Archiv

Beihilfe zum Kindesmissbrauch
Arzt der Colonia Dignidad soll in Deutschland ins Gefängnis

Hartmut Hopp war Chef des Krankenhauses der berüchtigten deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile. Er lebt seit Jahren unbehelligt in Nordrhein-Westfalen, obwohl er in Chile wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch verurteilt wurde. Nun soll er in Deutschland ins Gefängnis kommen.

Von Ute Löhning |
    Der deutsche Sektenarzt Hartmut Hopp auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2000.
    Der deutsche Sektenarzt Hartmut Hopp auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2000. (picture alliance/ dpa/ Bernd von Jutrczenka)
    Dieter Maier ist sich sicher: "Hartmut Hopp war Chef des Krankenhauses und als solcher muss er gewusst haben und hat auch gewusst, was da geschah."
    Maier ist Menschenrechtsaktivist und Autor mehrerer Bücher über die Colonia Dignidad. Er erzählt, wie als renitent eingestufte Sektenmitglieder jahrelang im Krankenhaus der Siedlung eingesperrt, mit Elektroschocks gequält und zwangsweise mit Psychopharmaka ruhig gestellt wurden. Hartmut Hopp, glaubt er, hat dabei eine zentrale Rolle gespielt:
    "Er war eher zuständig für die Psychopharmaka-Verabreichung. Seine Kollegin Gisela Seewald eher für die Elektroschocks, aber das ging Hand in Hand."
    Sklaverei und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung
    Hopp ist heute über 70 Jahre alt, damals gehörte er zur Führungsriege der Colonia Dignidad. Und war damit ein enger Vertrauter des Sektenchefs Paul Schäfer. Schäfer hatte als Laienprediger die Colonia Dignidad – die "Kolonie der Würde" – 1961 in Chile gegründet. Aber statt respektvoll zusammenzuleben, wurden in der Sektensiedlung vier Jahrzehnte lang Menschen misshandelt, zu sklavenähnlicher Arbeit gezwungen, Kinder sexuell missbraucht.
    Anwältin Petra Schlagenhauf vertritt drei der insgesamt mehreren Hundert Opfer. Sie kämpft dafür, Hartmut Hopp hinter Gitter zu bringen:
    "Er ist in Chile verurteilt worden wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch durch Schäfer, den Sektenführer."
    Der Koloniearzt lebt sechs Jahre unbehelligt in Krefeld
    Fünf Jahre Haft – so lautete das letztinstanzliche chilenische Urteil aus dem Jahr 2013. Zwei Jahre zuvor ist Hopp geflohen. Seitdem lebt er unbehelligt im nordrhein-westfälischen Krefeld. Denn das Grundgesetz verbietet eine Auslieferung deutscher Staatsbürger an andere Staaten. Und eigenständige deutsche Ermittlungen gegen Hopp verlaufen schleppend.
    Vor drei Jahren beantragte der chilenische Staat schließlich, dass Hopp seine Haftstrafe in Deutschland verbüßen solle. Die Krefelder Staatsanwaltschaft prüfte das Gesuch und beantragte dann im letzten Jahr beim Landgericht, die Haft gegen Hopp zu vollstrecken. Petra Schlagenhauf:
    "Bei dem derzeit anhängigen Vollstreckungsverfahren beim Landgericht Krefeld geht es darum, ob die Verfahrensweise in Chile dem deutschen Rechtsverständnis insofern entspricht, als die grundlegenden Beschuldigtenrechte - Recht auf Verteidigung, Recht auf rechtliches Gehör - gewahrt worden sind. Nach unserer Auffassung ist das der Fall gewesen."
    Trotz möglicher Fluchtgefahr passierte nicht viel
    Und auch die Staatsanwaltschaft sieht das so. Seitdem ist allerdings nicht viel passiert: Beim Landgericht Krefeld heißt es seit Monaten, an dem Fall werde gearbeitet.
    Andreas Schüller, Anwalt bei der Berliner Menschenrechtsorganisation ECCHR, drängt die Justiz zum Handeln.
    "Es steht auch der Verdacht im Raum, dass Hartmut Hopp Pässe hat auf andere Namen, die ihm eine Ausreise oder eine Flucht erleichtern könnten."
    Um dies zu verhindern, könnte die Staatsanwaltschaft Hopp vorläufig festnehmen lassen. Das wäre ein versöhnliches Zeichen an die Opfer, meint Schüller.
    Warum wurde kein Colonia Dignidad-Täter bislang in Deutschland belangt?
    In Deutschland ist bisher trotz Ermittlungen kein Colonia-Dignidad-Täter juristisch belangt worden – auch wenn einige seit den 2000er-Jahren hier leben und sich damit einer drohenden Inhaftierung in Chile entzogen haben.
    Der chilenische Rechtsanwalt Hernán Fernández, der bereits erfolgreich Colonia-Dignidad-Opfer wegen sexuellen Missbrauchs vertreten hat, urteilt hart:
    "Deutschland scheint ein Land der Straflosigkeit zu sein. Kriminelle fliehen von Chile nach Deutschland, weil sie dort von niemandem belangt werden. Was tun die deutsche Polizei und die deutsche Staatsanwaltschaft eigentlich? Für die Opfer der Colonia Dignidad, Chilenen wie Deutsche, ist das eine große Enttäuschung."
    Aber auch in Chile verläuft die Aufarbeitung schleppend. Immerhin: Vor einigen Monaten kam es zu einem symbolträchtigen Urteil: Führungspersonen der Colonia Dignidad und des chilenischen Geheimdienstes DINA wurden wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Nachdem während der chilenischen Militärdiktatur unter Augusto Pinochet über einhundert Oppositionelle auf dem Colonia Dignidad-Gelände ermordet worden waren.
    Hopp über Hopp: "Mitschuldig, nicht jedoch in tatsächlicher und somit juristischer Hinsicht"
    Und Hartmut Hopp? Der scheint in die Offensive gehen zu wollen und fängt an, öffentlich zu reden. Für ein persönliches Gespräch stand er zwar nicht zur Verfügung. Aber in der Westdeutschen Zeitung gab Hopp kürzlich zum ersten Mal ein langes Interview. Tenor: Er sei harmlos und unschuldig. Von sexuellem Missbrauch an Kindern, Mord und Folter an politischen Gefangenen habe er bis in die 2000er-Jahre nichts gewusst. Die Führung der Kolonie sei "ein absoluter Ein-Mann-Betrieb" gewesen. Alles sei bei Sektenführer Paul Schäfer zusammen gelaufen.
    Opferanwältin Petra Schlagenhauf hat andere Informationen:
    "Ich hab selber mit einem ehemaligen DINA-Mitarbeiter gesprochen, der mir gesagt hat, dass Herr Hopp intensiven Kontakt hatte zu Manuel Contreras, das war der Chef der DINA. Er hätte eine Zugangskarte zum Hauptquartier der DINA gehabt mit der höchsten Zugangsstufe."
    Auch Menschenrechtsaktivist Dieter Maier, der schon 1977 auf das Folterlager auf dem Sektengelände hingewiesen hatte, zweifelt an Hopps Unschuld.
    "Hartmut Hopp war eine führende Figur in der Colonia Dignidad. Diese deutsche Siedlung in Südchile hat jahrzehntelang systematisch ihre eigenen Leute terrorisiert und die Region, und war ein integraler Bestandteil der Militärdiktatur. Das kann eine einzelne Person nicht gemacht haben. Das kann nicht Paul Schäfer, der Sektenführer, gemacht haben, wie Hopp behauptet. Dazu brauchte er willige und zuverlässige Helfer. Und einer davon war Hartmut Hopp."