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Bei Schule schwänzen - Kindergeld gestrichen

Mehr Peitsche als Zuckerbrot: Gewalt an Schulen und Schwänzen müssen härter geahndet werden. Angesichts neuer Gewaltaktionen an Schulen und eines wachsenden Heers an Schulschwänzern gelobte Präsident Nicolas Sarkozy letzten Mai durchzugreifen:

Von Burkhard Birke |
    "Das System funktioniert nicht, lassen Sie uns Klartext reden.
    Es funktioniert nicht. Deshalb muss das Kindergeld gestrichen werden, wenn die Eltern nicht verhindern, dass ihre Kinder schwänzen."

    Fünf bis sieben Prozent der Schüler der Sekundarstufe, das sind 300.000 bis 400.000 in absoluten Zahlen, bleiben dem Unterricht in Frankreich häufig unentschuldigt fern.

    Zu viele! Und das, obwohl die Regierung seit Jahren dem Schwänzen den Kampf erklärt hat. 2004 bereits rief der damalige Bildungsminister Luc Ferry in einem Rundbrief zu Maßnahmen auf. Seit 2006 können in Frankreich bereits das Kindergeld und die Sozialleistungen gestrichen werden, wenn Eltern nicht dafür sorgen, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Die Entscheidung darüber oblag in letzter Instanz dem Präsidenten des Generalrats, der Volksvertretung der Departements.

    Der Pferdefuß: Die meisten Generalratspräsidenten sind sozialistisch und gegen eine derart drastische Maßnahme. Außer in Nizza an der Côte d'Azur kam es praktisch nicht zu Sonderverfahren. Die haben offenbar aber gewirkt. Der Abgeordnete der Regierungspartei UMP Eric Cotti stammt aus der Gegend und durfte das Gesetz verschärfen.

    Jetzt trägt der Schulinspektor die letzte Entscheidung in einem graduellen Verfahren. Fehlt ein Schüler mindestens vier halbe Tage in einem Monat unentschuldigt, wird die Schulaufsicht, der Inspektor eingeschaltet. Der verwarnt die Familien und bietet ihnen Hilfestellung, verweist auf Beratungsmöglichkeiten. Gleichzeitig wird der Generalrat eingeschaltet. Er schließt mit der Familie einen Vertrag über elterliche Verantwortung. Fehlt der Schüler im Folgemonat erneut häufig unentschuldigt, so ist der Schulinspektor verpflichtet, die Familienkasse einzuschalten, die die Kindergeldzahlung einstellt. Eric Cotti:

    "Im Gesetzestext haben wir ein Gleichgewicht zwischen helfender Hand und Angst vor Strafmaßnahmen schaffen wollen, das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten, für das sich die UMP einsetzt."

    Viele Mitglieder der Regierungspartei UMP haben dennoch nur zähneknirschend dem Text vor einigen Wochen in der Nationalversammlung und im Senat zugestimmt. Sie teilen die Bedenken der Opposition. Michel Berson, Generalratspräsident des Departements Essonne und Sozialist:

    "Das Problem muss anders, muss durch soziale Begleitung gelöst werden. Die Eltern müssen sich wirklich der Verantwortung bewusst werden – nicht mit Zwang und Repression, weil die das Gegenteil bewirken!"

    Eine Meinung, die vom Gros der Sozialarbeiter und Lehrer geteilt wird.
    Igor Garncarzyk leitet ein Collège:

    "Meist handelt es sich um Eltern in großer Not. Damit die ihre Autorität zurückbekommen, müssen sie sozial in einer Lage sein, vor ihren Kindern zu bestehen."

    Streicht man das Kindergeld - verschärft man die Not, fügt - wie es selbst der frühere Bildungsminister Luc Ferry kürzlich ausdrückte - der Misere neue Misere hinzu ...

    Ein anderes ehemaliges Regierungsmitglied, der frühere Hohe Kommissar für Solidarität, Martin Hirsch, bedauert indes, dass sein Prämienkonzept faktisch verbannt wurde. Er hatte Klassen, die es schafften die Schwänzerquote zu senken, mit kleinen Zuschüssen für Klassenfahrten oder Sonderprojekte belohnt! Im Sande zu verlaufen scheint auch die Initiative, Mediatoren einzuschalten. 5000 Verbindungsleute aus dem Milieu sollten die Lehrkräfte unterstützen und Schwänzer zurück auf die Schulbank holen. Angeblich sollen 4000 eingestellt worden sein ... viel mehr war darüber nicht in Erfahrung zu bringen. Also doch die Peitsche?

    "Man muss doch ein Mittel finden, damit die Eltern ihre Kinder regelmäßig in die Schule schicken",

    meint diese Mutter und eine andere:

    "Wenn das nach Vorwarnungen und moderat gemacht wird, wie es ja schon der Fall ist, dann wird die Kindergeldstreichung wohl wirklich als letztes Mittel eingesetzt."