"Wann und wo das Händeschütteln oder auch das Händegeben, das Händedrücken, entstand, ist im Dunkel der Geschichte vergraben. Das weiß man nicht."
Wulf Schiefenhövel ist Humanethologe, Anthropologe und Mediziner. Er arbeitet am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen, wo er das menschliche Verhalten in unterschiedlichen Kulturen erforscht.
"Zur Zeit der Römer und Griechen gab es offenbar den Händedruck schon. Das ist belegt aus mehreren Quellen. Aber die Menschheit ist ja nun viel älter. Um das herauszubekommen, könnte man sich annähern, indem man die Begrüßungssitten bei anderen Kulturen sich anschaut."
Laut Schiefenhövel zeigt ein Blick in die heute noch lebenden traditionellen Kulturen zumindest: Das Händeschütteln war ursprünglich nicht weltweit verbreitet. Der Verhaltensforscher nennt als Beispiel Gruppen im Hochland von Neuguinea, die er selbst seit 50 Jahren untersucht.
Weltweite Verbreitung
"Man hat sich an den Armen berührt, an der Schulter berührt, möglicherweise auch andere Teile des Körpers. Das sind alles Möglichkeiten, mit dem anderen in eine körperliche Beziehung zu treten."
Interessant sei aber, dass viele Kulturen das Händegeben und Händeschütteln inzwischen übernommen hätten – auch im Hochland von Neuguinea. Auf der anderen Seite gibt es Glaubensgemeinschaften und Weltregionen, in denen das Händeschütteln auch heute auf Ablehnung stößt. In Europa sorgten in den vergangenen Monaten mehrere Fälle für heftige Debatten, in denen muslimische Männer und Jungen sich aus religiösen Gründen geweigert hatten, Frauen die Hand zu geben, zum Beispiel ihrer Lehrerin. Wulf Schiefenhövel:
"Je nach Kultur werden verschiedene Handlungen, verschiedene Verhaltensweisen eben als unpassend empfunden und daher abgelehnt. In vielen Kulturen, zum Beispiel auch in Asien, ist das Handgeben als nicht passend empfunden. Wir müssen nur an das heutige England denken: Das geht zwar ein bisschen zurück, aber es wahr auf jeden Fall so, und in vornehmen Familien ist es, glaube ich, immer noch so, dass man Frauen nicht mit Handschlag begrüßt, sondern eine Verbeugung macht und sagt "How do you do?". Weil das Handgeben als eine zu intime Form der Berührung empfunden wird."
Abendmahl ohne Handschlag während Ebola-Epidemie
Auch von medizinischer Seite gibt es Vorbehalte gegen das Händeschütteln. Die Sorge: Durch den Kontakt der Handflächen können sich Krankheitserreger ausbreiten. Britische Forscher zeigten in einem Experiment, dass beim Händeschütteln tatsächlich doppelt so viele Keime übertragen werden wie beim Abklatschen. Im Vergleich zum fist bump – eine von Barack Obama oft gezeigte Begrüßung, bei der die Fäuste gegeneinander gestoßen werden – waren es sogar zehn Mal so viele. Wissenschaftler aus den USA forderten daher schon vor einigen Jahren, in Krankenhäusern keine Hände mehr zu schütteln. Während der Ebola-Epidemie in Westafrika setzte die anglikanische Kirche in Nigeria sogar den Handschlag während des Abendmahls aus, um eine Ansteckung zu verhindern. Doch warum hält sich die Begrüßungsform trotzdem hartnäckig? Der Anthropologe Wulf Schiefenhövel:
"Grundsätzlich aus einer ethologischen, verhaltensforschenden Sicht kann man sagen: Der Wunsch nach Körperberührung, um Vertrauen und Interesse auszudrücken, der ist stammesgeschichtlich ganz alt, den teilen wir mit den Tieren. Also das ist in unserem Verhaltensrepertoire tief eingebettet. Und deswegen finden wir auch in vielen Kulturen die Berührung des Körpers auf verschiedenste Weise."
Das Händegeben scheine dabei eine besonders attraktive Form der Berührung darzustellen, mit der sich viele Informationen austauschen lassen.
"Man zeigt auf diese Weise auch: Ich habe keine Waffe in der Hand, ich bin friedlich und bin dir freundlich gesinnt. Man kann auch über den Händedruck etwas über den anderen erfahren: Über seine Kraft, über seinen Tonus, über die Beschaffenheit seiner Haut – ob er vielleicht schwitzt oder nicht. Das sind alles Möglichkeiten, mit dem anderen Kontakt aufzunehmen, und da in dieser Weise etwas über ihn zu erfahren.”
Grooming handclasp bei Schimpansen
Neurobiologen des israelischen Weizmann Institute of Science haben gezeigt, dass noch andere Informationen beim Händeschütteln ausgetauscht werden – in Form von Duftmolekülen. Im Experiment beobachteten sie, dass Menschen wesentlich öfter an ihrer Hand riechen, wenn sie damit zuvor jemand anderen berührt haben. Wozu die Geruchsprobe des Gegenübers dient, konnten die Forscher nicht ergründen. Sie könnte aber bei der Partnerwahl eine Rolle spielen oder um Gefühle zu übermitteln. Ganz ähnlich machen es etwa Hunde und Mäuse, die sich beschnüffeln, um mehr über einen Artgenossen zu erfahren. Im Tierreich gibt es sogar ein Verhalten, das zumindest von außen dem menschlichen Händeschütteln ähnelt.
"Grooming handclasp ist eine Position, die zwei Schimpansen zueinander einnehmen bei der gegenseitigen Fellpflege. Also die sitzen sich quasi gegenüber, und jeder der Beiden reckt also einen seiner Arme empor. Und sie greifen sich oben in die Hände und unterstützen sich so gegenseitig, während sie gegenseitig Fellpflege betreiben."
Sagt der Psychologe Daniel Haun. Früher hat er an den Max Planck Instituten für Evolutionäre Anthropologie und Psycholinguistik das Verhalten von Menschenaffen erforscht – auch im Vergleich zum menschlichen. Inzwischen ist er Professor für Frühkindliche Entwicklung und Kultur an der Universität Leipzig. Den grooming handclasp zeigen allerdings nicht alle Schimpansen. Und dort, wo es ihn gibt, unterscheidet er sich von Gruppe zu Gruppe.
"Das heißt, während sich in der einen die Individuen gegenüber sitzen und die Hände ineinander verschränken, nehmen die Schimpansen in der nächsten Gruppe eine ähnliche Position ein, aber verhaken die Ellbogen ineinander, anstatt sich gegenseitig an den Händen zu fassen. Und diese Unterschiede, wie man es vielleicht auch vom Händeschütteln in menschlichen Kulturen kennt, die sind eben stabil, die machen dann dort vor Ort die meisten Individuen so. Das überträgt sich in die nächste Generation, sodass eben der Nachwuchs in dieser Schimpansengruppe auch schon diesen ganz speziellen Stil mit übernimmt."
Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Mit dem freundlichen Begrüßen auf Augenhöhe, wie es der Mensch per Händedruck macht, hat das Verhalten der Schimpansen nichts zu tun. Das erledigen die Tiere, indem sie sich mit dem offenen Maul berühren und dabei hechelnde Laute von sich geben. Was hinter dem grooming handclasp steckt, ist unklar. Es könnte ein soziales Signal sein.
Ursprung des Händeschüttelns liegt im Dunkeln
"Also das ist weithin sehr sichtbar, wenn wir beide die Arme hochrecken. Das heißt, jeder kann sehen, mit wem ich gerade Fellpflege betreibe. Das heißt, jeder kann sehen, wer mein Freund ist. Und das kann natürlich sehr nützlich sein, wenn ich zum Beispiel gerade mit einem ranghöheren Männchen zusammensitze und wir uns gegenseitig das Fell pflegen, dann weiß jeder, dass ich zu diesem ranghöheren Männchen im Moment eine recht gute Beziehung habe."
Der evolutionäre und kulturelle Ursprung des Händeschüttelns liegt im Dunkeln. Für viele scheint es in der Gegenwart selbstverständlich. Andere lehnen es ab. Es ist eine Frage der eigenen Lebenswirklichkeit, des vertrauten Kulturkreises. Auch vielen Händeschüttlern dürfte es nicht leicht fallen, die Begrüßungsrituale anderer Kulturen zu übernehmen. Der Humanethologe Wulf Schiefenhövel kennt einige davon aus seiner jahrzehntelangen Forschung in Papua-Neuguinea.
"Der Riechkuss, der Nasenkuss, ist in einigen Kulturen an der Südostküste Neuguineas verbreitet, zum Beispiel bei den Roro.”
Bisweilen werde erwachsenen Männer in Neuguinea zur Begrüßung auch der Bart gekrault. Noch ungewohnter dürfte ein Verhalten aus dem neuguineischen Hochland anmuten, dass schon der berühmte Humanethologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt beschrieben und das Wulf Schiefenhövel auch selbst gesehen hat.
"Besonders frappant ist, dass in manchen Kulturen Hochland-Neuguinas ältere Frauen, aber auch Männer untereinander, andere Männer also, mit einer leichten, von unten streichenden Berührung des Genitals begrüßen.”