sich nicht selbst für begabt erklärt."

    Gerade dieser hehre Gedanke kann aber auch dazu führen, dass den Stiftungen manch Begabter durch die Lappen geht. Viele schrecke der elitäre Grundgedanke der Stiftungen ab, glaubt die Stipendiatin Simone Schmidt.

    "Was man sich vorstellen könnte, ist, dass man sich selber nicht so gern in diese Schublade "hochbegabt" steckt, denn es ist ja auch ein Stück Vermessenheit, sich selbst hinzustellen und zu sagen, ich bin hochbegabt, fördert mich. Dass man vielleicht aus einer Scheu heraus, sich selbst dort zu melden, nicht daran gehindert wird, die Möglichkeiten wahrzunehmen."

    Ab 2009 senkt die Studienstiftung die Hürden für Bewerber. Wer in die Stiftung rein will, muss nicht mehr von Schulleitern oder Professoren vorgeschlagen werden - er kann sich auch selbst bewerben.

    Müssen die Stiftungen ihre Qualitätsmaßstäbe sehr strapazieren, um mehr Leute zu finden? Die Förderwerke winken ab: Es komme keiner rein, der schlechter sei als die bisherigen, bekräftigt Gerhard Teufel.

    "Das war immer unsere Wahrnehmung, dass es jede Menge Leute gibt, die sehr begabt sind, die tolle Studienleistungen erzielen können. Es war immer sehr schmerzhaft, dass wir bei früheren Seminaren nur sehr wenige von den Abiturienten aufnehmen konnten."

    Die Stiftungen legen Wert darauf, dass gerade die sehr jung aufgenommenen Bewerber sich noch einmal einer Qualitätskontrolle unterziehen müssen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung nimmt Studienanfänger nur "auf Probe" auf; nach zwei bis drei Semestern entscheidet Vertrauensdozenten und Betreuer, ob sie sich bewährt haben. Bei der Studienstiftung fliegen nach Vordiplom oder Zwischenprüfung alle die raus, die nicht zu den zehn Prozent der Jahrgangsbesten gehören - aber neun von zehn Stipendiaten schaffen diese Hürde.

    Simone Schmidt hat keine Angst, dass die neue Geldschwemme bei den Stiftungen ihren eigenen Hochbegabtennimbus schmälern könnte:

    "Nein, auf dem Auswahlseminar habe ich sehr viele gute Studenten kennengelernt, die hätten alle die Berechtigung gehabt, in der Studienstiftung zu studieren. Wenn die Aufstockung dazu führt, dass mehr Leute aufgenommen werden können, dann kann ich von meiner Erfahrung nur sagen: sehr gut. Viele, von denen ich später gehört habe, dass sie abgelehnt wurden: Das hat mich sehr erstaunt."

    Die Selbstbewerbung wird bei der Studienstiftung übrigens erst im nächsten Jahr möglich sein. Damit nicht Hinz und Kunz sich für hochbegabt erklären kann, will die Studienstiftung die exzellenten Selbstbewerber vorher ausfiltern: durch einen Test, der neben der Intelligenz die praktische Begabung und soziale Kompetenzen erfassen soll. Der Test soll noch in diesem Jahr konzipiert werden von renommierten Psychologen.

    Weitere Informationen unter:
    www.stipendiumplus.de