"Du, Horace, hier in der Zeitung steht was ganz Verrücktes. – So? ... – Heute Abend findet in der Union Hall eine Vorführung der Phänomene statt, die durch das Einatmen von ‚Lachgas‘ hervorgerufen werden. – Lachgas? - Vierzig Gallonen dieses Gases stehen bereit, sie werden all jenen Zuschauern zur Verfügung stehen, die das Gas kosten möchten."
Show-Experimente mit Lachgas
Viel war nicht los in Hartford im US-Staat Connecticut. Da stellte die "Lachgas-Show", die am 10. Dezember 1844 in der Stadt gastierte, eine willkommene Abwechslung dar. Auch Horace und Elizabeth Wells saßen im Publikum. Wells, 1815 in Vermont geboren, war Zahnarzt. Er wusste, dass Lachgas eine ausgelassene Stimmung bewirken konnte. Er hatte sogar schon einmal darüber nachgedacht, ob die Chemikalie als Betäubungsmittel geeignet sein könnte. Denn Wells wollte sich nicht damit abfinden, dass Zähne immer noch ohne jede Narkose gezogen wurden – einfach weil es damals noch keine Betäubungsmittel gab. An diesem Abend drückte Gardner Quincy Colton, der Showmaster jedem, der wollte, einen mit Lachgas gefüllten Lederbeutel in die Hand. Hier die Szene aus einem Hörspiel aus den 70er-Jahren:
"Meine Herren, der Griff ist das Ventil. Drehen Sie jetzt das Ventil bitte vorsichtig auf, damit das Gas ausströmen kann. Und atmen Sie tief ein! Schön ruhig und tief einatmen! Ausatmen durch die Nase! Gleich, liebe Zuschauer, werden sich Wunderdinge begeben! … Oh, da haben wir einen Sänger entdeckt! … Und dieser Gentleman hat sich soeben in ein Huhn verwandelt ...!"
Ein blutendes Schienbein als Beweis
Plötzlich - ein Tumult auf der Bühne. Kaufmann Sam Cooley war in seinem Rausch mit voller Wucht gegen eine Bank geprallt. Sein Schienbein blutete. Aber – er spürte nichts. Wells, der herbeigeeilt war, erfasste die Situation mit einem Blick.
"Ich glaube, dass man einem Menschen einen Zahn ziehen oder ein Bein amputieren kann, ohne dass der einen Schmerz verspürt! Wenn er dieses Gas eingeatmet hat!"
Kollege operierte erstmals mit der Chemikalie
Noch am gleichen Abend beschloss Wells, sich am nächsten Tag einen Zahn, der ihm schon seit längerem Probleme bereitete, unter Narkose ziehen zu lassen. Es war der 11. Dezember 1844: Colton verabreichte das Lachgas, Sam Cooley sah zu. Wells’ Freund und Kollege John Riggs nahm den Eingriff vor. Er gab später zu Protokoll:
"Es war einer der Weisheitszähne im Oberkiefer. Ihn zu ziehen, kostete ziemlich viel Kraft. Trotzdem zeigte Dr. Wells keinerlei Anzeichen von Schmerzen. ... Als die Wirkung des Gases verflogen war, riss er die Arme in die Höhe und rief: ‚Das ist der Beginn einer neuen Epoche des Zähneziehens!’"
Als die Operation misslang
Wells testete das Mittel an weiteren Patienten – mit Erfolg. Doch viel Zeit blieb ihm nicht mehr, um seinen Triumph auszukosten. Eine Demonstration an der Universitätsklinik in Boston endete in einem Debakel. Ein Student hatte sich als "Versuchskaninchen" zur Verfügung gestellt.
"Meine Herren, ich werde diesem Patienten nun den Zahn schmerzlos ziehen. Er wird nichts merken."
Doch die Operation misslang. Der Mann brüllte vor Schmerzen. Er war übergewichtig und alkoholkrank, Wells hatte das Lachgas zu niedrig dosiert. Er wurde ausgepfiffen und ausgelacht, verfiel daraufhin in Depressionen.
Depression und Verzweiflung
Und es kam noch schlimmer: Wells ehemaliger Schüler und Kollege William Morton behauptete frech, er habe das Prinzip der Anästhesie entdeckt. Wells kämpfte um seine Ehre. Während andere Ärzte schon die ersten Tumoroperationen und Amputationen unter Narkose durchführten, übte er seinen Beruf als Zahnarzt kaum noch aus. Er experimentierte mit neuen Betäubungsmitteln, vor allem mit Chloroform. Dass man davon abhängig werden konnte, wusste er nicht.
In einem Zustand geistiger Umnachtung infolge einer Überdosis von Chloroform bewarf Wells am 21. Januar 1848, seinem 33. Geburtstag, zwei Frauen auf offener Straße mit Schwefelsäure. Er kam ins Gefängnis und schnitt sich drei Tage später aus Verzweiflung über seine Tat die Beinschlagader auf. So endete das Leben dieses Visionärs, dem die Medizin eine ihrer größten Errungenschaften verdankt, in einer Tragödie.