Manchmal glaubt man sich im falschen Film. Mitten im Hochgebirge um Lech am Arlberg stößt der Wanderer jetzt, in sattgrünen Hängen und dunklen Felsformationen, immer wieder auf starre, gusseiserne Gestalten. Auf exakt 2039 Metern Höhe – verteilt auf ein riesiges Gebiet von 150 Quadratkilometern Fläche - stehen genau einhundert lebensgroße, schon jetzt rostig verwitterte nackte Menschenfiguren und blicken majestätisch ins Tal.
In einem halben Jahr wird auch der Skifahrer im Tiefschnee darauf achten müssen, nicht mit den schrundigen Wächtern der Berge zu kollidieren. Wenn man den Blick schweifen lässt, kann man sie freilich oft schon von weitem sehen, auf dem nächsten Bergrücken, hinter einer Schlucht oder einem Tal. Sie stehen da, irgendwie entrückt, seltsame Botschafter des aufrechten Menschseins, das den meisten Sommerfrischlern oder Skitouristen, also uns allen, wahrscheinlich schon längst abhanden gekommen ist.
Man freut sich über die seltsamen Gefährten, über den Einbruch des Surrealen in diese abweisende, harte Natur, deren größter Vorzug die Stille ist oder sein könnte - die aber spätestens seit den 1960er-Jahren so gar nichts Zauberbergisches mehr hat: Hier regiert auch in der Höhe der Tourismus, also Naturbursch und Skilehrer, Mountainbikerin und Wandersfrau.
Die Beiläufigkeit, mit der die Figuren des Bildhauers Antony Gormley uns in dieser Höhenlage begegnen, ist die größte Qualität des gesamten Projekts. Sie wird allerdings konterkariert vom 600.000-Euro-Aufwand, der hier getrieben wurde, und vom Gewinn, der erwirtschaftet werden soll.
Acht Gemeinden, Talgemeinschaften und viele Grundbesitzer (und das Kunsthaus Bregenz als Initiator) haben sich in komplizierten verwaltungstechnischen Verfahren zusammengerauft; in unzähligen Hubschrauberflügen wurden die Stahlfiguren an die zuvor mit GPS-Geräten vermessenen Standorte gebracht und einbetoniert; mit standesgemäßem Tamtam wurden nun bleichwangige Journalisten zur nebelumwaberten Pressekonferenz auf die Kriegeralpe gekarrt und vom Künstler darüber belehrt, dass dies auch ein Umweltprojekt sei.
Irgendwie schon. Spätestens, wenn man in den ersten Kuhfladen getreten hat, ist das Projekt absolut geerdet, und vertraute Geräusche dringen an unser Ohr.
Zur Überprüfung der künstlerischen Wahrhaftigkeit des Projekts hatte ich meinen achtjährigen Sohn Matthias mit auf die Wanderung genommen. In Unkenntnis der ehernen Gesetze der Serialität stellte er mir folgende Fragen: 1. Jetzt haben wir schon drei rostige Jungen gesehen, kommt auch noch mal ein Mädchen? Und: Warum müssen wir jetzt eine Stunde durch den Regen laufen – das ist doch immer derselbe Mann! Schließlich: Warum sind die überhaupt nackt? Haben die nichts anzuziehen?
Das alles sind berechtigte Einwände. Merkwürdigerweise verwendet Antony Gormley nämlich immer einen Abguss seines eigenen Körpers, und es ist durchaus auch ein Akt narzisstischer Selbstüberhebung, den eigenen Body in hundertfacher Vervielfältigung in die Landschaft zu stellen. Bereits 1997 hatte er bei Cuxhaven einhundert Selbst-Duplikate ins Meer gestellt; der irritierende und bisweilen auch überwältigende Eindruck einsamer Menschengestalten im Wasser wird im Nachhinein etwas gemildert durch die Einsicht, dass auch Gormley im Sinne der Selbstvermarktung Ideen mehrfach ausmelkt: gestern die Nordsee, heute Vorarlberg.
Mit einer grandiosen Ausstellung im Kunsthaus Bregenz hatte Gormley im letzten Jahr gezeigt, dass er zu den größten lebenden Bildhauern gehört: vier verschiedene Konzepte waren da zu sehen, von der Eroberung des Raumes durch eine Spirale bis zum Gravitationsfeld zweier Himmelskörper. Gormleys Aktionen im öffentlichen Raum, vor allem in London, entfalten enorme theatralische Wirkung. In Lech am Arlberg aber wird vor allem der Tourismus von Gormleys hyperrealen hundert Homini profitieren: sechs verschiedene Wanderrouten führen zu seinen Eisenmännern. Wenn es denn der Horizont-Erweiterung dient ...
In einem halben Jahr wird auch der Skifahrer im Tiefschnee darauf achten müssen, nicht mit den schrundigen Wächtern der Berge zu kollidieren. Wenn man den Blick schweifen lässt, kann man sie freilich oft schon von weitem sehen, auf dem nächsten Bergrücken, hinter einer Schlucht oder einem Tal. Sie stehen da, irgendwie entrückt, seltsame Botschafter des aufrechten Menschseins, das den meisten Sommerfrischlern oder Skitouristen, also uns allen, wahrscheinlich schon längst abhanden gekommen ist.
Man freut sich über die seltsamen Gefährten, über den Einbruch des Surrealen in diese abweisende, harte Natur, deren größter Vorzug die Stille ist oder sein könnte - die aber spätestens seit den 1960er-Jahren so gar nichts Zauberbergisches mehr hat: Hier regiert auch in der Höhe der Tourismus, also Naturbursch und Skilehrer, Mountainbikerin und Wandersfrau.
Die Beiläufigkeit, mit der die Figuren des Bildhauers Antony Gormley uns in dieser Höhenlage begegnen, ist die größte Qualität des gesamten Projekts. Sie wird allerdings konterkariert vom 600.000-Euro-Aufwand, der hier getrieben wurde, und vom Gewinn, der erwirtschaftet werden soll.
Acht Gemeinden, Talgemeinschaften und viele Grundbesitzer (und das Kunsthaus Bregenz als Initiator) haben sich in komplizierten verwaltungstechnischen Verfahren zusammengerauft; in unzähligen Hubschrauberflügen wurden die Stahlfiguren an die zuvor mit GPS-Geräten vermessenen Standorte gebracht und einbetoniert; mit standesgemäßem Tamtam wurden nun bleichwangige Journalisten zur nebelumwaberten Pressekonferenz auf die Kriegeralpe gekarrt und vom Künstler darüber belehrt, dass dies auch ein Umweltprojekt sei.
Irgendwie schon. Spätestens, wenn man in den ersten Kuhfladen getreten hat, ist das Projekt absolut geerdet, und vertraute Geräusche dringen an unser Ohr.
Zur Überprüfung der künstlerischen Wahrhaftigkeit des Projekts hatte ich meinen achtjährigen Sohn Matthias mit auf die Wanderung genommen. In Unkenntnis der ehernen Gesetze der Serialität stellte er mir folgende Fragen: 1. Jetzt haben wir schon drei rostige Jungen gesehen, kommt auch noch mal ein Mädchen? Und: Warum müssen wir jetzt eine Stunde durch den Regen laufen – das ist doch immer derselbe Mann! Schließlich: Warum sind die überhaupt nackt? Haben die nichts anzuziehen?
Das alles sind berechtigte Einwände. Merkwürdigerweise verwendet Antony Gormley nämlich immer einen Abguss seines eigenen Körpers, und es ist durchaus auch ein Akt narzisstischer Selbstüberhebung, den eigenen Body in hundertfacher Vervielfältigung in die Landschaft zu stellen. Bereits 1997 hatte er bei Cuxhaven einhundert Selbst-Duplikate ins Meer gestellt; der irritierende und bisweilen auch überwältigende Eindruck einsamer Menschengestalten im Wasser wird im Nachhinein etwas gemildert durch die Einsicht, dass auch Gormley im Sinne der Selbstvermarktung Ideen mehrfach ausmelkt: gestern die Nordsee, heute Vorarlberg.
Mit einer grandiosen Ausstellung im Kunsthaus Bregenz hatte Gormley im letzten Jahr gezeigt, dass er zu den größten lebenden Bildhauern gehört: vier verschiedene Konzepte waren da zu sehen, von der Eroberung des Raumes durch eine Spirale bis zum Gravitationsfeld zweier Himmelskörper. Gormleys Aktionen im öffentlichen Raum, vor allem in London, entfalten enorme theatralische Wirkung. In Lech am Arlberg aber wird vor allem der Tourismus von Gormleys hyperrealen hundert Homini profitieren: sechs verschiedene Wanderrouten führen zu seinen Eisenmännern. Wenn es denn der Horizont-Erweiterung dient ...