Archiv

Begabtenförderung
"Einsetzen für die Vielfalt, um die wir in Deutschland kämpfen"

Acht Begabtenförderwerke haben sich zusammengetan, um mit einer Veranstaltungsreihe einen Beitrag für eine offene Gesellschaft zu leisten. Denn das Erstarken populistischer Parteien habe dazu geführt, dass der Druck auf Minderheiten zugenommen habe, sagte Jo Frank vom Begabtenförderwerk der jüdischen Gemeinde im Dlf.

Jo Frank und Ulla Siebert im Gespräch mit Sandra Pfister |
Gasthörer und Studenten der Uni Köln bei einem Vortrag in der Anatomie der Universität zu Köln. | Verwendung weltweit | Geisler-Fotopress / picture alliance
"Wir richten uns an eine klare Zielgruppe, von denen wir auch erwarten, dass sie die Zukunft mitgestalten", sagt Jo Frank vom Begabtenförderwerk der jüdischen Gemeinde im Dlf. (Geisler-Fotopress / picture alliance)
Sandra Pfister: Acht Begabtenförderwerke tun sich zusammen, um eine Veranstaltungsreihe zu organisieren. Das ist eine Premiere, und das bedeutet, es ist ihnen wichtig. Um was geht es - es geht um eine offene, pluralistische, demokratische Gesellschaft. Für die wollen die Begabtenförderwerke gemeinsam etwas tun, und deswegen reden wir jetzt mit zwei Vertretern von Ihnen, mit Ulla Siebert von der Heinrich-Böll-Stiftung, die Bündnis 90/den Grünen nahesteht, und mit Jo Frank, Geschäftsführer des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, des Begabtenförderwerks der jüdischen Gemeinde in Deutschland.
Herr Frank, fangen wir mit Ihnen an. Sie beziehungsweise das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk haben die anderen zusammengetrommelt. Warum?
Jo Frank: Wir haben diese Initiative angestoßen gemeinsam mit dem muslimischen Avicenna-Studienwerk. Das ist, glaube ich, noch mal ganz wichtig, und zwar weil wir eine gemeinsame Position vertreten, nämlich dadurch, dass das Erstarken populistischer und teils nationalistischer Parteien in Europa immer wächst und der Druck dadurch auf die Minderheiten auch enorm zunimmt, und sowohl das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk als auch das muslimische Avicenna-Studienwerk haben sich in den vergangenen Jahren auch erfolgreich für eine Stärkung von Minderheiten in der Gesellschaft eingesetzt.
Wir sehen auch, welche positiven Impulse von Minderheiten für die Gesellschaft ausgehen können. Diese Arbeit sehen wir derzeit gefährdet. Da hat sich uns die Frage gestellt, was können wir jetzt tun, um uns gemeinsam mit unseren Stipendiatinnen für den Erhalt einer offenen und pluralen Gesellschaft einzusetzen?
"Beitrag leisten für eine offene Gesellschaft"
Pfister: Nun mangelt es nicht an Forschung zum Thema, es mangelt auch nicht an Tagungen zu diesem Thema pluralistische Gesellschaft und wie sie unter Druck gerät. Was ist das Besondere, was die Stipendiaten zu dieser Debatte beitragen können?
Frank: Wir richten uns an eine sehr klare Zielgruppe, von denen wir auch erwarten, dass sie die Zukunft mitgestalten. Die Begabtenförderung ist natürlich ein wahnsinniges Privileg, und dieses Privileg hat aber auch einen Anspruch zur Folge, nämlich der, dass man sagt, wenn wir so in euch investieren, dann erwarten wir auch, dass ihr Gesellschaft mitgestaltet, und wenn wir ihnen dann unsere Ziele mitgeben können auf dem Weg, in der Hoffnung, dass sie einen Beitrag leisten für eine offene Gesellschaft, in der, wie Adorno das schon vor ganz langer Zeit gesagt hat, alle in ihrer Verschiedenheit gut leben können.
Ich meine, seit Adorno gab es noch viel mehr solcher Veranstaltungen, vermutlich auch nach uns wird es viel mehr geben, aber wir hoffen, dass wir aus dieser Position heraus noch mal auch neue Impulse in den gesamten Diskurs einbringen können.
Pfister: Also die Begabtenförderwerke, acht von ihnen, positionieren sich, weil der Druck auf Minderheiten wächst. Ulla Siebert von der Heinrich-Böll-Stiftung, warum hat es denn so lange gedauert, bis alle politischen und die beiden religiösen Begabtenförderwerke es geschafft haben, so etwas anzustoßen?
Ulla Siebert: Wir arbeiten ja auf ganz unterschiedlichen Ebenen, in ganz unterschiedlichen Zusammensetzungen sehr konstruktiv über Jahre, Jahrzehnte schon gut zusammen. Das ist ein Beispiel, diese Veranstaltungsreihe, die Jo Frank von ELES initiiert hat gemeinsam mit Avicenna, ist deswegen besonders, weil wir diese Konstellation mit diesen acht Begabtenförderungswerken haben, aber sie ist bei Weitem nicht die einzige. Wir haben beispielsweise auch eine Sommerakademie im Sommer organisiert, federführend von der Hans-Böckler-Stiftung, wo alle 13 Förderwerke sich mit der Frage beschäftigen, wie können wir Demokratie gestalten.
Wir haben in der Vergangenheit sehr unterschiedliche Projekte und auch noch durchgeführt, wo wir zusammenarbeiten. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten vor Ort in den Hochschulgruppen treffen sich untereinander, ein großes Interesse auch jeweils mit denen aus anderen Werken zusammenzukommen und gemeinsam über Politik, über Demokratie, über verschiedene Themen zu diskutieren.
Also es ist ein Beispiel von mehreren, wo wir gut zusammenarbeiten. Der besondere Bezug, der politische Bezug, der uns in diesem Jahr zusammenbringt - das hat Jo Frank ja gerade erläutert -, das ist großartig, dass sich gemeinsam mit ELES und Avicenna alle politischen Stiftungen auch hier engagieren, respektive dass sich alle Stipendiatinnen und Stipendiaten hier aus diesen Werken hier engagieren.
"Betrachten mit Sorge, wie sich die politische Großwetterlage entwickelt"
Pfister: Sie sagen alle, aber eine bleibt ja außen vor, die Desiderius-Erasmus-Stiftung, die Parteistiftung der AfD. Wenn Sie mit denen reden, mit denen Sie ohnehin viel Konsens haben, wie viel Vielfalt ist dann wirklich erwünscht bei so einem Dialog?
Siebert: Na ja, wir gehen jetzt erst mal von denjenigen aus, die Stipendiatinnen und Stipendiaten haben. Das sind diese sechs politischen Stiftungen, respektive ELES und Avicenna. Wir möchten mit dieser Veranstaltung ausdrücken, dass wir uns mit Demokratie beschäftigen wollen und mit Sorge betrachten, wie sich die politische Großwetterlage entwickelt. Deswegen glauben wir, dass es wichtig ist, in dieser Konstellation zusammenzuarbeiten. Wie sich das in Zukunft darstellen wird mit einer Erasmus-Stiftung, wird man sehen.
Pfister: Gibt es irgendeinen Punkt, an dem Sie untereinander wild miteinander streiten bei der Thematik?
Siebert: Nein, das sehe ich nicht, weil das Konzept dieser Veranstaltungsreihe sieht ja vor, dass jeder Förderwerk, jede Stiftung auch ihren Beitrag leisten soll zu diesem großen Thema Gesellschaftsvisionen, gemeinsam für eine offene, pluralistische, demokratische Gesellschaft, und gerade in dieser Pluralität, das ist ja das Besondere auch in der Begabtenförderung, das ist ja sozusagen der gemeinsame Ausgangspunkt, dass wir uns nicht im Detail bei jedem Thema streiten müssen, sondern dass wir sagen, wir haben alle einen Beitrag, wir unterstützen Stipendiatinnen und Stipendiaten als künftige Verantwortungsträger, und die sollen alle auch unter dem Dach der Pluralität ihren Beitrag leisten. Da hat auch die Gesellschaft einen Anspruch drauf, dass diese von ihr finanzierten Stipendiatinnen und Stipendiaten sich einbringen.
Pfister: Die Stipendiaten, diese Begabten, die von den Begabtenförderwerken gefördert werden, die werden ja häufig selbst als elitär wahrgenommen, und auf diese Elite stürzt sich dann wieder ein Teil der populistischen Bewegungen. Herr Frank, nähren Sie damit, dass Sie jetzt ausgerechnet die einbinden und von denen erwarten, dass sie sich einsetzen, nähren Sie damit nicht wieder Vorurteile?
Frank: Nein, gar nicht. Also ich glaube, dieser Begriff der Eliten, den kann man ja immer so und so auslegen. Wir sprechen immer und auch selbstbewusst von zukünftigen Verantwortungsträgerinnen, und auch da wird dann das Profil jedes einzelnen Werkes wieder noch mal sichtbar, in welchen Bereich wir auch möchten, dass sie Verantwortung tragen. Also uns als jüdischen Begabtenförderwerk geht es natürlich drum, dass sie auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft Verantwortung tragen, für ein starkes und selbstbewusstes Judentum in Deutschland und in Europa sich einsetzen. Da hat jedes Werk noch mal sein eigenes Profil.
Ich muss aber auch sagen, also wenn die populistischen Kräfte sich gerade auf die Eliten stürzen, dann muss man ja sagen, auch bisher nicht sehr erfolgreich. Also ich glaube, dass dieser Begriff da einfach nicht greift. Also wovon wir sprechen, ist tatsächlich Verantwortungselite, wenn man so will, also die zukünftigen Verantwortungsträgerinnen.
Ich glaube, das, was die populistischen Stimmen meinen, ist etwas, das bei uns nicht vertreten ist, das uns aber gleichzeitig natürlich Sorgen bereitet, und da sehen wir auch unsere Verantwortung, darin genau diese Ausrufe noch mal zu kontextualisieren, zu reflektieren und auch Strategien zu entwickeln gegen das Erstarken dieser populistischen Stimmen in der Gesellschaft.
"In dieser ganzen Komplexität haben wir etwas zu sagen"
Pfister: Thematisch sind Sie ganz breit gefächert bei dieser Tagungsreihe. Am 28. März zum Beispiel, am Tag vor dem potenziellen Brexit geht es darum, was Europa aus dem Brexit lernen kann. Im November gibt es eine Veranstaltung zu Klima-Skepsis, Klima-Leugnung. Das sind nun alles nicht brandneue Themen, was ist der neue Aspekt, den ausgerechnet die Stiftungen zu diesen Diskussionen beitragen können, Herr Frank?
Frank: Na ja, also neue Themen, erst einmal die Komplexität der Themen, die in dieser Reihe auch angesprochen werden, ist erst einmal etwas, was wieder, glaube ich, für die Begabtenförderwerke spricht, dass man sagt, wir widmen uns ganz vielen gesellschaftlichen Phänomenen. Der Brexit beschäftigt uns alle. Es ist eines der Zeichen der Erosion Europas wie wir es kennen, eines Europas, das sich gerade verändert und wo wir auch sehen, wir möchten uns auch europäisch einsetzen für diese Vielfalt, um die wir in Deutschland kämpfen. Das ist, würde ich sagen, eines der Zeichen.
Die anderen Veranstaltungen sprechen natürlich auch aus dem jeweiligen Profil der Werke heraus, also was die Seidel-Stiftung interessiert, ist vielleicht ein ganz anderer Schwerpunkt als das, was die Heinrich-Böll-Stiftung interessiert. Die interessiert wieder was anderes als die Friedrich-Ebert-Stiftung. Also ich glaube es geht aber auch darum, dass man sagt, okay, in dieser ganzen Komplexität haben wir etwas zu sagen und hat auch diese Generation, die in Zukunft Europa gestalten muss, etwas jetzt schon zu sagen. Also dieses, was ich vorhin sagte mit zukünftigen Verantwortungsträgerinnen, wir verschieben es ein bisschen in die Gegenwart und sagen, wir möchten nicht nur, dass ihr morgen Gesellschaft aktiv mitgestaltet, sondern diese Gesellschaft ist bereits heute eure, und dann muss Teilhabe auch heißen Teilhabe am Gestaltungsprozess der Gesellschaft.
Das ist, glaube ich, tatsächlich auch etwas, das die Begabtenförderwerke auszeichnet, dass sie sagt, dass wir mit dieser Generation an den Problemen von heute arbeiten und nicht nur mit denen, die sozusagen von Amts wegen Gesellschaft mitgestalten. Das ist, glaube ich, was wir in dieser Reihe auch gut demonstrieren können.
Pfister: Jo Frank, Geschäftsführer des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, des Begabtenförderwerks der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, und Ulla Siebert von der Heinrich-Böll-Stiftung waren das. Zusammen mit sechs anderen Begabtenförderwerken haben sie eine Tagungsreihe gestartet. Sie startet heute, mit der sie den zunehmenden Druck auf Minderheiten etwas entgegensetzen wollen, und dabei sollen die Stipendiaten mitmachen. Danke Ihnen beiden!
Frank: Vielen Dank!
Siebert: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.