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Bei den Gullah-Geechees

Amerika ist ein Einwandererland. Doch nicht alle kamen freiwillig, das gilt insbesondere für die meisten Afrikaner. Eine relativ kleine afroamerikanische Volksgruppe hat bis heute ihre Kultur in ganz besonderer Weise bewahrt. Sie nennen sich Gullah-Geechee.

Von Rudi Schneider |
    Südlich von Savannah in Georgia ist die Vegetation tropisch. Weitläufige Feuchtlandflächen wechseln sich mit Pinienwäldern ab, die von flachen Flussläufen und Seen durchzogen sind. Einer dieser mäandernden Flüsse ist der Ogeechee River. An seinen Ufern leben die Gullah-Geechee, deren Vorfahren schon im 17. Jahrhundert aus verschiedenen Zonen Afrikas als Sklaven in diese Gegend kamen. Den Gullah-Geechee sagt man nach, dass sie wie keine andere afrikanische Volksgruppe Bräuche und Kultur ihrer Herkunft bewahrt haben. Jim und Pat Bacote leben unweit des Flusses und haben uns in ihr Haus in der Nähe von Riceboro, das sie Geechee Kunda nennen, eingeladen. Das Haus dient auch als Zentrum der afroamerikanischen Kultur und ist aus massiven wuchtigen Holzstämmen errichtet.

    "Das ist Zypressenholz, der Baum wächst hier in den Sümpfen und hat für die Geechee eine besondere Bedeutung. Während der Sklavenzeit haben sich unsere Vorfahren, wenn sie von den Plantagen flohen, gerne in den Sümpfen versteckt, weil die Zypressen guten Sichtschutz boten. Die Zypressen wurden aber auch wegen ihres angenehmen Duftes zu einem wichtigen Baum für die Gullah-Geechee in dieser Region."

    Riceboro, so erzählt uns Jim, hat seinen Namen nicht zufällig. Um die Kultur der Gullah-Geechee zu verstehen, führt uns Jim ins späte 17. Jahrhundert, als die ersten Siedler mit Schiffen aus Europa und Afrika an der Westküste anlandeten. Eines dieser Schiffe, das sogar wegen eines Sturmes in Seenot geraten war, hatte unter anderem Reis geladen.

    "Der Reis kam interessanterweise 1685 mit einem Sklavenschiff aus Madagaskar nach Savannah. Die Kolonisten fanden heraus, dass der Reis in diesem Klima angebaut werden konnte und sehr gute Erträge brachte. Das war der Treibstoff der frühen Sklaverei hier."

    Dem damaligen ungeheuren Boom im Reisanbau sagt man heute nach, dass er die treibende Kraft der Plantagenära der Südstaaten war.

    "Die Plantagenbesitzer waren auf uns angewiesen, weil wir jahrhundertealte Erfahrungen im Anbau von Reis, Baumwolle und Indigo hatten. Sie mussten auch ständig neue Sklaven aus Afrika hierher bringen, weil man diese harte Arbeit wegen des heißen und feuchten Klimas kaum mehr als fünf Jahre aushielt."

    Die Plantagenbesitzer waren Leute, die das harte Leben im Gegensatz zu jenen, die sie als Sklaven in Afrika angeworben hatten, nicht gewohnt waren. Sie lebten zurückgezogen in ihren feudalen Plantagenhäusern, während die Sklaven in ihren einfachen Hütten über das Land verstreut, teilweise abgeschieden, wohnten. Was ihnen in gewisser Hinsicht einen Freiraum schuf. Dieser Freiraum erlaubte den Gullah-Geechee, viel von ihrer afrikanischen Lebensweise zu bewahren und das bis heute. Eine der Besonderheiten ist die Sprache der Gullah-Geechee, erzählt Jim.

    "Gullah ist eine englische Sprache mit etlichen afrikanischen Anteilen. Unsere Vorfahren, die aus Afrika kamen, haben viel von der afrikanischen Art der Kommunikation wie Phrasen, Betonungen, Satzbau und ganze Wörter bewahrt und mit der neuen englischen Sprache vermischt. Manchmal ist es auch schwierig, diese Wörter genau zu übersetzen."

    Bei der Arbeit zu singen, das ist bei afrikanischen Stämmen eine jahrhundertealte Tradition, die sie auch auf den Plantagen beibehielten. Das ist der Song "Oh Day" in reiner englischer Sprache. In Gullah-Sprache hört man jedoch die afrikanischen Wortanteile.

    Gullah ist aber nicht gleich Gullah, denn es gibt feine Varianten.

    "Einige Leute sprechen in einer Weise, die für jemanden, der nicht aus dieser Gegend stammt, schwer verständlich ist. Fünf Meilen um uns herum werden 15 Dialekte gesprochen. Das hat sich so innerhalb der Familien mittlerweile über Generationen so entwickelt. Die Dialekte unterscheiden sich in einem unterschiedlichen Rhythmus, anderen Intonationen und einem verschiedenen Akzent."

    Mit Jim beginnen wir nun eine kleine Wanderung im Gelände. Zur Natur haben die Gullah-Geechee traditionell nicht nur eine praktische, sondern auch eine spirituelle Beziehung.

    Deutsche Eichen sind in Deutschland schon mächtige Bäume, aber hier in den Südstaaten gibt es Eichen, deren weit ausladende Kronen ein halbes Fußballfeld bedecken. Ein solch gewaltiger Baum dominiert das Bild vor uns. Meterlange Fahnen von spanischem Moos ranken von den Ästen und wehen leicht im Sommerwind.

    "Wir nennen diesen Baum die Ceecee-Eiche. Er ist 300 Jahre alt und erinnert uns an vieles aus der Geschichte unserer Familie, aber auch unserer Kultur und der Befreiung aus der Sklaverei. Er hat uns durch all die Jahre begleitet. Es ist einfach wunderbar, diese Ceecee-Eiche zu haben."

    Die äußeren Äste reichen in weitem Bogen so tief zum Boden, dass ich meine Hände durch die Blätter gleiten lassen kann. Ganz in der Nähe finden sich eine große Anzahl von Bienenkörben und ich erfahre, dass nicht nur der Honig der Bienen gesammelt wird. Einige Stoffe, die die Bienen produzieren, werden von den Gullah-Geechee als Heilmittel genutzt. In der Nähe der Bienenbehausungen fällt mir eine ganze Sammlung großer schwarzer Kochkessel auf.

    "Diese eisernen Töpfe stammen teils aus dem frühen 19. Jahrhundert. Man hat sie einfach für alles verwendet, zum Kochen, um Seife zu machen, zum Kleider waschen, zum Kinder waschen... Heute sollen sie einfach nur Auffangtöpfe für "glückliches Schicksal" sein, deshalb habe ich so viele hier draußen."

    Während ich darüber nachsinne, ob man Glück wirklich in Kochtöpfen sammeln kann, öffnet sich vor uns eine Lichtung in der dichten tropischen Vegetation, die von einem ganzen Kreis auf dem Boden liegender dicker Holzstämme eingezirkelt ist. Jim berichtet, dass in diesem ganz besonderen Zirkel vor einigen Tagen eine weitere sehr interessante Sprache zu hören war.

    "Die Cherokees kamen zu uns nach Geechee-Kunda in Riceboro um noch einmal nachzuvollziehen, was wir hier vor 200 Jahren getan haben. Die Afrikaner, die als Sklaven hierher kamen, haben mit den einheimischen Cherokees beschlossen, sich gegenseitig zu unterstützen. Dieser Kreis aus Baumstämmen wurde wieder neu mit gemeinsamen rituellen Tänzen eingeweiht. Es war eine wunderbare Atmosphäre, und wir waren alle sehr, sehr glücklich."

    Wenn Gäste die Gullah Geechee besuchen, dann ist eines sehr wichtig, erzählt Pat Bacote

    "Wenn wir Gäste haben, gehört es zu unseren Bräuchen, sie mit einem liebevoll zubereiteten Essen willkommen zu heißen. Dabei kommen insbesondere lokale Gemüse und Seefrüchte auf den Tisch. Eine besondere Delikatesse sind unsere 'Georgia Wild Shrimps'. Sie sind berühmt für ihren feinen und milden Geschmack. Wir lieben es einfach, für unsere Gäste zu kochen."

    Und wie die Georgia Wild Shrimps in den Kochtopf kommen, verwundert nicht wirklich, denn auf unserer kleinen Wanderung kommen wir zu einem Holzgestell, auf dem ein sicher sieben Meter langes schlankes Holzboot ruht. Den Bug ziert eine weibliche Holzbüste, wie ich sie von alten spanischen Galeonen kenne.

    "Das ist ein Kajak. Er ist einmal mehr ein Teil unserer Tradition. Wir schnitzen diese Boote, die wir in unserer Sprache 'Badoo' nennen, aus Osumi Holz, einem Hartholz aus Kamerun. Mit solchen Booten fahren wir täglich zum Fischen, es hat Platz genug für Geräte und für den Fang."

    Unweit vom Badoo, um das richtige Wort zu benutzen, treffen wir Vernon. Vernons krauses Haupthaar ist schon grau, und die Weisheit eines langen Lebens, das größtenteils hinter ihm liegt, strahlt aus seinen Augen. Vernon hält nachdenklich einen Pinsel mit leuchtend roter Farbe in der Hand und blickt auf eines von vielen großen Bildern, die rund um ihn herum auf der Veranda seines Hauses drapiert sind.

    "Ich male gerne Szenen, Landschaften, Menschen und Tiere. Ich kopiere keine anderen Künstler, ich suche meine Motive selbst. Dieses Bild hier vorne zeigt eine Gruppe von jungen Menschen, die zum Sklavenmarkt geführt werden, es ist noch nicht ganz fertig. Ich habe mit zwölf Jahren mit dem Malen begonnen, jetzt bin ich 87."