Ende November beginnt im finnischen Kontiolahti die neue Biathlon-Saison mit zwei Weltcups. Die deutsche Mannschaft ist schon seit einigen Tagen in Finnland. Dort wohnen die Athletinnen und Athleten zu dritt oder viert in kleinen Hütten. Diese Hausgemeinschaft nimmt auch die Mahlzeiten gemeinsam ein. Arnd Peiffer, Sprint-Olympiasieger von Pyeongchang und fünffacher Weltmeister, erläuterte, das Ziel sei, dass, falls tatsächlich jemand Corona-positiv sei, es möglichst wenige Kontaktpersonen gebe. In dem Fall müssten drei Personen in Quarantäne – und nicht das komplette Team. Die Mannschaft reduziere die Kontakte in hohem Maße – "aber ein Restrisiko bleibt immer bestehen".
Lob für Biathlon-Weltverband
Beide lobten den Biathlon-Weltverband IBU. Denise Herrmann, vor zwei Jahren Weltmeisterin in der Verfolgung, sagte, dass sehr viele positive Äußerungen in Richtung IBU zu hören gewesen seien. Peiffer ergänzte, dass die IBU früh entschieden habe, die Zahl der Weltcup-Orte zu verringern. Das sei ein guter Ansatz gewesen. Die IBU habe auch die Regeln zu Testverfahren festgelegt und da sei man "gut aufgestellt."
Zur Saisonvorbereitung sagte Peiffer, "ich bin davon ausgegangen, dass wir in irgendeiner Form Rennen laufen. Und deswegen hatte ich jetzt nicht unbedingt Motivationsprobleme, mich auf die Saison vorzubereiten. Die Corona-Einschränkungen wären keine Ausrede für Formlosigkeit."
Die Rennen werden ohne Zuschauer stattfinden. Dazu sagte Denise Herrmann, "wir müssen ein bisschen elementarer denken dieses Jahr. Wir können froh sein, wenn so viele Rennen stattfinden wie möglich - auch wenn sie vielleicht nur im Fernsehen übertragen werden."
Peiffer betonte, ohne Zuschauer werde es "ein ziemlicher Kontrast sein." In Kontiolahti werde der Unterschied weniger stark zu spüren sein, weil dort in der Regel nicht viel Publikum sei. Anders in Oberhof und Ruhpolding, das sind seien zwei Orte, die auch von der Stimmung und von den Zuschauern lebten, von Trubel, Euphorie und Begeisterung. Es sei schade, aber besser, als gar nicht an den Start gehen zu können.
Verlorener Jahrgang?
Peiffer äußerte die Sorge, dass wegen der Corona-Pandemie und aufgrund vieler ausgefallener Wettkämpfe im B-Kader- und im Juniorenbereich der Nachwuchs verloren geht. Junge Athletinnen und Athleten, die am Scheideweg stünden, würden sich nun möglicherweise gegen den Leistungssport entscheiden. Das werde aber wahrscheinlich erst in fünf, sechs Jahren spürbar sein. Herrmann äußerte die Hoffnung, dass der deutsche Verband sich gemeinsam mit anderen Ländern engagiere, jungen Menschen die Perspektive offen zu halten.
Beide betonten, dass sie auch in der Pandemiezeit Leistung erbringen wollen. Die Corona-Einschränkungen zählten nicht als Leistungs-Gradmesser, weil andere Nationen wie Frankreich auch keine leichteren Bedingungen vorfänden. Denise Herrmann betonte, dass die bestmögliche Performance das Ziel sei, weit vorne im Gesamtweltcup mitzuspielen sei ihr großes Augenmerk.
Acht Wochen in der Bubble wären für Arnd Peiffer zu viel
Peiffer definierte für sich eine persönliche Grenze. Wenn er längere Zeit in einer "Bubble" leben müsste und keine Kontakte außerhalb des Sports haben dürfte, würde er sagen: "Acht Wochen nicht nach Hause fahren, das ist es mir nicht wert, dann bleibe ich halt zu Hause." Peiffer ist Familienvater.
Herrmann erwiderte, dass die Situation für sie in Ruhpolding leichter sei. Aber sie habe auch noch ein normales Leben. "Und wenn das natürlich dann irgendwann komplett eingeschränkt wird, dann wird es schon haarig."
Mit Blick auf die Olympischen Spiele 2022 sagte Denise Herrmann, es sei der Moment, auf den sie hinarbeite. Sie hoffe, sie sei dann auf dem Zenit ihres Schaffens. "Es ist eine Riesenchance, sportlich Geschichte zu schreiben." Arnd Peiffer ist bereits Olympiasieger. Dennoch sagte er, dass er ein ambivalentes Verhältnis zu Olympia habe. "Ich habe da wirklich tolle Momente erlebt, und andererseits glaube ich, dass es in die falsche Richtung geht." Es werde immer größer und passe nicht mehr in die aktuelle Zeit. Er kritisierte die Kosten. Demokratien hätten sich schon länger nicht mehr für Olympia entschieden, zumindest bei Winterspielen. "Das ist ja schon ein Indiz dafür, dass es ein bisschen den Mythos verloren hat."
Nachträglich Staffelgold wäre "Genugtuung"
Die deutsche Männerstaffel könnte aufgrund der Doping-Sperre eines russischen Athleten nachträglich die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 zuerkannt bekommen. Dazu sagte Arnd Peiffer, der damals im Team war: "Am Ende ist es eine Art Genugtuung, weil man das Gefühl hat, es wurde der Gerechtigkeit Genüge getan." Der Moment der Medaillenübergabe sei vorüber, aber die Goldmedaille würde trotzdem gebührend mit einer eigenen Zeremonie gefeiert werden, so Peiffer.
Die Corona-Pandemie habe aber grundsätzlich vieles in andere Perspektiven gerückt, unter anderem auch den Stellenwerts des Sports. Arnd Peiffer sagte dazu, für ihn habe sich herausgestellt, dass Sport unheimlich wichtig sei und ein "extrem wichtiger Ausgleich. Spitzensport oder Leistungssport ist ja nur ein ganz kleiner Teil. Und letztlich sind wir vielleicht auch manchmal nur das Vorbild und diejenigen, die jemanden animieren, selber Sport zu treiben, der sich dann daraufhin besser fühlt." Sport sei wie Kunst und Kultur sinnstiftend. "Wohlstand sind nicht nur Geld oder irgendwelche Güter, sondern auch Teilhabe. Und ich hoffe, dass wir bald wieder viele Möglichkeiten haben, gemeinschaftlich Sport zu treiben."
Pandemie als Herausforderung und Chance zu wachsen
Denise Herrmann betonte, dass die Pandemie zeitweise eine Herausforderung für sie ist, weil sie selbst ein sehr strukturierter Mensch ist. Man habe einen groben Plan, aber niemand könne derzeit die Zukunft vorhersagen. Das sei aber auch eine Weiterentwicklung für sie, aus festgefahrenen Strukturen herauszukommen. Und die aktuelle Situation führe dazu, dass man geerdet werde – "in jeglicher Hinsicht."