
Dina Netz: Es hätte ein Riesending werden können: Als Ouvertüre des Wagner-Jahres inszeniert die Urenkelin des Komponisten den „Ring des Nibelungen“. Es sollte zwar nur eine Kurzfassung sein – alle vier „Ring“-Teile in sieben Stunden –, aber immerhin. Das Teatro Colón in Buenos Aires war auf diese Idee gekommen und konnte sich dafür höchster Aufmerksamkeit aus der ganzen Musikwelt sicher sein. Allein – es kam nicht zustande. Woran es nun lag, lässt sich für Außenstehende schlecht nachvollziehen. Katharina Wagner hat abgesagt, nur einen Monat vor der Premiere, weil das Theater angeblich unzureichend vorbereitet war und sie keine ihr gemäßen Probenbedingungen vorfand. Das Teatro Colón wiederum hatte den Eindruck, Katharina Wagner habe von Anfang an keine rechte Lust zu diesem „Ring“ gehabt. Wie dem auch sei – gestern nun hat dieser Kurz-„Ring“ doch noch Premiere gehabt in Buenos Aires. Die Argentinierin Valentina Carrasco ist kurzfristig als Regisseurin eingesprungen. – Frage an meinen Kollegen Jürgen Liebing: Funktioniert das also nun, diese Kompaktversion des „Ring“ von Cord Garben?
Jürgen Liebing: Also wenn man das jetzt erst mal vom Musikalischen her sieht, kann man das machen. Aber ich gebe zu: Ich bin nicht so ganz zufrieden damit, denn es fehlt sehr viel. Es gibt keine Nornenszene, die Erda ist gestrichen und viele andere Striche gibt es auch noch. Beispielsweise im Siegfried, da wird immer davon gesungen, dass der Siegfried das Fürchten nicht gelernt hat, und ausgerechnet dann, wenn er das Fürchten lernt, wenn er nämlich Brünhilde wach küsst und sagt, oh, jetzt habe ich doch noch das Fürchten gelernt. Das ist auch gestrichen. Das heißt, bei Wagnerianern gibt es einen Phantomschmerz, dass vieles fehlt. Bei denen, die Wagner nicht kennen, die verstehen auch nicht alles, denn dieses große Werk ist ja mehr als bloß der Plot.
Netz: Ist es denn Valentina Carrasco noch gelungen, in der Kürze der Zeit ein überzeugendes Regie-Konzept zu entwickeln?
Liebing: Also da muss ich mal sagen, da hat jetzt Katharina Wagner ein kleines Problem, denn Valentina Carrasco – ihr blieben gerade mal vier Wochen Probezeit in einem Bühnenbild, was eigentlich für Katharina Wagner von Frank Schlössmann gebaut worden war. Und sie zeigt, dass es und was möglich ist in dieser Probenzeit, wobei sie eine sehr emphatische Frau ist und es ist ihr gelungen, alle Sänger – bis auf einen, der ausgestiegen ist – mitzunehmen. Und die haben rund um die Uhr geprobt, also fast mehr als 24 Stunden, und es wurde dann ein in sich recht schlüssiger „Ring“. Und die Argentinierin Valentina Carrasco, sie zeigt uns auch einen argentinischen „Ring“.
Netz: Wie sieht denn ein argentinischer „Ring“ aus?
Liebing: Das Gold, das die Rheintöchter am Beginn hüten und schützen, das sind Kinder. Da denkt man erst, was soll denn das. Aber am Ende löst sich das auf, denn das sind diese Kinder, die während der Militärdiktatur verschwunden sind. Die Eltern sind dann später umgebracht worden und sie werden in Niebelheim zu diesen neuen Menschen geformt. Und am Ende, wenn Brünhilde den Rheintöchtern das Gold wiedergibt, dann sind die Rheintöchter diese Mütter von der Plaza de Mayo, die damals eben demonstriert haben noch während der Militärdiktatur, und dann kommen diese Kinder wieder, und dann versteht man, was damit gemeint ist. So zieht sich das zwar nicht die ganze Zeit durch, aber es ist eine Auseinandersetzung mit der argentinischen Vergangenheit. also das war schon eine Konfrontation mit der eigenen Geschichte und das war schon ein Wagnis von Valentina Carrasco.
Netz: Lassen Sie uns über die Musik sprechen, Herr Liebing. Sie haben schon gesagt, Dirigent und Sänger sind überwiegend noch von Katharina Wagner eingeladen worden. Roberto Paternostro hat dirigiert. Wie war denn insgesamt die musikalische Leistung?
Liebing: Über die musikalische Leistung des Orchesters, da wollen wir lieber drüber schweigen, wenngleich es sehr viel besser war als wohl gewöhnlich. Es waren zwei Orchester für diese lange Zeit. Roberto Paternostro hat sie wirklich gefordert und hat etliches aus ihnen herausgeholt. Aber ein Wagner klingt vielleicht sonst anders.
Sängerisch ist es, besonders was die Frauen anbelangt, schon ganz speziell. Klar: Linda Watson als Brünhilde. Ich weiß, manche mögen sie irgendwie nicht, aber sie spielt diese Rolle und sie ist so exzellent und sie hat natürlich in dieser Kurzfassung am meisten zu singen – Walküre, Siegfried und dann noch in der Götterdämmerung – und sie ist auch das Zentrum dieser Inszenierung. Daneben ist Marion Ammann zum Beispiel eine wunderbare Sieglinde und Simone Schröder eine exzellente Fricka. Leider ist Fricka eben auch den Strichen zum Opfer gefallen. Aber sonst ist es, was die Sänger anbelangt, eine durchaus gute Leistung.
Netz: Herr Liebing, wenn Sie jetzt Bilanz ziehen: wie bewerten Sie es? Gut, dass man die Scherben doch noch zusammengekehrt hat, oder hätte man besser mit mehr Ruhe einen ganz neuen Anlauf machen sollen?
Liebing: Nein, letzteres auf gar keinen Fall. Denn das große Problem war: Wenn das jetzt nicht geklappt hätte, dann hätte der Intendant, Herr Caffi, ein großes Problem, weil auch dieses Projekt umstritten war – in einem Land Argentinien, was in einer großen Krise steckt, man ist noch nicht ganz in griechischen Verhältnissen, aber fast, und da macht man so etwas. Und wenn das daneben gegangen wäre, wäre das Geld ja einfach so zum Fenster rausgeschmissen worden. Ich glaube und finde, dass dieses Konzept so, wie Valentina Carrasco es uns gestern gezeigt hat und leider nur noch einmal am Freitag, dass das schon sehr sinnfällig war und dass es sich gelohnt hat und dass sie ihrer Kollegin Katharina Wagner gezeigt hat, es geht!
Netz: Jürgen Liebing über die Kurzfassung von Wagners „Ring des Nibelungen“ am Teatro Colón in Buenos Aires.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jürgen Liebing: Also wenn man das jetzt erst mal vom Musikalischen her sieht, kann man das machen. Aber ich gebe zu: Ich bin nicht so ganz zufrieden damit, denn es fehlt sehr viel. Es gibt keine Nornenszene, die Erda ist gestrichen und viele andere Striche gibt es auch noch. Beispielsweise im Siegfried, da wird immer davon gesungen, dass der Siegfried das Fürchten nicht gelernt hat, und ausgerechnet dann, wenn er das Fürchten lernt, wenn er nämlich Brünhilde wach küsst und sagt, oh, jetzt habe ich doch noch das Fürchten gelernt. Das ist auch gestrichen. Das heißt, bei Wagnerianern gibt es einen Phantomschmerz, dass vieles fehlt. Bei denen, die Wagner nicht kennen, die verstehen auch nicht alles, denn dieses große Werk ist ja mehr als bloß der Plot.
Netz: Ist es denn Valentina Carrasco noch gelungen, in der Kürze der Zeit ein überzeugendes Regie-Konzept zu entwickeln?
Liebing: Also da muss ich mal sagen, da hat jetzt Katharina Wagner ein kleines Problem, denn Valentina Carrasco – ihr blieben gerade mal vier Wochen Probezeit in einem Bühnenbild, was eigentlich für Katharina Wagner von Frank Schlössmann gebaut worden war. Und sie zeigt, dass es und was möglich ist in dieser Probenzeit, wobei sie eine sehr emphatische Frau ist und es ist ihr gelungen, alle Sänger – bis auf einen, der ausgestiegen ist – mitzunehmen. Und die haben rund um die Uhr geprobt, also fast mehr als 24 Stunden, und es wurde dann ein in sich recht schlüssiger „Ring“. Und die Argentinierin Valentina Carrasco, sie zeigt uns auch einen argentinischen „Ring“.
Netz: Wie sieht denn ein argentinischer „Ring“ aus?
Liebing: Das Gold, das die Rheintöchter am Beginn hüten und schützen, das sind Kinder. Da denkt man erst, was soll denn das. Aber am Ende löst sich das auf, denn das sind diese Kinder, die während der Militärdiktatur verschwunden sind. Die Eltern sind dann später umgebracht worden und sie werden in Niebelheim zu diesen neuen Menschen geformt. Und am Ende, wenn Brünhilde den Rheintöchtern das Gold wiedergibt, dann sind die Rheintöchter diese Mütter von der Plaza de Mayo, die damals eben demonstriert haben noch während der Militärdiktatur, und dann kommen diese Kinder wieder, und dann versteht man, was damit gemeint ist. So zieht sich das zwar nicht die ganze Zeit durch, aber es ist eine Auseinandersetzung mit der argentinischen Vergangenheit. also das war schon eine Konfrontation mit der eigenen Geschichte und das war schon ein Wagnis von Valentina Carrasco.
Netz: Lassen Sie uns über die Musik sprechen, Herr Liebing. Sie haben schon gesagt, Dirigent und Sänger sind überwiegend noch von Katharina Wagner eingeladen worden. Roberto Paternostro hat dirigiert. Wie war denn insgesamt die musikalische Leistung?
Liebing: Über die musikalische Leistung des Orchesters, da wollen wir lieber drüber schweigen, wenngleich es sehr viel besser war als wohl gewöhnlich. Es waren zwei Orchester für diese lange Zeit. Roberto Paternostro hat sie wirklich gefordert und hat etliches aus ihnen herausgeholt. Aber ein Wagner klingt vielleicht sonst anders.
Sängerisch ist es, besonders was die Frauen anbelangt, schon ganz speziell. Klar: Linda Watson als Brünhilde. Ich weiß, manche mögen sie irgendwie nicht, aber sie spielt diese Rolle und sie ist so exzellent und sie hat natürlich in dieser Kurzfassung am meisten zu singen – Walküre, Siegfried und dann noch in der Götterdämmerung – und sie ist auch das Zentrum dieser Inszenierung. Daneben ist Marion Ammann zum Beispiel eine wunderbare Sieglinde und Simone Schröder eine exzellente Fricka. Leider ist Fricka eben auch den Strichen zum Opfer gefallen. Aber sonst ist es, was die Sänger anbelangt, eine durchaus gute Leistung.
Netz: Herr Liebing, wenn Sie jetzt Bilanz ziehen: wie bewerten Sie es? Gut, dass man die Scherben doch noch zusammengekehrt hat, oder hätte man besser mit mehr Ruhe einen ganz neuen Anlauf machen sollen?
Liebing: Nein, letzteres auf gar keinen Fall. Denn das große Problem war: Wenn das jetzt nicht geklappt hätte, dann hätte der Intendant, Herr Caffi, ein großes Problem, weil auch dieses Projekt umstritten war – in einem Land Argentinien, was in einer großen Krise steckt, man ist noch nicht ganz in griechischen Verhältnissen, aber fast, und da macht man so etwas. Und wenn das daneben gegangen wäre, wäre das Geld ja einfach so zum Fenster rausgeschmissen worden. Ich glaube und finde, dass dieses Konzept so, wie Valentina Carrasco es uns gestern gezeigt hat und leider nur noch einmal am Freitag, dass das schon sehr sinnfällig war und dass es sich gelohnt hat und dass sie ihrer Kollegin Katharina Wagner gezeigt hat, es geht!
Netz: Jürgen Liebing über die Kurzfassung von Wagners „Ring des Nibelungen“ am Teatro Colón in Buenos Aires.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.