Der Gemeinschaftsraum im Beginenhof in Köln-Widdersdorf ist lichtdurchflutet, obwohl es draußen in Strömen regnet. Das genossenschaftliche Wohnprojekt mit 27 Wohnungen gibt es seit 2013. Lissi Weiß wohnt seit drei Jahren hier.
"Ich fühle mich sehr viel freier, ein Stück weit auch geborgen hier, weil ich hier ja keinerlei Übergriffe befürchten muss, und das ist ein sehr viel gelasseneres Leben für mich."
Nachdem zwei Ehen gescheitert waren, die Kinder erwachsen und auch die Lokalpolitik keine Option mehr war, suchte Weiß nach alternativen Lebenskonzepten und Abstand von - wie sie sagt - "autoritären" Männern. Die Beginen in Köln haben ihr sofort gefallen. In der Beginen-Bewegung spielen Alter, Herkunft und Ausbildung keine Rolle. Frauen können heute aus ganz unterschiedlichen Motiven Begine werden. Eine Wunschliste gibt's laut Vorstandsmitglied Christine Müthrath aber schon.
"Wir haben natürlich einen Katalog, was wir uns wünschen, wenn eine Frau in den Verein eintritt. Aber das können wir ja gar nicht messen. Ich sage immer, wenn eine Frau sich von diesem Beginen- Gedanken berührt fühlt und zu uns kommen möchte, ist sie herzlich willkommen."
"Es gibt hier keine Einheits-Spiritualität"
Christine Müthrath kam vor knapp zehn Jahren zu den Beginen, nicht wegen schlechter Erfahrungen mit Männern. Ein Leben mit Mann und Kind war einfach nichts für die heute 68-jährige Ex-Lehrerin. Der Ansatz moderner Beginen ist grundsätzlich feministisch. Die Frauen legen Wert auf Eigenständigkeit, Unabhängigkeit von Männern und Chancengleichheit der Geschlechter. Auch Spiritualität gehört dazu. Aber welche genau?
"Nein also es gibt hier keine Einheits-Spiritualität", sagt Müthrath. "Also es gibt Frauen, die haben einen christlichen Hintergrund, das heißt, das sind katholische Frauen und evangelische Frauen, es gibt Zen-Buddhistinnen. Es gibt naturreligiös orientierte Frauen. Das ist sehr unterschiedlich."
Auch die Lebensläufe der Beginen sind vielfältig: verwitwet, geschieden, ledig oder getrennt lebend, lesbisch oder heterosexuell, mit oder ohne Kinder. Der Dachverband der Beginen listet inzwischen siebzehn Orte in Deutschland auf, wo es Beginenvereine und Höfe gibt. Im Beginenhof in Köln leben überwiegend ältere Frauen. Einige Frauen-Wohnprojekte werden durch Landesregierungen auch finanziell gefördert - vor allem in Nordrhein-Westfalen. So wird die Idee auch für jüngere, nicht so vermögende Frauen attraktiv.
Sozial-utopische Idee aus dem Mittelalter
Die Historikerin Letha Böhringer erinnert das an eine Gesellschaftsutopie, nur eine viel ältere, an die ursprüngliche Beginen-Idee:
"Das hat einen stark sozial-utopisches Moment, das abgeleitet ist vom Ideal der Stadt der Frauen. Das ist ein Werk von Christine de Pizan aus dem Mittelalter und beschreibt die Vorstellung einer Stadt gelehrter Frauen, die dort gemeinsam diskutieren und leben. Mit dem Leben von Beginen im Mittelalter hat das verhältnismäßig wenig zu tun."
Seit dem 12. Jahrhundert schlossen sich alleinstehende Frauen in ganz Nordwesteuropa in Beginenhöfen oder Konventen zu spirituellen Gemeinschaften zusammen. In der Geschichtsforschung ist nur wenig über sie bekannt. Sie gehörten keinem kirchlichen Orden an. Das Zusammenleben war freier und weltlicher organisiert und bot eine Alternative zur Heirat oder dem einsamen Witwendasein. Beginen waren nicht auf Lebenszeit gebunden, konnten sich frei bewegen und außerhalb des Hofes oder Konventes arbeiten. Sie durften sogar die Gemeinschaft verlassen, um zu heiraten. An den sozialen Schichten änderten aber auch die Beginen nichts.
"Tatsächlich waren die Beginen sehr heterogen", erklärt Letha Böhringer. "Es wäre naiv anzunehmen, dass es sich dabei um eine Lebensweise handelt, die sozial ausgleichend wirkt. Reiche Frauen wurden reiche Beginen und arme Frauen wurden arme Beginen."
In Köln allein gab es im Mittelalter 169 Beginen-Konvente. Die mittelalterlichen Vorbilder geben heutigen Beginen wie Christine Müthrath und Lissi Weiß Kraft. Die Mittelalter-Expertin Letha Böhringer warnt vor Projektionen:
"Das ist einmal das Bild, oh das waren ganz tolle Frauen, über die später nur nicht mehr berichtet wurde. Da werden dann Beginen zu tollen Textilproduzentinnen und Handwerkerinnen, die sehr erfolgreich waren. Das muss man alles mit einigen Abstrichen betrachten. Und die zweite Sichtweise ist die, dass Frauen und gerade auch Beginen Opfer männlicher Verfolgung waren, die wurden unterdrückt von Zünften ständig verfolgt von der Kirche und das ist alles sehr problematisch, das wenigste davon stimmt. Verfolgungs-Szenarien sind weit übertrieben."
Beziehungen ja, zusammen wohnen nein
Inzwischen leben in Deutschland Männer und Frauen relativ gleichberechtigt. Warum ist es also auch heute noch besser ohne Männer zu leben?
"Ja, ich weiß nicht unbedingt, ob es mit Frauen einfacher geht", sagt Christine Müthrath. "Also das kann ich so gar nicht sagen. Aber ich glaube schon, dass Frauen eher bereit sind, zum Beispiel Hierarchien abzubauen oder auch Machtstrukturen zu hinterfragen."
Für Christine Müthrath - und das gilt allgemein für die Beginen - ist es in Ordnung, eine Beziehung zu führen. Auch im Kölner Beginenhof haben einige einen Lebenspartner, nur wohnen dürfen Männer dort nicht. Das könnte dann doch zu Konflikten führen. Aber: Konfrontationen sind durchaus erwünscht. Etwa, wenn Ökologie auf Spiritualität trifft und es zum Konflikt kommt. Lissi Weiß erinnert sich daran, …
"… dass wir mit nur zwei Frauen, ich mit einer anderen Frau, wir haben eine Wildwiese angelegt, und genau gegenüber ist Rollrasen verlegt worden und das war schon schwierig."
Den Rollrasen hat die Frau in Spiralen-Form ausgelegt, das spirituelle Symbol der modernen Beginenbewegung. Es steht für den Ausdruck zyklischer, also weiblicher, Entwicklung.