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"Beim Vorwurf der Korruption müssten alle roten Lampen angehen"

Es habe "merkwürdige Gefälligkeiten" zu Gunsten von Christian Wulff gegeben, meint Stephan Weil (SPD). Der Oberbürgermeister von Hannover beschreibt dessen Ex-Sprecher Glaeseker als "wichtigsten Ratgeber" - deswegen sei der Bestechlichkeitsverdacht "sehr, sehr ernsthaft".

Stephan Weil im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Ein Ende der Debatte um Bundespräsident Christian Wulff hat der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Fraktion im Bundestag, Michael Fuchs, gefordert. Wenn es noch substanzielle Vorwürfe gegen Wulff gäbe, müsse er diese sofort aufklären. Das sagte Fuchs im ZDF. Und Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel verwies im Zusammenhang mit der Hausdurchsuchung bei Olaf Glaeseker, dem ehemaligen Sprecher von Christian Wulff, darauf, dass in Deutschland die Unschuldsvermutung gelte. Doch irgendwie verhallen diese Appelle angesichts der immer neuen Vorwürfe und daraus resultierenden Fragen, die sich stellen.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Stephan Weil, er ist SPD-Oberbürgermeister von Hannover, designierter SPD-Landesvorsitzender, auf jeden Fall aber Spitzenkandidat seiner Partei. Guten Tag, Herr Weil!

    Stephan Weil: Guten Tag, ich grüße Sie.

    Breker: Die SPD in Hannover spricht von einem sogenannten "System Wulff". Erklären Sie doch unseren Hörern bundesweit, was genau meint die SPD mit diesem "System Wulff"? Worin besteht es?
    Es habe "merkwürdige Gefälligkeiten" zu Gunsten von Christian Wulff gegeben, meint Stephan Weil (SPD). Der Oberbürgermeister von Hannover beschreibt dessen Ex-Sprecher Glaeseker als "wichtigsten Ratgeber" - deswegen sei der Bestechlichkeitsverdacht "sehr, sehr ernsthaft".

    Weil: Ich glaube, wir sind nicht die einzigen, die hier ein systematisches Vorgehen sehen, insbesondere ein systematisches Übertreten von Regeln eines vernünftigen Umgangs zwischen Politik und Wirtschaft. Wir haben immer neue Sachverhalte, mit denen wir konfrontiert werden und die samt und sonders dadurch gekennzeichnet sind, dass es merkwürdige Gefälligkeiten gibt aus dem Bereich der Wirtschaft zu Gunsten von Christian Wulff in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident. Wir fragen uns, war das nur ein Thema des früheren Ministerpräsidenten, oder wirkt das fort in Niedersachsen. Auch dafür gibt es das eine oder andere Anzeichen – Stichwort "Klub 2013". Und seit gestern wissen wir, dass wir eben nicht nur über die Fragen des guten Geschmacks sprechen, sondern dass es auch um handfeste strafrechtliche Vorwürfe geht, und spätestens beim Vorwurf der Korruption, denke ich, müssten alle roten Lampen angehen.

    Breker: Sagen Sie uns, wie haben Sie das Tandem Olaf Glaeseker/Christian Wulff in Hannover erlebt? Was waren die beiden, als was traten sie auf?

    Weil: Nun, ich denke, alle politisch Interessierten in Niedersachsen werden Ihnen bestätigen, dass Herr Glaeseker im Umfeld von Christian Wulff die wahrscheinlich wichtigste Rolle hatte, dass er sein wichtigster Mitarbeiter gewesen ist, vielleicht so etwas wie eine rechte Hand, der den gesamten Bereich der Kommunikation gesteuert hat, der darüber hinaus aber auch überall und unwidersprochen als sein wichtigster Ratgeber gegolten hat, und insofern ist das schon ein sehr, sehr ernsthafter Vorgang, den wir gerade erleben, den man sicherlich vor einigen Wochen noch überhaupt sich nicht hätte vorstellen können.

    Breker: Im niedersächsischen Landtag, Herr Weil, wird darüber debattiert, ob es einen Untersuchungsausschuss geben soll. Ihre Partei, die SPD, tut sich da sehr schwer. Warum ist das so? Fürchten Sie, dass das "System Gerhard Schröder" aufgedeckt werden könnte?

    Weil: Nein! Da haben wir nun gar keine Sorgen. Ich wüsste auch nicht, dass es ein solches System gibt. Es ist schlichtweg so, dass wir in der Tat – so gut, wie es uns Christian Wulff zulässt – das Amt des Bundespräsidenten nicht beschädigen möchten. Es kann ja nicht gut sein, wenn wir in Niedersachsen tatsächlich jetzt noch monatelang diese Vorgänge rauf- und runterdiskutieren. Und deswegen tun wir uns in der Tat schwer und sind auch unsere Äußerungen vergleichsweise zurückhaltend. Nur stößt das alles natürlich an eine Grenze. Wenn man den Eindruck gewinnen muss, es kommt immer mehr dazu, und wenn man obendrein den Eindruck gewinnen muss, dass die amtierende Landesregierung überhaupt keine eigenen Beiträge zur Aufklärung liefert, dann kommt man ins Grübeln.

    Breker: Diese enge Verquickung von Wirtschaft und Politik, die da jetzt aus Hannover bekannt wird, wie erklärt sich das? Hat das was damit zu tun, dass es in Hannover die Hannovermesse gibt, dass der niedersächsische Ministerpräsident im Aufsichtsrat von VW sitzt, das Land einen Großteil von VW besitzt? Kommt das daher? Woher kommt das?

    Weil: Na ja, also wenn Sie gestatten, beantworte ich diese Frage mal als Oberbürgermeister von Hannover, denn das ist mir schon ein Anliegen, an dieser Stelle für klare Verhältnisse zu sorgen. Wissen Sie, Hannover ist eine sehr interessante, eine sehr vielfältige Halbmillionen-Stadt, aber sie ist im übrigen völlig normal. Und natürlich kennen sich in einer solchen Stadt viele Menschen untereinander. Aber mir sind aus den vergangenen Jahren keine sonderlichen und erst recht keine systematischen Regelverstöße bekannt geworden.

    Die Vorgänge, über die wir jetzt sprechen, haben mit Hannover im übrigen herzlich wenig zu tun. Bei dem zu Grunde liegenden Hauskauf von Herrn Wulff, da ging es um eine Vereinbarung mit einem alten Freund aus Osnabrück. Bei der Frage von Filmbällen oder was da jetzt sonst noch alles diskutiert wird, geht es immer wirklich um nationale Aktivitäten. Und last but not least: die Stadt Hannover hat mit dem sogenannten Nord-Süd-Gipfel, der ja jetzt der Stein des Anstoßes in Sachen Glaeseker ist, nun ganz und gar nichts zu tun. Mir sind jedenfalls besonders enge Beziehungen zwischen der niedersächsischen Landeshauptstadt und Baden-Württemberg wirklich nicht bekannt.

    Breker: Können Sie sich denn, Herr Weil, vorstellen, dass man als Ministerpräsident in Niedersachsen zwangsläufig die Bodenhaftung verliert, weil man eben halt so viel mit der Wirtschaft, so viel mit der Industrie und gegebenenfalls auch so viel mit Prominenz zu tun hat?

    Weil: Nun, dann müssten eigentlich alle Ministerpräsidenten in allen Bundesländern ständig gefährdet sein, denn das ist etwas, glaube ich, was diese Personengruppe gemeinsam hat. Ich kann das nicht erkennen. Es ist ganz am Ende immer die Frage an jeden einzelnen, ob er die klaren Regeln, die es gibt, beachtet, und da, wo sie nicht klar sind, habe ich im übrigen auch den Eindruck, täten wir gut daran, sie noch weiter zu konkretisieren. Ich habe deswegen auch den Vorschlag gemacht, eine Kommission einzusetzen, die sich mit der Grauzone rings um diese sogenannte Klimapflege befasst. Im Moment erlebe ich nämlich wirklich sowohl bei der Politik wie bei der Wirtschaft eine spürbare Verkrampfung im Umgang miteinander, und daran kann man nun auch kein Interesse haben.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Oberbürgermeister von Hannover und designierte SPD-Landesvorsitzende, Stephan Weil. Herr Weil, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Weil: Sehr gerne! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.