Ursula Mense: Ein Signal sind die Streiks bei der Bahn in der Tat und für viele Pendler waren sie heute Morgen äußerst unangenehm. Warnstreiks im Regional- und Fernverkehr vor allem in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen erschwerten den Weg zur Arbeit, und auch auf den Straßen bildeten sich endlose Staus, weil viele Bahnreisende auf das Auto umgestiegen waren, um den Streiks zu entgehen. Wir wollen jetzt aber nicht reden über die Forderungen der Gewerkschaft nach einem Tarifvertrag, sondern darüber, wie betroffene Reisende entschädigt werden können und ob überhaupt. Holger Krawinkel ist Energieexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband, und den begrüße ich jetzt herzlich am Telefon.
Holger Krawinkel: Guten Tag, Frau Mense.
Mense: Wir wollen über die Fahrgastrechte sprechen. Es ist inzwischen ja geregelt: Wer zu spät kommt, bekommt einen Teil seines Geldes zurück. Gilt das auch bei Streik?
Krawinkel: Bei Streik gilt das leider nicht, weil je unkalkulierbarer und je flächendeckender so ein Streik ist, umso weniger kann die Bahn reagieren. Das sind außergewöhnliche Umstände und damit ist keine Entschädigungsforderung möglich. Gleichwohl hat ja die Bahn angekündigt, dass, wenn die Leistung nicht erbracht werden kann, die Ticketpreise erstattet werden. Dazu sollte man sich relativ schnell an die betreffenden Verkehrsunternehmen wenden, um sich zu informieren. Die Bahn hat hier auch eine entsprechende Service-Hotline eingerichtet. Und wenn es dann zu Erstattungen kommt, wie gesagt erst mal an die jeweilige Bahn wenden, bei der das passiert ist, und wenn es da keine Einigung gibt, kann man sich dann auch an die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr wenden.
Mense: Das klingt ein bisschen kompliziert. – Also die 25-prozentige beziehungsweise 50-prozentige Erstattung, wie sie jetzt üblich ist, wenn man nicht an sein Ziel kommt, das gilt in diesem Fall auf jeden Fall nicht?
Krawinkel: Das gilt nicht, weil es eben außergewöhnliche Umstände sind. Aber wie gesagt, man kann ein Ticket zurückgeben und das Geld wird auch zurückerstattet.
Mense: Vielleicht sagen Sie dann doch noch mal genau ein Wort zu dem Prozedere. Ich gehe zum Service-Point und mache das dort?
Krawinkel: Wenn sie eine Fahrkarte haben, und können nicht fahren, gehen sie zum Fahrkartenschalter und dann wird das dort erledigt. Der Service-Point spielt eine Rolle bei dem normalen Erstattungsweg, wenn es eine Verspätung gegeben hat. Das ist in dem Fall aber anders. Hier wird wie gesagt lediglich dann erstattet, wenn sie die Fahrkarte zurückgeben können. Das ist natürlich ein Problem für die Inhaber von Monatskarten, da wird sich relativ wenig machen lassen.
Mense: Streiks und Tarife sind ja eine Sache. Eine andere ist ein besserer öffentlicher Nahverkehr. Was würden Sie denn für optimal halten?
Krawinkel: Es gibt Probleme auf mehreren Ebenen. Das eine Problem für viele Fahrgäste besteht ja darin, dass es in den verschiedenen Verkehrsverbünden – knapp 60 in Deutschland – immer sehr unterschiedliche Tarife gibt. Ab wann ist ein Kind ein Kind? Zwölf Jahre, 14 Jahre? Kann ich einen Hund mitnehmen oder nicht? Wie ist es mit dem Fahrrad, wahrscheinlich viel wichtiger, kostet das was, kann ich es möglicherweise bis neun Uhr nicht mitnehmen? Alles sehr unterschiedlich geregelt. Gilt die Bahn-Card? Entscheidend auch: Muss ich die Fahrkarte entwerten, oder ist sie schon entwertet, also bin ich potenziell Schwarzfahrer oder nicht, weil ich das vergessen habe, oder weil ich es von meinem eigenen Verbund anders gewöhnt bin? Da stellt sich schon die Frage, warum es nicht möglich ist, das einheitlich für alle Verbünde zu regeln, für alle Verkehrsverbünde, zumal das Geld für diese Verkehrsleistungen ja zum großen Teil aus Bundesmitteln stammt. Sieben Milliarden erhalten die Länder jedes Jahr, um den öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren. Da könnte man sich schon vorstellen, dass der Bund da auch mal ein bisschen Druck ausüben kann und könnte, im Interesse der Fahrgäste das einheitlich zu gestalten.
Mense: Das wäre das System. Wie sieht es denn aus mit der Verkehrskette oder der Infrastruktur?
Krawinkel: Das nächste Problem besteht darin, dass die Anschlüsse in vielen Fällen nicht optimal funktionieren. Dann gibt es eben Wartezeiten, weil überall der Taktverkehr eingerichtet ist, also Stundentakt beispielsweise. Wenn dann aber die anderen Züge in einem anderen Takt fahren, muss der Fahrgast regelmäßig über eine halbe Stunde warten. Das liegt oft daran, dass die Infrastruktur nicht ausreichend ausgebaut ist.
Mense: Es fehlen Fahrgleise?
Krawinkel: Es fehlen Gleise in den Bahnhöfen, aber auch teilweise Überholgleise auf eingleisigen Strecken. Das ist ein grundlegendes Problem, wie bei uns Verkehrsplanung betrieben wird. Das machen die Schweizer deutlich besser. Da habe ich einen Zielfahrplan für die nächsten Jahre und ich gucke mir genau an, wo gibt es Engpässe bei den Knoten, bei eingleisigen Strecken, wo muss die Infrastruktur im Kleinen ausgebaut werden, damit dieser Fahrplan dann auch erreicht werden kann. Bei uns ist es eben oft so, da werden Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut und hinterher der Fahrplan gemacht. Dass das dann oft nicht zusammenpasst, wundert eigentlich nicht.
Mense: Das klingt so, als würde es nicht nur am Geld, sondern auch am richtigen Plan fehlen?
Krawinkel: Ja. Ich glaube, es fehlt am Plan. Wir sind es nicht gewohnt, aus welchen Gründen auch immer, für die Bahn grundlegende längerfristige Pläne zu machen, zum Beispiel auch zu sagen, wir wollen gerne erreichen, dass der Güterverkehr auf der Schiene sich verdoppelt, dass der Personenverkehr sich verdoppelt. Wenn ich das machen würde, müsste ich natürlich die Finanzströme auch so lenken – es ist ja eigentlich genug Geld da -, dass tatsächlich diese Ziele auch erreicht werden können.
Mense: Holger Krawinkel vom Verbraucherzentrale Bundesverband zu den Fahrgastrechten heute und den Anforderungen an einen wirklich verbraucherfreundlichen öffentlichen Nahverkehr. Und das Abenteuer Nahverkehr wird auch Thema einer Diskussionsveranstaltung heute Abend ab 19 Uhr in Berlin im Tucher sein, zu der sie der Deutschlandfunk zusammen mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband einlädt. Unter klima-talk@vzbv.de können sie sich einen Platz sichern, der Eintritt ist frei.
Infos:
Verkehrsmeldungen aus den Regionen (bahn.de)
Holger Krawinkel: Guten Tag, Frau Mense.
Mense: Wir wollen über die Fahrgastrechte sprechen. Es ist inzwischen ja geregelt: Wer zu spät kommt, bekommt einen Teil seines Geldes zurück. Gilt das auch bei Streik?
Krawinkel: Bei Streik gilt das leider nicht, weil je unkalkulierbarer und je flächendeckender so ein Streik ist, umso weniger kann die Bahn reagieren. Das sind außergewöhnliche Umstände und damit ist keine Entschädigungsforderung möglich. Gleichwohl hat ja die Bahn angekündigt, dass, wenn die Leistung nicht erbracht werden kann, die Ticketpreise erstattet werden. Dazu sollte man sich relativ schnell an die betreffenden Verkehrsunternehmen wenden, um sich zu informieren. Die Bahn hat hier auch eine entsprechende Service-Hotline eingerichtet. Und wenn es dann zu Erstattungen kommt, wie gesagt erst mal an die jeweilige Bahn wenden, bei der das passiert ist, und wenn es da keine Einigung gibt, kann man sich dann auch an die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr wenden.
Mense: Das klingt ein bisschen kompliziert. – Also die 25-prozentige beziehungsweise 50-prozentige Erstattung, wie sie jetzt üblich ist, wenn man nicht an sein Ziel kommt, das gilt in diesem Fall auf jeden Fall nicht?
Krawinkel: Das gilt nicht, weil es eben außergewöhnliche Umstände sind. Aber wie gesagt, man kann ein Ticket zurückgeben und das Geld wird auch zurückerstattet.
Mense: Vielleicht sagen Sie dann doch noch mal genau ein Wort zu dem Prozedere. Ich gehe zum Service-Point und mache das dort?
Krawinkel: Wenn sie eine Fahrkarte haben, und können nicht fahren, gehen sie zum Fahrkartenschalter und dann wird das dort erledigt. Der Service-Point spielt eine Rolle bei dem normalen Erstattungsweg, wenn es eine Verspätung gegeben hat. Das ist in dem Fall aber anders. Hier wird wie gesagt lediglich dann erstattet, wenn sie die Fahrkarte zurückgeben können. Das ist natürlich ein Problem für die Inhaber von Monatskarten, da wird sich relativ wenig machen lassen.
Mense: Streiks und Tarife sind ja eine Sache. Eine andere ist ein besserer öffentlicher Nahverkehr. Was würden Sie denn für optimal halten?
Krawinkel: Es gibt Probleme auf mehreren Ebenen. Das eine Problem für viele Fahrgäste besteht ja darin, dass es in den verschiedenen Verkehrsverbünden – knapp 60 in Deutschland – immer sehr unterschiedliche Tarife gibt. Ab wann ist ein Kind ein Kind? Zwölf Jahre, 14 Jahre? Kann ich einen Hund mitnehmen oder nicht? Wie ist es mit dem Fahrrad, wahrscheinlich viel wichtiger, kostet das was, kann ich es möglicherweise bis neun Uhr nicht mitnehmen? Alles sehr unterschiedlich geregelt. Gilt die Bahn-Card? Entscheidend auch: Muss ich die Fahrkarte entwerten, oder ist sie schon entwertet, also bin ich potenziell Schwarzfahrer oder nicht, weil ich das vergessen habe, oder weil ich es von meinem eigenen Verbund anders gewöhnt bin? Da stellt sich schon die Frage, warum es nicht möglich ist, das einheitlich für alle Verbünde zu regeln, für alle Verkehrsverbünde, zumal das Geld für diese Verkehrsleistungen ja zum großen Teil aus Bundesmitteln stammt. Sieben Milliarden erhalten die Länder jedes Jahr, um den öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren. Da könnte man sich schon vorstellen, dass der Bund da auch mal ein bisschen Druck ausüben kann und könnte, im Interesse der Fahrgäste das einheitlich zu gestalten.
Mense: Das wäre das System. Wie sieht es denn aus mit der Verkehrskette oder der Infrastruktur?
Krawinkel: Das nächste Problem besteht darin, dass die Anschlüsse in vielen Fällen nicht optimal funktionieren. Dann gibt es eben Wartezeiten, weil überall der Taktverkehr eingerichtet ist, also Stundentakt beispielsweise. Wenn dann aber die anderen Züge in einem anderen Takt fahren, muss der Fahrgast regelmäßig über eine halbe Stunde warten. Das liegt oft daran, dass die Infrastruktur nicht ausreichend ausgebaut ist.
Mense: Es fehlen Fahrgleise?
Krawinkel: Es fehlen Gleise in den Bahnhöfen, aber auch teilweise Überholgleise auf eingleisigen Strecken. Das ist ein grundlegendes Problem, wie bei uns Verkehrsplanung betrieben wird. Das machen die Schweizer deutlich besser. Da habe ich einen Zielfahrplan für die nächsten Jahre und ich gucke mir genau an, wo gibt es Engpässe bei den Knoten, bei eingleisigen Strecken, wo muss die Infrastruktur im Kleinen ausgebaut werden, damit dieser Fahrplan dann auch erreicht werden kann. Bei uns ist es eben oft so, da werden Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut und hinterher der Fahrplan gemacht. Dass das dann oft nicht zusammenpasst, wundert eigentlich nicht.
Mense: Das klingt so, als würde es nicht nur am Geld, sondern auch am richtigen Plan fehlen?
Krawinkel: Ja. Ich glaube, es fehlt am Plan. Wir sind es nicht gewohnt, aus welchen Gründen auch immer, für die Bahn grundlegende längerfristige Pläne zu machen, zum Beispiel auch zu sagen, wir wollen gerne erreichen, dass der Güterverkehr auf der Schiene sich verdoppelt, dass der Personenverkehr sich verdoppelt. Wenn ich das machen würde, müsste ich natürlich die Finanzströme auch so lenken – es ist ja eigentlich genug Geld da -, dass tatsächlich diese Ziele auch erreicht werden können.
Mense: Holger Krawinkel vom Verbraucherzentrale Bundesverband zu den Fahrgastrechten heute und den Anforderungen an einen wirklich verbraucherfreundlichen öffentlichen Nahverkehr. Und das Abenteuer Nahverkehr wird auch Thema einer Diskussionsveranstaltung heute Abend ab 19 Uhr in Berlin im Tucher sein, zu der sie der Deutschlandfunk zusammen mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband einlädt. Unter klima-talk@vzbv.de können sie sich einen Platz sichern, der Eintritt ist frei.
Infos:
Verkehrsmeldungen aus den Regionen (bahn.de)