Archiv


Beim Weltuntergang wird’s etwas teurer

Der Mensch reagiert auf Dinge, die er nicht versteht, oft mit Abneigung und Furcht. Das war schon immer so. Bei Donner und Blitz fürchtete man den Zorn Götter. Bei Erdbeben ruckelten riesige Urtiere an der Erdscheibe. Und bei einer Sonnenfinsternis schien auch einmal ein kleiner Massensuizid die vernünftigste Reaktion. Und wenn die Angst proportional zu dem Grad der Unverständlichkeit steigt, dann gibt es kaum ein gefährlicheres und grauenerregenderes Forschungsgebiet wie die theoretischen Physik.

Von Bernd Schuh | 01.04.2012
    Am Cern in der Schweiz werden der Aufbau der Materie und die fundamentalen Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen erforscht. Also die grundlegende Frage, woraus das Universum besteht, wie es funktioniert und wer im Zweifelsfall Reklamationen entgegen nimmt.

    Dazu werden Protonen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dann zur Kollision gebracht. In der Hoffnung, dass es die zähen Biester in ihrer Einzelteile zerlegt. Und das ist natürlich alles vollkommen ungefährlich. Sagen zumindest die Wissenschaftler von Cern. Doch warum berichtete dann die Bild-Zeitung im Jahre 2010 vom "gefährlichstes Experiment der Welt"? Nicht "Bild" weiss, was da abgeht, sondern die Sekretärin des Forschungsleiters. Sie hatte versehentlich - und gut für uns - das Videotelefon "auf Aufnahme" geschaltet, als ihr Chef einen Versicherungsagenten zu Besuch hatte.

    Sprechanlage (weibliche Stimme): "Theo! Hier ist der Herr von der Genfer Rück."

    Wijtermaker: "Ja, soll reinkommen. Und, Susi? Etwas mehr Förmlichkeit bitte, wenn wir Gäste haben!"

    Sprechanlage: "Jawohl, Herr Professor."

    Wijtermaker: "Kommen Sie, nehmen Sie Platz, wir wollen gleich zur Sache kommen, Herr eh.."

    Bäutemacher: "Bäutemacher, Dr. Bernd Bäutemacher. Mit ä u. Hier meine Karte. Aber lassen Sie den Dr. bitte weg. Wir Akademiker…"

    Wijtermaker: "Ja, ja. Ganz recht. Wijtermaker. Hier...ach..ich hab meine Karten ...eh die hab ich...egal, Sie wissen ja, dass ich Direktor vom Cern bin."

    Bäutemacher: "Und ich leite die Abteilung Spezialversicherungen bei der Rück, wie Sie sehen. Bei Ihrer delikaten Lage muss ich schon selber ran. Was verschafft mir das Vergnügen Ihrer Anfrage?"

    Wijtermaker: "Das sind die Brüsseler Spitzen. Die haben uns Auflagen gemacht für den neuen LHC."

    Bäutemacher: "Geht es um eine Diebstahlversicherung?"

    Wijtermaker: "Nein, nein, man zwingt uns, eine Risikoversicherung abzuschließen. Für den Fall, dass etwas, eh wie soll ich sagen, nicht rundläuft bei den nächsten Experimenten."

    Bäutemacher: "Aber der LHC ist doch dieser Riesenspeicherring, da läuft doch immer alles rund, oder? Kleiner Scherz, verzeihen Sie. Aber im Ernst: An was für Gefahren denken Sie denn?"

    Wijtermaker: "Wir denken überhaupt nicht an Gefahren, aber die Herren in Brüssel haben sich von so einem Pseudogutachten ins Bockshorn jagen lassen. Da entwirft ein mir völlig unbekannter angeblicher Kollege völlig absurde Szenarien, wenn unsere nächsten Experimente gelingen."

    Bäutemacher: "Ah, davon hab ich in der Zeitung gelesen. 'Cern plant Weltuntergang' , diese Dinge. Sie machen quasi einen Urknall mit diesen Experimenten, richtig?"

    Wijtermaker: "Das ist total übertrieben. Wir simulieren lediglich die Bedingungen, die so ähnlich beim Urknall geherrscht haben müssen."

    Bäutemacher: "Aber wenn dann so ein neues Universum entsteht und auseinander fliegt, wo bleibt dann das alte?"

    Wijtermaker: "Ich bitte Sie, das ist doch alles nur ein Bild. Das ist alles Nonsens. Es entstehen auch keine Schwarzen Löcher, wie immer behauptet wird."

    Bäutemacher: "Nein?"

    Wijtermaker: "Jedenfalls keine gefährlichen. Nur ganz winzige. Löchlein. Wenn überhaupt. Und die verdampfen sofort wieder."

    Bäutemacher: "Was Sie hier mit Ihren Experimenten überprüfen wollen, ist das nicht eine Standardtheorie?"

    Wijtermaker: "Ja, sicher, das ist die Standardtheorie der Kosmologie und Hochenergiephysik. Wie alles entstand, wie alles zusammenhängt, was die Welt im Innersten zusammenhält."

    Bäutemacher: "Sie geben also Milliarden aus für die Überprüfung einer Standardtheorie, aber Sie verlassen sich dabei auf eine ungeprüfte Standardtheorie, was das Verdampfen der Schwarzen Löchlein angeht, ja?"

    Wijtermaker: "Jetzt drehen Sie mir aber das Wort im Mund herum. Das ist doch alles nicht vergleichbar."

    Bäutemacher: "Ich versuche ja nur, Sie für gewisse Inkonsistenzen in Ihrem Vorgehen zu sensibilisieren. Aber es spielt auch keine Rolle, unser Risikokatalog sieht leider keine Regularien vor für winzige Schwarze Löchlein, die in einer Ursuppe gekocht werden."

    Wijtermaker: "Aber das ist alles Quatsch. Wir haben Studien machen lassen, die das alles widerlegen. Keine Gefahr durch Schwarze Löcher, keine Strangelets, nichts!"

    Bäutemacher: "Strangelets?"

    Wijtermaker: "Ja, das sind, das sind Elementarteilchen, die schwere Quarks enthalten. Die gibt es in unserer Materie nicht. Ein reines Konstrukt."

    Bäutemacher: "Also rein theoretisch, ja, könnte es Quark geben? So als Nachspeise gewissermaßen, nach der Ursuppe? Nein, verzeihen Sie, nur ein Scherz."

    Wijtermaker: "Hören Sie, was wir mit unserem Experiment simulieren, passiert tagtäglich in der äußeren Erdatmosphäre, durch die kosmische Strahlung. Und da passiert ja auch nichts."

    Bäutemacher: "Das ist ein interessanter Gesichtspunkt. Gegen die kosmische Strahlung als Ursache für einen Weltuntergang hatten wir noch keine Versicherung. Vielen Dank für den Hinweis."

    Wijtermaker knallt Bäutemacher einen dicken Ordner auf den Tisch: "Hier haben Sie schwarz auf weiß, dass das alles Unsinn ist. Halten Sie sich einfach an den 22-seitigen Report hier, da steht alles drin. Alles widerlegt!
    Bäutemacher zieht seinerseits einen noch dickeren Ordner aus seiner Aktenmappe: Nun, ich habe hier ein 66-seitiges Gegengutachten."

    Wijtermaker: "Was soll das? Sie können nicht unserem grundsoliden Erhebungen so ein Geschreibsel esoterischer Quacksalber entgegenhalten. Das bleibt aber unter uns bitte, Herr…"

    Bäutemacher: "Bäutemacher, Herr Wijtermaker. Aber immerhin ist dieser Report dreimal so dick wie Ihrer."

    Wijtermaker: "Sie wollen doch nicht ernsthaft die Güte einer Arbeit an ihrer Seitenzahl messen?"

    Bäutemacher zieht ein weiteres Dokument aus seiner Mappe: "Nein. Und ich bitte Sie, die Güte eines Angebots nicht an seinen Kosten zu messen. Ich habe hier schon einmal unter Berücksichtigung aller bekannten und unbekannten Größen einen Vorschlag als Verhandlungsgrundlage vorbereitet."

    Wijtermaker schaut kurz drauf: "Ich bitte Sie! Das ist ja absolut. Wie stellen Sie sich das vor? Wie soll ich das begründen? Geschweige denn finanzieren??"

    Bäutemacher: "Ach kommen Sie! Das ist eine Win-Win-Situation. Wir wollen doch beide, dass nichts passiert. Sie suchen nach etwas, das Sie eigentlich gar nicht finden wollen."

    Wijtermaker: "Wie meinen Sie das?"

    Bäutemacher: "Na, wenn Ihr Experiment gelingt, und Sie das Teilchen finden, dieses, dieses, Schluckaufteilchen, wie heißt es noch?"

    Wijtermaker: "Das Higgs-Teilchen."

    Bäutemacher: "Richtig, das Hicksteilchen. Wenn Sie das finden und die Standardtheorie damit bestätigen, ist alles vorbei. Richtig? Aber bestätigt sich die Theorie durch die Experimente nicht, was dann? Dann gibt es wahrscheinlich neue Elementarteilchen, wieder auf dem Papier versteht sich, die Sie erst einmal finden müssen, und für die Sie wieder fünf Milliarden ausgeben können, nominell, in Wirklichkeit war es natürlich viel mehr. Und deshalb sind wir in derselben Situation. Wir wollen beide, dass nichts passiert.
    Wijtermaker: Also bitte! Und außerdem: Diese Prämie ist exorbitant!"

    Bäutemacher: "Beim Weltuntergang wird’s halt ein bisserl teurer. Wenn Sie weiter verkaufen wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, müssen Sie auch für das Risiko vorsorgen, dass sie auseinander fliegt. Außerdem können Sie die Versicherungskosten doch unter Gutachterkosten verbuchen, das fällt doch niemand auf."

    Wijtermaker wiegt zweifelnd den Kopf: "Na, ich weiß nicht."

    Bäutemacher: "Aber klar. Wie hat Ihr Kollege selig, mein Landsmann Albert Einstein gesagt? Zwei Dinge weiß ich sicher: Dass das Universum unendlich groß ist, und die Menschheit unendlich dumm. Bei dem Ersten bin ich mir aber noch nicht ganz sicher. Jede Versicherung ist doch ein Gutachten. Sie zeigt, dass Sie auf die Risiken gut achten. Ehem, kleiner Scherz, verzeihen Sie. Dass das auffällt ist so unwahrscheinlich wie die Möglichkeit, dass unser Gespräch abgehört wird…"