Archiv


Bei Abschluss Verlust

78 Millionen Kapital-, Lebens- und Rentenversicherungen haben wir Deutsche abgeschlossen. Einer der Nachteile ist die meist bis zum Rentenalter dauernde Laufzeit. Wer vorher an sein Geld ranmuss, macht ein Verlustgeschäft.

Von Axel Schröder |
    Auf den ersten Blick sind es gar nicht so viele Versicherungsverträge, aus denen die Deutschen vorzeitig aussteigen. Gerade mal vier bis sechs Prozent der abgeschlossenen Policen werden vor Ablauf der vereinbarten Frist gekündigt. Aber auch diese vier bis sechs Prozent summieren sich über die Jahre auf, so Günter Hörmann von der Hamburger Verbraucherzentrale:

    "Wenn also sechs Prozent pro Jahr aussteigen, dann steigen in zehn Jahren 60 Prozent aus. Da diese Verträge aber häufig eine Laufzeit von 30 Jahren haben, führt das dazu, dass auf den gesamten Fallbestand gerechnet drei von vier Verbrauchern aussteigen. Deshalb die Generalthese dieser ganzen Untersuchung: bei Abschluss Verlust!"

    Diesen Schluss zieht Hörmann aus dem Gutachten des Bamberger Universitätsprofessors Andreas Oehler. Er hat im Auftrag der Verbraucherzentrale 1115 vorzeitig gekündigte Verträge von Kapitallebens- und Rentenversicherungen ausgewertet. Ein Viertel davon sind fondsgebundene Versicherungen, drei Viertel sind nicht fondsgebunden. Dabei sind Verträge von allen namhaften Versicherern: von der Allianz, der AachenMünchener, der Hamburg-Mannheimer, von der Axa, Gerling, dem Deutschen Herold und anderen. Und obwohl es sich in der Regel um Verträge mit zehn, 20 oder 30 Jahren Laufzeit gehandelt hat, betrug die durchschnittliche Laufzeit nur rund sieben Jahre. Für Hörmann ist das keine Überraschung:

    "Einen Zeithorizont von 30 Jahren kann man als Verbraucher gar nicht überschauen. Werde ich in dieser Zeit irgendwann einmal arbeitslos? Werde ich mich scheiden lassen? Werde ich krank? Werde ich einen Unfall erleiden? Werde ich ins Ausland gehen? Das weiß man alles nicht. Und das sind alles Ereignisse, die zum Ausstieg führen."

    Dieser Ausstieg, so Hörmann, wird in der Regel sehr teuer erkauft. Denn der sogenannte Rückkaufswert ist oft niedriger als die Summe der eingezahlten Beiträge, weil die Versicherer Provisionen, Abschlusskosten oder Verwaltungsgebühren geltend machen. Zwar hat der Bundesgerichtshof schon 2005 entschieden, dass der Rückkaufswert bestimmte Grenzen nicht unterschreiten darf. Und 2008 wurde das Versicherungsvertragsrecht auch dahin gehend geändert. Dennoch kommt das Gutachten der Verbraucherzentrale Hamburg zu dem Schluss, dass den Versicherungsnehmern durch vorzeitig aufgelöste Verträge ein insgesamt immenser Schaden entstanden ist: Bei konservativer Schätzung, also einer Stornoquote von vier Prozent, verlieren die Versicherten durch vorzeitige Kündigungen 100 Milliarden Euro. Bei einer Stornoquote von sechs Prozent summieren sich die Ausfälle zwischen 2001 und 2010 sogar auf mehr als 160 Milliarden Euro. Deshalb gibt Günter Hörmann von der Verbraucherzentrale einen einfachen Rat:

    "Der Rat ist: Bloß keine Kapitallebensversicherung und private Rentenversicherung abschließen. Sondern bei der Geldanlage – und um die geht es ja hier, der Risikoanteil spielt ja gar nicht so eine große Rolle –bei der Geldanlage nach anderen Kriterien vorgehen."

    Und das in dieser Reihenfolge: Erst Schulden mit hohen Zinszahlungen tilgen und dann sichere Geldanlagen suchen, dies aber dann bei einer Bank und nicht in einer Versicherung: Sparbriefe oder Bundesschatzbriefe, Fest- oder Termingeld. Wenn dann noch Geld übrig ist – wären Immobilien, Aktien oder Investmentfonds die richtige Wahl. Kurzum: Alles, was keine allzu langen Laufzeiten hat. Verbraucher, die schon eine Kapitallebens- oder eine Rentenversicherung abgeschlossen haben und diese nun vorzeitig kündigen wollen oder auch müssen, sollten sich in jedem Fall beraten lassen, zum Beispiel beim Bund der Versicherten, bei Fachanwälten oder Verbraucherzentralen. Dort kostet die Kurzberatung 20 Euro, eine ausführliche Analyse rund 150 Euro. Mit Blick auf den Vermögensverlust bei einer vorzeitigen Kündigung ist das gut angelegtes Geld. Ein Trost: Die Regelungen für Rückkaufswerte in Altverträgen sind durch die neue Rechtsprechung oft nichtig.