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Behandlung von COVID-19-Patienten
Ethikrat: Alter und soziale Herkunft dürfen keine Rolle spielen

Der Vorsitzende des Ethikrates begrüßt die Handlungsweisen für den Umgang mit COVID-19-Patienten. Es sei richtig, dass allein die klinische Erfolgsaussicht als Kriterium gelten sollte, sagte Peter Dabrock im Dlf. Andere Kriterien dürften die Entscheidung über Leben und Tod nicht beeinflussen.

Peter Dabrock im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Im Uniklinikum Frankfurt bedient ein Arzt eine Maschine zur Versorgung eines Intensiv-Patienten. (Bild: dpa / Susann Prautsch)
Es müsse eine Ausbalancierung zwischen Rechtsordnung und Ethik stattfinden, sagte Peter Dabrock im Dlf (dpa / Susann Prautsch)
Sieben medizinische Fachgesellschaften verabschiedeten jetzt einen Katalog mit Handlungsempfehlungen. Als Kriterium soll die klinische Erfolgsaussicht gelten, die Wahrscheinlichkeit, ob der Patient, die Patientin die Intensivbehandlung überleben wird. Eine Intensivtherapie sei dann nicht angezeigt, wenn der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen habe, wenn die Therapie aussichtslos sei oder wenn das Überleben nur bei dauerhaftem Aufenthalt auf der Intensivstation gesichert werden können. Es gelte der Gleichheitsgrundsatz. Das heißt: Alter oder soziale Kriterien sollen nicht den Ausschlag geben.
Christoph Heinemann: Peter Dabrock ist Theologe an der Universität Erlangen-Nürnberg und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Professor Dabrock, wie sollte im Zweifelsfall entschieden werden, wem geholfen wird?
Dabrock: Zunächst finde ich es richtig, dass die Fachgesellschaften sich, bevor wir auf den Höhepunkt der Krise hier in Deutschland zurennen, dazu geäußert haben, denn es ist wichtig, dass die Ärztinnen und Ärzte zusammen mit dem therapeutischen Team nicht ganz alleine für sich eine Entscheidung treffen sollen, sondern dass sie tatsächlich solche Kriterien haben, die von sehr vielen Fachgesellschaften, sieben Stück an der Zahl, zusammen erarbeitet worden sind. Das, glaube ich, schafft für die Ärztinnen und Ärzte Vertrauen und Rechtssicherheit. Aber auch der Deutsche Ethikrat hat heute ja ein Papier über den Umgang mit der Corona-Krise veröffentlicht. Das zeigt: Es müssen Standards gelten, dass auch die Menschen in das Gesundheitssystem und in die Ärzte vertrauen können. Deswegen ist es wichtig zu sagen: Alter, Herkunft, soziale Stellung, Behinderung, all das darf keine Rolle spielen, sondern es ist allein die medizinische Notwendigkeit.
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"So etwas kann nicht von der Rechtsordnung geregelt werden"
Heinemann: Aber genau das steht ja in der Handreichung. Sind Sie mit der einverstanden?
Dabrock: Vom Ethikrat haben wir über diese Handreichung hinaus an zwei Dinge erinnert. Zum einen an die Grundlagen, die unbedingt zu beachten sind, und wir sagen auch ganz deutlich, dass verfassungsrechtlich und strafrechtlich eher die Untergrenze, was nicht zulässig ist, bestimmt wird. Und dann sagen wir aber auch, dass zwei Arten von, wie es dann im Fachausdruck heißt, Triage, wenn mehrere Patienten auf knappe intensivmedizinische Kapazitäten treffen, zu unterscheiden sind: Da haben wir einmal die Triage, die in der Regel immer debattiert wird, nämlich die Frage, da kommen zwei Patienten und man hat nur ein Beatmungsgerät. Das ist, wenn man so will, die unproblematischere Variante.
Die andere problematisch, von der man auch aus Italien hört – ich will es mal an einem Beispiel nennen: Da hat man einen Kranken auf der Intensivstation liegen, der wird beatmet, und dann kommt die jüngere Person, die vielleicht auch drei Kinder hat, und dann ist da die Überlegung, ja soll man bei dem Älteren, bei dem man vielleicht noch denkt, er hat zwei Wochen, den Tubus rausziehen. Und da sagen wir ganz deutlich: So etwas kann nicht von der Rechtsordnung auf die eine oder andere Weise geregelt werden. Da muss man klipp und klar sagen, da gilt auch das Vertrauen in die Rechtsordnung. Hier kann man keine positive Anleitung erwarten. Und ich gestehe auch ein: Da wird es und hoffentlich nur zu ganz wenigen tragischen Situationen kommen.
Heinemann: Herr Professor Dabrock, inwiefern entlässt man die Politik aus der Verantwortung, wenn man jetzt schon Handreichungen für den Mangelfall erarbeitet?
Dabrock: Zum einen: Die Politik kann ja gar nicht bis zum Krankenbett durchregieren. Das wäre ja irgendwie ein Verständnis von Politik, die wirklich bis zum Letzten durchregieren könnte.
Heinemann: Sie hätte allerdings die Krankenhäuser anders ausstatten können.
Dabrock: Das sind jetzt andere Fragen. Man ist immer im Nachhinein froh, wenn man bestimmte Dinge noch besser gemacht hätte. Aber wir müssen auch realistischer Weise uns allen eingestehen: Haben wir wirklich in dem Ausmaß damit gerechnet. Aber die Frage, die man am Krankenbett hat, ist jetzt nicht diejenige, ob die Politik bis zum Letzten durchregiert, sondern dass man das Vertrauen in das Rechtssystem, aber auch in das Gesundheitssystem und in die Ärzte vor Ort stärkt und trotzdem die Ärzte nicht alleine lässt.
Das ist, glaube ich, die Perspektive, die wir jetzt einnehmen müssen, und dann müssen wir irgendwann auch darüber nachdenken, wie wir die akute Coronakrise einbinden in einen gesellschaftlichen Prozess, bei dem wir dann auch sagen, es gibt auch noch andere verletzliche Gruppen, es gibt auch noch andere Nebenfolgen, die wir auch mit berücksichtigen müssen. Ich glaube, diese beiden Gesichtspunkte sind auszubalancieren, und das versuchen wir in unserer Stellungnahme, die wir heute veröffentlicht haben.
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Ausbalancierung zwischen rechtlichen und ethischen Überlegungen hinbekommen
Heinemann: Welche Lehren müssen vor diesen Problemen aus dieser Krise für die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten gezogen werden?
Dabrock: Ich glaube, wir sehen zum einen, dass wir mit Blick auf solche tragischen Situationen ein Ausbalancieren zwischen auf der einen Seite rechtlichen, aber auch allgemein-ethischen, arztethischen Überlegungen und der Stärkung individueller Urteilskraft, dass wir die hinbekommen müssen.
Wir müssen uns, glaube ich, auch ehrlicherweise eingestehen: Diese Situation, das ist eine, die wir seit 100 Jahren in dieser Form das erste Mal haben. Das ist etwas, was uns im Augenblick in einem Übermaß herausfordert, und ich glaube, dass wir von daher auf der einen Seite die jetzige Situation bearbeiten müssen, dass wir über den Peak hinauskommen müssen und dass wir andererseits aber auch schauen, wie wir es schaffen, in einer solchen Situation das Leben wieder in Gang zu bekommen, ohne deswegen zu sagen, das, was jetzt ist, sei nicht notwendig.
Es ist notwendig, aber wir müssen über den Punkt hinausdenken. Das sind, glaube ich, Perspektiven, die jetzt gefordert sind: Kurzfristiges Denken und trotzdem über den Punkt hinausdenken, weil wir auf die Art und Weise uns genau für die Jetzt-Situation stark machen.
"Wir wollen das Öffnungsperspektive nennen"
Heinemann: Welche wäre Ihre Exit-Strategie?
Dabrock: Wir wollen das gar nicht Exit-Strategie nennen. Wir wollen das Öffnungsperspektive nennen. Bei Exit habe ich irgendwie andere Assoziationen. Öffnungsperspektive – das ist etwas, wo wir nach vorne blicken können, und ich glaube, wichtig ist, dass wir auf der einen Seite wirklich überprüfen, was bringt es, dass wir auf der anderen Seite aber auch ehrlicher Weise uns eingestehen, welche Folgen und Nebenfolgen bewirkt so ein Lockdown der gesamten Sphäre, und wie bringen wir das zeitlich nach vorne.
Insofern glaube ich: Ja, die Diskussion ist da. Man kann sie auch gar nicht unterdrücken. Aber man soll sie von einem fixen Zeitpunkt hin zu Kriterien einer solchen Öffnungsperspektiv-Strategie machen. Dann nimmt man die Leute mit und erweckt nicht den Eindruck, man will irgendetwas unterdrücken, und das steigert die Solidarität.
Heinemann: Welche Kriterien?
Dabrock: Die zeitlichen, die sachlichen, die sozialen Dimensionen immer zu überprüfen und dann gleichzeitig nach neuen Handlungsstrategien zu achten, die man jetzt kurzfristig durchführen kann, und welche, die man dann langfristig durchführen kann. Da könnte ich Ihnen jetzt einiges nennen, wenn Sie das mögen.
Heinemann: Die Zeit haben wir nicht mehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.