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Beginn der Nürnberger Prozesse vor 75 Jahren
Kriegsverbrecher vor Gericht

Die Nürnberger Prozesse gelten als Meilenstein in der Geschichte des Völkerstrafrechts: Ab Ende 1945 wurden dort die Hauptkriegsverbrecher des Nazi-Regimes vor Gericht angeklagt. Es war der erste Versuch, die Mächtigen einer Diktatur persönlich zur Rechenschaft zu ziehen - mit gemischtem Erfolg.

Von Otto Langels |
Nürnberger Prozess: Blick auf die Angeklagten während des Prozesses gegen die Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärtribunal IMT, bei dem 22 Anführer von Nazi-Deutschland vor Gericht standen. 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946
Am 20. November 1945 begann der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess (imago/Reinhard Schultz)
"Die Untaten, die wir verurteilen und bestrafen wollen, waren so ausgeklügelt, so bösartig und so verheerend, dass die zivilisierte Welt sie nicht ignorieren kann, weil sie ihre Wiederholung nicht überleben würde."

Robert H. Jackson war Hauptankläger der USA beim Nürnberger Prozess gegen Nazi-Größen wie Hermann Göring, Rudolf Heß, Wilhelm Keitel und Albert Speer. Jackson hatte, wie er sagte, das Privileg, am 20. November 1945 die Gerichtsverhandlung über "Verbrechen gegen den Frieden" zu eröffnen. Erstmals mussten sich in einem Prozess führende Repräsentanten eines Staates für verschiedene Delikte persönlich verantworten - ein Meilenstein in der Geschichte des Völkerstrafrechts.
Blick in den Nürnberger Justizpalast während der Eröffnung des Hauptkriegsverbrecherprozesses am 20. November 1945 vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Rechts die Angeklagten, vor ihnen die Verteidiger, im Hintergund die Staatsanwälte, ganz hinten die Pressevertreter. Oben auf der Galerie Zuschauer.
Als das Völkerrecht strafrechtliche Bedeutung bekam
Großbritannien, die USA, Frankreich und die Sowjetunion vereinbarten vor 75 Jahren im Londoner Viermächte-Abkommen die Einrichtung eines Internationalen Militärgerichtshofes.
Einen Versuch, im Krieg begangene, sogenannte "Untaten" zu ahnden, hatte es bereits nach dem Ersten Weltkrieg gegeben. Die alliierten Siegermächte wollten damals den ehemaligen deutschen Kaiser sowie ranghohe Politiker und Generäle als Kriegsverbrecher auf die Anklagebank setzen. "Daraus wurde nichts, zum einen, weil sich Holland, wo der deutsche Kaiser Asyl gefunden hatte, weigerte, den Kaiser auszuliefern", sagt der Völkerrechtsexperte Gerd Hankel. "Daraus wurde zum andern auch nichts, weil sich die Alliierten selbst nicht einig waren und von einer ursprünglichen Liste, die etwa 900 Personen umfasste - diese Liste wurde von den Alliierten selbst auf 45 Personen reduziert. Aber Deutschland weigerte sich, diese 45 Personen auszuliefern. Stattdessen aber verpflichtete sich Deutschland, die der Kriegsverbrechen verdächtigen Personen vor ein nationales Gericht zu stellen."

Am Ende blieben so von knapp 900 Fällen ein Dutzend übrig. Nur gut zehn Angeklagte wurden wegen Angriffs auf Lazarettschiffe, Misshandlung von Gefangenen, Plünderungen, Massaker an Zivilisten und Zerstörung von Ortschaften zu vergleichsweise milden Haftstrafen verurteilt.
Erste Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes
Dass Kriegsverbrecher weitgehend ungestraft davonkamen, sollte sich nicht wiederholen - dies war zwei Jahrzehnte später die einhellige Meinung der drei Hauptalliierten der Anti-Hitler-Koalition. Während der Konferenz in Teheran im November 1943 berieten US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und der sowjetische Staatschef Josef Stalin darüber, wie deutsche Kriegsverbrechen bestraft werden sollten.

Der Jurist Hellmut Becker, 1947 Verteidiger in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse, erinnerte Jahre später an das sogenannte Dreiparteien-Dinner von Teheran: "Die Amerikaner sind für ein rechtsförmiges Verfahren eingetreten und die Engländer haben die Globalverurteilung von etwa 5.000 Leuten vorgeschlagen. Es gibt eine berühmte Stelle, wo Stalin vorgeschlagen hat, man soll 50.000 Leute hinrichten und dann ist der Fall erledigt. Roosevelt hat die Gegenfrage gestellt, warum nicht 49.000, um die Fragwürdigkeit dieses ganzen Verfahrens deutlich zu machen."

Noch während das NS-Regime über weite Teile Europas herrschte, begannen die Alliierten, Dokumente über deutsche Kriegsverbrechen zu sammeln. Am 8. August 1945 unterzeichneten 23 Staaten in London ein Abkommen, das die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes "zwecks gerechter und schneller Aburteilung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher" vorsah und damit den Weg nach Nürnberg freimachte.
Blick auf die Anklagebank beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg, 1946. 
Historikerin Weinke: "Es werden auch Urteile über die Geschichte gefällt"
Man habe in den Nürnberger Prozessen bewusst eine Deutung der geschichtlichen Ereignisse vorgenommen, sagte die Historikerin Annette Weinke im Dlf.
"In einer Ecke uns schräg gegenüber sind Filmapparate aufgebaut. Es wird also jede kleinste Einzelheit dieses Prozesses genau mitverfolgt", berichtete ein Reporter über die Vorbereitungen. Am 20. November 1945 begann das Verfahren vor dem Militärgerichtshof mit acht Richtern der vier Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion. Tagungsort war der weitgehend unzerstörte Nürnberger Justizpalast, das größte Gerichtsgebäude Bayerns. Nürnberg als Schauplatz hatte zudem symbolische Bedeutung: Hier hatte die NSDAP ihre pompösen Reichsparteitage abgehalten und ihre berüchtigten "Rassegesetze" verabschiedet.
Der Prozess war ein internationales Medienereignis mit Hunderten von Beobachtern, darunter prominente Namen wie Ernest Hemingway, John Steinbeck, John dos Passos, Alfred Döblin, Erich Kästner, Erika Mann, Willy Brandt und der spätere DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf. "Der Saal ist künstlich beleuchtet, und das elektrische Licht, das einen bläulichen Schimmer hat, gibt der ganzen Atmosphäre etwas, wenn auch nicht Grelles, so doch überaus Deutliches."

Anders als nach dem Ersten Weltkrieg bestanden diesmal günstigere Voraussetzungen für die Durchführung des Verfahrens. Deutschland war besetzt und hatte bedingungslos kapituliert, die Auslieferung der Angeklagten musste nicht beantragt werden, da sie sich in den Händen der Siegermächte befanden.

Die vier Anklagepunkte lauteten: "Verschwörung gegen den Weltfrieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges, Verbrechen und Verstöße gegen das Kriegsrecht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

Damit betrat der Internationale Gerichtshof juristisches Neuland. Denn der Anklagepunkt "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" war damals noch nicht Bestandteil des Völkerrechts und widersprach dem Grundsatz: keine Strafe ohne Gesetz, das sogenannte Rückwirkungsverbot. Der Völkerrechtsexperte Gerd Hankel: "Um jetzt den Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nicht allzu deutlich werden zu lassen, hat man folgende Lösung gefunden: Strafbar wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit war nur, wer dieses Verbrechen in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen oder mit einem Verbrechen gegen den Frieden begangen hat. Das heißt, alle Verbrechen der deutschen Regierung gegen die eigene deutsche Bevölkerung, gegen die jüdische Bevölkerung, die vor 1939 stattfanden, blieben außen vor, waren nicht strafbar."
Politische Entscheider hatten bis dahin Immunität genossen
Angeklagt waren 24 Männer und mit ihnen sechs "verbrecherische Organisationen": "Die Reichsregierung, die Führung der NSDAP, die SS, die Geheime Staatspolizei, die SA sowie Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht."

21 Angeklagte erschienen schließlich vor Gericht. Robert Ley hatte vorher Selbstmord begangen, Martin Bormann war nicht auffindbar, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach nicht verhandlungsfähig. Die wichtigsten Führer des Nazi-Regimes, Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler, hatten sich zudem schon zuvor durch Selbstmord einem Prozess entzogen.
Zu den ranghöchsten Angeklagten zählten: "Reichsmarschall Hermann Göring, Außenminister Joachim von Ribbentrop, Rudolf Heß, der einstige 'Stellvertreter des Führers', Gestapochef Ernst Kaltenbrunner, der Parteiideologe Alfred Rosenberg, Julius Streicher, Herausgeber des antisemitischen Hetzblatts 'Stürmer', und Rüstungsminister Albert Speer."

Damit setzte der Prozess Maßstäbe, war es doch das erste Mal, so Gerd Hankel, "dass politisch Verantwortliche sich nicht hinter ihrem Schreibtisch verschanzen konnten, sondern strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Es war nicht nur der kleine Täter, der direkte Täter vor Ort, es waren die politischen Entscheider, es waren die, die bis dato politische Immunität genossen hatten."

Doch keiner der Angeklagten wollte für die Verbrechen des NS-Regimes Verantwortung übernehmen. Hier zuerst Hermann Göring:

"You must plead guilty or not guilty." - "Ich bekenne mich im Sinne der Anklage nicht schuldig."

"Rudolf Hess?" - "Nein!"

"Wilhelm Frick?" - "Nicht schuldig!"

"Julius Streicher?" - "Nicht schuldig!"

"Walter Funk?" - "Ich bekenne mich nicht als schuldig."

Als einziger gestand Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer eine allgemeine Verantwortung für die Gräuel des NS-Staates, bestritt jedoch jede persönliche Schuld und leugnete, jemals von Auschwitz und dem millionenfachen Judenmord erfahren zu haben. Speer legte in Nürnberg den Grundstein für die Legende vom harmlosen Nazi, der nur seine Pflicht erfüllt hätte; ein Selbstbild, das er später in erfolgreichen Büchern mit Millionenauflagen verbreiten konnte und ein dankbares Publikum fand.
Die Hauptangeklagten (L-R) Hermann Göring, Rudolf Heß und Joachim von Ribbentrop auf der Anklagebank während der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesse am 13.02.1946 in Nürnberg.
Die Hauptangeklagten: Hermann Göring, Rudolf Heß und Joachim von Ribbentrop (picture alliance / dpa)
Angeklagte geben sich als unbeteiligte Zeitzeugen
Viele Deutsche betrachteten den Nürnberger Prozess als Willkür- und Racheakt und sprachen von Siegerjustiz, sagt der Jurist Hellmut Becker:
"Nürnberg damals war eine Notwendigkeit nach allem, was passiert war, aber es hätte vielleicht unter Zuziehung von deutschen und neutralen Richtern eine noch stärkere Wirkung auf das deutsche Volk ausüben können. Ob Nürnberg für die Deutschen ein hinreichender Reinigungsvorgang gewesen ist, das kann man bezweifeln. Was er geleistet hat, ist eine Klärung vor der Geschichte."

Der ehemalige Rüstungsminister Albert Speer, der für den Einsatz von Zwangsarbeitern und den Ausbau der Konzentrationslager verantwortlich war, trug dazu sicher nicht bei. Er betrieb Geschichtsklitterung und schlüpfte gewissermaßen in die Rolle des eher unbeteiligten Zeitzeugen. In seinem Schlusswort in Nürnberg erklärte Speer: "Herr Präsident, meine Herren Richter! Hitler und der Zusammenbruch seines Systems haben eine ungeheure Leidenszeit über das deutsche Volk gebracht. Die Welt aber wird aus dem Geschehenen lernen, die Diktatur als Staatsform nicht nur zu hassen, sondern zu fürchten."

Sein Auftritt rettete Speer vermutlich vor dem Strang: Am Ende sollte er mit 20 Jahren Haft davonkommen.
Der Architekt und Politiker Albert Speer in einer zeitgenössischen Aufnahme. Am 31. März 1937 wurde er zum Generalbauinspektor der Reichshauptstadt Berlin berufen. Als Reichsminister war er seit Anfang der 40er Jahre für Bewaffnung, Munition, Rüstung und Kriegsproduktion zuständig. Daneben fungierte er als Generalinspekteur für das Straßenwesen, Wasser und Energie. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß wurde Speer zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er wurde am 19. März 1905 in Mannheim geboren und ist am 1. September 1981 in London gestorben. 
Die Legende vom unwissenden Zeitzeugen Albert Speer
Zum "Edel-Nazi mit Reue-Garantie" habe sich Albert Speer, Rüstungsminister und Chefarchitekt des NS-Regimes, nach 1945 selbst stilisiert, so Historiker Magnus Brechtken - mit Unterstützung großer Teile der Nachkriegsbevölkerung.
Der Militärgerichtshof tagte an 218 Tagen, hörte 240 Zeugen und nahm über 5.000 Dokumente von Anklage und Verteidigung entgegen. Das Ergebnis: ein 16.000 Seiten starkes Sitzungsprotokoll. Dabei waren zu dem Zeitpunkt noch längst nicht alle Dimensionen und Einzelheiten der nationalsozialistischen Verbrechen bekannt. Die Beweislast war erdrückend, die vorgelegten Materialien beklemmend.

"Jetzt sitzen also der Krieg, der Pogrom, der Menschenraub, der Mord en gros und die Folter auf der Anklagebank", schrieb der Schriftsteller Erich Kästner. Doch die Angeklagten zeigten kaum eine Gefühlsregung – so zumindest der Eindruck eines Reporters: "Ich möchte Ihnen noch einmal sagen, dass diese Angeklagten keineswegs den Eindruck machen, als seien sie besonders durch dieses Verfahren gepeinigt worden. Sie waren gewissermaßen selber Zeugen."

Nach neun Monaten verkündete das Gericht am 30. September und 1. Oktober 1946 die Urteile.

"The International Military Tribunal sentences you to death by hanging." - "Göring ist zum Tod durch Strang verurteilt worden."

"Joachim von Ribbentrop … sentences you to death by hanging." - "Ribbentrop ist zum Tode verurteilt. Er steht da mit schütterem weißem Haar, müde, einen bitteren Zug um den Mund."

Zwölf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, drei zu lebenslanger Haft und vier zu langjährigen Haftstrafen. Drei Angeklagte sprach das Gericht frei.
Im Schatten des Kalten Krieges
Als die Richter der vier Siegermächte Ende 1946 ihr Urteil verkündeten, lag bereits der Schatten des Kalten Krieges über dem Nürnberger Justizpalst. Ein halbes Jahr zuvor hatte der abgewählte, britische Kriegspremier Winston Churchills eine berühmte Rede vom "Eisernen Vorhang" quer durch Europa gehalten. Christoph Safferling, Professor für Internationales Strafrecht in Erlangen-Nürnberg: "Zu dem Zeitpunkt war schon klar, es wird einen Kalten Krieg geben. Und das war der große Bremsschuh die nächsten 50 Jahre. Die Erinnerung ist aber immer wach geblieben."

Zwölf weitere Verfahren, die so genannten Nachfolgeprozesse, die bis 1949 in Nürnberg stattfanden, führten die USA auf der Grundlage eines entsprechenden Kontrollratsgesetzes in eigener Regie durch. Angeklagt waren knapp 200 Personen, erinnerte sich der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, in den 1960er-Jahren Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse: "Die Alliierten griffen damals, es waren insbesondere die Amerikaner, einzelne Gruppen heraus, zum Beispiel die Ärzte, zum Beispiel die Juristen, zum Beispiel die maßgeblichen Generale, die an der Partisanenbekämpfung beteiligt waren."
Bahlsen, Flick und Co. - Wie Familienunternehmen NS-Zwangsarbeit aufarbeiten
Viele traditionsreiche Familienunternehmen beschäftigten im nationalsozialistischen Deutschland Zwangsarbeiter.
Im Nachfolgeprozess Nr. IX mussten sich 24 Einsatzgruppenleiter der SS vor Gericht verantworten. Ihnen stand der damals 27-jährige Ben Ferencz gegenüber, heute mit 100 Jahren letzter noch lebender Chefankläger der Nürnberger Prozesse. Ferencz hielt den Mitgliedern einer "verbrecherischen Organisation" vor, hinter der Front Hunderttausende von Zivilisten ermordet zu haben, vor allem Juden. "Dies war die tragische Erfüllung eines Programms der Intoleranz und Arroganz. Rache ist nicht unser Ziel. Der Fall, den wir präsentieren, ist ein Appell der Menschheit an das Recht."
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Ben Ferencz: unermüdlicher Advokat für den Frieden
Der US-Amerikaner Ben Ferencz ist der letzte noch lebende Chefankläger der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kämpft er für eine friedlichere Welt.
Jurist: Sieg für das Völkerrecht
Das Gericht verhängte 14 Todesstrafen, doch im Zuge des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts und der Westintegration der Bundesrepublik ließen die Amerikaner Milde walten. Von den Todesurteilen im Einsatzgruppen-Prozess wurden nur vier vollstreckt. Viele Täter wurden in den 1950er-Jahren begnadigt und gelangten nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß.
Gleichwohl waren die Nürnberger Prozesse ein Sieg für das Völkerrecht, so der Jurist Gerd Hankel und Hans-Peter Kaul, von 2003 bis 2014 Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Hankel: "Zunächst einmal macht dieser Prozess deutlich, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Politik, die Machtpolitik hinter dem Recht zurückgetreten ist. Denn es wäre ja ohne weiteres möglich gewesen, 50.000 der Kriegsverbrechen beschuldigten Offiziere ohne weiteres hinzurichten."
Der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic bei der Urteilsverkündung des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag am 24.03.2016.
Mit Paragrafen gegen himmelschreiendes Unrecht
Die internationale Gerichtsbarkeit hat es schwer - viele Staaten erkennen sie nur dann an, wenn die Urteile zu ihren Gunsten gefällt werden. Dennoch gewinnt das internationale Recht an Bedeutung.
"Staatliche Souveränität und Immunität können seit Nürnberg nicht mehr wie früher als Schutzmauer missbraucht werden, hinter der Gewaltherrscher und Unrechtsregime wie das Hitler-Regime unbehelligt schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen können. Nürnberg hat Klarheit geschaffen, dass die Täter schlimmster Völkermordverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nicht straffrei ausgehen können." Soweit Hans-Peter Kaul.
Nach Nürnberg hätte es durchaus weitere Anlässe gegeben, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen. Gehörte nicht auch Stalin auf die Anklagebank wegen der Besetzung Polens nach dem Hitler-Stalin-Pakt? Und wegen des Massakers von Katyn, wo der sowjetische Geheimdienst über 4.000 gefangene Polen ermordete? Und was war mit den unzähligen zivilen Opfern bei der Zerstörung Dresdens oder dem Atombombenabwurf auf Hiroshima? Doch der Ost-West-Konflikt und die Ausnahmestellung der Supermächte erwiesen sich als großer Bremsschuh.
Internationaler Strafgerichtshof: nicht alle Staaten dabei
"Als Strafverfolgerin bringe ich den Angeklagten Milosevic vor dieses Gericht, damit er für seine Taten zur Verantwortung gezogen wird, und zwar im Auftrag der internationalen Gemeinschaft und im Namen aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, eingeschlossen die Staaten des ehemaligen Jugoslawien."

Carla del Ponte trat 2001 als Chefanklägerin im Internationalen Tribunal für Verbrechen im früheren Jugoslawien auf. Auf der Anklagebank saß Slobodan Milosevic, ehemaliger Präsident Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawien. Er war das erste Staatsoberhaupt, das noch während seiner Amtsausübung 1999 wegen Völkermordes angeklagt, verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert wurde.
An ethnic Albanian rebel of the National Liberation Army (UCK) poses early 12 March 2001 in the northern Macedonian town of Malina near the border with the Kosovo province of Yugoslavia. UCK rebels, who have been clashing with the Macedonian Army, say they are fighting to obtain more rights for ethnic Albanians, who represent 45 percent of the population of the Former Yugoslav Republic of Macedonia (FYROM). AFP PHOTO /ERIC FEFERBERG
Wie das Haager Tribunal im Kosovo gesehen wird
20 Jahre nach dem Kosovokrieg soll ein Sondergericht in Den Haag Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufklären. Die Frage, welche Angehörigen der kosovarischen Befreiungsarmee angeklagt werden, sorgt für Zündstoff.
Ein halbes Jahrhundert nach Nürnberg und nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hatte die internationale Gemeinschaft also endlich rechtliche Institutionen geschaffen, um Kriegsverbrechen und Völkermord zu verfolgen und zu bestrafen. Nach dem so genannten Ad-hoc-Strafgerichtshof für Jugoslawien folgten weitere, unter anderem für Ruanda, Sierra Leone und Kambodscha. Darüber hinaus existiert seit 2002 in Den Haag der Internationale Strafgerichtshof als unabhängige ständige Einrichtung.
Carla del Ponte: "Die bloße Existenz dieser beiden Gerichte ist die kraftvollste Botschaft für alle potentiellen Täter von der untersten Befehlsstufe bis zum Staatschef, dass niemand, aber niemand über dem Gesetz steht." Der ehemalige Richter Hans-Peter Kaul ergänzt: "Der Internationale Strafgerichtshof ist also eine Art von Reservegerichtsbarkeit, wenn entweder Täter von Vertragsstaaten diese Verbrechen begehen oder diese Verbrechen auf dem Territorium einer Vertragspartei begangen werden."

Was wie eine Erfolgsgeschichte von Nürnberg bis Den Haag klingt, ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Zwar sind inzwischen mehr als 120 Staaten dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten, viele wichtige und einflussreiche Länder sind allerdings nicht darunter: Russland zum Beispiel, China, die USA, Indien, Israel, Iran und fast alle arabischen Staaten. Einen brutalen Herrscher wie den syrischen Machthaber Assad kann die Drohung daher nicht schrecken, sich einst vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen des Einsatzes von Chemiewaffen, Folter und Massenmord verantworten zu müssen; zumal er die schützende Hand Wladimir Putins über sich weiß. Trotz aller Fortschritte auf internationalem Gebiet: Das Recht stößt immer wieder an die Grenzen skrupelloser Macht.