Sarah Zerback: Die Stasi-Unterlagen-Behörde gilt als eine der Errungenschaften der friedlichen Revolution. Das Archiv der DDR-Staatssicherheit mit seinen Millionen Akten, die gerettet wurden: Papiere, Filme, Fotos, Tondokumente, mit denen auch heute noch über die Geschichte aufgeklärt wird. Wie damit in Zukunft umgegangen werden soll, darüber will der Bundestag heute entscheiden.
Maßgeblich miterarbeitet hat das Roland Jahn, langjähriger Leiter der Behörde und selbst früher Oppositioneller in der DDR. Guten Morgen, Herr Jahn!
Roland Jahn: Schönen guten Morgen!
Zerback: Sie haben die Kritik gehört. Ist die Erinnerung an die Verbrechen der Stasi nicht mehr wichtig genug für eine eigene Behörde?
Jahn: Im Gegenteil! Wir wollen, dass die Stasi-Unterlagen dauerhaft genutzt werden, in zukunftsfesten Strukturen. Darum geht es. Es geht darum, das Stasi-Unterlagen-Archiv fit zu machen für die Zukunft, indem wir Kompetenzen, Technik und Ressourcen unter dem Dach des Bundesarchivs bündeln. Es geht darum, zeitgemäße Vermittlung zu ermöglichen, und es geht darum, wirklich den Opfern gerecht zu werden und die Brücke zur nächsten Generation zu schlagen. Deswegen dieses Konzept, was klar und deutlich ausgerichtet ist, dass es weiterentwickelt wird, dass klar und deutlich dafür gesorgt wird, dass in den Bundesländern die Kooperation, die Arbeitsteilung mit den Bundesländern, mit den Strukturen, die dafür geschaffen sind, die Bildung, die Universitäten, dass dort die Arbeit weitergeht. Und im Übrigen: Es wird auch nichts abgeschafft, von wegen Bundesbeauftragter, sondern im Entwurf des Bundestages steht, dass das Amt des Bundesbeauftragten weiterentwickelt werden soll, gerade auch, um den Horizont zu erweitern, gerade auch, um von der Fixierung auf Stasi wegzukommen, sondern die SED-Diktatur insgesamt zu betrachten, und vor allen Dingen, dass es nicht um die Akten geht, sondern um die Menschen. Es wird ein Beauftragter für die Menschen geschaffen.
Forschung und Bildung unterstützen
Zerback: Jetzt habe ich zwei Stichworte vor allem herausgehört: dauerhaft sichern und zukunftsfest machen. Dann aber Ihr Argument dafür, dass hier keine Behörde abgewickelt wird. Aber de facto ist das ja genau das, was Ihre Kritiker Ihnen vorwerfen. Können Sie denn verstehen, dass das zumindest jetzt 30 Jahre nach dem Mauerfall ein fatales Signal sendet, was da jetzt passiert?
Jahn: Im Gegenteil! Wir senden das Signal, dass wir gerade im 30. Jahr der friedlichen Revolution dieses Symbol der friedlichen Revolution – und das Symbol ist der Aktenzugang, die Möglichkeit, diese Akten zu nutzen -, dass wir dieses dauerhaft sichern. Das ist doch das Entscheidende. Das ist die Botschaft für die Zukunft, für die nächsten Generationen. Wir schaffen Strukturen, die es sicherstellen, dass der Aktenzugang weiter möglich ist, die sicherstellen, dass Forschung und Bildung unterstützt wird, die sicherstellen, dass wirklich auch die nächsten Generationen damit arbeiten können.
Zerback: Da ist mir die Begründung noch nicht ganz klar. Das würde ja fast heißen, dass Sie mit der bisherigen Arbeit Ihrer eigenen Behörde gar nicht zufrieden waren. Selbst im Antrag auf die Entscheidung, auf der das Ganze jetzt beruht, da wird die Behörde eigentlich gelobt als weltweit einmalig – wir haben es gerade gehört -, mit einem Leiter, Ihnen, der national und international hohes Ansehen genießt. Warum dann jetzt dieser Schritt?
Jahn: Der Schritt ist ein Schritt, der in die Zukunft geht. Wir wollen weg von der Fixierung auf das Thema Staatssicherheit. Wir wollen nicht das Amt für absolute Wahrheit, was den Daumen hoch oder runter macht, sondern wir wollen ein Stasi-Unterlagen-Archiv, was Unterlagen bereitstellt, damit ein gesellschaftlicher Diskurs stattfinden kann. Das ist die politische Botschaft.
Zweitens: Wir wollen dorthin, dass wir investieren können. Wir brauchen Planungssicherheit. Der Deutsche Bundestag hat schon mit der Gedenkstätten-Kommission 2008 gesagt, die Stasi-Unterlagen sollen eingebunden werden in die Archivlandschaft der Bundesrepublik Deutschland. Der Auftrag, hier ein Konzept zu erarbeiten, ist schon länger da. Wir haben 2016 einen Beschluss des Bundestages gehabt, dieses Konzept zu erarbeiten. Darum geht es doch, dass wir ein Konzept haben, wo dann klar ist, es kann investiert werden. Gerade in der Bestandserhaltung, in der Lagerung der Akten ist es wichtig, dass wir …
Zuerst muss ein Konzept her
Zerback: Entschuldigung, wenn ich Sie da unterbreche, aber die Folgekosten sind ja noch gar nicht berechnet. Das ist jetzt noch gar nicht veröffentlicht.
Jahn: Erst mal muss ein Konzept her, wo die Leitplanken gesetzt werden, wo es darum geht zu sagen, ja, das ist der Rahmen, der gesetzt wird. Jetzt ist dieser Rahmen gesetzt. Jetzt kann berechnet werden. Jetzt können die Machbarkeitsstudien dafür durchgeführt werden, was an Baumaßnahmen notwendig ist, um archivgerechte Lagerung zu ermöglichen. Wir arbeiten daran, ein Archivzentrum zu schaffen, wo wir die Unterlagen des Bundesarchives zur SED-Diktatur, die DDR-Ministerien, der SED und so weiter, plus die Stasi-Unterlagen an einem Ort haben, wo dann Lesesäle und Bibliotheken sind, wo die Forscher das nutzen können, und wo wir vor allen Dingen ein Kompetenzzentrum haben zur Bestandserhaltung und Digitalisierung. Das sind die Herausforderungen der Zukunft. Wir wollen die Digitalisierung voranbringen.
Zerback: Herr Jahn, lassen Sie mich da noch mal ein Stichwort herausgeben. Wir hören gerade sehr viele Informationen. Entschuldigung, dass ich Sie da unterbreche, Herr Jahn, aber lassen Sie uns da noch mal ins Detail gehen. Sie sagen jetzt gerade, an einem Ort. Das heißt aber auch, es verschwindet aus den ostdeutschen Ländern. Halten Sie das für das richtige Signal?
Jahn: Es verschwindet nichts aus den ostdeutschen Ländern. Gerade das haben wir beachtet. Gerade, dass die Stasi-Unterlagen in den ostdeutschen Ländern erobert worden sind.
Zerback: Die Zahl der Außenstellen in ostdeutschen Ländern, die wird mehr als halbiert, und da gibt es schon Sorgen, dass das auch erhebliche Folgen für die Bildungsprogramme in Ostdeutschland hat.
Jahn: Im Gegenteil! Die Außenstellen bleiben erhalten. Die Akteneinsicht, die Aktenanträge, die Unterstützung der Bildung und Forschung findet weiter auch in den Außenstellen statt. Was wir machen ist: Wir müssen archivgerechte Lagerungen schaffen, gerade auch in den ostdeutschen Ländern, damit wir die Bestände erhalten, damit wir Digitalisierung vorantreiben. Deswegen bündeln wir die Archivbestände an einem Ort pro Bundesland. Das heißt aber, dass die Arbeit in den Außenstellen genauso weitergeht wie bisher, entsprechend des Bedarfs.
Technik und Ressourcen bündeln
Zerback: Digitalisierung, sagen Sie, da gibt es ja bisher tatsächlich viel Luft nach oben, habe ich jetzt gelesen. Die Quote lag im letzten Jahr bei schlappen 0,2 Prozent. Was macht Sie denn so optimistisch, dass das jetzt in diesem viel kleineren Bundesarchiv besser wird? Die haben doch noch weniger Kapazitäten.
Jahn: Es geht darum, die Kompetenzen, die Technik und Ressourcen zu bündeln. Darum geht es, dass wir gemeinsam unser Knowhow einbringen und zusammenbringen, um hier wirklich Digitalisierung voranzubringen. Wir haben gemeinsame Datenbanken, die entwickelt worden sind. Wir haben etwas, was dann viel besser organisatorisch zusammengebracht werden kann. Darum geht es doch, diese Ressourcen zu bündeln, um wirklich den Herausforderungen der Zeit zu entsprechen. Digitalisierung ist ein Schlagwort, aber da steckt viel, viel Arbeit dahinter. Da stecken viele Ressourcen dahinter und die müssen gebündelt werden mit einer klaren Planungssicherheit für die Stasi-Unterlagen, aber auch für die Unterlagen des Bundesarchivs vorangebracht werden.
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