„Viele Menschen haben noch ein ganz falsches Bild im Kopf, wenn sie den Begriff Para-Sport hören. Und nicht das Bild von Leuten, die soweit oder weiter springen als olympische Athleten. Und genau das Bild möchte ich gerne verändern und deswegen möchte ich gerne die größere Plattform.“
Markus Rehm ist am rechten Bein unterschenkelamputiert. Das hält ihn nicht davon ab, seit mehr als zehn Jahren an Wettkämpfen mit nicht-behinderten Athleten teilzunehmen. Mit seinen Weiten gehört er zu den besten Weitspringern der Welt – egal ob im Behinderten- oder Nicht-Behindertenbereich.
„Ich glaube, wenn die tollen Leistungen gezeigt und gebracht werden, dann finde ich es auch schön und wichtig, wenn man die auch zeigt. Und dass man auch divers sein darf und nicht in eine Norm passen muss, um Leistungssport zu machen.“
Markus Rehm nützt mit seiner Berühmtheit dem Para-Sport
Die Aufmerksamkeit, die Rehm durch Wettkämpfe mit nicht-behinderten Sportlern und dem damit verbundenen Medieninteresse generiert, nützt auch dem Para-Sport allgemein.
„Ich finde, man merkt im Moment wirklich, dass Inklusion ein großes Thema ist und vorangetrieben wird und gerade auch der Para-Sport sehr davon profitiert, dass einfach die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung und insbesondere des Leistungssports im Para-Sport steigt“, sagt Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller. „Und dass eine Behinderung eben auch nicht heißt, dass man nicht körperlich aktiv sein kann, auf höchstem Spitzen-Niveau auch eine gewisse Wahrnehmung erfährt und einfach immer weiter vorankommt.“
Miller: "Man merkt, dass es vorangeht"
Mareike Miller ist seit rund zehn Jahren Teil der Nationalmannschaft. Die Paralympics 2012 waren eines der ersten großen Highlights ihrer sportlichen Karriere. Bis heute sind die Spiele von London die zuschauerstärksten Paralympics der Geschichte.
„Und wenn ich das damit vergleiche, ist es natürlich trotzdem auch so, dass in Jahren, in denen keine Paralympischen Spiele stattfinden, sondern vielleicht nur die eine Europameisterschaft in der einen Sportart, wir schon auch eine kleinere Bühne haben als in dem Jahr, was ich dort erfahren habe. Man kann aber grundsätzlich sagen, wenn man mal die Events miteinander vergleicht: Von Paralympics zu Paralympics oder von Europameisterschaft zu Europameisterschaft merkt man einfach, dass es da vorangeht.“
Christoph Bertling von der Deutschen Sporthochschule sieht das anders. Auch er findet, dass sich der Para-Sport vor allem in Sachen Professionalisierung in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt hat. Trotzdem hat er festgestellt, dass der Para-Sport abseits der Paralympics auch heute kaum Beachtung in den Massenmedien findet, „weil die Paralympischen Spiele natürlich der Leuchtturm sind, und danach geht die Berichterstattung noch viel weiter runter, als das beispielsweise bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften ist. Also da haben wir ja auch schon eine wahnsinnige Spannbreite, aber die ist nochmal potenziert im Para-Sport.“
Medienwissenschaftler sieht grundsätzliches Problem
Für Medienforscher Bertling besteht nach wie vor ein großes Problem: „Ich glaube, dass der Behindertensport auch mehr ein rhetorisches Gut ist. Also das heißt, Behindertensport ist gesellschaftlich sehr wichtig. Es zeigt die Leistung der Para-Sportler, der Menschen. Also nicht, dass sie eine Beeinträchtigung haben, sondern dass sie diese Beeinträchtigung tatsächlich schon längst überwunden haben und Leistung zeigen können. Aber im Großen und Ganzen ist Sport einfach ein Unterhaltungsprodukt und das lässt sich besser herstellen mit Fußball meinetwegen, als das mit Behindertensport der Fall ist. Also viele Sachen, die eigentlich transportiert werden sollten, werden nicht transportiert, weil sie nicht so nachgefragt sind von den Konsumenten.“
Gerade deshalb findet es Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller wichtig, den Konsumenten durch Events wie etwa die Finals an den Para-Sport heranzuführen. Im letzten Jahr fanden in Berlin parallel Deutsche Meisterschaften in 14 olympischen und vier paralympischen Sportarten statt. Auch in diesem Sommer werden mehrere Para-Sportarten wieder Teil der Finals in der Region Rhein-Ruhr sein.
Für das breite Sportpublikum würden dadurch wichtige Berührungspunkte mit dem Para-Sport geschaffen: „Ich habe schon so viele Menschen erlebt, die Rollstuhlbasketball das erste Mal sehen und denken: Oha, das ist ja richtig athletisch und wow, wie schnell können die sich bewegen und das ist ja total actiongefüllt. Weil alle, die Rollstuhlbasketball hören, erstmal an den Rollstuhl denken und wie sie dann vielleicht den ein oder anderen sehen, wie der dann im Alltag seine Schwierigkeiten hat, einen Kantstein hochzukommen. Und da einfach auch Begegnungen zu schaffen und im Rahmen von diversen Veranstaltungen dafür zu sorgen, dass eben auch einfach andere mal kommen und dieses Erlebnis haben, um den Para-Sport überhaupt kennenzulernen und dafür zu sorgen, dass so diese Hemmnis reduziert, ist auf jeden Fall sehr wichtig.“
Kommunikationsstrategie fehlt
Medienforscher Christoph Bertling glaubt, dass Events wie die Finals aber nur einer von vielen Schlüsseln zu mehr Sichtbarkeit ist. Mediale Präsenz bedeutet in Zeiten von Social Media nicht automatisch auch mehr Ertrag oder Sponsoren. „Wo ich tatsächlich noch Bedarf sehe, ist, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln. Ein klareres Konzept: Wo soll die Aufmerksamkeit hinführen? Wo kann ich am meisten Aufmerksamkeit für mich generieren? Und wohin führt das dann tatsächlich? Also das auch realistischer einzuordnen. Und ich glaube im massenmedialen Kontext werden wir uns, das zeigen zumindest die letzten zehn, 20 Jahre, zwar auch weiterbewegen, aber manche Sachen versenden sich eben auch, weil einfach auch die gesamte digitale Welt und Kommunikationswelt größer geworden ist.“
Im nächsten Sommer stehen die nächsten Paralympics in Paris an. Auch dort besteht die Chance, der Sichtbarkeit des Para-Sports einen weiteren Schub zu geben.
Para-Weitspringer Markus Rehm hat für solche Großereignisse auch eine klare Vision: „Ich träume immer von einem Verbindungswettkampf zwischen Olympischen Spielen und Paralympics. Ich sage immer: Warum können wir nicht acht Nationen nehmen und eine 4x100m Staffel machen? Zwei olympische und zwei paralympische Athleten. Und quasi nicht die Spiele beenden und die nächsten eröffnen, sondern sagen: Wir machen eine Verbindungsveranstaltung. Wir nehmen das Olympische Feuer runter, und symbolisch bringen wir das im Staffelstab inklusiv bei einer 4x100m Staffel durchs Stadion. Und der Sieger bringt es dann wieder hoch, macht die Flamme wieder an und sagt: Hey, es geht weiter. Und das wäre glaube ich ein wahnsinnig cooles Event, um die Athleten auch näher zu bringen.“