"Besondere Bäume, wenn Sie in diese Richtung - wenn Sie allein auf diese Eichen hier schauen, die Linden hier schauen, das ist ein ganz friedlicher und außerordentlich schöner Ort, über den wir gehen."
Abendstimmung auf dem St.-Pauli-Friedhof im Dresdner Norden. Albrecht Nollau macht einige Schritte bergauf auf dem etwa 11 Hektar großen Friedhof, der zum Kirchspiel Dresden-Neustadt gehört. Nollau ist der Superintendent des Kirchspiels und ein großer Bewunderer dieses Ortes, wie er sagt: die Größe, die etwa 11 Fußballfeldern entspricht, die Lage am Hang, die Unterschiedlichkeit der einzelnen Grabfelder auf dem 1862 geweihten Friedhof.
"Ja, wir haben Orte, die eher so den Charakter einer großen Wiese haben mit einzelnen Gräbern, wir haben einen Teil des Friedhofs, der sozusagen schon dem Bewuchs überlassen ist, man also die Grabsteine nur noch unter dem Efeu ahnt, und wo auch Gehölze sind, die langsam vergehen."
Nur noch wenige Bestattungen
Man kann dies als Vorgriff darauf sehen, was mit dem St.-Pauli-Friedhof wohl passieren wird. Denn in Dresden gibt es ein Überangebot an Friedhofsfläche. Der Wandel in der Begräbniskultur und vor allem der Trend weg von der Erdbestattung haben bewirkt, dass die Nachfrage nach klassischen Gräbern gesunken ist. Nur die nötigsten Arbeiten werden auf dem Friedhof verrichtet, die Einnahmen decken die Kosten für die Pflege und Erhaltung des Geländes bei weitem nicht. Das Kirchspiel Dresden-Neustadt hat darauf reagiert. Der St.-Pauli-Friedhof ist seit Anfang 2016 "beschränkt geschlossen".
"Das ist zunächst ein juristischer Begriff und er heißt in keiner Weise, dass der Friedhof zugeschlossen wäre, sondern es bedeutet einfach, dass hier nur noch für einen bestimmten Kreis von Menschen Bestattungen stattfinden. Also ausschließlich für Ehe- oder Lebenspartner von hier bereits bestatteten", erklärt Nollau.
20 Jahre Ruhezeit haben die Gräber. Das bedeutet: Voraussichtlich in etwa 40 Jahren wird die letzte Bestattung auf dem St.-Pauli-Friedhof vollzogen sein. Und dann?
"Zunächst einmal muss man sagen: Es gibt nicht den Plan, das wir hätten sagen können, dass wir wissen wo es lang geht, wir haben es durchgerechnet und in 30 Jahren haben wir alles geschafft", erklärt Nollau. "Sondern wir haben einfach begonnen, weil hier eine Entwicklung bei uns angekommen ist. Natürlich werden wir jetzt eine Zeit haben, in der dieser Friedhof immer ein Defizit haben wird. Wir werden überlegen: Können wir die Pflege einfacher gestalten? Können wir alle Mauern erhalten, so wie sie sind? Finden wir vielleicht eine Nutzung für die Gebäude, die jetzt leer stehen?"
Ein besonderes Totenhaus
"Dieses Totenhaus ist eine ganz besondere architektonische - ein ganz besonderer Bau, den man so auf Friedhöfen in Deutschland nicht ein zweites Mal findet", sagt Holger Hase.
Er steht vor dem Totenhaus des St-Pauli-Friedhofs. Gebaut wurde es 1910. Auffällig an dem denkmalgeschützten Gebäude sind Verzierungen aus farbigen Ziegeln, zwei Säulen und ein Christuskopf auf rotem Grund.
"Das ist leider heute in einem etwas schlechten Zustand, wenn man heute davorsteht. Man sieht: Das Dach ist ziemlich heruntergekommen, die Fassade ist ziemlich abgeblättert. Gott sei Dank hält das Dach noch dicht, und das Gebäude verfällt nicht weiter. Aber natürlich müsste man sich perspektivisch überlegen, was künftig damit passiert. In seiner Funktion als Totenhaus wird es natürlich schon lange nicht mehr genutzt. Das Innere ist weitestgehend wüst."
"Ausstellungsbereich vielleicht für Künstler?"
Hase engagiert sich beim Verein "Denk Mal Fort", einer Bürgerinitiative zum Schutz historischer Friedhöfe in Dresden. Die Initiative will mit Hilfe der Denkmäler und Gräber auch über Krieg und Gewaltherrschaft informieren, die Erinnerung wachhalten. Beim St.-Pauli-Friedhof sei in letzter Zeit zu wenig passiert, viel Potential liege brach, findet Hase.
Zum Beispiel gebe es nicht ausreichend Infomaterial für diejenigen, die den Friedhof besuchen wollen. Solches Infomaterial über die Geschichte, die Denkmäler oder die Kriegsgräber auf dem Gelände, könne aber das öffentliche Interesse steigern. Hase schlägt außerdem vor, Grabpatenschaften zu vergeben. Oder in Zukunft Künstler auf den Friedhof zu holen.
"Naja, zum Beispiel wäre die Frage, was man jetzt mit diesem Totenhaus macht. Nutze ich das, ich sage mal, als vielleicht ein Veranstaltungsgebäude in Zukunft? Mache ich daraus einen Ausstellungsbereich vielleicht für Künstler? In Dresden gibt es einen hohen Bedarf für Künstler an Ausstellungsflächen. Wenn man mit denen ins Gespräch kommt, die suchen immer wieder auch ungewöhnliche Orte, wo man Kunst machen oder Kunst präsentieren kann. Also in diese Richtung kann man sicher denken."
"Berührungsängste mit dem Ort Friedhof"
Kunst im Totenhaus? Superintendant Nollau ist da zurückhaltend:
"Im Moment, so wie die jetzige Nutzung ist, kann ich mir das noch nicht genau vorstellen. Wir haben überlegt, ob wir die Friedhofshalle vielleicht einer Freien Gemeinde zur Verfügung stellen könnten. Als Gemeinderaum, als Gottesdienstraum. Wir waren auch in den Verhandlungen schon relativ weit, aber letztlich hat es in der Gemeinde zu viele gegeben, die mit dem Ort Friedhof Berührungsängste hatten. Vielleicht gelingt es uns, mit dem ehemaligen Friedhofsverwalterhaus, einer eigentlich sehr schönen Villa, einen Partner zu finden, oder ein Büro zu finden, was sich dort vielleicht einmietet. In diese Richtung gehen die Überlegungen."
Nollau sieht das Totenhaus zum Beispiel als Teil einer Ausstellung zur Sepulkralkultur. Auch eine Zusammenarbeit mit dem Deutschen Hygiene-Museum kann er sich gut vorstellen. Und der Friedhof, die denkmalgeschützten Grabanlagen, die riesigen Bäume? Werden wohl aller Voraussicht nach zu einem Park werden, in dem Dresdner und Dresdnerinnen spazieren gehen können.
"Er würde sich sicher darin unterscheiden, dass er dann ganz offen ist. Dass er dann begehbar ist. Und wir müssten sicher auch nochmal nach den Grabsteinen schauen. Weil die Frage ist, wer kann die Sicherheit gewährleisten? In einem öffentlichen Park, in einem öffentlichen Garten kann man nicht die Sicherheitsanforderungen so haben, wie jetzt in einem geschlossenen Friedhof, wo wir jetzt als Träger vollständig verantwortlich sind."
"Bienen ansiedeln"
Was in Dresden für vergleichsweise viele Friedhöfe gilt, die der evangelischen Kirche gehören. Absehbar ist, dass der St.-Pauli-Friedhof nicht der Letzte sein wird, der umgewidmet werden muss. Vorschläge und Ideen seien daher von allen Seiten erwünscht, sagt Superintendent Nollau. Er setzt auch auf die Zusammenarbeit mit der Stadt. An öffentlichem Interesse scheint es jedenfalls nicht zu mangeln. Zu einem Informationsabend über die Zukunft des Friedhofs kamen zuletzt über 100 Interessierte. Und eine ganz konkrete Idee, geeignet zur schnellen Umsetzung hat auch schon der Superintendent:
"Was mich an dem Friedhof fasziniert, sind die vielen auch blühenden Bäume. Und ich könnte mir gut vorstellen, dass hier auch Bienen auf diesem Friedhof angesiedelt werden, also dass die Stadtimkerei hier auch eine kleine Rolle spielen kann."