„Taiwan Numbah Wan.“ Dieser Spruch ist Mitte Januar auf einer Website der chinesischen Regierung zu sehen. Die Aktivistengruppe Anonymous hatte sich in das chinesische IT-System eingehackt und auch noch ein Bild der taiwanischen Staatsflagge hochgeladen. Selbst wenn das Wort „Sport“ auf der gehackten Seite gar nicht vorkommt, wirkt die Attacke auch wie eine olympische Kampfansage: Sie ereignet sich auf den Tag genau zwei Wochen vor Beginn der Winterspiele in Peking.
Taiwan, ein Inselstaat mit 24 Millionen Einwohnern südöstlich von Festlandchina, wird von Peking nicht anerkannt. Taiwan betrachtet man dort als Teil des eigenen Staatsgebiets. Chinas Einfluss in der Welt hat auch erwirkt, dass der Inselstaat in olympischer Hinsicht nur indirekt existiert. Athletinnen und Athleten aus Taiwan müssen unter dem Namen „Chinese Taipei“ antreten.
Nur vier taiwanische Athleten reisen nach Peking
"Wir sehen sie als unsere nationalen Helden an", sagt Li-Hong Hsu, Professor für Sportwissenschaften an der National Taiwan University of Sport, über die Sportler von seiner Insel. Er ist Verfechter der olympischen Idee.
"Wir hoffen, dass unsere Athleten erfolgreich sind und Taiwan gut vertreten, damit das Land auch sichtbarer wird. Der Staat sieht sie als politisch und symbolisch wichtig an. Denn sie zeigen der Welt, dass Taiwan existiert."
Wobei ein erfolgreiches Abschneiden bei den Winterspielen kaum rein sportlich zu verstehen ist: Mitte Januar erklärte das NOK in der Hauptstadt Taipeh, dass nur vier Athleten nach Peking reisen werden: Die Eisschnellläuferin Huang Yu-ting, die Skislalomfahrer Lee Wen-yi und Ho Ping-jui sowie die Rennrodlerin Lin Sing-rong. Realistische Medaillenchancen hat niemand von ihnen.
"Wir haben hier subtropisches Klima. Schnee findet man nur in den Bergen, aber dort leben kaum Menschen. Für unsere Athleten geht es bei Winterspielen um die olympische Erfahrung. Wie es immer heißt es: Debei sein ist alles."
Taiwan fühlt sich in seiner Existenz bedroht - bis heute
Für Taiwan gilt das besonders. Kaum ein Land fühlt sich in seiner Existenz stärker bedroht. Als im Jahr 1949 die Kommunisten den chinesischen Bürgerkrieg für sich entschieden, flohen die Nationalisten um Anführer Chiang Kai-shek auf die Insel Taiwan und gründeten ihren Staat dort. Taiwan galt international anfangs als das legitime China, hatte den chinesischen Sitz bei den Vereinten Nationen inne und die Mitgliedschaft beim IOC.
Aber als 1972 die USA diplomatische Beziehungen zu Festlandchina aufnahmen, wurde Taiwan allmählich diplomatisch isoliert. Denn in Peking verfolgte man stets die Auffassung, es gebe nur ein China – und das werde von Peking aus regiert. Wer also mit China Geschäfte machen wollte, konnte nicht gleichzeitig mit Taiwan sprechen.
Vordergründig gilt dieses Prinzip bis heute. Umgangen wird es durch Konstrukte wie den Namen „Chinese Taipei“ für Taiwans Athleten bei Olympia. Aber die Bedrohungen für die Existenz des Inselstaats sind zuletzt größer geworden.
Taiwanische Athleten unter Beobachtung
"Taiwan ist auf Irrwegen und wird wieder mit Festlandchina vereint werden. Niemand sollte Taiwan als Druckmittel für seine Politik einsetzen. China muss wiedervereint und wird wiedervereint werden", sagte Ende Dezember ein Sprecher der chinesischen Regierung.
Chinas Regierungschef Xi Jinping hat zuletzt auch betont, man werde sich Taiwan notfalls einverleiben, sollte sich die Insel gegen eine Wiedervereinigung sträuben. Vergangenes Jahr drangen schon chinesische Kampfflugzeuge in den taiwanischen Luftraum ein.
Experten haben auch schon davor gewarnt, dass taiwanische Athleten, die irgendwie politisch auffallen, in China festgenommen werden könnten. Wer immer im demokratischen Taiwan etwas gegen die Politik Chinas sagt, wird aus Peking schnell kritisiert.
Wobei vom Olympiagastgeber nicht nur Feindseligkeiten zu vernehmen sind. Je nachdem, wie es gerade passt, gibt man sich dieser Tage auch besonders freundlich. Die Nachrichtenagentur Xinhua betonte, dass die chinesische Regierung ihre „Landsmänner“ aus Taiwan willkommen heiße. Chinas englischsprachiger Staatssender CGTN berichtete Anfang Januar:
"Acht Taiwaner Medienhäuser werden von vor Ort über die Wettbewerbe berichten. Und mehr als 30 Volunteers aus Taiwan werden freiwillig helfen, um den Ablauf der Spiele zu unterstützen. Eine Pressekonferenz des Büros für Taiwan-Angelegenheiten hat nun den Ton gesetzt für die Beziehungen im neuen Jahr, und das Festland hat betont, dass sich alle Seiten an das „Ein-China-Prinzip“ halten und eine friedliche und gemeinsame Entwicklung anstreben sollten."
IOC: Sport als "Werkzeug des Friedens, der Verständigung in Konfliktgebieten"
Dann aber warnt die Global Times, eine Zeitung der Kommunistischen Partei Chinas, dass man in Peking am Plan der „Wiedervereinigung Chinas“ weiterhin festhalte. Und dass auch die Olympischen Spiele keine Pause dieser Bemühung darstellen.
Je nach Lesart sagt sogar das IOC etwas Anderes. Auf Anfrage, ob es besondere Sicherheitsmaßnahmen für die Delegation aus Taiwan gibt, heißt es:
"Der Olympische Waffenstillstand wurde im vergangenen Dezember von allen 193 Mitgliedsstaaten (…) auf der 76. Sitzung der Vereinten Nationen der UN-Generalversammlung in New York vereinbart. (…) So wird ein Olympischer Waffenstillstand für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele von Peking 2022 erwartet, beginnend sieben Tage vorm Start der Olympischen Spiele und bis sieben Tage nach dem Ende der Paralympischen Spiele."
Die Resolution fordert auch alle Mitgliedsstaaten dazu auf, mit den Internationalen Olympischen Komitee und dem Internationalen Paralympischen Komitee zusammenzuarbeiten, um Sport als Werkzeug des Friedens, des Dialogs und der Verständigung in Konfliktgebieten zu nutzen, während und jenseits der Spiele.
Aber es gibt diejenigen, die an die Kraft des Sports glauben. Einer von ihnen ist der Taiwaner Li-Hong Hsu: "Ich denke, es wird gut laufen. Unsere Athleten sind immer beraten, sich nur auf den Sport zu fokussieren. Sie zeigen keine besonderen politischen Ansichten. Wenn du als Athlet einfach nur Sport machst, dann bewirbst du dein Land genau damit. Vielleicht auf viel positivere Weise.
In Taiwan werden aus Peking so viele Stunden übertragen wie noch nie bei Winterspielen.