"Wir sind mündige Bürger und wir fordern "Ab in die Erde, ab!”"
Demonstranten stimme ein:
""Ab in die Erde, ab! Ab in die Erde ab! Ab in die Erde ab! "
Vor wenigen Tagen in der Innenstadt von Hannover. Begleitet von einer Trommelgruppe ziehen fast 500 Menschen durch die Fußgängerzone in Richtung Landtag. Jeder Dritte trägt einen großen gelb gestrichenen Holzpfeil vor sich her. Darauf sind verschiedene Ortsname zu lesen und die Pfeilspitze zeigt immer nach unten.
"Ab in die Erde ab! Ab in die Erde, ab!"
"Diese Demonstration dient dazu, die Politiker noch mal wach zu rütteln: Sie sollen nicht auf die Wirtschaft hören, sondern sie sollen dem Volk auf's Maul schauen. "
Reinhard Brinckmann führt zum ersten Mal in seinem Leben einen Demonstrationszug an. Mit einer Schiebermütze schützt sich der gelernte Landmaschinentechniker gegen den Nieselregen; sein weißes T-Shirt ziert eine Art Verkehrsschild: "380 KV" mit einem dicken roten Balken durchgestrichen. Brinckmann gehört zu einer von insgesamt 19 niedersächsischen Bürgerinitiativen, die dafür kämpfen, dass eine jetzt geplante Stromtrasse nicht oberirdisch, sondern unter der Erdoberfläche verlaufen soll.
Die Mehrheit der Deutschen ist für den Atomausstieg, der morgen im Bundestag besiegelt wird. Damit wird knapp vier Monate nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die
Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik gesetzlich verankert. Doch sind die Bürger auch bereit für die Energiewende? Sind sie bereit, auch vor ihrer Haustür Infrastrukturmaßnahmen für den Ausbau der regenerativen Energien zu akzeptieren?
"Wir sind hier weil wir gegen die 380-KV-Freileitung demonstrieren, wir sind keine Leitungsgegner, sondern wir sind für eine Erdverkabelung, weil das für uns das Sinnvollste und das Ungefährlichste ist."
Niedersachsen hat bereits 2007 mit der Planung neuer Hochspannungsleitungen begonnen, um an der Küste erzeugten Windstrom in den Süden der Republik zu transportieren. Schon seit Jahren fordern Experten den Ausbau des deutschen Stromnetzes. Bis 2015 sollen eigentlich 850 Kilometer dieser Stromtrassen gebaut sein, doch realisiert wurden bisher nur knapp zehn Prozent. Die Dena - die deutsche Energieagentur - geht in einer Studie davon aus, dass bis 2020 weitere 3.600 Kilometer Höchstspannungstrassen benötigt werden - bei einem Anteil von 40 Prozent Ökostrom im Netz. Jetzt nach den Beschlüssen der Bundesregierung zur Energiewende drängt die Zeit, sagt David McAllister, CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen.
"Wir müssen mit dem Netzausbau in Deutschland und speziell bei uns in Niedersachsen schnell vorankommen und wir können uns keine weiteren Verzögerungen mehr leisten. Der Netzausbau ist das Nadelöhr und auch die Achillesferse des Umbaus unserer Energiewirtschaft. Niedersachsen ist dabei mit drei von vier Pilotvorhaben ganz vorne mit dabei."
Doch die 190 Kilometer lange Pilottrasse von Wahle in Niedersachsen nach Mecklar in Hessen könnte zum echten Stolperstein werden. Knapp 22.000 Einwendungen, davon 14.000 allein in Niedersachsen, haben Bürger und Initiativen gegen das Vorhaben bislang eingebracht. Dadurch hat sich das Raumordnungsverfahren bereits um ein Jahr verzögert.
Der kleine Kurort Bad Gandersheim in Südniedersachsen ist so etwas wie die Hochburg des Stromtrassengegner. Eine Region idyllisch gelegen in hügeliger Landschaft, strukturschwach und vom Tourismus abhängig. Seit vier Jahren engagieren sich hier Bürgerinitiativen und lokale Politiker gemeinsam gegen die geplanten oberirdischen Stromleitungen. Alle dreihundert Meter, so fürchten die Bewohner, könnte ein bis zu 80 Meter hoher Strommast die Landschaft verschandeln. Ein Mast wäre viermal so hoch wie die romanische Stiftskirche in Bad Gandersheim, sagt Wolfgang Schulze, einer der Sprecher der Bürgerinitiativen.
"Wir leben hier in Bad Gandersheim von sieben Kurkliniken und wenn die Kurgäste hier wegbleiben, das ist ein Wahnsinnswirtschaftsfaktor, dann können wir hier wirklich alles dicht machen. Das ist also keine Spinnerei von Bürgerinitiativen: Diese Leitungen haben Auswirkungen auf Herzschrittmacher. eine Kur antreten, wo Beeinträchtigungen für Herzschrittmacher sind - gucken Sie sich das Publikum bei Kuren an, da sind etliche dabei, die betroffen sind. Die Leute meiden die Region und das ist ein Todesstoß für unsere Wirtschaft hier."
Hinzu kommt in Bad Gandersheim die Sorge vor einem Wertverlust der eigenen Immobilien und die Angst, die Hochspannungsmasten und -leitungen könnten Krebs auslösen. Deshalb fordern die Bürgerinitiativen, die komplette Stromtrasse per Gleichstrom-Erdkabel unterirdisch zu verlegen. Dabei gehe es nicht darum, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verhindern, betont Schulze. Die Mehrheit der Engagierten sei klar für die Energiewende.
"Wir bejahen durchaus, dass wir in diesem Land neue Leitungen brauchen und sehen aber, dass es eine Alternative gibt. Wir müssen nicht die Technik aus dem vorigen Jahrhundert haben. Da gibt es andere Lösungen."
Ob Stromtrassen in Südniedersachsen, Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein oder Kohlekraftwerke an der Nordseeküste - auch nach Fukushima gibt es in Deutschland viele Bürger, die die geplanten Alternativen zum Atomstrom nicht so einfach akzeptieren wollen. Eine Entwicklung, die Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister mit Sorge beobachtet.
"Wer Ja sagt zum Ausbau der Erneuerbaren Energien, der muss auch Ja sagen zum Ausbau des Stromnetzes und zum beschleunigten Ausbau. Wir brauchen nicht nur mehr politischen Konsens, wir brauchen auch mehr gesellschaftlichen Konsens in der Energiepolitik in Deutschland."
Doch gerade in der Energiepolitik hat die Zahl der kritischen Bürger in den vergangenen Jahren zugenommen, sagt Udo Buchholz, Sprecher des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen Umweltschutz mit Sitz in Bonn. Dass vielen deshalb der Stempel "Wutbürger" aufgedrückt, gar von einer "Dagegen-Republik" gesprochen wird - wie es kürzlich der Bundesverband der deutschen Industrie getan hat - empfindet Buchholz als Schritt in die falsche Richtung.
"Also, ich sehe das eigentlich genau umgekehrt, wir sind eine Dafür-Gesellschaft. Weil gerade diese Bürgerinitiativen, die setzen sich ja für positive Ziele ein, die setzen sich für den Umweltschutz, die setzen sich für ihre eigene Gesundheit ein und das kann man nicht als Negativbewegung abtun. "
Werden Bürger selbstbewusster, emanzipierter im Umgang mit den politischen Entscheidungen? Spätestens seit dem G7-Klimagipfel in Heiligendamm 2007 nimmt die Zahl der Akteure zu, die sich außerhalb der gängigen politischen Wege für Energiepolitik engagieren, hat Achim Brunnengräber festgestellt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden und der FU Berlin. Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen bildeten dabei neue Koalitionen. Weil sich beide, so Brunnengräber, von der Politik häufig außen vor gelassen fühlten.
"Die politische Elite entscheidet und dann wird dieses Vorhaben umgesetzt. Ich denke, das ist eine Politik, die eher antiquiert ist, eine Elite-Demokratie. Und ich denke, dass diese Proteste auch eine Form der Kritik sind an diesen Vorgehensweisen."
Mehr Transparenz, mehr Partizipation - damit ließen sich Proteste im Energiebereich zwar nicht vermeiden und schneller könnten Vorhaben auch nicht auf den Weg gebracht werden, sagt Brunnengräber. Doch Projekte, bei denen Bürger von Anfang an angemessen beteiligt werden, erführen eine deutlich höhere Akzeptanz.
Auch die Stromtrassen-Gegner in Niedersachsen wünschen sich mehr echte Beteiligung an den Entscheidungsprozessen. Stattdessen werden sie als Blockierer gescholten, die mit ihrem Protest den Ausbau der Erneuerbaren Energien verzögern. Mit unseren Vorschlägen laufen wir bei Politik, Verwaltung und Netzbetreibern gegen die Wand, klagt Reinhard Brinckmann von der Bürgerinitiative "Ab in die Erde".
"Wir sind mündige Bürger, wir wollen als mündige Bürger behandelt werden und wir haben auch das Recht auf Mitsprache! Man hat immer wieder das Gefühl, dass die Leute Scheuklappen haben und uns nicht zuhören wollen. "
In einigen Wochen geht die Planung der neuen Höchstspannungsleitungen in eine neue Phase. Im Planfeststellungsverfahren für vier Stromtrassen müssen sich die Behörden jetzt wohl auf eine Klagewelle unzufriedener Bürger einstellen. Ein Beispiel, das zeigt: Wenn die Bürger nicht mitgenommen werden, kann die Energiewende in Deutschland nicht gelingen.
Über dem kleinen Hafen von Barsebäck scheint die Sonne, auf dem Wasser übt eine Gruppe von Kindern das Segeln in kleinen Jollen. Sommeridylle in Schweden. Auf der anderen Seite des Öresunds: die dänische Hauptstadt Kopenhagen, in deren Hafen vier Schornsteine eines Kohlekraftwerkes in die Luft ragen. Entsprechend missmutig sind die Menschen jenseits der Meerenge, denn die Schweden mussten vor sechs Jahren ihr Atomkraftwerk hier auf dänischen Druck hin schließen. Dazu Bürgerstimmen:
"Ich persönlich befürworte die Atomkraft - sie doch besser und umweltfreundlicher als die dänische Kohlenkraft."
"Ich finde, man sollte neue Atomkraftwerke bauen, anstatt sich von den fossilen Brennstoffen abhängig zu machen. Wind und Wasser sind schön und gut, aber sie reichen nicht - und bitte was ist die Alternative? Das Öl ist eines Tages alle und wenn der Wind nicht weht, steht alles still. Nein, ich glaube an die Atomkraft. Die Technik ist sehr viel besser geworden und die Werke sind heute sehr viel effektiver."
Und genau dies soll nun passieren. Fast genau vor einem Jahr beschloss das schwedische Parlament den Ausstieg aus dem Atomausstieg und erlaubte es den Energieunternehmen, neue Atomkraftwerke zu bauen, wenn sie im Gegenzug alte vom Netz nehmen. Eine Entscheidung, die die Regierung in diesem Frühjahr noch einmal in die Defensive brachte, nachdem das Atomkraftwerk im japanischen Fukushima havarierte. Aus Katastrophen lernen - ja, die Atomenergie abschaffen - nein - versuchte der konservative Ministerpräsident Frederik Reinfeldt die eigenen Landsleute zu beschwichtigen.
"Die Energie- und Klimapolitik der Regierung steht auf drei Säulen - nämlich Wasserkraft, Kernkraft sowie erneuerbaren Energien. Sie sollen sich gegenseitig ergänzen, anstatt dass wir einseitig auf erneuerbare Energiequellen setzen. Doch eben die Tatsache, dass wir massiv in erneuerbare Energien wie Windkraft investieren, zeigt doch, dass wir uns auch nicht alleine von der Atomenergie abhängig machen wollen."
Die Opposition aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen zeigt sich schockiert. Das Argument der Regierung, die schwedischen Meiler seien sicher, weil Naturkatastrophen wie Tsunamis in der Region nahezu ausgeschlossen sind, sei naiv. Darüber hinaus habe man auch in Schweden die Endlagerfrage für die radioaktiven Brennstäbe keinesfalls gelöst. Politischer Disput, wie man ihn lange auch in Deutschland hörte. Maria Wetterstrand, Frontfrau der schwedischen Grünen, wirft der Regierung so auch fehlende Ambitionen in der Energiepolitik vor:
"Wir sind eines der Länder der Welt, die die allerbesten Voraussetzungen haben, ein Versorgungssystem aus erneuerbaren Energiequellen aufzubauen. Wenn nicht wir das leisten können, diese Frage sei erlaubt, welches Land denn?"
Verfrüht und zu idealistisch schallt es aus dem Regierungslager zurück. Die Schweden halten - auch aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie - am Weg der Erneuerung ihrer Atomkraftwerke fest. Das bestätigt auch einer der Schlüsselpersonen der Branche, der Leiter der Atomkraftsparte beim Energieriesen E.ON, Ingemar Engkvist:
"Ich denke, wir stehen vor einer Periode, wo geplante Projekte gebremst und angehalten werden, um darüber zu reflektieren, was ist in Japan passiert, was können wir daraus lernen. Auch wird es eine gewisse Skepsis geben, neue Projekte zu initiieren. Auf Dauer aber ist die Atomenergie alternativlos."
Absolut sicher aber ist nichts, das weiß auch Engkvist. Auch in Schweden könnten - ähnlich wie nun in Deutschland - die politischen Vorzeichen wechseln beziehungsweise die öffentliche Meinung kippen. So oder so ist der Weg zur Erneuerung der schwedischen Atomkraftwerke nicht nur ein teurer, sondern auch ein langer:
"Die Voraussetzung dafür, Atomkraftwerke in einem Land zu betreiben, ist die Akzeptanz der Bürger. Ist diese nicht vorhanden beziehungsweise sollte sie sich zum Negativen ändern, dann sind die Voraussetzung für eine Atomwirtschaft nicht vorhanden."
Sie werden nicht überrascht sein, dass die Ereignisse in Japan meine Sicht auf die Nuklearenergie verändert haben ...
... schrieb der britische Umweltaktivist und Kolumnist George Monbiot am 22. März in einem Leitartikel des links-liberalen "Guardian". Um dann fortzusetzen:
Im Ergebnis des Desasters von Fukushima bin ich nicht mehr neutral gegenüber der Atomkraft. Jetzt unterstütze ich diese Technologie.
In deutschen Ohren mag dies absurd klingen, doch in Großbritannien steht der Kommentator nicht allein mit seiner Logik:
Eine beschissene alte Anlage mit unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen wurde von einem Monster-Erdbeben und einem gewaltigen Tsunami getroffen
... Die Reaktoren begannen zu explodieren und zu schmelzen. ... Und doch hat bislang, soweit wir es wissen, niemand eine tödliche Strahlendosis abbekommen ...
Atomenergie hat gerade einen der härtesten möglicher Tests durchlaufen und die Folgen für die Menschen und den Planeten waren gering.
Auf dem Höhepunkt des japanischen Desasters zeigten sich laut einer Repräsentativbefragung zwar 44 Prozent der Briten besorgt. 56 Prozent aber waren nicht beunruhigt oder hatten keine Meinung zum Thema. Im Parlament ließ sich Premierminister Cameron vom Parteifreund Collins fragen, ob er nicht auch der Ansicht sei, dass britische AKW wie das in seinem Wahlkreis sicher seien und dass Atomkraft weiter zum britischen Energiemix gehören müsse.
"Ja, ich glaube Atomkraft sollte auch künftig zum Mix gehören.
Ich bin überzeugt, dass jeder, der die furchtbaren Ereignisse in Japan verfolgt, sicher gestellt wissen will, dass wir alle Lektionen daraus lernen; natürlich gibt es große Unterschiede. Wir haben nicht diese Reaktormodelle im Vereinigten Königreich und planen sie auch nicht; außerdem befinden wir uns nicht in ähnlichen erdbebengefährdetem Gebiet."
Diese Haltung ist verbreitet in Britannien, weswegen der deutsche Atomausstieg auch überwiegend auf Unverständnis trifft - nach dem Motto: "Die spinnen, die Deutschen". Die Times etwa schreibt:
... Fakt ist, dass nicht ein einziger Deutscher jemals an den Folgen eines Atomunfalls gestorben ist. Die deutsche Nuklear-Reaktion hat sehr wenig mit realen Risiken zu tun, sondern mit Angst und Vorurteilen.
In Großbritannien sind derzeit 19 Atommeiler am Netz. Der Anteil des Atomstroms beträgt 20 Prozent. Dabei soll es auch bleiben.
Die regierenden Konservativen setzen ohne Bedenken auf Kernkraft, die sozialdemokratische Labour-Opposition hält sie ebenfalls für eine "saubere Energie". Auch nach Fukushima gibt es in Großbritannien keine Ausstiegsdebatte. Die mitregierenden Liberaldemokraten, dritte politische Kraft auf der Insel, waren vor der Wahl noch gegen Atomkraft.
Nuklearenergie ist eine erprobte, getestete und gescheiterte Technologie, verkündete der Liberaldemokrat Chris Huhne in einem Wahlwerbespot noch im Mai 2010. Nach der Wahl wurde Huhne Energieminister. Im Januar warb er am Standort Hinkley Point für die neue Generation von Atomkraftwerken:
"Dies hier wird wahrscheinlich die erste der neuen Generation nuklearer Anlagen im Vereinigten Königreich. Und das bringt den Ortsansässigen hier Jobs in der Bauphase und auch langfristig. Wir werden Energiesicherheit haben, bezahlbaren Strom und CO-2-arme Energie, womit wir auch unseren Beitrag zum Klimawandel leisten."
Die britische Regierung hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Bis 2025 will sie die CO-2-Emissionen im Vergleich zu 1990 halbieren. Doch die Nutzung erneuerbarer Energien steckt noch in den Kinderschuhen. Auch Energiesparen ist für viele Briten ein Fremdwort: Doppel-Glasfenster und Wärmedämmung sind weithin unbekannt. Hier will die einzige grüne Parlamentsabgeordnete Caroline Lucas ansetzen:
"Wir brauchen keine Atomkraft, um unsere CO2-Emissionen zu senken, ohne dass die Lichter ausgehen. Wir können dasselbe Ziel tatsächlich viel sicherer, viel schneller und viel billiger erreichen durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Ein "Haus für Haus-, Straße für Straße-Wärmeisolierungs-Programm". Das klingt nicht so aufregend wie eine liebliche neue Reihe von Atomanlagen, aber die Frage muss doch sein, warum sollen wir um Himmels willen das Risiko eingehen."
Eine Minderheitsmeinung im Königreich. Atomkraft, ja bitte, heißt es hier. Zehn neue Meiler an acht Standorten, meist in der Nähe bestehender Anlagen. Das waren die Labour-Pläne, die von der neuen Regierung erst letzte Woche bestätigt wurden. Das erste neue Kraftwerk soll 2018 ans Netz gehen. Auch die deutschen Energieunternehmen RWE und E.ON bewerben sich um Aufträge.
Und doch ist zweifelhaft, ob es am Ende wirklich dazu kommen wird. Die Zeit bis 2018 ist knapp und möglicherweise verlangt die Atomaufsichtsbehörde nach Fukushima neue, kostspielige Sicherheitsvorkehrungen. Vor allem aber hat sich die konservativ-liberale Koalition darauf festgelegt, dass es keinerlei staatliche Subventionen für die Atomneubauten geben soll.
Das wäre weltweit ein Novum und es muss sich erst noch herausstellen, ob sich unter diesen Bedingungen in Großbritannien wirklich ein Investor findet.
Demonstranten stimme ein:
""Ab in die Erde, ab! Ab in die Erde ab! Ab in die Erde ab! "
Vor wenigen Tagen in der Innenstadt von Hannover. Begleitet von einer Trommelgruppe ziehen fast 500 Menschen durch die Fußgängerzone in Richtung Landtag. Jeder Dritte trägt einen großen gelb gestrichenen Holzpfeil vor sich her. Darauf sind verschiedene Ortsname zu lesen und die Pfeilspitze zeigt immer nach unten.
"Ab in die Erde ab! Ab in die Erde, ab!"
"Diese Demonstration dient dazu, die Politiker noch mal wach zu rütteln: Sie sollen nicht auf die Wirtschaft hören, sondern sie sollen dem Volk auf's Maul schauen. "
Reinhard Brinckmann führt zum ersten Mal in seinem Leben einen Demonstrationszug an. Mit einer Schiebermütze schützt sich der gelernte Landmaschinentechniker gegen den Nieselregen; sein weißes T-Shirt ziert eine Art Verkehrsschild: "380 KV" mit einem dicken roten Balken durchgestrichen. Brinckmann gehört zu einer von insgesamt 19 niedersächsischen Bürgerinitiativen, die dafür kämpfen, dass eine jetzt geplante Stromtrasse nicht oberirdisch, sondern unter der Erdoberfläche verlaufen soll.
Die Mehrheit der Deutschen ist für den Atomausstieg, der morgen im Bundestag besiegelt wird. Damit wird knapp vier Monate nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die
Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik gesetzlich verankert. Doch sind die Bürger auch bereit für die Energiewende? Sind sie bereit, auch vor ihrer Haustür Infrastrukturmaßnahmen für den Ausbau der regenerativen Energien zu akzeptieren?
"Wir sind hier weil wir gegen die 380-KV-Freileitung demonstrieren, wir sind keine Leitungsgegner, sondern wir sind für eine Erdverkabelung, weil das für uns das Sinnvollste und das Ungefährlichste ist."
Niedersachsen hat bereits 2007 mit der Planung neuer Hochspannungsleitungen begonnen, um an der Küste erzeugten Windstrom in den Süden der Republik zu transportieren. Schon seit Jahren fordern Experten den Ausbau des deutschen Stromnetzes. Bis 2015 sollen eigentlich 850 Kilometer dieser Stromtrassen gebaut sein, doch realisiert wurden bisher nur knapp zehn Prozent. Die Dena - die deutsche Energieagentur - geht in einer Studie davon aus, dass bis 2020 weitere 3.600 Kilometer Höchstspannungstrassen benötigt werden - bei einem Anteil von 40 Prozent Ökostrom im Netz. Jetzt nach den Beschlüssen der Bundesregierung zur Energiewende drängt die Zeit, sagt David McAllister, CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen.
"Wir müssen mit dem Netzausbau in Deutschland und speziell bei uns in Niedersachsen schnell vorankommen und wir können uns keine weiteren Verzögerungen mehr leisten. Der Netzausbau ist das Nadelöhr und auch die Achillesferse des Umbaus unserer Energiewirtschaft. Niedersachsen ist dabei mit drei von vier Pilotvorhaben ganz vorne mit dabei."
Doch die 190 Kilometer lange Pilottrasse von Wahle in Niedersachsen nach Mecklar in Hessen könnte zum echten Stolperstein werden. Knapp 22.000 Einwendungen, davon 14.000 allein in Niedersachsen, haben Bürger und Initiativen gegen das Vorhaben bislang eingebracht. Dadurch hat sich das Raumordnungsverfahren bereits um ein Jahr verzögert.
Der kleine Kurort Bad Gandersheim in Südniedersachsen ist so etwas wie die Hochburg des Stromtrassengegner. Eine Region idyllisch gelegen in hügeliger Landschaft, strukturschwach und vom Tourismus abhängig. Seit vier Jahren engagieren sich hier Bürgerinitiativen und lokale Politiker gemeinsam gegen die geplanten oberirdischen Stromleitungen. Alle dreihundert Meter, so fürchten die Bewohner, könnte ein bis zu 80 Meter hoher Strommast die Landschaft verschandeln. Ein Mast wäre viermal so hoch wie die romanische Stiftskirche in Bad Gandersheim, sagt Wolfgang Schulze, einer der Sprecher der Bürgerinitiativen.
"Wir leben hier in Bad Gandersheim von sieben Kurkliniken und wenn die Kurgäste hier wegbleiben, das ist ein Wahnsinnswirtschaftsfaktor, dann können wir hier wirklich alles dicht machen. Das ist also keine Spinnerei von Bürgerinitiativen: Diese Leitungen haben Auswirkungen auf Herzschrittmacher. eine Kur antreten, wo Beeinträchtigungen für Herzschrittmacher sind - gucken Sie sich das Publikum bei Kuren an, da sind etliche dabei, die betroffen sind. Die Leute meiden die Region und das ist ein Todesstoß für unsere Wirtschaft hier."
Hinzu kommt in Bad Gandersheim die Sorge vor einem Wertverlust der eigenen Immobilien und die Angst, die Hochspannungsmasten und -leitungen könnten Krebs auslösen. Deshalb fordern die Bürgerinitiativen, die komplette Stromtrasse per Gleichstrom-Erdkabel unterirdisch zu verlegen. Dabei gehe es nicht darum, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verhindern, betont Schulze. Die Mehrheit der Engagierten sei klar für die Energiewende.
"Wir bejahen durchaus, dass wir in diesem Land neue Leitungen brauchen und sehen aber, dass es eine Alternative gibt. Wir müssen nicht die Technik aus dem vorigen Jahrhundert haben. Da gibt es andere Lösungen."
Ob Stromtrassen in Südniedersachsen, Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein oder Kohlekraftwerke an der Nordseeküste - auch nach Fukushima gibt es in Deutschland viele Bürger, die die geplanten Alternativen zum Atomstrom nicht so einfach akzeptieren wollen. Eine Entwicklung, die Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister mit Sorge beobachtet.
"Wer Ja sagt zum Ausbau der Erneuerbaren Energien, der muss auch Ja sagen zum Ausbau des Stromnetzes und zum beschleunigten Ausbau. Wir brauchen nicht nur mehr politischen Konsens, wir brauchen auch mehr gesellschaftlichen Konsens in der Energiepolitik in Deutschland."
Doch gerade in der Energiepolitik hat die Zahl der kritischen Bürger in den vergangenen Jahren zugenommen, sagt Udo Buchholz, Sprecher des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen Umweltschutz mit Sitz in Bonn. Dass vielen deshalb der Stempel "Wutbürger" aufgedrückt, gar von einer "Dagegen-Republik" gesprochen wird - wie es kürzlich der Bundesverband der deutschen Industrie getan hat - empfindet Buchholz als Schritt in die falsche Richtung.
"Also, ich sehe das eigentlich genau umgekehrt, wir sind eine Dafür-Gesellschaft. Weil gerade diese Bürgerinitiativen, die setzen sich ja für positive Ziele ein, die setzen sich für den Umweltschutz, die setzen sich für ihre eigene Gesundheit ein und das kann man nicht als Negativbewegung abtun. "
Werden Bürger selbstbewusster, emanzipierter im Umgang mit den politischen Entscheidungen? Spätestens seit dem G7-Klimagipfel in Heiligendamm 2007 nimmt die Zahl der Akteure zu, die sich außerhalb der gängigen politischen Wege für Energiepolitik engagieren, hat Achim Brunnengräber festgestellt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden und der FU Berlin. Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen bildeten dabei neue Koalitionen. Weil sich beide, so Brunnengräber, von der Politik häufig außen vor gelassen fühlten.
"Die politische Elite entscheidet und dann wird dieses Vorhaben umgesetzt. Ich denke, das ist eine Politik, die eher antiquiert ist, eine Elite-Demokratie. Und ich denke, dass diese Proteste auch eine Form der Kritik sind an diesen Vorgehensweisen."
Mehr Transparenz, mehr Partizipation - damit ließen sich Proteste im Energiebereich zwar nicht vermeiden und schneller könnten Vorhaben auch nicht auf den Weg gebracht werden, sagt Brunnengräber. Doch Projekte, bei denen Bürger von Anfang an angemessen beteiligt werden, erführen eine deutlich höhere Akzeptanz.
Auch die Stromtrassen-Gegner in Niedersachsen wünschen sich mehr echte Beteiligung an den Entscheidungsprozessen. Stattdessen werden sie als Blockierer gescholten, die mit ihrem Protest den Ausbau der Erneuerbaren Energien verzögern. Mit unseren Vorschlägen laufen wir bei Politik, Verwaltung und Netzbetreibern gegen die Wand, klagt Reinhard Brinckmann von der Bürgerinitiative "Ab in die Erde".
"Wir sind mündige Bürger, wir wollen als mündige Bürger behandelt werden und wir haben auch das Recht auf Mitsprache! Man hat immer wieder das Gefühl, dass die Leute Scheuklappen haben und uns nicht zuhören wollen. "
In einigen Wochen geht die Planung der neuen Höchstspannungsleitungen in eine neue Phase. Im Planfeststellungsverfahren für vier Stromtrassen müssen sich die Behörden jetzt wohl auf eine Klagewelle unzufriedener Bürger einstellen. Ein Beispiel, das zeigt: Wenn die Bürger nicht mitgenommen werden, kann die Energiewende in Deutschland nicht gelingen.
Über dem kleinen Hafen von Barsebäck scheint die Sonne, auf dem Wasser übt eine Gruppe von Kindern das Segeln in kleinen Jollen. Sommeridylle in Schweden. Auf der anderen Seite des Öresunds: die dänische Hauptstadt Kopenhagen, in deren Hafen vier Schornsteine eines Kohlekraftwerkes in die Luft ragen. Entsprechend missmutig sind die Menschen jenseits der Meerenge, denn die Schweden mussten vor sechs Jahren ihr Atomkraftwerk hier auf dänischen Druck hin schließen. Dazu Bürgerstimmen:
"Ich persönlich befürworte die Atomkraft - sie doch besser und umweltfreundlicher als die dänische Kohlenkraft."
"Ich finde, man sollte neue Atomkraftwerke bauen, anstatt sich von den fossilen Brennstoffen abhängig zu machen. Wind und Wasser sind schön und gut, aber sie reichen nicht - und bitte was ist die Alternative? Das Öl ist eines Tages alle und wenn der Wind nicht weht, steht alles still. Nein, ich glaube an die Atomkraft. Die Technik ist sehr viel besser geworden und die Werke sind heute sehr viel effektiver."
Und genau dies soll nun passieren. Fast genau vor einem Jahr beschloss das schwedische Parlament den Ausstieg aus dem Atomausstieg und erlaubte es den Energieunternehmen, neue Atomkraftwerke zu bauen, wenn sie im Gegenzug alte vom Netz nehmen. Eine Entscheidung, die die Regierung in diesem Frühjahr noch einmal in die Defensive brachte, nachdem das Atomkraftwerk im japanischen Fukushima havarierte. Aus Katastrophen lernen - ja, die Atomenergie abschaffen - nein - versuchte der konservative Ministerpräsident Frederik Reinfeldt die eigenen Landsleute zu beschwichtigen.
"Die Energie- und Klimapolitik der Regierung steht auf drei Säulen - nämlich Wasserkraft, Kernkraft sowie erneuerbaren Energien. Sie sollen sich gegenseitig ergänzen, anstatt dass wir einseitig auf erneuerbare Energiequellen setzen. Doch eben die Tatsache, dass wir massiv in erneuerbare Energien wie Windkraft investieren, zeigt doch, dass wir uns auch nicht alleine von der Atomenergie abhängig machen wollen."
Die Opposition aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen zeigt sich schockiert. Das Argument der Regierung, die schwedischen Meiler seien sicher, weil Naturkatastrophen wie Tsunamis in der Region nahezu ausgeschlossen sind, sei naiv. Darüber hinaus habe man auch in Schweden die Endlagerfrage für die radioaktiven Brennstäbe keinesfalls gelöst. Politischer Disput, wie man ihn lange auch in Deutschland hörte. Maria Wetterstrand, Frontfrau der schwedischen Grünen, wirft der Regierung so auch fehlende Ambitionen in der Energiepolitik vor:
"Wir sind eines der Länder der Welt, die die allerbesten Voraussetzungen haben, ein Versorgungssystem aus erneuerbaren Energiequellen aufzubauen. Wenn nicht wir das leisten können, diese Frage sei erlaubt, welches Land denn?"
Verfrüht und zu idealistisch schallt es aus dem Regierungslager zurück. Die Schweden halten - auch aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie - am Weg der Erneuerung ihrer Atomkraftwerke fest. Das bestätigt auch einer der Schlüsselpersonen der Branche, der Leiter der Atomkraftsparte beim Energieriesen E.ON, Ingemar Engkvist:
"Ich denke, wir stehen vor einer Periode, wo geplante Projekte gebremst und angehalten werden, um darüber zu reflektieren, was ist in Japan passiert, was können wir daraus lernen. Auch wird es eine gewisse Skepsis geben, neue Projekte zu initiieren. Auf Dauer aber ist die Atomenergie alternativlos."
Absolut sicher aber ist nichts, das weiß auch Engkvist. Auch in Schweden könnten - ähnlich wie nun in Deutschland - die politischen Vorzeichen wechseln beziehungsweise die öffentliche Meinung kippen. So oder so ist der Weg zur Erneuerung der schwedischen Atomkraftwerke nicht nur ein teurer, sondern auch ein langer:
"Die Voraussetzung dafür, Atomkraftwerke in einem Land zu betreiben, ist die Akzeptanz der Bürger. Ist diese nicht vorhanden beziehungsweise sollte sie sich zum Negativen ändern, dann sind die Voraussetzung für eine Atomwirtschaft nicht vorhanden."
Sie werden nicht überrascht sein, dass die Ereignisse in Japan meine Sicht auf die Nuklearenergie verändert haben ...
... schrieb der britische Umweltaktivist und Kolumnist George Monbiot am 22. März in einem Leitartikel des links-liberalen "Guardian". Um dann fortzusetzen:
Im Ergebnis des Desasters von Fukushima bin ich nicht mehr neutral gegenüber der Atomkraft. Jetzt unterstütze ich diese Technologie.
In deutschen Ohren mag dies absurd klingen, doch in Großbritannien steht der Kommentator nicht allein mit seiner Logik:
Eine beschissene alte Anlage mit unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen wurde von einem Monster-Erdbeben und einem gewaltigen Tsunami getroffen
... Die Reaktoren begannen zu explodieren und zu schmelzen. ... Und doch hat bislang, soweit wir es wissen, niemand eine tödliche Strahlendosis abbekommen ...
Atomenergie hat gerade einen der härtesten möglicher Tests durchlaufen und die Folgen für die Menschen und den Planeten waren gering.
Auf dem Höhepunkt des japanischen Desasters zeigten sich laut einer Repräsentativbefragung zwar 44 Prozent der Briten besorgt. 56 Prozent aber waren nicht beunruhigt oder hatten keine Meinung zum Thema. Im Parlament ließ sich Premierminister Cameron vom Parteifreund Collins fragen, ob er nicht auch der Ansicht sei, dass britische AKW wie das in seinem Wahlkreis sicher seien und dass Atomkraft weiter zum britischen Energiemix gehören müsse.
"Ja, ich glaube Atomkraft sollte auch künftig zum Mix gehören.
Ich bin überzeugt, dass jeder, der die furchtbaren Ereignisse in Japan verfolgt, sicher gestellt wissen will, dass wir alle Lektionen daraus lernen; natürlich gibt es große Unterschiede. Wir haben nicht diese Reaktormodelle im Vereinigten Königreich und planen sie auch nicht; außerdem befinden wir uns nicht in ähnlichen erdbebengefährdetem Gebiet."
Diese Haltung ist verbreitet in Britannien, weswegen der deutsche Atomausstieg auch überwiegend auf Unverständnis trifft - nach dem Motto: "Die spinnen, die Deutschen". Die Times etwa schreibt:
... Fakt ist, dass nicht ein einziger Deutscher jemals an den Folgen eines Atomunfalls gestorben ist. Die deutsche Nuklear-Reaktion hat sehr wenig mit realen Risiken zu tun, sondern mit Angst und Vorurteilen.
In Großbritannien sind derzeit 19 Atommeiler am Netz. Der Anteil des Atomstroms beträgt 20 Prozent. Dabei soll es auch bleiben.
Die regierenden Konservativen setzen ohne Bedenken auf Kernkraft, die sozialdemokratische Labour-Opposition hält sie ebenfalls für eine "saubere Energie". Auch nach Fukushima gibt es in Großbritannien keine Ausstiegsdebatte. Die mitregierenden Liberaldemokraten, dritte politische Kraft auf der Insel, waren vor der Wahl noch gegen Atomkraft.
Nuklearenergie ist eine erprobte, getestete und gescheiterte Technologie, verkündete der Liberaldemokrat Chris Huhne in einem Wahlwerbespot noch im Mai 2010. Nach der Wahl wurde Huhne Energieminister. Im Januar warb er am Standort Hinkley Point für die neue Generation von Atomkraftwerken:
"Dies hier wird wahrscheinlich die erste der neuen Generation nuklearer Anlagen im Vereinigten Königreich. Und das bringt den Ortsansässigen hier Jobs in der Bauphase und auch langfristig. Wir werden Energiesicherheit haben, bezahlbaren Strom und CO-2-arme Energie, womit wir auch unseren Beitrag zum Klimawandel leisten."
Die britische Regierung hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Bis 2025 will sie die CO-2-Emissionen im Vergleich zu 1990 halbieren. Doch die Nutzung erneuerbarer Energien steckt noch in den Kinderschuhen. Auch Energiesparen ist für viele Briten ein Fremdwort: Doppel-Glasfenster und Wärmedämmung sind weithin unbekannt. Hier will die einzige grüne Parlamentsabgeordnete Caroline Lucas ansetzen:
"Wir brauchen keine Atomkraft, um unsere CO2-Emissionen zu senken, ohne dass die Lichter ausgehen. Wir können dasselbe Ziel tatsächlich viel sicherer, viel schneller und viel billiger erreichen durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Ein "Haus für Haus-, Straße für Straße-Wärmeisolierungs-Programm". Das klingt nicht so aufregend wie eine liebliche neue Reihe von Atomanlagen, aber die Frage muss doch sein, warum sollen wir um Himmels willen das Risiko eingehen."
Eine Minderheitsmeinung im Königreich. Atomkraft, ja bitte, heißt es hier. Zehn neue Meiler an acht Standorten, meist in der Nähe bestehender Anlagen. Das waren die Labour-Pläne, die von der neuen Regierung erst letzte Woche bestätigt wurden. Das erste neue Kraftwerk soll 2018 ans Netz gehen. Auch die deutschen Energieunternehmen RWE und E.ON bewerben sich um Aufträge.
Und doch ist zweifelhaft, ob es am Ende wirklich dazu kommen wird. Die Zeit bis 2018 ist knapp und möglicherweise verlangt die Atomaufsichtsbehörde nach Fukushima neue, kostspielige Sicherheitsvorkehrungen. Vor allem aber hat sich die konservativ-liberale Koalition darauf festgelegt, dass es keinerlei staatliche Subventionen für die Atomneubauten geben soll.
Das wäre weltweit ein Novum und es muss sich erst noch herausstellen, ob sich unter diesen Bedingungen in Großbritannien wirklich ein Investor findet.